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Bundesgerichtshof
Urt. v. 17.11.2022, Az.: IX ZR 42/22
Zahlung einer angemessenen Vergütung als Anspruch des von der Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreters
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 17.11.2022
Referenz: JurionRS 2022, 60750
Aktenzeichen: IX ZR 42/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2022:171122UIXZR42.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Nürnberg - 02.12.2019 - AZ: 12 C 3259/19

LG Nürnberg-Fürth - 19.01.2022 - AZ: 5 S 8110/19

Rechtsgrundlagen:

§ 19 Abs. 2 S. 1 SchVG

§ 667 BGB

Fundstelle:

ZInsO 2023, 974-975

BGH, 17.11.2022 - IX ZR 42/22

Redaktioneller Leitsatz:

Der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten bestellte gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger ist berechtigt, die ihm zustehende angemessene Vergütung nebst Auslagen der auf den einzelnen Anleihegläubiger entfallenden Quote zu entnehmen.

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2022 durch den Richter Prof. Dr. Schoppmeyer, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Schultz, die Richterin Dr. Selbmann und den Richter Dr. Harms
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. Januar 2022, berichtigt durch Beschluss vom 8. Februar 2022, im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung von 654,50 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 2. Dezember 2019 wird auch insoweit zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin hält Orderschuldverschreibungen, welche die zwischenzeitlich insolvente F. KGaA (fortan: Schuldnerin) ausgegeben hat. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wurde der Beklagte durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung, an welcher die Klägerin nicht teilnahm, zum gemeinsamen Vertreter der Gläubiger bestellt.

2

In der Folgezeit zahlte der Insolvenzverwalter an den Beklagten einen Abschlag auf die zu erwartende Quote. Der Beklagte leitete den auf die Klägerin entfallenden Betrag an diese weiter, behielt jedoch einen Betrag in Höhe von 1,1 % der Nominalhöhe der Schuldverschreibung zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt 654,50 €, als Abschlag auf seine Vergütung ein.

3

Die Klägerin hat die Auszahlung des einbehaltenen Betrages nebst Zinsen, die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung verlangt, dass ihr Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten stamme. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung zur Zahlung von 654,50 € nebst Zinsen verurteilt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts erreichen.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

5

Da die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war, ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 82).

I.

6

Das Berufungsgericht hat, soweit noch von Interesse, ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin folge aus § 675 Abs. 1, § 667 BGB. Das Verhältnis zwischen dem gemeinsamen Vertreter und dem Gläubiger richte sich nach Auftragsrecht. Aus der Bestellung zum gemeinsamen Vertreter folge jedoch kein Vergütungsund Aufwendungsersatzanspruch des gemeinsamen Vertreters gegen den Gläubiger. Der Vergütungsanspruch richte sich vielmehr ausschließlich gegen den Schuldner. Eine ergänzende Vertragsauslegung in dem vom Beklagten gewünschten Sinne komme angesichts der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 6 SchVG nicht in Betracht. Auch die Voraussetzungen einer Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB lägen nicht vor. Bereicherungsansprüche entfielen, weil die Leistungen des Beklagten nicht rechtsgrundlos erbracht worden seien und es an einer Zweckvereinbarung der Parteien fehle.

II.

7

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

1. Grundlage des Begehrens der Klägerin ist § 667 BGB in entsprechender Anwendung. Das Rechtsverhältnis zwischen dem nach § 19 Abs. 2 SchVG von der Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreter und den Gläubigern richtet sich, soweit das Schuldverschreibungsgesetz keine abweichenden Bestimmungen trifft, nach den Vorschriften der §§ 675, 667 ff BGB (BGH, Urteil vom 10. März 2022 - IX ZR 178/20, WM 2022, 617 Rn. 8 mwN). Der Beklagte ist verpflichtet, das, was er aus seiner Tätigkeit nach § 19 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 SchVG erlangt hat, an die Klägerin herauszugeben.

9

2. Der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten bestellte gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger ist jedoch berechtigt, die ihm zustehende angemessene Vergütung nebst Auslagen der auf den einzelnen Anleihegläubiger entfallenden Quote zu entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 10 ff).

10

a) Der von der Gläubigerversammlung bestellte gemeinsame Vertreter hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Dieser Anspruch richtet sich zwar grundsätzlich gegen den Schuldner (vgl. § 7 Abs. 6 SchVG). Das gilt auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Auch dann steht dem gemeinsamen Vertreter kein selbständig durchsetzbarer Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegen den einzelnen Gläubiger zu (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 11 f mwN).

11

b) Der Vergütungsanspruch berechtigt den gemeinsamen Vertreter jedoch, die angemessene Vergütung und seine Auslagen der auf den einzelnen Gläubiger entfallenden Quote zu entnehmen. Grundlage der Entnahmebefugnis ist der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG gefasste Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. Das Schuldverschreibungsgesetz schützt den einzelnen Gläubiger nicht vor Mehrheitsbeschlüssen, die sich nachteilig auf dessen Hauptforderung auswirken. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das bereits zitierte Senatsurteil vom 10. März 2022 (aaO Rn. 13 ff) Bezug genommen. Die Höhe der geltend gemachten Vergütung ist als Vorschuss nicht zu beanstanden (BGH, Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 20).

12

3. Das Senatsurteil vom 10. März 2022 ist überwiegend kritisch aufgenommen worden (vgl. die Anmerkungen von Bork, ZRI 2022, 845, 850 f; Kienle/Vos, NZI 2022, 454; Borowski, ZInsO 2022, 1033; Wilken/Wintzer, EWiR 2022, 371; hinsichtlich der Begründung auch Cranshaw, WuB 2022, 277). Der Senat hat die Kritik zur Kenntnis genommen, hält aber an seiner Auffassung fest.

III.

13

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Amtsgerichts wird auch hinsichtlich des Hauptanspruchs zurückgewiesen. Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Schoppmeyer

Lohmann

Schultz

Selbmann

Harms

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. November 2022

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