Bundessozialgericht
Beschl. v. 16.04.2025, Az.: B 5 R 8/25 B
Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente; Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde
Bibliographie
- Gericht
- BSG
- Datum
- 16.04.2025
- Aktenzeichen
- B 5 R 8/25 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 14593
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:BSG:2025:160425BB5R825B0
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Mannheim - 27.01.2023 - AZ: S 8 R 2453/21
- LSG Baden-Württemberg - 17.12.2024 - AZ: L 11 R 471/23
Rechtsgrundlagen
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Eine (verdeckte) Tatsachenfrage - hier im Hinblick auf das Vorliegen der vom Betroffenen im konkreten Einzelfall zu erfüllenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente - ist kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Grundsatzrüge.
- 2.
Auch eine auf die vermeintliche Unrichtigkeit der LSG-Entscheidung gestützte Rüge vermag eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache von vornherein nicht zu begründen.
Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat am 16. April 2025 durch die Richterin Prof. Dr. Körner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Dr. Hannes und Hahn
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 2024 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der 1976 geborene Kläger begehrt in der Hauptsache die Weitergewährung seiner Erwerbsminderungsrente über den 31.3.2021 hinaus.
Die Beklagte gewährte ihm eine befristete, mehrfach verlängerte Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1.7.2017 bis letztlich zum 31.3.2021. Den Weitergewährungsantrag vom 17.11.2020 lehnte sie nach Einholung eines Gutachtens auf orthopädisch-unfallchirurgischem Fachgebiet ab (Bescheid vom 26.2.2021; Widerspruchsbescheid vom 4.10.2021). Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen vernommen und ein Gutachten des Neurologen, Psychiaters und Psychotherapeuten N eingeholt. Die Klage hat es abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 27.1.2023). Das LSG hat nach Durchführung eines Erörterungstermins ein Gutachten des Orthopäden, Unfall- und Chirotherapeuten J eingeholt sowie ein Gutachten nebst ergänzender Stellungnahme des Neurologen, Psychiaters, Sozialmediziners und speziellen Schmerztherapeuten R. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen (Urteil vom 17.12.2024). Jedenfalls bis April 2023 sei der Kläger in der Lage gewesen, leichte körperliche Tätigkeiten einfacher Art mit lediglich qualitativen Einschränkungen zu verrichten. Es könne offenbleiben, ob sein Leistungsvermögen zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen R auf drei bis unter sechs Stunden täglich herabgesunken sei, wie dieser angenommen habe. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente hätten jedenfalls nur noch bei einer spätestens im April 2023 eingetretenen Erwerbsminderung vorgelegen. Dass bis zu diesem Zeitpunkt der Leistungsfall eingetreten sei, habe sich nicht nachweisen lassen.
Der Kläger hat Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig und daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 2 und 3 SGG). Der Kläger hat keinen Revisionszulassungsgrund (§ 160 Abs 2 SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form dargetan.
a) Der Kläger legt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht anforderungsgerecht dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund gestützt, muss dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§ 162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 24.2.2025 - B 5 R 111/24 B - juris RdNr 5 mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend.
Der Beschwerdebegründung lässt sich die Frage entnehmen,
"Ist die Anwendung des § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI nach einer zeitlich befristeten vollen Erwerbsminderungsrente in einem überlangen Widerspruchs- und Sozialgerichtsverfahren (17.11.2020 bis 17.12.2024) hinsichtlich der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzung (3 Jahre Pflichtbeiträge in den letzten 5 Jahren vor dem Versicherungsfall) rechtens".
Wegen des Einzelfallbezugs ist damit schon keine aus sich heraus verständliche abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung, zur Anwendbarkeit oder zur Vereinbarkeit revisibler (Bundes-)Normen mit höherrangigem Recht formuliert, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl zu diesem Erfordernis zB BSG Beschluss vom 11.7.2024 - B 5 R 32/24 B - juris RdNr 8 mwN). Der Kläger wirft keine solche Rechtsfrage auf, sondern stellt letztlich die Frage, ob im Hinblick auf die von ihm im konkreten Einzelfall zu erfüllenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Umstände vorliegen, aufgrund derer der Fünfjahreszeitraum des § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 bzw Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI über April 2023 hinaus zu verlängern ist. Eine solche (verdeckte) Tatsachenfrage ist kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Grundsatzrüge (vgl zB BSG Beschluss vom 24.2.2025 - B 5 R 111/24 B - juris RdNr 7 mwN).
Selbst wenn zu seinen Gunsten eine abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung des § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2 bzw Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI unterstellt wird, hat der Kläger deren Klärungsbedürftigkeit nicht anforderungsgerecht dargelegt. Der Kläger geht in keinster Weise auf die Rechtsprechung des BSG zu den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Erwerbsminderungsrente (3/5-Belegung) ein (vgl zum Erfordernis, die vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung auszuwerten, zB BSG Beschluss vom 4.1.2024 - B 5 R 68/23 B - juris RdNr 7 mwN). Er wendet sich letztlich gegen die inhaltliche Richtigkeit des Berufungsurteils, indem er vorbringt, ein Versicherter, der nach mehrjährigem Bezug einer Erwerbsminderungsrente weiterhin arbeitsunfähig sei, insbesondere ohne Krankengeld oder andere Sozialleistungen beanspruchen zu können, und die Ablehnung seines Weiterbewilligungsantrags gerichtlich überprüfen lasse, könne die 3/5-Belegung niemals erfüllen, und auf die grundsätzlich aufschiebende Wirkung im Sozialgerichtsverfahren verweist. Eine auf die vermeintliche Unrichtigkeit der LSG-Entscheidung gestützte Rüge vermag eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache jedoch von vornherein nicht zu begründen (vgl zB BSG Beschluss vom 4.3.2021 - B 5 R 308/20 B - juris RdNr 7).
b) Soweit die Beschwerde als weiteren Grund für die Zulassung der Revision § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ("wegen unzureichender Auslegung der Entscheidung des BSG - B 13 R 7/18 R") nennt, trägt der Kläger nicht weiter zum Zulassungsgrund der Divergenz vor (zu den Darlegungsanforderungen im Einzelnen vgl zB BSG Beschluss vom 15.11.2023 - B 5 R 91/23 B - juris RdNr 4 mwN).
c) Der Kläger bezeichnet auch Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht anforderungsgerecht. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die sich daraus ergebenden Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger bezeichnet schon keinen Verfahrensmangel ausdrücklich. Er führt unter Bezugnahme auf zahlreiche Gutachten aus, nach seinem Dafürhalten habe sich sein Leistungsvermögen seit Bewilligung der Erwerbsminderungsrente im Jahr 2017 zunehmend verschlechtert und sei ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gesundheitlich nicht mehr möglich gewesen. Damit rügt er eine Verletzung der Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) durch das LSG. Darauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht gestützt werden, wie sich aus § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ergibt. Gleiches gilt für das Vorbringen des Klägers, bei gebotener "ganzheitlicher" Betrachtung der bestehenden Leistungseinschränkungen sei von einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung auszugehen.
Der Kläger bringt zudem vor, das LSG habe gegen das Rechts- und Sozialstaatsprinzip verstoßen, indem es den Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente wegen Fehlens der - erst während des Berufungsverfahrens weggefallenen - versicherungsrechtlichen Voraussetzungen verneine, ohne frühzeitig auf deren drohenden Wegfall hinzuweisen. Sollte er damit eine Verletzung des aus Art 2 Abs 1 GG i.V.m. Art 20 Abs 3 GG abgeleiteten Prozessgrundrechts auf ein faires Verfahren rügen wollen (vgl auch Art 6 Europäische Menschenrechtskonvention; Art 47 Satz 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union), hat der Kläger einen Verfahrensmangel nicht anforderungsgerecht bezeichnet. Aus seinem nicht näher konkretisierten Vorbringen ergibt sich nicht, inwiefern das LSG gegenüber dem bereits im Berufungsverfahren rechtskundig vertretenen Kläger zu weitergehenden Hinweisen verpflichtet gewesen wäre und durch die Verfahrensführung rechtsstaatlich unverzichtbare Verfahrenserfordernisse nicht gewahrt worden sein könnten. Das gilt auch mit Blick auf den Vortrag des Klägers, er hätte bei einem frühzeitigen richterlichen Hinweis Bürgergeld beantragt.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 SGG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.