Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Beschl. v. 05.04.2022, Az.: XIII ZB 41/21
Gesetzliche Anforderungen an die Begründung eines Haftantrags i.R.d. Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Betroffenen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.04.2022
Referenz: JurionRS 2022, 19220
Aktenzeichen: XIII ZB 41/21
ECLI: ECLI:DE:BGH:2022:050422BXIIIZB41.21.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Ingolstadt - 29.03.2021 - AZ: 14 XIV 91/21

LG Ingolstadt - 05.07.2021 - AZ: 22 T 1593/21

BGH, 05.04.2022 - XIII ZB 41/21

Redaktioneller Leitsatz:

Zwar kann sich die für die Rückführung zuständige Behörde in der Sondersituation der Coronavirus-Pandemie ermessensfehlerfrei für die Rückführung mit Sammelchartern entscheiden, auch wenn dies dazu führt, dass die Sicherungshaft länger dauert als bei einer Rückführung etwa mit einem Linienflug, schon um ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den mit dem Transport der abzuschiebenden Ausländer zu dem jeweiligen Flughafen befassten Bediensteten Rechnung zu tragen. Befand sich der Betroffene aber - wie hier - bereits seit einiger Zeit in Haft und scheiterte eine zuerst geplante Abschiebung wegen seiner Erkrankung, sind jedenfalls Angaben dazu erforderlich, ob und wann eine frühere Einzelabschiebung möglich gewesen wäre und aus welchen Gründen sich die beteiligte Behörde gleichwohl für die Rückführung mittels - hier erst in weiteren zwei Monaten möglichen -Sammelcharter entschieden hat.

Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. April 2022 durch den Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt sowie die Richterinnen Dr. Picker und Dr. Vogt-Beheim
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 5. Juli 2021 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 29. März 2021 den Betroffenen in der Zeit vom 29. März bis 27. Mai 2021 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein ukrainischer Staatsangehöriger, reiste am 18. Januar 2016 mit seiner Familie erneut in das Bundesgebiet ein, nachdem er nach Erstreinreise 2014 und Ablehnung seines Asylantrages als unzulässig 2015 nach Ungarn rücküberstellt worden war. Seinen Asylfolgeantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 28. April 2017 ab und drohte ihm die Abschiebung an. Der Bescheid ist seit dem 30. November 2019 bestandskräftig und der Betroffene seit dem 31. Dezember 2019 vollziehbar ausreisepflichtig. Er reiste in der Folgezeit nicht freiwillig aus. Ein Abschiebungsversuch am 18. Dezember 2020 scheiterte, weil der Betroffene untergetaucht war. Nach einer Ausreise nach Österreich und der Rücküberstellung des Betroffenen ordnete das Amtsgericht am 12. März 2021 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 30. März 2021 an. Eine für den 29. März 2021 geplante Abschiebung scheiterte, nachdem am 15. März 2021 bekannt wurde, dass sich der Betroffene mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert hatte.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 29. März 2021 die gegen den Betroffenen angeordnete Sicherungshaft bis einschließlich 31. Mai 2021 verlängert. Der Betroffene wurde am 27. Mai 2021 in die Ukraine abgeschoben. Seine auf Feststellung einer Rechtsverletzung durch den Beschluss vom 29. März 2021 gerichtete Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Feststellungsbegehren weiter.

3

II. Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

4

Das Beschwerdegericht hat - soweit hier erheblich - gemeint, es liege ein zulässiger Haftantrag und keine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes vor. Die beteiligte Behörde habe ausreichend dargelegt, dass sie die nächstmögliche Flugbuchung wahrgenommen habe, um die Haftzeit des Betroffenen möglichst kurz zu halten. Es sei nicht ernstlich damit zu rechnen gewesen, dass dieser freiwillig und unbegleitet ausreisen werde, da ihm über Jahre hinweg wiederholt Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gewährt und dabei sogar Fördermittel bereitgestellt worden seien.

5

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Haftanordnung des Amtsgerichts vom 29. März 2021 war rechtswidrig und hat den Betroffenen während der Dauer ihres Vollzugs in seinen Rechten verletzt, was nach § 62 FamFG auf dessen Antrag hin festzustellen ist. Es fehlt schon an einem zulässigen Haftantrag.

6

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. März 2019 - V ZB 130/17, juris Rn. 4; vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 26/19, juris Rn. 9; vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7).

7

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht.

8

aa) Der Haftantrag enthält als Begründung für die bis zum 31. Mai 2021 beantragte Haft die Angabe, dass der Betroffene, nachdem die Abschiebung am 29. März 2021 wegen seiner SARS-CoV-2-Infektion gescheitert sei, für die nächste Sammelschubmaßnahme im Mai 2021 (voraussichtlich KW 21) eingeplant sei. Er sei aufgrund der Vollziehbarkeit der Ausreiseverpflichtung, der Überschreitung der Ausreisefrist sowie des missbräuchlichen Hinauszögerns aufenthaltsbeendender Maßnahme durch falsche Angaben zur freiwilligen Ausreise und den vorangegangenen gescheiterten Abschiebemaßnahmen zur Sammelabschiebung angemeldet worden. Im Gegensatz zu einer Einzelschubmaßnahme seien für eine Sammelabschiebung keine einzelnen Bearbeitungsschritte durchzuführen. Der Betroffene werde alsbald bei den ukrainischen Behörden angemeldet. Darüber hinaus müsse der konkrete Termin mit der Bundespolizei abgestimmt werden. Die jeweilige Bearbeitungsdauer dieser Abstimmungen hänge von den beteiligten Stellen und Ländern ab. Für die Durchführung der Maßnahme werde ein Charterflug gebucht und die Begleitung durch die Bundespolizei übernommen, weshalb auch dies zunächst abgestimmt werden müsse. Die Anmeldung zur nächsten Sammelabschiebung in die Ukraine erfolge unverzüglich.

9

bb) Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, für die Begründung der beantragten Haft unzureichend (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 - XIII ZB 78/20, juris Rn. 9 mwN). Zwar kann sich die für die Rückführung zuständige Behörde in der Sondersituation der Coronavirus-Pandemie ermessensfehlerfrei für die Rückführung mit Sammelchartern entscheiden, auch wenn dies dazu führt, dass die Sicherungshaft länger dauert als bei einer Rückführung etwa mit einem Linienflug, schon um ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den mit dem Transport der abzuschiebenden Ausländer zu dem jeweiligen Flughafen befassten Bediensteten Rechnung zu tragen (BGH, Beschlüsse vom 20. April 2021 - XIII ZB 85/20, juris Rn. 8; vom 31. August 2021 - XIII ZB 87/20, juris Rn. 12). Hier aber befand sich der Betroffene bereits seit dem 12. März 2021 in Haft. Dass die für den 29. März 2021 geplante Abschiebung wegen seiner Erkrankung scheiterte, kann ihm nicht angelastet werden. Vor dem Hintergrund, dass die nächste Rückführung durch Sammelcharter erst in weiteren zwei Monaten möglich war und der Betroffene daher insgesamt knapp 12 Wochen in Haft verbleiben sollte, hätte die Behörde prüfen müssen, ob eine frühere unbegleitete Flugüberstellung möglich gewesen wäre. Eine begleitete Abschiebung war entgegen der Annahme der Rechtsbeschwerdeerwiderung nicht vorgesehen. Die von der beteiligten Behörde im Haftantrag angeführten Umstände rechtfertigen die Annahme einer Fluchtgefahr, nicht aber die Anordnung einer Sicherheitsbegleitung. Dass eine Sicherheitsbegleitung notwendig sei oder erfolgen solle, ergibt sich aus dem Haftantrag nicht. Um dem Haftrichter die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der insgesamt knapp 12 Wochen dauernden Haft zu ermöglichen, wären daher jedenfalls Angaben dazu erforderlich gewesen, ob und wann eine frühere Einzelabschiebung möglich gewesen wäre und aus welchen Gründen sich die beteiligte Behörde gleichwohl für die Rückführung mittels Sammelcharter entschieden hatte (§ 62 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 16/19, InfAuslR 2020, 241 Rn. 10 mwN).

10

cc) Der Mangel des Haftantrags ist nicht geheilt worden. Dazu hätte das Beschwerdegericht ergänzende Feststellungen treffen und den Betroffenen dazu persönlich anhören müssen. Das ist nicht geschehen.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Kirchhoff

Roloff

Tolkmitt

Picker

Vogt-Beheim

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.