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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.03.2022, Az.: XIII ZB 43/20
Unzulässige Haftanordnung mangels ausreichender Angaben zur Ausweisungsverfügung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.03.2022
Referenz: JurionRS 2022, 21871
Aktenzeichen: XIII ZB 43/20
ECLI: ECLI:DE:BGH:2022:220322BXIIIZB43.20.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Krefeld - 07.02.2020 - AZ: 29 XIV(B) 41/20

LG Krefeld - 27.04.2020 - AZ: 7 T 47/20

BGH, 22.03.2022 - XIII ZB 43/20

Redaktioneller Leitsatz:

Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einem ausländerrechtlichen Bescheid, muss der Haftantrag eine Bezugnahme auf diesen Bescheid und Angaben zu seiner Vollziehbarkeit enthalten. Nicht ausreichend ist die Vorlage der Ausländerakte.

Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. März 2022 durch den Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt sowie die Richterinnen Dr. Picker und Dr. Rombach
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 27. April 2020 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 7. Februar 2020 den Betroffenen auch insoweit in seinen Rechten verletzt hat, als Sicherungshaft bis zum 4. März 2020 angeordnet worden ist.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Krefeld auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene reiste erstmals am 14. November 2012 in das Bundesgebiet ein. Einen unter Aliaspersonalien gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 6. Juni 2013 als offensichtlich unbegründet ab und drohte zugleich die Abschiebung des Betroffenen in sein angebliches Heimatland Marokko mit der Maßgabe an, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden könne.

2

Der Betroffene wurde in die Schweiz abgeschoben. Aufgrund eines Überstellungsersuchens der Schweiz an die Bundesrepublik Deutschland, dem entsprochen wurde, reiste er am 8. März 2017 wieder in das Bundesgebiet ein. Der von dem Betroffenen gestellte Asylfolgeantrag wurde am 2. August 2017 abgelehnt. Der Betroffene wurde am 22. August 2019 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Mit Verfügung der beteiligten Behörde vom 22. August 2019 wurde er wegen einer Vielzahl von Straftaten ausgewiesen.

3

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 7. Februar 2020 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung seiner Abschiebung bis zum 3. April 2020 angeordnet. Der nach Abschiebung des Betroffenen nach Algerien am 4. März 2020 auf Feststellung der Rechtsverletzung des Betroffenen gerichteten Beschwerde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 16. März 2020 insoweit abgeholfen, dass es den Abschiebehaftbefehl aufgehoben hat, soweit er über den 4. März 2020 hinausgegangen ist. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er den Feststellungsantrag weiterverfolgt.

4

II. Das mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG zulässige Rechtsmittel hat Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung für rechtmäßig. Ihr liege ein zulässiger Haftantrag zugrunde. Dieser enthalte insbesondere ausreichende Darlegungen zur erforderlichen Haftdauer. Wenn ein längerer Zeitraum als sechs Wochen für die Organisation der Rückführung des Betroffenen erforderlich sei, bedürfe es einer auf den konkreten Fall bezogenen Begründung, die dies nachvollziehbar erkläre. Diese Anforderungen seien erfüllt. Auch die Darlegungen zur Ausreisepflicht seien ausreichend. Im Haftantrag werde ausgeführt, der Betroffene sei mit Verfügung vom 22. August 2019, bestandskräftig seit dem 24. September 2019, aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen worden. Es sei mithin Bezug auf den konkret bezeichneten vollziehbaren Bescheid genommen worden.

6

2. Diese Erwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

7

a) Der Haftanordnung liegt kein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde zugrunde.

8

aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8, vom 14. Juli 2020 - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7, und vom 23. März 2021 - XIII ZB 6/20, juris Rn. 6).

9

bb) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht.

10

(1) In einem Haftantrag ist nach § 417 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 5 FamFG darzulegen, aus welchen Gründen der Betroffene zweifelsfrei ausreisepflichtig ist. Dazu sind die Tatsachen vorzutragen, aus denen die beteiligte Behörde die Ausreisepflicht ableitet (BVerfG, InfAuslR 2012, 186 Rn. 23). Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einem ausländerrechtlichen Bescheid, muss der Haftantrag eine Bezugnahme auf diesen Bescheid und Angaben zu seiner Vollziehbarkeit enthalten. Die Vorlage der Ausländerakte reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511 Rn. 12, und vom 31. August 2021 - XIII ZB 35/20, NVwZ-RR 2022, 117 Rn. 9). Da der Haftantrag den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG genügt, wenn die beteiligte Behörde zu den entsprechenden Gesichtspunkten nachvollziehbar so vorträgt, dass der Haftrichter konkrete Nachfragen stellen kann, ist zur Darlegung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen auf Grund eines Bescheids erforderlich, aber auch ausreichend, wenn die beteiligte Behörde den - richtigen - Bescheid im Haftantrag benennt und auf seinen Inhalt Bezug nimmt (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 93/19, juris Rn. 10). Eine Vorlage der Kopie der Entscheidung als Anlage zum Haftantrag ist nicht erforderlich, wenn sich die Entscheidung in den dem Amtsgericht übermittelten Ausländerakten befindet. Entsprechendes gilt für die Darlegung der Zustellung des Bescheids. Insoweit genügt eine Bezugnahme auf die in den Ausländerakten enthaltene Abschlussmitteilung des Bundesamts (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - XIII ZB 93/19, juris Rn. 10).

11

(2) Die danach erforderlichen Angaben enthält der Haftantrag der beteiligten Behörde nicht.

12

(a) Die beteiligte Behörde stützte die Ausreisepflicht im Haftantrag auf die Ausweisungsverfügung vom 22. August 2019.

13

(b) Angaben zur Zustellung des Bescheides vom 22. August 2019 enthält der Haftantrag nicht. Die Angabe im Haftantrag, die Verfügung sei seit dem 24. September 2019 bestandskräftig, genügt nicht. Denn dabei wird der äußere Tatbestand, an den die Rechtsauffassung der beteiligten Behörde anknüpft, nicht mitgeteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2020 - XIII ZB 20/19, NVwZ 2021, 342 Rn. 8, und vom 21. September 2021 - XIII ZB 140/19, juris Rn. 20).

14

cc) Zwar können Mängel des Haftantrags mit Wirkung für die Zukunft behoben werden, indem die Behörde ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, juris Rn. 13, vom 22. Juli 2010, NVwZ 2010, 1511 [BGH 22.07.2010 - V ZB 28/10] Rn. 13, und vom 12. Februar 2020 - XIII ZB 16/19, juris Rn. 12) oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen der Durchführbarkeit der Ab- und Zurückschiebung des Ausländers und der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, juris Rn. 13). Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall aber, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, juris Rn. 13). Die beteiligte Behörde hat ihre hier relevanten Angaben nicht ergänzt. Das Beschwerdegericht hat zwar Feststellungen zur Zustellung der Verfügung vom 22. August 2019 getroffen. Es fehlt jedoch an der notwendigen Anhörung des Betroffenen. Deren Nachholung kommt nicht in Betracht, weil der Mangel des Haftantrags nur für die Zukunft behoben würde und der Betroffene zwischenzeitlich abgeschoben worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2018 - V ZB 62/17, juris Rn. 14).

15

3. Da der Betroffene am 4. März 2020 abgeschoben wurde, fehlte für die Feststellung, dass die darüber hinausgehende Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, das Rechtsschutzbedürfnis (Beschlüsse vom 14. Juli 2020 - XIII ZR 74/19, juris Rn. 17, und vom 20. Juli 2021 - XIII ZB 98/19, juris Rn. 16). Dies wirkt sich indes nicht aus, da die Beschwerde nur für den davorliegenden Zeitraum zurückgewiesen wurde und der darüber hinausgehende Zeitraum deshalb nicht Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist. Gegenstand der Beschwerde war die Ausgangsentscheidung in der Fassung, die sie durch den Teilnichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts vom 16. März 2020 erhalten hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 2020 - XII ZB 243/19, FamRZ 2020, 1941 Rn. 12). Das Beschwerdegericht hat die Teilaufhebung der Haftanordnung durch das Amtsgericht nicht beanstandet.

16

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Kirchhoff

Roloff

Tolkmitt

Picker

Rombach

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