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Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.10.2023, Az.: VIa ZR 530/22
Inanspruchnahme eines Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug; Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 23.10.2023
Referenz: JurionRS 2023, 43047
Aktenzeichen: VIa ZR 530/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2023:231023UVIAZR530.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Potsdam - 29.03.2021 - AZ: 11 O 239/20

OLG Brandenburg - 16.03.2022 - AZ: 4 U 82/21

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 826 BGB

Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO Nr. 715/2007/EG

§ 6 Abs. 1 EG-FGV

§ 27 Abs. 1 EG-FGV

BGH, 23.10.2023 - VIa ZR 530/22

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Oktober 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 16. März 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufungsanträge zu 1 und zu 4 zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger erwarb im Februar 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten BMW 520d, der mit einem Motor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Er macht geltend, das Fahrzeug verfüge über mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen, unter anderem ein Thermofenster, und nimmt die Beklagte deshalb auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 25.657,13 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) und zur Zahlung ausgerechneter Deliktszinsen (Berufungsantrag zu 2) zu verurteilen. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz zu 1 und zu 4 weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Der Vortrag des Klägers zum Thermofenster begründe keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Selbst wenn man dieses Vorbringen als wahr unterstelle und eine temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 qualifiziere, wäre der Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen nicht als besonders verwerflich anzusehen. Auch aus den weiteren behaupteten Abschalteinrichtungen ergebe sich kein Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB. Die Behauptung des Klägers, die Abgasrückführung funktioniere nur optimal, wenn die Motorsteuerungssoftware anhand diverser Parameter erkenne, dass sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, sei prozessual unbeachtlich.

6

Ein Anspruch des Klägers ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich dieser Vorschriften.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Menges

Möhring

Krüger

Wille

Liepin

Von Rechts wegen

Verkündet am: 23. Oktober 2023

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