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Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.07.2023, Az.: VIa ZR 1620/22
Inanspruchnahme einer Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug; Finanzierung des Kaufpreises über ein Darlehen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 10.07.2023
Referenz: JurionRS 2023, 28354
Aktenzeichen: VIa ZR 1620/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2023:100723UVIAZR1620.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Stuttgart - 18.10.2021 - AZ: 25 O 174/21

OLG Stuttgart - 23.11.2022 - AZ: 23 U 4208/21

BGH, 10.07.2023 - VIa ZR 1620/22

Redaktioneller Leitsatz:

In einer Sicherungsabrede vom Darlehensgeber verwendete Abtretungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die in Abweichung von der gesetzlichen Regelung nicht nur Ansprüche wegen der Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Fahrzeugkäufers gegen den Verkäufer betreffen, sondern vielmehr auch Rentenansprüche aus § 843 BGB bzw. aus § 9 ProdHaftG, § 843 Abs. 2 bis 4 BGB im Falle einer aus der Verwendung der Fahrzeuge entstehenden Körperverletzung oder Gesundheitsbeschädigung, die nach § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO bis zu einer anderslautenden Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht nicht pfändbar und damit nach § 400 BGB nicht abtretbar sind, halten einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 BGB, § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ohne Wertungsmöglichkeit nicht stand und sind damit unwirksam.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, den Richter Dr. Rensen, die Richterin Wille und den Richter Liepin
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. November 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des in seinen Berufungsanträgen näher bezeichneten Fahrzeugs ohne Erfolg geblieben sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Am 20. Dezember 2017 erwarb der Kläger von der Beklagten als Verkäuferin einen gebrauchten Mercedes-Benz C 220 d zu einem Kaufpreis von 29.592 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse: EURO 6) ausgestattet. Der Kläger leistete eine Anzahlung in Höhe von 15.250 € an die Beklagte. Den restlichen Kaufpreis finanzierte er über ein Darlehen der Mercedes-Benz Bank AG (künftig Darlehensgeberin). Dem Darlehensvertrag lagen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Darlehensgeberin zugrunde. Dort hieß es unter anderem:

"II. Sicherheiten

Der Darlehensnehmer räumt dem Darlehensgeber zur Sicherung aller gegenwärtigen und bis zur Rückzahlung des Darlehens noch entstehenden sowie bedingten und befristeten Ansprüche des Darlehensgebers aus der Geschäftsverbindung einschließlich einer etwaigen Rückabwicklung, gleich aus welchem Rechtsgrund, Sicherheiten gemäß nachstehenden Ziffern 1 - 3 ein. [...]

[...]

3. Abtretung von sonstigen Ansprüchen

Der Darlehensnehmer tritt ferner hiermit folgende - gegenwärtige und zukünftige - Ansprüche an den Darlehensgeber ab, [der] diese Abtretung annimmt:

- [...]

- [...]

- gegen den Verkäufer für den Fall einer Rückgängigmachung des finanzierten Vertrages oder Herabsetzung der Vergütung.

- gegen die [...] [Beklagte], [...], gleich aus welchem Rechtsgrund. Ausgenommen von der Abtretung sind Gewährleistungsansprüche aus Kaufvertrag des Darlehensnehmers gegen die [...] [Beklagte] oder einen Vertreter der [...] [Beklagten]. Der Darlehensnehmer hat dem Darlehensgeber auf Anforderung jederzeit die Namen und Anschriften der Drittschuldner mitzuteilen.

[...]

6. Rückgabe der Sicherheiten

Der Darlehensgeber verpflichtet sich, nach Wegfall des Sicherungszweckes (alle Zahlungen unanfechtbar erfolgt) sämtliche Sicherungsrechte (Abschnitt II. Ziff. [...] 3) zurückzuübertragen [...]. Bestehen mehrere Sicherheiten, hat der Darlehensgeber auf Verlangen des Darlehensnehmers schon vorher nach [seiner] Wahl einzelne Sicherheiten oder Teile davon freizugeben, falls deren realisierbarer Wert 120% der gesicherten Ansprüche des Darlehensgebers überschreitet. [...]"

3

Der Kläger hat die Beklagte in erster Linie unter dem Gesichtspunkt kaufrechtlicher Gewährleistung und in zweiter Linie unter dem Gesichtspunkt einer deliktischen Schädigung wegen des Inverkehrbringens des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers, mit der er zuletzt noch Zahlung an sich begehrt und ein Freistellungs- und Feststellungsverlangen weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge weiter, soweit er sie auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

4

Die wirksam beschränkte Revision des Klägers hat Erfolg.

A.

5

Die Revision beschränkt ihren Angriff gemäß der ihrerseits beschränkten Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht auf Ansprüche des Klägers aus unerlaubter Handlung der Beklagten bei Inverkehrbringen des von ihr hergestellten Fahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 10). Diese Beschränkung des Rechtsmittels ist wie die beschränkte Zulassung durch das Berufungsgericht wirksam, auch wenn sie nicht nur auf einen Rücktritt vom Kaufvertrag gestützte Ansprüche (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. April 2023 - VIa ZR 1517/22, WM 2023, 1122 Rn. 7, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1031/22, juris Rn. 8 f.), sondern auch ein gewährleistungsrechtlich begründetes Schadensersatzverlangen ausnimmt.

6

Soweit der Kläger eine deliktische Schädigung durch die Beklagte behauptet, besteht der maßgebliche Streitstoff darin, ob die Beklagte ein mit unzulässigen Abschalteinrichtungen hergestelltes Fahrzeug aufgrund einer materiell unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung in den Verkehr gebracht und damit alle potentiellen Erwerber des Fahrzeugs sittenwidrig geschädigt oder zumindest schuldhaft die Gefahr einer gescheiterten Vertrauensinvestition in die Übereinstimmungsbescheinigung geschaffen hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 26). Soweit der Kläger in den Vorinstanzen Ansprüche auf das Kaufrecht gestützt hat, ging es dagegen darum, ob die Beklagte aufgrund eines konkreten Einzelgeschäfts in ihrer Eigenschaft als Verkäuferin ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung geliefert hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZR 372/20, juris Rn. 11).

7

Bei dem in Richtung auf alle potentiellen Käufer wirkenden deliktischen Handeln einerseits und dem Verhalten als Verkäuferin gegenüber einem bestimmten Käufer andererseits handelt es sich um selbständige Verhaltensweisen der Beklagten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht voneinander getrennt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2021 - VIII ZR 357/20, juris Rn. 10 f.; Beschluss vom 9. Februar 2021, aaO, Rn. 12 f.). Demgemäß können sie je für sich Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein.

B.

8

Die Revision führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

9

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:

10

Der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, weil er etwa bestehende deliktische Ansprüche gegen die Beklagte an die Darlehensgeberin abgetreten habe. Die in den Darlehensvertrag einbezogene Abtretungsklausel erfasse die geltend gemachten deliktischen Ansprüche und halte einer Inhaltskontrolle stand. Weder sei sie - weil bankenüblich - überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB noch benachteilige sie den Kläger unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Klausel sei auch nicht unklar. Eine bloße Sicherungsabtretung berühre zwar regelmäßig nicht die Befugnis des Abtretenden, das übertragene Recht gerichtlich oder außergerichtlich geltend zu machen. Aufgrund der Offenlegung der Sicherungsabtretung könne der Kläger aber nicht Zahlung an sich oder Freistellung verlangen.

II.

11

Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts können die vom Kläger zuletzt geltend gemachten Ansprüche nicht abgelehnt werden. Der Kläger ist vielmehr Anspruchsinhaber möglicher deliktischer Ansprüche gegen die Beklagte, weil die in der Sicherungsabrede zwischen dem Kläger und der Darlehensgeberin enthaltene Abtretungsklausel nach § 307 Abs. 1 und 2 Nr. 1, §§ 134, 400 BGB, § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung unwirksam ist (vgl. BGH, Urteile vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 1141/22, zVb; - VIa ZR 1619/22, zVb; - VIa ZR 1657/22, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ; Urteile vom 3. Juli 2023 - VIa ZR 1498/22, zVb; - VIa ZR 155/23, zVb).

III.

12

Das Berufungsurteil ist daher, soweit das Berufungsgericht die Berufungsanträge betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers in ihrer zuletzt gestellten Form zurückgewiesen hat, gemäß § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben, weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten unter diesem Gesichtspunkt getroffen, sodass die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

Menges

Krüger

Rensen

Wille

Liepin

Von Rechts wegen

Verkündet am: 10. Juli 2023

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