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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 25.04.2022, Az.: XIII ZB 23/20
Haftanordnung wegen Ausreisepflichtigkeit des Betroffenen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 25.04.2022
Referenz: JurionRS 2022, 20812
Aktenzeichen: XIII ZB 23/20
ECLI: ECLI:DE:BGH:2022:250422BXIIIZB23.20.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Hannover - 12.02.2020 - AZ: 40 XIV 19/20

LG Hannover - 25.02.2020 - AZ: 53 T 7/20

Rechtsgrundlage:

§ 417 Abs. 1 FamFG

BGH, 25.04.2022 - XIII ZB 23/20

Redaktioneller Leitsatz:

Im Fall der unerlaubten Einreise hängt gemäß § 58 Abs. 2 S. 2 AufenthG die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht von einem Verwaltungsakt ab, durch den der Ausländer ausreisepflichtig wird.

Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2022 durch den Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt sowie die Richterinnen Dr. Picker und Dr. Rombach
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 53. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 25. Februar 2020 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste am 20. Juni 2018 erstmalig in das Bundesgebiet ein. Sein am selben Tag unter Angabe eines falschen Geburtsdatums gestellter Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 31. Juli 2018 abgelehnt. Am 16. Oktober 2018 wurde dem Betroffenen die Abschiebung angedroht. Wegen angeblich fehlender Reisedokumente wurde in der Folgezeit wiederholt und zeitlich befristet die Abschiebung ausgesetzt, zuletzt bis zum 14. Januar 2020. Nach einem Aufenthalt in Spanien traf der Betroffene am 25. Januar 2020 mit einem Flug aus Barcelona im Flughafen Berlin/Schönefeld ein. Er wies sich bei seiner Wiedereinreise durch einen gültigen, am 16. Februar 2016 ausgestellten pakistanischen Reisepass aus und legte einen gefälschten griechischen Aufenthaltstitel vor. Am selben Tag drohte die beteiligte Behörde ihm die Abschiebung in sein Heimatland an und verfügte seine Abschiebung nach Pakistan.

2

Nach Anordnung einer vorläufigen Freiheitsentziehung am 26. Januar 2020 (durch das Amtsgericht Königs Wusterhausen) und am 10. Februar 2020 (durch das Amtsgericht Hannover, im Folgenden: Amtsgericht) jeweils bis zum 12. Februar 2020 hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde am 12. Februar 2020 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum Ablauf des 3. März 2020 angeordnet. Die auf Feststellung einer Verletzung seiner Rechte durch die Haftanordnung gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

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II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung, der auch ein zulässiger Haftantrag zugrunde liege, für rechtmäßig. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig. Auch Haftgründe seien gegeben. Für den 3. März 2020 sei ein Charterflug nach Pakistan geplant. Eine frühere Abschiebung des Betroffenen sei nicht möglich gewesen. Sonstige Abschiebehindernisse seien nicht ersichtlich, insbesondere sei kein Asylverfahren des Betroffenen mehr anhängig. Mit der Rüge, der Verfahrensakte seien keine Zustellungsnachweise über die Ablehnung des Asylantrags zu entnehmen, werde nicht infrage gestellt, dass der Asylantrag abgelehnt worden sei. Es stehe zur Überzeugung der Kammer zweifelsfrei fest, dass der Ablehnungsbescheid dem Betroffenen auch bekannt gegeben worden sei. Denn der Betroffene habe im Rahmen der Anhörung durch das Amtsgericht Königs Wusterhausen am 26. Januar 2020 ausdrücklich erklärt, dass sein Asylantrag abgelehnt worden sei. Auf das Vorliegen von Zustellungsnachweisen komme es daher nicht weiter an. Ein milderes Mittel als die Anordnung von Sicherungshaft sei nicht ersichtlich. Insbesondere komme die freiwillige Ausreise des Betroffenen nach Pakistan nicht in Betracht, weil dieser erklärt habe, nicht in sein Heimatland zurückkehren zu wollen.

5

2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung stand.

6

a) Der Haftantrag der beteiligten Behörde war zulässig.

7

aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom 25. Januar 2022 - XIII ZB 108/19, juris Rn. 6).

8

Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21 ff.; vom 19. Mai 2020 - XIII ZB 17/19, juris Rn. 12). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 201/17, juris Rn. 8 mwN).

9

bb) Die Ausführungen zur Haftdauer in dem Haftantrag und dem diesen ergänzenden Schreiben der beteiligten Behörde vom 11. Februar 2020, welches ebenso wie der Haftantrag im Anhörungstermin übersetzt und dem Betroffenen in Kopie übergeben wurde, reichen aus. Die beteiligte Behörde hat Haft bis zum 4. März 2020 beantragt und zur Begründung im Haftantrag ausgeführt:

"Aufgrund der Äußerung bei der Anhörung kommt eine unbegleitete Abschiebung der Person nicht infrage. Eine begleitete Abschiebung ist aufgrund zwischenstaatlicher Vereinbarungen mit Pakistan momentan nicht möglich.

Die nächste Möglichkeit ...[den Betroffenen] abzuschieben, wäre die Chartermaßnahme am 3. März 2020 von Düsseldorf nach Islamabad. Eine Anmeldung der Person wurde bereits (...) veranlasst. (...)

Es war geplant ...[den Betroffenen] am 4. Februar für eine Chartermaßnahme anzumelden, dies war jedoch nicht möglich, da die Anmeldefrist von 4 Wochen bereits abgelaufen war.

Für den ...[Betroffenen] ist daraufhin ein Rückflug für die Chartermaßnahme am 03.03.2020 um 5.50 Uhr mit (...) gebucht worden. (...)

Die Haft des ...[Betroffenen] ist bis zum 04.03.2020 beantragt, da im Falle einer stornierten oder abgebrochenen Abschiebung eine erneute Einlieferung des Betroffenen in die Abschiebehafteinrichtung Hannover/Langenhagen sichergestellt werden kann."

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Im Schreiben vom 11. Februar 2020, wird ergänzend ausgeführt:

"Da es sich um eine Rückführung nach Pakistan handelte, ist diese nur möglich, wenn der Betroffene entweder freiwillig ausreist oder aber im Rahmen einer begleiteten Sammelcharter-Maßnahme überführt wird. Der nächste geplante Charterflug wäre am 4. Februar gewesen. (...)

In der 5. KW erfolgte die Information aus dem zuständigen Fachreferat, dass eine Anmeldung nicht mehr erfolgen kann, da die pakistanischen Behörden eine Anmeldung für den 4. Februar nicht mehr genehmigten. Die nächste bundesweite Möglichkeit für eine Sammelrückführung nach Pakistan [sic.] erst am 3. März 2020 (...)"

11

Diesen Ausführungen lässt sich ohne Weiteres entnehmen, dass eine Haftdauer bis zum 4. März 2020 erforderlich war. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde waren jedenfalls die ergänzten Angaben der beteiligten Behörde ausreichend. Daraus ergibt sich, dass eine (frühere) begleitete Abschiebung mit einem Linienflug zum damaligen Zeitpunkt bei einer Rückführung nach Pakistan nicht möglich war (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2021 - XIII ZB 60/20, juris Rn. 8), und dass es sich bei dem Flugtermin am 3. März 2020 um den nächstmöglichen Termin einer Sammelrückführung handelte.

12

cc) Auch die Ausführungen der beteiligten Behörde zur vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen genügen den Anforderungen. In einem Haftantrag ist nach § 417 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 FamFG darzulegen, aus welchen Gründen der Betroffene zweifelsfrei ausreisepflichtig ist. Dazu sind die Tatsachen vorzutragen, aus denen die beteiligte Behörde die Ausreispflicht ableitet (BVerfG, InfAuslR 2012, 186 Rn. 23). Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einem ausländerrechtlichen Bescheid, muss der Haftantrag eine Bezugnahme auf diesen Bescheid und Angaben zu seiner Vollziehbarkeit enthalten. Es genügt nicht, die Ausländerakte vorzulegen (BGH, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508 Rn. 19; vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511 Rn. 12; vom 31. August 2021 - XIII ZB 35/20, NVwZ-RR 2022, 117 Rn. 9). Im Fall der unerlaubten Einreise, wie er hier vorliegt, ergibt sich aus § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, dass die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht von einem Verwaltungsakt abhängt, durch den der Ausländer ausreisepflichtig wird (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 12). Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer bereits dann zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Die beteiligte Behörde hat die vollziehbare Pflicht des Betroffenen zur Ausreise im Haftantrag auf §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 1 und 2 AufenthG gestützt. Insoweit war die Darlegung im Haftantrag ausreichend, dass der Asylantrag des Betroffenen abgelehnt worden und die Aufenthaltsgestattung erloschen sei.

13

dd) Auch im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit des Haftantrags, den die Rechtsbeschwerde im Weiteren nicht beanstandet, keine Bedenken.

14

b) Der Anordnung von Sicherungshaft stand ferner nicht entgegen, dass das Amtsgericht vor Erlass der Haftanordnung die vollziehbare Ausreisepflicht des Betroffenen unter Verletzung von § 26 FamFG festgestellt hat, weil es ohne weitere Ermittlung angenommen hat, dass der Betroffene nicht über den erforderlichen Aufenthaltstitel verfüge. Allerdings haben die Haftgerichte eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylG zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2020 - XIII ZB 21/20, juris Rn. 9). Danach ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet ab Ausstellung des Auskunftsnachweises gestattet. Das Amtsgericht durfte jedoch ohne Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht davon ausgehen, dass der Asylantrag der Haftanordnung nicht entgegensteht, da er bestandskräftig abgelehnt wurde. Dem Amtsgericht lag ein Auszug aus dem Ausländerzentralregister vor, aus dem sich ergab, dass der Asylantrag am 21. August 2019 abgelehnt wurde und die Aufenthaltsgestattung am 29. November 2018 erloschen ist. Das Ausländerzentralregister wird gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AZRG vom Bundesamt als Registerbehörde geführt. Der Betroffene oder sein Verfahrensbevollmächtigter behaupteten nicht, dass das Ausländerzentralregister falsch sei. Damit bestand kein Anlass zu Zweifeln an der Bestandskraft der Entscheidung, die der Aufklärung bedurft hätten (vgl. BVerfG, InfAuslR 2012, 186, Rn. 22).

15

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Kirchhoff

Roloff

Tolkmitt

Picker

Rombach

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