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Bundesgerichtshof
Urt. v. 30.10.2023, Az.: VIa ZR 1230/22
Inanspruchnahme eines Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug; Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 30.10.2023
Referenz: JurionRS 2023, 43044
Aktenzeichen: VIa ZR 1230/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2023:301023UVIAZR1230.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Regensburg - 08.11.2021 - AZ: 64 O 1248/21

OLG Nürnberg - 20.07.2022 - AZ: 5 U 4626/21

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 823 Abs. 2 BGB

§ 826 BGB

§ 6 Abs. 1 EG-FGV

§ 27 Abs. 1 EG-FGV

BGH, 30.10.2023 - VIa ZR 1230/22

Redaktioneller Leitsatz:

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen, auch wenn er in erster Linie einen auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz geltend gemacht hat. Denn dem auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem Differenzschaden nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im Kern an die Vertrauensinvestition des Käufers bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. Oktober 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Wille
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht den Berufungsantrag zu I sowie den Berufungsantrag zu II - ohne die Freistellung von Zinsen auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 7. Dezember 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz V 220d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).

3

Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Verzugszinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu II) begehrt.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Das Inverkehrbringen des mit dem Thermofenster und der KSR versehenen Fahrzeugs stelle keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers dar. Das gelte auch dann, wenn in dem Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen sein sollte. Ein Schadensersatzanspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, weil die Vorschriften der EG-FGV nicht den Schutz des Interesses des Käufers bezweckten, keine ungewollte Verbindlichkeit einzugehen.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des von der Revision angeführten Thermofensters getroffen.

III.

12

Die Berufungsentscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen zu haben.

Menges

Krüger

Götz

Rensen

Wille

Von Rechts wegen

Verkündet am: 30. Oktober 2023

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