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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 21.12.2021, Az.: AK 52/21
Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wegen des dringenden Tatverdachts der Zuwiderhandlung gegen ein Verkaufsverbot als wirtschaftliche Sanktionsmaßnahme (hier: Russlandembargo); Strafbarkeit wegen versuchter Förderung der Herstellung chemischer Waffen durch die Vermittlung eines Verkaufsangebots für eine Handschuharbeitsbox
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.12.2021
Referenz: JurionRS 2021, 56310
Aktenzeichen: AK 52/21
ECLI: ECLI:DE:BGH:2021:211221BAK52.21.0

Rechtsgrundlagen:

§ 121 Abs. 1 StPO

§ 18 Abs. 7 Nr. 1, 2 Alt. 1, Nr. 3 AWG

Verfahrensgegenstand:

Zuwiderhandlung gegen ein Verkaufsverbot eines unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen Sanktionsmaßnahme dient, u.a.

BGH, 21.12.2021 - AK 52/21

Redaktioneller Leitsatz:

Der dringende Tatverdacht des Verstoßes gegen Sanktionen der Europäischen Union rechtfertigtin Verbindung mit dem Vorliegen eines Haftgrundes die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 21. Dezember 2021 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Grundsätzen zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

1

Der Beschuldigte ist am 18. Mai 2021 aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2021 (1 BGs 203/21) festgenommen worden und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der ursprüngliche Haftbefehl ist durch einen Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 23. Juli 2021 (1 BGs 323/21) geändert und neu gefasst worden, ohne dass er um eine neue Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO, die für sich genommen Untersuchungshaft rechtfertigen würde, erweitert worden ist.

2

Gegenstand des aktuellen Haftbefehls vom 23. Juli 2021 ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe in der Zeit von Oktober 2018 bis November 2020 jeweils gewerbsmäßig in einem Fall (Fall 1) für den Geheimdienst einer fremden Macht handelnd einem Verkaufsverbot eines im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient (Russlandembargo-Verordnung), zuwidergehandelt, in einem weiteren Fall (Fall 2) versucht, die Herstellung chemischer Waffen zu fördern, sowie in drei weiteren Fällen (Fälle 3 bis 5) gegen die Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Verordnung) verstoßen, indem er entgegen Art. 4 Abs. 4 Halbsatz 2 dieser Verordnung Güter ohne Entscheidung der zuständigen Behörde über die Genehmigungspflicht oder ohne Genehmigung der zuständigen Behörde ausführte; strafbar gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 5, Abs. 7 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 AWG i.V.m. Art. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1 der Russlandembargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014 vom 31. Juli 2014 (veröffentlicht im ABl. L 229 vom 31. Juli 2014) (Fall 1), § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 KrWaffKG, §§ 22, 23 StGB (Fall 2), § 18 Abs. 5 Nr. 2, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 1 AWG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 Halbsatz 2 der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 (veröffentlicht im ABl. L 134 vom 29. Mai 2009) (Fälle 3 bis 5), § 53 StGB.

3

Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat daraufhin die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer nach § 121 Abs. 2 und 4 StPO vorgelegt.

4

Die Verteidiger des Beschuldigten haben mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021, ergänzt durch eine elektronische Übersendung von Fotos am 15. Dezember 2021, zur Haftfortdauer Stellung genommen. Sie haben die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, beantragt.

II.

5

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

6

1. Der Beschuldigte ist der ihm mit dem Haftbefehl vom 23. Juli 2021 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig.

7

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

8

Im Sommer 2014 erließ die Europäische Union als Reaktion auf das Agieren der Russischen Föderation in Bezug auf die Ukraine unter anderem weitreichende Beschränkungen des Außenhandels mit Russland (Beschluss 2014/512/GASP vom 31. Juli 2014). Diese Restriktionen wurden, soweit sie Geschäfte mit sogenannten Dual-Use-Gütern (Güter, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können) und damit den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union betreffen, durch die Russlandembargo-Verordnung vom 31. Juli 2014 in unmittelbar geltendes Recht umgesetzt. Zu den Maßnahmen zählt unter anderem ein weitgehendes Verbot des Verkaufs, der Lieferung, der Verbringung und der Ausfuhr von solchen Dual-Use-Gütern, die im Anhang I der Dual-Use-Verordnung gelistet sind.

9

Da dieses Embargo den Erwerb von hochtechnisierten Dual-Use-Gütern, die für die russische Rüstungsindustrie benötigt werden, erheblich erschwert, versucht Russland, seinen Bedarf durch klandestine Beschaffungen zu decken. Hierzu dient ein zentrales staatliches Beschaffungssystem, in dem die russischen Geheimdienste maßgeblich mitwirken. Die Geheimdienste bedienen sich hierfür lokaler Beschaffungsfirmen, die gegenüber westlichen Lieferanten als Käufer von Ausrüstungsgütern für die Rüstungsindustrie, namentlich von hochwertigen Werkzeugmaschinen, auftreten und dabei eine zivile Verwendung der Güter vorspiegeln.

10

Ein solches Beschaffungsunternehmen war im Tatzeitraum die von dem gesondert Verfolgten K. geleitete russische Firma "XXX" (U. ) in J. . Unter der Leitung von K. sowie beaufsichtigt und gesteuert durch einen russischen Geheimdienst betrieb die U. ein Beschaffungsnetzwerk für den Ural, wo zahlreiche Rüstungsunternehmen angesiedelt sind. Das Beschaffungsnetzwerk des K. und der U. erstreckte sich auch auf die Bundesrepublik Deutschland und erfasste hier unter anderem die Lieferfirma "XXX " (E. ) in M. , deren Geschäftsführer seit 2002 der Beschuldigte ist.

11

Der Beschuldigte verkaufte beziehungsweise lieferte über seine Firma E. und eingebunden in dieses russische Beschaffungsnetzwerk verschiedene für die russische Rüstungsindustrie bestimmte Güter an die U. , wobei die verfahrensgegenständlichen Güter tatsächlich für eine militärische Endverwendung durch die "XXX " (UR. ) in J. bestimmt waren. Bei der UR. handelt es sich um einen militärischen Endverwender im Bereich des russischen Trägertechnologieprogramms, der eng mit dem Raketenhersteller " N. " aus J. zusammenarbeitet. Dabei ist die UR. unmittelbar mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB verknüpft und Teil von dessen Aktivitäten.

12

In den Fällen, die Gegenstand des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 23. Juli 2021 sind, handelte der Beschuldigte jeweils in der Absicht, sich als Geschäftsführer seines Unternehmens aus der Veräußerung und Ausfuhr von Dual-Use-Gütern entgegen einem Verbot nach der Russlandembargo-Verordnung beziehungsweise unter Missachtung von Genehmigungsvorschriften der Dual-Use-Verordnung und damit der wiederkehrenden Begehung von Ausfuhrverstößen eine nicht nur vorübergehende und nicht nur unerhebliche Einnahmequelle zu verschaffen. Dabei nahm er zumindest billigend in Kauf, in eine geheimdienstlich gesteuerte Beschaffungsstruktur eingebunden zu sein. In allen Fällen wusste er zudem, dass die Güter, mit denen er Handel trieb, für eine militärische Verwendung, und zwar für die Herstellung von Rüstungsgütern im Bereich der russischen Trägertechnologie beziehungsweise die Entwicklung und Produktion von biologischen oder chemischen Waffen, bestimmt waren.

13

Vor diesem Hintergrund kam es hochwahrscheinlich zu folgenden fünf Taten des Beschuldigten:

14

aa) Am 9. Oktober 2018 verkaufte der Beschuldigte unter Mitwirkung des Mitbeschuldigen B. , der für die U. tätig war, namens der E. einen Glasröhren-Wärmetauscher "WTU 200/1000-1m2" des Herstellers XXX GmbH im Wert von 17.400 € an die U. , diese vertreten durch den gesondert Verfolgten K. (Fall 1).

15

Dieses Produkt unterfiel aufgrund seiner - vom Beschuldigten zumindest für möglich gehaltenen und in Kauf genommenen - Eigenschaften der Listenposition 2B350 Buchst. d des Anhangs I der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 vom 5. Mai 2009. Seit dem 31. Juli 2014 ist der Verkauf derart gelisteter Güter nach Russland gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der Russlandembargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014 verboten, sofern diese Güter - wie es vorliegend der Fall war - ganz oder teilweise für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endnutzer bestimmt sind oder bestimmt sein könnten.

16

Der Beschuldigte stellte am 6. Dezember 2018 beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einen Ausfuhrgenehmigungsantrag unter Angabe der U. als Empfänger und der UR. als Endverwender des Wärmetauschers. Dabei nahm er an, dem BAFA seien die Aktivitäten der UR. im Bereich der Rüstungstechnologie nicht bekannt. Das BAFA lehnte den Antrag am 7. Juni 2019 jedoch mit der Begründung ab, die Ausfuhr sei verboten, weil das Gerät im militärischen Bereich verwendet werden könne und Zweifel am Endverbleib bestünden. Eine Ausfuhr des Wärmetauschers erfolgte nicht; dieser wurde am 18. Mai 2021 sichergestellt.

17

bb) Am 29. Dezember 2018 schlossen der Beschuldigte als Geschäftsführer der E. und der gesondert Verfolgte K. als Direktor der U. unter Mitwirkung des Mitbeschuldigten B. einen Vertrag über den Verkauf einer Handschuharbeitsbox ("Glovebox Workstation") "Unilab Pro SP 1250/780" des Herstellers XXX GmbH nebst Zubehör im Gesamtwert von 51.372 €.

18

Nachdem der Beschuldigte von dem BAFA die Auskunft erhalten hatte, bezüglich des Käufers U. lägen sensitive Hinweise vor, benannte er gemeinsam mit B. in einem beim BAFA gestellten Ausfuhrgenehmigungsantrag bewusst wahrheitswidrig das " XXX " in J. als vermeintlichen Endverwender, obwohl auch die Handschuharbeitsbox tatsächlich für die UR. als militärischem Endverwender bestimmt war. Das BAFA lehnte den Antrag am 23. September 2019 in der - mutmaßlich fehlgehenden (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteil vom 2. Juni 2021 - 5 K 570/18.F, juris) - Annahme, die Handschuharbeitsbox unterfalle der Listenposition 2B352 Buchst. f des Anhangs I der Dual-Use-Verordnung, mit der Begründung ab, die Ausfuhr sei verboten, weil die Box im chemiewaffenrelevanten Bereich Verwendung finden könne.

19

Zwar stornierte der Beschuldigte daraufhin die Bestellung beim Hersteller. Der Mitbeschuldigte B. bestand indes auf einer Einhaltung des Vertrages mit der U. . Obgleich der Beschuldigte aufgrund der Begründung der Ablehnung der Ausfuhrgenehmigung durch das BAFA davon ausging, eine solche Handschuharbeitsbox könne für die Herstellung von chemischen Waffen eingesetzt werden, und er eine solche Verwendung im konkreten Fall jedenfalls für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, ging er im Interesse eines Fortbestands seiner Geschäftsbeziehungen mit der U. auf das Ansinnen von B. ein und vermittelte der U. im November 2019 ein Angebot für die Lieferung einer zumindest vergleichbaren Handschuharbeitsbox der chinesischen Firma " XXX ". Ob es aufgrund der Angebotsübermittlung durch den in Deutschland tätig gewordenen Beschuldigten zu der Lieferung einer Handschuharbeitsbox durch das chinesische Unternehmen kam, konnte bislang nicht in Erfahrung gebracht werden (Fall 2).

20

cc) Am 7. November 2017 schloss der Beschuldigte für die E. mit der U. einen Vertrag über den Verkauf eines zu dem Glasröhren-Wärmetauscher "WTU 200/1000-1m2" (Fall 1) passenden, jedoch nicht in Anhang I der Dual-Use-Verordnung gelisteten Rührwerkapparats "AE25-406 AM-d50" des Herstellers GmbH zu einem Kaufpreis von 100.125 €. Tatsächlicher Endempfänger war auch hier die UR. , von der zudem die technischen Anforderungen an das Gerät stammten. Obgleich der Beschuldigte wusste, dass auch der Rührwerkapparat für eine Verwendung durch die UR. in der russischen Rüstungsindustrie, und zwar im Bereich der Trägertechnologie, also der Entwicklung und Herstellung von Flugkörpern für chemische, biologische oder atomare Waffen, bestimmt war, führte er das Gerät am 11. Juli 2019 ohne eine Genehmigungsentscheidung des BAFA nach Russland aus, wobei er als angeblichen Empfänger die " XXX " mit Sitz in J. vorgab. Den Kaufpreis erhielt die E. am 20. September 2019 (Fall 3).

21

dd) Der Beschuldigte schloss zudem für die E. mit der U. einen Verkaufsvertrag über eine nicht in Anhang I der Dual-Use-Verordnung gelistete Materialprüfmaschine des englischen Herstellers Ltd. zu einem Kaufpreis von 42.000 € und einen ebenfalls nicht gelisteten Nitrogen-Generator "Genius NM32LA" zu einem Kaufpreis von 28.490 €. Obwohl der Beschuldigte wusste, dass auch diese Gerätschaften für eine militärische Verwendung durch die UR. im Bereich der Trägertechnologie bestimmt waren, führte er sie am 28. Juni 2019 nach Russland aus, ohne eine Entscheidung des BAFA über die Genehmigungspflicht der Ausfuhr herbeigeführt zu haben. In der Rechnung gab der Beschuldigte bewusst wahrheitswidrig das " XXX " in J. als Empfänger und Endverwender an, um auch hier die UR. als tatsächlichen militärischen Endverwender zu verschleiern (Fall 4).

22

ee) Ferner schloss der Beschuldigte für die E. mit der U. einen Verkaufsvertrag über weitere nicht in Anhang I der Dual-Use-Verordnung gelistete Güter, und zwar einen Brutschrank "BD 115-230V", einen Vakuumtrockenschrank "VD 053-230V" und ein Vakuummodul mit Vakuumpumpe "VP2.1" des Herstellers XXX im Gesamtwert von 18.000 €. Auch diese Gerätschaften waren zur militärischen Endverwendung durch die UR. bestimmt. Der Beschuldigte stellte am 15. Juli 2020 beim BAFA einen Ausfuhrgenehmigungsantrag, wobei er bewusst wahrheitswidrig als Endverwender erneut die " XXX " mit Sitz in J. bezeichnete. Da dem BAFA zu dieser Institution, wie vom Beschuldigten angenommen, keine sensitiven Erkenntnisse vorlagen, erteilte dieses am 3. November 2020 einen sogenannten Nullbescheid, also eine Bescheinigung der Genehmigungsfreiheit der beantragten Ausfuhr. Der Beschuldigte führte die Gerätschaften in dem Wissen um die militärische Endverwendung durch die UR. und damit auch die Bedeutungslosigkeit des erschlichenen Nullbescheids am 3. November 2020 nach Russland aus (Fall 5).

23

b) Der dringende Tatverdacht (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) ergibt sich aus einer Gesamtschau der bisherigen Ermittlungsergebnisse, von denen vor allem folgende von Bedeutung sind:

24

aa) Hinsichtlich der einzelnen Verkaufs- und Ausfuhraktivitäten des Beschuldigten einschließlich seiner Angaben zu den - vermeintlichen - Endverwendern gegenüber dem BAFA und Dritten ergibt sich der dringende Tatverdacht aus vorliegenden Dokumenten, namentlich aus den schriftlichen Angaben, die der Beschuldigte im Rahmen von Genehmigungsanträgen und Ausfuhrvorgängen gegenüber dem BAFA und Zollbehörden machte, aus Vertragsdokumenten zu den einzelnen Verkäufen, die der Beschuldigte dem BAFA vorlegte, sowie aus den ergangenen Bescheiden des BAFA.

25

bb) Die Annahme, dass es sich bei dem Glasröhren-Wärmetauscher "WTU 200/1000-1m2" des Herstellers XXX GmbH um einen Gegenstand handelt, der zu den unter der Listenposition 2B350 Buchst. d des Anhangs I der Dual-Use-Verordnung aufgeführten Gütern gehört, beruht insbesondere auf einer fachtechnischen Bewertung des BAFA. Aus vorliegenden fachtechnischen Expertisen des BAFA folgt auch, dass die haftbefehlsgegenständlichen Ausfuhrgüter für eine militärische Verwendung geeignet waren.

26

cc) Dass es sich bei dem Endnutzer jeweils um die UR. handelte, ergibt sich im Sinne eines dringenden Tatverdachts aus deren ausdrücklicher Benennung durch den Beschuldigten als Endverwender im Fall 1, aus dem Umstand, dass im Fall 3 die UR. ausweislich sichergestellter Dokumente die technischen Anforderungen an das zu liefernde Gerät formuliert hatte, sowie daraus, dass der Mitbeschuldigte B. , der in den einzelnen Fällen jeweils auf Seiten der U. tätig wurde, nach den Ermittlungserkenntnissen tatsächlich in leitender Position in der UR. tätig war.

27

Der dringende Verdacht dahin, dass die UR. die Gerätschaften, auf die sich der Haftbefehl bezieht, einer militärischen Endverwendung zuführte beziehungsweise dies beabsichtigte, und zwar in den Fällen 3 bis 5 einer solchen im Sinne des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009, ergibt sich zuvörderst aus nachrichtendienstlichen Erkenntnissen zur engen Verknüpfung der Tätigkeit der UR. mit dem russischen Militärsektor, namentlich dem Raketenhersteller " N. " aus J. . Indiziell hierfür spricht zudem das den tatsächlichen Endverwender UR. verschleiernde Verhalten des Beschuldigten, weil sich dieses plausibel vor allem mit dem Wissen um eine militärische Verwendung erklären lässt (näher hierzu unten II. b) ee)).

28

dd) Die hochwahrscheinlichen Annahmen zur Struktur des verdeckten russischen Beschaffungsprogramms, zur Tätigkeit der U. sowie zur Steuerung der Aktivitäten der U. und der UR. und damit auch der verfahrensgegenständlichen Geschäfte durch russische Geheimdienste beruhen unter anderem auf Behördenerklärungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Bundesnachrichtendienstes (vgl. insofern auch BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - AK 20/20, juris Rn. 19 ff.).

29

ee) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der subjektiven Tatseite in den Fällen 1 und 3 bis 5, namentlich des Wissens des Beschuldigten um eine militärische Nutzung der Güter, auf die sich seine verfahrensgegenständlichen Aktivitäten bezogen, beruht auf einer Gesamtwürdigung des bisherigen Ermittlungsergebnisses. Dazu gehört eine Auswertung von E-Mails und aufgezeichneten Telefongesprächen des Beschuldigten, aus der deutlich wird, dass er sich mit den außenhandelsrechtlichen Restriktionen befasste und sich wissentlich über diese hinwegsetzte. So äußerte sich der Beschuldigte in E-Mails und Telefonaten dahin, dass er ungeachtet der gegen Russland verhängten und den militärischen Sektor betreffenden Sanktionen "alles" liefern könne, Produkte nicht unter echten Bezeichnungen geführt werden dürften und er darauf achten müsse, keine Spuren zu hinterlassen. Mit Gewicht für das Wissen des Beschuldigten um eine militärische Verwendung der Güter spricht zudem, dass er die UR. als tatsächlichen Endverwender zu verschleiern suchte, unter anderem, indem er gegenüber dem BAFA falsche Angaben zu den Endverwendern machte. Denn das Verkaufsverbot der Russlandembargo-Verordnung für gelistete Dual-Use-Güter (Fall 1) bezieht sich nur auf Güter, die für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endnutzer bestimmt sind oder bestimmt sein könnten. Die hier in den Fällen 3 bis 5 relevanten Beschränkungen des Außenhandels mit Dual-Use-Gütern nach der Dual-Use-Verordnung gelten nur bei einer militärischen Endverwendung. Hätte der Beschuldigte keinen Vorsatz hinsichtlich einer militärischen Nutzung gehabt, hätte es für ihn daher keinen Anlass zu einem konspirativen und den tatsächlichen Endverwender verschleiernden Vorgehen gegeben. Dabei ist von einem positiven Wissen des Beschuldigten um die militärische Verwendung auszugehen und nicht nur davon, dass er - was für eine Strafbarkeit in den Fällen 3 bis 5 nicht ausreichte - eine solche Nutzung für möglich hielt und billigend in Kauf nahm. Denn illegal war die Ausfuhr in den Fällen 3 bis 5 nur, sofern der Beschuldigte um eine militärische Endverwendung in Russland im Sinne von Art. 4 der Dual-Use-Verordnung positiv wusste. Der Umstand, dass er gerade in diesen Fällen falsche Angaben zum Endverwender machte, spricht daher für positives Wissen um eine militärische Verwendung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - StB 27/09, BGHSt 54, 275 Rn. 73; Morweiser in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 72a).

30

Vor dem Hintergrund der dem Beschuldigten bekannten Gesamtumstände - insbesondere des durch Konspiration und Verschleierung des Nutzungszwecks der Gerätschaften für den Hochtechnologiebereich des russischen Militärs geprägten Agierens von U. und UR. - ist zudem hochwahrscheinlich, dass er die maßgebliche Steuerung der Aktivitäten der U. , der UR. und seiner Geschäftspartner K. und B. durch russische Geheimdienste zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm.

31

ff) Angesichts des Umstandes, dass der Beschuldigte im Fall 2 von dem BAFA darüber informiert wurde, eine Handschuharbeitsbox der betreffenden Bauart könne für die Herstellung von chemischen Waffen eingesetzt werden, er um die Aktivitäten der U. und der UR. im Rüstungssektor wusste und er gleichwohl Bemühungen entfaltete, der U. die Beschaffung einer Handschuharbeitsbox in China zu ermöglichen, ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts davon auszugehen, dass er eine solche Verwendung im konkreten Fall jedenfalls für möglich hielt und billigend in Kauf nahm. Dies gilt ungeachtet des Einwandes der Verteidiger des Beschuldigten in ihrer Stellungnahme vom 19. Juli 2021, die Handschuharbeitsbox "Unilab Pro SP 1250/780" diene baukonstruktiv dem Produktschutz (dem Schutz der bearbeiteten Materialien vor Umwelteinflüssen), nicht aber dem Personenschutz (dem Schutz der Bediener vor Emissionen der Materialien), was der Grund dafür sei, dass die Box nicht der Listenposition 2B352 Buchst. f des Anhangs I der Dual-Use-Verordnung unterfalle und weshalb sie nicht zur Chemiewaffenproduktion geeignet sei. Dies sei in der Branche und damit auch dem Beschuldigen bekannt gewesen. Ob der Beschuldigte tatsächlich über derartiges technisches Fachwissen verfügte und wie sein genaues Vorstellungsbild zur Verwendung der Handschuharbeitsbox zur Tatzeit war, muss der näheren Aufklärung in einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten bleiben, zumal er in einer E-Mail an B. vom 24. September 2019 die Einschätzung des BAFA, die Handschuharbeitsbox könne zur Herstellung chemischer Waffen eingesetzt werden, unkritisch weitergab.

32

gg) Wegen weiterer Einzelheiten zu den bisherigen Beweisergebnissen, die den dringenden Tatverdacht begründen, wird auf den Haftbefehl vom 23. Juli 2021 (Bd. 3 Bl. 249 d. A.), die Antragsschrift des Generalbundesanwalts auf Erlass eines Haftbefehls vom 3. Mai 2021 (Bd. 2 Bl. 77 d. A.), den Antrag des Generalbundesanwalts auf Neufassung des Haftbefehls vom 28. Juni 2021 (Bd. 3 Bl. 151 d. A.) sowie die Stellungnahme des Generalbundesanwalts zu Vorbringen der Verteidiger des Beschuldigten vom 22. Juli 2021 (Bd. 3 Bl. 207 d. A.) Bezug genommen.

33

2. In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wie folgt strafbar gemacht hat:

34

a) Hinsichtlich des Verkaufs eines Wärmetauschers (Fall 1 des Haftbefehls) ist gegenwärtig davon auszugehen, dass der Beschuldigte der gewerbsmäßigen sowie für den Geheimdienst einer fremden Macht erfolgten Zuwiderhandlung gegen ein Verkaufsverbot eines im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsaktes der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen Sanktionsmaßnahme dient, dringend verdächtig ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 5, Abs. 7 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 AWG i.V.m. Art. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1 der Russlandembargo-Verordnung (EU) Nr. 833/2014).

35

aa) Der Beschuldigte verstieß hochwahrscheinlich gegen das Verkaufsverbot des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (Russlandembargo-Verordnung; veröffentlicht im ABl. L 229 vom 31. Juli 2014). Diese dient der Durchführung des Sanktionsbeschlusses 2014/512/GASP des Europäischen Rates vom 31. Juli 2014 (ABl. L 229/13).

36

(1) Art. 2 Abs. 1 der Russlandembargo-Verordnung untersagt es, Güter und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Russland oder zur Verwendung in Russland zu verkaufen, zu liefern, zu verbringen oder auszuführen, wenn diese Güter ganz oder teilweise für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endnutzer bestimmt sind oder bestimmt sein könnten.

37

Güter mit doppeltem Verwendungszweck im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Russlandembargo-Verordnung sind gemäß Art. 1 Buchst. a der Russlandembargo-Verordnung (ausschließlich) die Güter und Technologien, die in Anhang I der Dual-Use-Verordnung aufgeführt sind. Nach der RusslandembargoVerordnung ist mithin der - ansonsten nach der Dual-Use-Verordnung einem Genehmigungsvorbehalt unterliegende - Verkauf von in der Dual-Use-Verordnung gelisteten Gütern verboten.

38

Dies gilt allerdings nur, sofern der gelistete Gegenstand im konkreten Fall ganz oder teilweise für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endnutzer bestimmt ist oder bestimmt sein könnte. Strafbarkeitsvoraussetzung ist damit, dass in objektiver Hinsicht zumindest tatsächliche Anhaltspunkte für eine Absicht der Verwendung zu militärischen Zwecken oder durch einen militärischen Endnutzer vorliegen und der Täter bei der Tathandlung subjektiv eine solche Verwendung zumindest für möglich hält und in Kauf nimmt, also mit bedingtem Vorsatz handelt (vgl. Morweiser, AW-Prax 2021, 171, 173).

39

Die Tatmodalität des Verkaufs ist erfüllt mit dem Abschluss eines schuldrechtlichen Kaufvertrages über einen gelisteten Gegenstand (BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014 - 3 StR 62/14, juris Rn. 18; Morweiser in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 96; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 29). Rechtlich unerheblich ist insofern, ob es zur Durchführung des Kaufvertrages, namentlich zur Ausfuhr des betreffenden Gutes nach Russland, kommt.

40

(2) Indem der Beschuldigte am 9. Oktober 2018 mit der russischen U. einen Verkaufsvertrag über einen Glasröhren-Wärmetauscher "WTU 200/1000-1m2" abschloss, verstieß er mithin hochwahrscheinlich gegen das Verkaufsverbot. Denn dieses Gerät entspricht nach den bisherigen Ermittlungserkenntnissen den technischen Merkmalen der Listenposition 2B350 Buchst. d des Anhangs I der Dual-Use-Verordnung (vgl. zu den diesbezüglichen Feststellungserfordernissen BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 347/15, NStZ 2016, 733 Rn. 13; Beschluss vom 9. Dezember 2014 - 3 StR 62/14, juris Rn. 14 f.). Es ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts davon auszugehen, dass es der Beschuldigte zumindest für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass der Wärmetauscher Eigenschaften hatte, die seine Listung begründeten; Wissen um die Listung als solche ist nicht zu verlangen (vgl. zum Vorsatzerfordernis hinsichtlich der Listung BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - 3 StR 295/12, NZWiSt 2013, 113 mwN). Der Wärmetauscher war - wie der Beschuldigte mutmaßlich wusste - zudem für eine militärische Verwendung bestimmt.

41

(3) Zwar ist die Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 vom 5. Mai 2009, auf die Art. 1 Buchst. a der Russlandembargo-Verordnung verweist, mit Wirkung vom 9. September 2021 aufgehoben und ersetzt worden durch eine neue Dual-Use-Verordnung, und zwar die Verordnung (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 über eine Unionsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Vermittlung, der technischen Unterstützung der Durchfuhr und der Verbringung betreffend Güter mit doppeltem Verwendungszweck (ABl. L 206 vom 11. Juni 2021). Das berührt die mutmaßliche Strafbarkeit des Beschuldigten aber nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 347/15, NStZ 2016, 733 Rn. 15). Denn zum einen handelt es sich lediglich um eine Neufassung und Neubekanntmachung der Dual-Use-Verordnung, wobei der Anhang I beibehalten worden ist. Insbesondere ist die Listenposition 2B350 Buchst. d des Anhangs I unverändert in die neue Dual-Use-Verordnung übernommen worden. Art. 1 Buchst. a der Russlandembargo-Verordnung bezieht sich gemäß Art. 31 Abs. 3 der neuen Dual-Use-Verordnung nunmehr auf deren Anhang I. Zum anderen ist die Verbotsregelung des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Buchst. a der Russlandembargo-Verordnung ein Zeitgesetz im Sinne des § 2 Abs. 4 StGB, so dass selbst deren Entfall nach der Tatbegehung eine Strafbarkeit nicht berührte (vgl. zur Klassifikation von Embargomaßnahmen als Zeitgesetze BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2014 - 3 StR 167/14, juris Rn. 31; vom 23. August 2006 - 5 StR 105/06, NStZ 2007, 644; vom 14. Juli 1998 - 1 StR 110/98, BGHR AWG § 34 UN-Embargo 4; Erbs/Kohlhaas/Diemer, 236. EL, Vorbemerkungen zu §§ 17 bis 19 AWG Rn. 14; Morweiser in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 14, 164 f.; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., Vor § 17 AWG Rn. 71; s. zudem nunmehr § 30 Abs. 1 AWG). Maßgeblich für die hier zu beurteilende mutmaßliche Strafbarkeit des Beschuldigten sind mithin gemäß § 2 Abs. 1 StGB die Russlandembargo-Verordnung und die Dual-Use-Verordnung in der zur Tatzeit geltenden Fassung.

42

bb) Ausgehend von dem geschilderten Sachverhalt verwirklichte der Beschuldigte neben dem Qualifikationstatbestand des gewerbsmäßigen Handelns nach § 18 Abs. 7 Nr. 2 Alternative 1 AWG (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2019 - 3 StR 413/18, juris Rn. 26 ff. [insoweit in NStZ 2019, 736 nicht abgedruckt]) denjenigen des Handelns für den Geheimdienst einer fremden Macht nach § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG. Für eine Qualifikationsstrafbarkeit nach § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG genügt ein schlichtes Handeln für einen fremden Geheimdienst. Es bedarf weder einer organisatorischen Eingliederung des Täters in den fremden Geheimdienst noch dessen funktioneller Eingliederung in die Ausforschungsbemühungen des Geheimdienstes der fremden Macht (BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - AK 20/20, juris Rn. 25; Erbs/Kohlhaas/Diemer, 236. EL, § 17 AWG Rn. 18; Morweiser in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 112; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 45). Für § 18 Abs. 7 Nr. 1 AWG ist jedenfalls ausreichend, wenn sich die Tat als Ausfluss der Einbindung des Täters lediglich in die geheimdienstliche Beschaffungsstruktur darstellt (BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - AK 20/20, juris Rn. 25; Erbs/Kohlhaas/Diemer, 236. EL, § 17 AWG Rn. 18; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 17 AWG Rn. 45).

43

So liegt es nach Aktenlage hier. Der gesondert Verfolgte K. betrieb in Deutschland mit hoher Wahrscheinlichkeit ein konspirativ arbeitendes Beschaffungsnetzwerk, in das sich der Beschuldigte einfügte und an dem er mitwirkte; diese Form der Beschaffungen wurde durch einen russischen Geheimdienst beaufsichtigt und gesteuert.

44

Ob im Fall 1 auch der Qualifikationstatbestand des § 18 Abs. 7 Nr. 3 AWG erfüllt ist, kann für die Haftfortdauerentscheidung dahingestellt bleiben.

45

b) Hinsichtlich der Bemühungen des Beschuldigten, der UR. eine Handschuharbeitsbox zu verschaffen (Fall 2 des Haftbefehls), gilt Folgendes:

46

aa) Der Beschuldigte ist gegenwärtig dringend verdächtig, sich durch die Vermittlung eines Verkaufsangebots für eine Handschuharbeitsbox der chinesischen Firma " XXX " an die U. wegen versuchter Förderung der Herstellung chemischer Waffen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG, §§ 22, 23 StGB strafbar gemacht zu haben. Da der Verbrechenstatbestand des § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG eine Gehilfentätigkeit als täterschaftliches Handeln verselbständigt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238 Rn. 32 zu § 19 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 1997 - 2 Ws 47-48/97, NStZ-RR 1998, 153, 154; Holthausen, NJW 1991, 203, 204), kommt eine Versuchsstrafbarkeit in Bezug auf Handlungen in Betracht, die sich der Sache nach als versuchte Beihilfe darstellen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 1997 - 2 Ws 47-48/97, NStZ-RR 1998, 153, 154; MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 20 KrWaffKG Rn. 9 mwN). Rechtlich unerheblich ist deshalb vorliegend, ob sich die Handschuharbeitsbox, auf die sich die Vermittlungsbemühungen des Beschuldigten erstreckten, tatsächlich zur Verwendung bei der Herstellung von chemischen Waffen eignete, ob eine solche Verwendung in Russland beabsichtigt war und ob es tatsächlich zur Lieferung der chinesischen Gerätschaft und zu deren Einsatz bei einer Chemiewaffenherstellung kam. Maßgeblich im Rahmen der hier in Betracht kommenden Versuchsstrafbarkeit ist allein das subjektive Vorstellungsbild des Beschuldigten. Dieses ging - wie dargetan - nach vorläufiger Würdigung dahin, dass er bei seinen Vermittlungsbemühungen eine Lieferung der Handschuharbeitsbox nach Russland und deren dortige Verwendung bei der Herstellung von chemischen Waffen jedenfalls für möglich hielt und billigend in Kauf nahm. Das genügt für eine Strafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG, §§ 22, 23 StGB.

47

Zwar erfasst die Herstellung chemischer Waffen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 KrWaffKG nur den Produktionsprozess als solchen, nicht auch den vorgelagerten Aufbau von Anlagen zur Chemiewaffenherstellung. Deshalb ist eine Strafbarkeit wegen Förderung der Herstellung chemischer Waffen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG nicht gegeben, wenn sich eine Unterstützungshandlung auf die Errichtung einer Produktionsstätte für chemische Waffen bezog, ohne dass in der Anlage zumindest mit dem Versuch der Chemiewaffenherstellung begonnen wurde (OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 23. Februar 2000 - 2 Ws 16/00, NStZ 2000, 378, 379; vom 13. März 1997 - 2 Ws 47-48/97, NStZ-RR 1998, 153, 154; OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Mai 1997 - 1 Ws 87/97, NStZ-RR 1998, 63; LG Stuttgart, Urteil vom 19. Juni 2001 - 6 KLs 144 Js 43314/94, wistra 2001, 436, 438; MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 19 KrWaffKG Rn. 14 mwN, § 20 KrWaffKG Rn. 9 mwN; Pietsch, NStZ 2001, 234, 235). Dies schließt aber eine Strafbarkeit wegen versuchter Förderung der Herstellung chemischer Waffen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG, §§ 22, 23 StGB nicht aus, sofern der Täter - wie mutmaßlich hier - bei Vornahme seiner Unterstützungshandlung - etwa der Mitwirkung bei der Beschaffung von Gerätschaften für eine Produktionsstätte - davon ausging oder zumindest bedingten Vorsatz dahin hatte, es werde zur Aufnahme eines unmittelbaren Herstellungsprozesses kommen, bei dem seine Förderungshandlung wirksam werde (so auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. März 1997 - 2 Ws 47-48/97, NStZ-RR 1998, 153, 154; LG Stuttgart, Urteil vom 19. Juni 2001 - 6 KLs 144 Js 43314/94, wistra 2001, 436, 438 [OLG Karlsruhe 19.03.2001 - 2 Ws 193/00]; MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 19 KrWaffKG Rn. 14 mwN, § 20 KrWaffKG Rn. 9 mwN; Barthelmeß, wistra 2001, 14, 15; Kieninger/Bieneck, wistra 2001, 438, 439; a. A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Mai 1997 - 1 Ws 87/97, NStZ-RR 1998, 63). Dies zeigt folgende Überlegung: Eine vollendete Förderung der Herstellung von Chemiewaffen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG ist gegeben, wenn mit einem Produktionsprozess begonnen wurde und sich die Förderungshandlung zwar nicht auf den eigentlichen Herstellungsprozess, wohl aber auf das Vorbereitungsstadium dieser Tat, namentlich die Errichtung der Produktionsstätte, bezog. Denn es entspricht allgemeiner Rechtsauffassung, dass Beihilfe auch im Vorbereitungsstadium einer Tat geleistet werden kann (vgl. nur Fischer, StGB, 68. Aufl., § 27 Rn. 4 mwN). Dann aber ist kein Grund ersichtlich, eine Strafbarkeit wegen versuchter Förderung der Herstellung chemischer Waffen nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG, §§ 22, 23 StGB zu verneinen, wenn der Förderungstäter unmittelbar dazu ansetzte, im (vermeintlichen) Vorbereitungsstadium einer Tat nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 KrWaffKG seinen Unterstützungsbeitrag zu erbringen und dabei (zumindest bedingten) Vorsatz dahin hatte, dass es letztlich unter Wirksamwerden seines Tatbeitrages zur Waffenherstellung im Sinne der Aufnahme eines Produktionsprozesses kommen werde.

48

Da nach derzeitiger Aktenlage keine Erkenntnisse dahin vorliegen, dass die Handschuharbeitsbox tatsächlich geliefert wurde, bedarf keiner näheren Erörterung, dass die Errichtung einer Produktionsstätte für Chemiewaffen eine Entwicklung von chemischen Waffen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 KrWaffKG darstellt und eine Unterstützung der Anlagenerrichtung damit als Förderung der Entwicklung von Chemiewaffen nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG strafbar sein kann (vgl. in Bezug auf Atomwaffen und damit § 19 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG BGH, Beschlüsse vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238 Rn. 28; vom 26. Juni 2008 - AK 10/08, wistra 2008, 432, 433; vom 22. Februar 2005 - StB 2/05, juris Rn. 10; ebenso konkret in Bezug auf Chemiewaffen OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Februar 2000 - 2 Ws 16/00, NStZ 2000, 378, 379; MüKoStGB/Heinrich, 3. Aufl., § 19 KrWaffKG Rn. 7 mwN, § 20 KrWaffKG Rn. 6 mwN; Pietsch, NStZ 2001, 234, 235; a. A. LG Stuttgart, Urteile vom 19. Juni 2001 - 6 KLs 144 Js 43314/94, wistra 2001, 436, 438 [OLG Karlsruhe 19.03.2001 - 2 Ws 193/00]; vom 1. Oktober 1996 - 3 KLs 47/96, NStZ 1997, 288, 290; Kieninger/Bieneck, wistra 2001, 438, 439). Denn auch diese Überlegungen führen vorliegend allein zu einem dringenden Tatverdacht einer Versuchsstrafbarkeit nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG, §§ 22, 23 StGB.

49

bb) Dagegen bestehen derzeit keine dringenden Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit des Beschuldigten im Fall 2 nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 5 AWG i.V.m. Art. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1 der Russlandembargo-Verordnung oder § 18 Abs. 5 Nr. 1 AWG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Dual-Use-Verordnung. Denn nach Aktenlage ist nicht von einer Listung der vom Beschuldigten an die U. verkauften Handschuharbeitsbox ("Glovebox Workstation") "Unilab Pro SP 1250/780" im Anhang I der Dual-Use-Verordnung auszugehen (vgl. VG Frankfurt/Main, Urteil vom 2. Juni 2021 - 5 K 570/18.F, juris). Da der Beschuldigte die Bestellung beim Hersteller stornierte und daher keine Ausfuhrbemühungen entfaltet wurden, kommt ungeachtet des Umstandes, dass § 18 Abs. 6 AWG eine versuchte Tatbegehung unter Strafe stellt, nach gegenwärtigem Ermittlungsstand auch keine Strafbarkeit des Beschuldigten im Fall 2 nach § 18 Abs. 5 Nr. 2, Abs. 6 AWG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 Halbsatz 2 der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009, §§ 22, 23 StGB in Betracht.

50

c) Hinsichtlich der Ausfuhren eines Rührwerkapparats "AE25-406 AM-d50" (Fall 3 des Haftbefehls), einer Materialprüfmaschine und eines NitrogenGenerators "Genius NM32LA" (Fall 4 des Haftbefehls) sowie eines Brutschranks "BD 115-230V", eines Vakuumtrockenschranks "VD 053-230V" und eines Vakuummoduls mit Vakuumpumpe "VP2.1" (Fall 5 des Haftbefehls) hat sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit jeweils strafbar gemacht wegen gewerbsmäßiger Ausfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck ohne Genehmigungsentscheidung gemäß § 18 Abs. 5 Nr. 2, Abs. 7 Nr. 2 Alternative 1 AWG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 Halbsatz 2 der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 (vgl. zur Fassung des Schuldspruchs bei Verstößen gegen § 18 Abs. 5 AWGBGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - 3 StR 62/14, juris Rn. 33; vom 14. Oktober 2014 - 3 StR 167/14, juris Rn. 37).

51

aa) Diese Ausfuhrgüter waren nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht im Anhang I der Dual-Use-Verordnung gelistet, so dass keine Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit des Beschuldigten in den Fällen 3 bis 5 des Haftbefehls nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 5 AWG i.V.m. Art. 1 Buchst. a, Art. 2 Abs. 1 der Russlandembargo-Verordnung oder § 18 Abs. 5 Nr. 1 AWG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Dual-Use-Verordnung bestehen.

52

bb) Jedoch ist nach dem Stand der bisherigen Ermittlungen hochwahrscheinlich, dass der Beschuldigte die vorbezeichneten nicht gelisteten Gerätschaften, die nach Aktenlage sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können und bei denen es sich damit um Güter mit doppeltem Verwendungszweck im Sinne des Art. 2 Nr. 1 der Dual-Use-Verordnung handelte, ohne Vorliegen einer Genehmigungsentscheidung des BAFA nach Russland ausführte, obgleich ihm bei der Ausfuhr bekannt war, dass diese für eine militärische Verwendung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 bis 3 Dual-Use-Verordnung aF bestimmt waren. Dies begründet die dringende Annahme einer Strafbarkeit des Beschuldigten in den Fällen 3 bis 5 des Haftbefehls nach § 18 Abs. 5 Nr. 2 AWG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 Halbsatz 2 der Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009.

53

(1) Denn nach der "Catch-All-Regelung" des Art. 4 Abs. 4 Dual-Use-Verordnung aF (jetzt Art. 4 Abs. 2 Dual-Use-Verordnung nF) hat ein Ausführer die zuständige Behörde - das BAFA - zu unterrichten und vor einer Ausfuhr dessen Entscheidung über eine Genehmigungspflicht und gegebenenfalls Genehmigung abzuwarten, sofern ihm bekannt ist, dass nicht im Anhang I der Dual-Use-Verordnung gelistete Güter, die er ausführen möchte, ganz oder teilweise für (militärische) Verwendungen im Sinne von Art. 4 Abs. 2 bis 3 Dual-Use-Verordnung aF (jetzt Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-Verordnung nF) bestimmt sind. Eine Güterausfuhr ohne Vorliegen einer Ausfuhrgenehmigung oder einer Feststellung des BAFA über die Genehmigungsfreiheit führt in einer solchen Konstellation zur Strafbarkeit nach § 18 Abs. 5 Nr. 2 AWG.

54

(2) In subjektiver Hinsicht ist positives Wissen über die vorgenannte Verwendungsbestimmung erforderlich; ein bloßes Für-Möglich-Halten und billigendes Inkaufnehmen einer Verwendung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 bis 3 DualUse-Verordnung aF beziehungsweise Art. 4 Abs. 1 Dual-Use-Verordnung nF genügt nicht (GJW/Cornelius, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 18 AWG Rn. 95; Morweiser in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 72; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 134). Hier jedoch ist hochwahrscheinlich, dass der Beschuldigte über das erforderliche Wissen verfügte.

55

(3) Der vom Beschuldigten im Fall 5 erwirkte Nullbescheid des BAFA steht seiner mutmaßlichen Strafbarkeit nicht entgegen. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob § 18 Abs. 9 AWG auch Nullbescheide erfasst (so Morweiser in Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR-Kommentar, 69. EL, Vor §§ 17, 18 AWG Rn. 141; a. A. mit dem Argument, ein Nullbescheid sei begrifflich keine Genehmigung, Erbs/Kohlhaas/Diemer, 236. EL, § 17 AWG Rn. 26). Denn der Nullbescheid, der dem Beschuldigten die Genehmigungsfreiheit einer Ausfuhr attestierte, bezog sich nicht auf das tatsächlich erfolgte Ausfuhrgeschäft mit einer militärischen Endverwendung der Ausfuhrgüter durch die UR. , sondern auf eine vom Beschuldigten bewusst wahrheitswidrig vorgespiegelte Ausfuhr an die " XXX ", die nicht erfolgte. Der Nullbescheid vermag eine Ausfuhr an einen anderen Empfänger als den, auf den er sich bezieht, von vornherein nicht zu legitimieren und ist damit für die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat ohne Bedeutung.

56

(4) Zwar ist § 18 Abs. 5 AWG mit Wirkung zum 9. September 2021 durch Rechtsverordnung gemäß § 30 Abs. 2 AWG vom 25. August 2021 (BAnz AT vom 7. September 2021 V1) dahin geändert worden, dass sich die Blankettvorschrift nun nicht mehr auf die - außer Kraft getretene - Dual-Use-Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009, sondern auf die ebenfalls seit dem 9. September 2021 geltende neue Dual-Use-Verordnung (EU) 2021/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 (ABl. L 206 vom 11. Juni 2021) bezieht. Zudem hat Art. 4 der Dual-Use-Verordnung durch die Neufassung Änderungen erfahren. Dies berührt die mutmaßliche Strafbarkeit des Beschuldigten in den Fällen 3 bis 5 indes nicht (vgl. BGH, Urteil vom 10. März 2016 - 3 StR 347/15, NStZ 2016, 733 Rn. 15). Dies folgt zum einen aus § 30 Abs. 1 AWG (vgl. BT-Drucks. 19/27451, S. 13). Zum anderen haben sich im Hinblick auf die hier inmitten stehenden Regelungen weder durch die Novellierung des § 18 AWG noch durch die zeitgleich in Kraft getretene Neufassung der Dual-Use-Verordnung inhaltliche Änderungen ergeben; soweit hier von Belang, ist Art. 4 der Dual-Use-Verordnung lediglich redaktionell geändert worden; dies gilt dementsprechend auch für die Änderung des § 18 Abs. 5 Nr. 2 AWG, der nunmehr auf Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der neuen Dual-Use-Verordnung statt auf den inhaltsgleichen Art. 4 Abs. 4 Halbsatz 2 der alten Dual-Use-Verordnung rekurriert. Daher sind gemäß § 2 Abs. 1 StGB auf den vorliegenden Sachverhalt § 18 Abs. 5 AWG in der Tatzeitfassung und die alte Dual-Use-Verordnung anzuwenden.

57

d) Die Taten in den Fällen 1 bis 5 stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB).

58

3. Die Ermittlungszuständigkeit des Generalbundesanwalts und die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zum Erlass des Haftbefehls folgen aus § 142a Abs. 1 Satz 1 und 2, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a GVG, § 169 Abs. 1 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. August 2020 - AK 20/20, juris Rn. 28 f.; vom 25. Juli 2019 - AK 34/19, juris Rn. 31; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris Rn. 25 f.).

59

Die dem Beschuldigten vorgeworfenen Handlungen waren geeignet, die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu gefährden. Die Sache hat besondere Bedeutung, weil die Taten sowie die ihnen innewohnenden und sie begleitenden Umstände vor dem Hintergrund des gegen Russland verhängten Waffen- und Wirtschaftsembargos einen gewichtigen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen und das Risiko einer Schädigung des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft begründen. Das gilt umso mehr, als dringende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die verfahrensgegenständlichen Güter für eine militärische Verwendung im Bereich der Trägertechnologie beziehungsweise ABC-Waffenproduktion geeignet und bestimmt waren. Mithin haben die Tatvorwürfe auch eine die Bundesrepublik Deutschland betreffende sicherheitspolitische Dimension, die eine Verfolgung durch die Strafgerichtsbarkeit des Bundes gebietet.

60

4. Es besteht - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz der Verteidiger des Beschuldigten vom 13. Dezember 2021 - der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Beschuldigte - sollte er auf freien Fuß gelangen - dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird.

61

Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung, obgleich er nicht vorbestraft ist, mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Denn für die Taten 1 sowie 3 bis 5 sieht § 18 Abs. 7 AWG als Strafrahmen Freiheitsstrafe zwischen einem Jahr und 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) vor. Der nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafrahmen des für die Tat 2 einschlägigen § 20 Abs. 1 KrWaffKG sieht Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis elf Jahre und drei Monaten vor. Das Maß der Tatschuld wird wesentlich bestimmt durch den Zeitraum und den Umfang der vom Beschuldigten betriebenen Geschäfte, den Wert der betroffenen Güter und das Ausmaß deren potentiellen militärischen Nutzens sowie durch den diesen Geschäften innewohnenden gewichtigen Angriff auf gesamtstaatliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland (BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - AK 20/20, juris Rn. 32); sie wiegt deshalb mutmaßlich schwer.

62

Dem von der hohen Straferwartung ausgehenden großen Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthemmenden Umstände entgegen. Insofern gilt, dass die Annahme von Fluchtgefahr kein sicheres Wissen um die sie begründenden Tatsachen erfordert; es genügt derselbe Wahrscheinlichkeitsgrad wie bei der Annahme des dringenden Tatverdachts (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2018 - StB 43 u. 44/18, juris Rn. 37; vom 2. November 2016 - StB 35/16, juris Rn. 11).

63

Der Beschuldigte ist der russischen Sprache mächtig, verfügt über gute Kontakte nach Russland und würde im Fall einer Flucht voraussichtlich durch russische Stellen unterstützt werden. Dies gilt auch deshalb, weil Russland daran gelegen sein dürfte, eine Hauptverhandlung gegen den Beschuldigten, in der das Agieren russischer Geheimdienste öffentlich verhandelt wird, zu vermeiden (vgl. insofern BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 - AK 34/14, juris Rn. 9). Der Beschuldigte hat auch private Kontakte in Russland, die ihm eine Flucht dorthin erleichtern können; seine russischen Schwiegereltern leben dort. Die familiäre und soziale Bindung des Beschuldigten an Deutschland kann die Fluchtgefahr daher nicht ausräumen, und zwar auch deshalb nicht, weil seine Ehefrau aus Russland stammt und die gemeinsame Tochter erwachsen ist, so dass eine Flucht des Beschuldigten mit seiner Ehefrau nach Russland ungeachtet ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht fernliegend erscheint. Auch die berufliche Verankerung des Beschuldigten in Deutschland stellt keinen gewichtigen fluchthemmenden Umstand dar, zumal er seinen Geschäftsbetrieb im Falle einer Verurteilung ohnehin nicht in der bisherigen Form wird weiterführen können.

64

Da der Haftgrund der Fluchtgefahr vorliegt, kann dahinstehen, ob daneben - wie der ursprüngliche Haftbefehl vom 12. Mai 2021 angenommen hat und im aktuellen Haftbefehl vom 23. Juli 2021 offengelassen wird - auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) gegeben ist.

65

Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreicht werden.

66

5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. Das Verfahren ist bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.

67

Bei Durchsuchungen am 18. Mai 2021 ist umfangreiches Beweismaterial sichergestellt worden, darunter 152 Aktenordner und 5,5 Terabyte elektronische Daten. Dieses hat mit hohem technischen und personellen Aufwand durch das mit den Ermittlungen betraute Zollkriminalamt gesichtet und ausgewertet werden müssen, und zwar auch zur weiteren Erhellung der dem Haftbefehl zu Grunde liegenden Tatvorwürfe. Das Zollkriminalamt hat seine umfangreichen und - nicht zuletzt aufgrund des konspirativen Vorgehens des Beschuldigten und des vielfach russischsprachigen Beweismaterials - komplexen Untersuchungen am 8. November 2021 abgeschlossen.

68

Mit Blick auf den derzeitigen Ermittlungsstand geht der Senat davon aus, dass der Generalbundesanwalt in Kürze Anklage gegen den Beschuldigten erheben kann, zumal der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 12. November 2021 zu entnehmen ist, dass gegenwärtig eine Anklage erarbeitet wird.

69

6. Schließlich steht die Untersuchungshaft entgegen dem Vorbringen der Verteidiger nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer

Paul

Kreicker

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