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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 15.11.2021, Az.: AK 48/21
Haftfortdauer gegen ein Mitglied wegen der Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Arbeiterpartei Kurdistans" ("Partiya Karkeren Kurdistan", PKK)
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.11.2021
Referenz: JurionRS 2021, 48711
Aktenzeichen: AK 48/21
ECLI: ECLI:DE:BGH:2021:151121BAK48.21.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG München - 15.11.2021 - AZ: OGs 88/21

Verfahrensgegenstand:

Mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland

BGH, 15.11.2021 - AK 48/21

Redaktioneller Leitsatz:

Der dringende Tatverdacht der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der terroristischen Vereinigung im Ausland "PKK" verbunden mit dem Vorliegen eines Haftgrundes rechtfertigt die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschuldigten und seines Verteidigers am 15. November 2021 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe

I.

1

Der Beschuldigte befindet sich seit dem 7. Mai 2021 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts München vom 30. April 2021 (OGs 88/21) ununterbrochen in Untersuchungshaft.

2

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Arbeiterpartei Kurdistans" ("Partiya Karkeren Kurdistan", PKK) beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord, Totschlag, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder § 239b StGB zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB. Der Beschuldigte soll vom 21. Juni 2020 bis zu seiner Festnahme die Funktion des Verantwortlichen für das PKK-Gebiet N. ausgeübt haben.

3

Der Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2021 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und die Akten dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung im besonderen Haftprüfungsverfahren nach § 121 StPO vorgelegt.

II.

4

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

5

1. Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

6

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7

aa) Die PKK wurde 1978 unter anderem von Abdullah Öcalan in der Türkei als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Zur Verwirklichung dieses Plans initiierte die PKK verschiedene Organisationen, die mehrfach ihre Bezeichnung wechselten. So besteht seit 2007 - unter dieser Bezeichnung - die "Koma Civakên Kurdistan" ("Vereinigte Gemeinschaften Kurdistan", im Folgenden: KCK), die auf einen staatsähnlichen "konföderalen" Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, in Syrien, im Iran und im Irak zielt und dabei umfangreiche staatliche Attribute beansprucht wie Parlament, Gerichtsbarkeit, Armee und Staatsbürgerschaft.

8

Die KCK ist, ebenso wie die PKK, auf die Person Abdullah Öcalan ausgerichtet. Daneben vollzieht sich die Willensbildung innerhalb der Organisation etwa über den "Kongra Gele Kurdistan" (KONGRA GEL -"Volkskongress Kurdistans") und den KCK-Exekutivrat. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie den Kadern der übergeordneten Ebene regelmäßig Bericht über ihre Tätigkeit zu erstatten.

9

Fester Bestandteil der Strukturen der PKK/KCK sind auch die "Hêzên Parastina Gel" ("Volksverteidigungskräfte", fortan: HPG), die nach dem Willen der Führung handeln. Sie betrachten im Rahmen der von ihnen vorgenommenen "Selbstverteidigung" einen Guerillakrieg als legitimes Mittel. Die HPG verübten vor allem im Südosten der Türkei mittels Sprengstoff und Waffen Anschläge gegen türkische Soldaten sowie Polizisten, wobei sie eine Vielzahl von ihnen verletzten oder töteten. Die HPG bekannten sich seit der Aufkündigung eines "Waffenstillstands" zum 1. Juni 2004 zu über hundert Anschlägen.

10

Das Präsidium des Exekutivrats der KCK erklärte, nachdem Abdullah Öcalan aus der Haft heraus eine Friedensbotschaft verlesen und zu einer gewaltfreien politischen Lösung des Konflikts aufgerufen hatte, ab dem 23. März 2013 eine Feuerpause. In der Folge verübten die HPG zwar deutlich weniger Anschläge, ohne dass damit aber eine Abkehr von der Ausrichtung der Organisation auf die Begehung von Tötungsdelikten verbunden gewesen wäre; vielmehr enthielt die Erklärung bereits den Vorbehalt, dass im Fall von Angriffen von dem "Recht auf Selbstverteidigung" Gebrauch gemacht und Vergeltung geübt werde.

11

Nachdem der "Friedensprozess" im Juli 2015 endgültig zum Erliegen gekommen war, kam es in der Folge zu Gefechten mit den türkischen Streitkräften, die ihrerseits mit massiver militärischer Gewalt vorgingen. In diesen Auseinandersetzungen spielte die "Patriotisch revolutionäre Jugendbewegung" (YDGH - Yurtsever Devrimci Genclik Hareketi), die sich mit den Selbstverteidigungskräften der HPG zusammenschloss, eine bedeutsame Rolle. Parallel dazu nahmen die Anschläge der HPG, bei denen Angehörige der türkischen Sicherheitskräfte, aber auch Zivilisten getötet oder verletzt wurden, wieder erheblich zu.

12

Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der PKK liegen in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran. Zahlreiche - regelmäßig nur auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtete Aktivitäten betreibt die PKK indes auch in Deutschland und anderen Ländern Westeuropas. Dazu bediente sie sich bis Juli 2013 der "Civata Demokratîk a Kurdistan" ("Kurdische Demokratische Gesellschaft", im Folgenden: CDK), welche die Direktiven der KCK-Führung umzusetzen hatte und namentlich dazu diente, die in Europa lebenden Kurden zu organisieren. Entsprechend den Vorgaben des 10. CDK-Kongresses vom Mai 2013 zur Neustrukturierung der PKK in Europa benannte sich der europäische Dachverband PKK-naher Vereine "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD) im Juli 2013 in "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (KCD-E) um. Unter der Bezeichnung KCD-E werden nicht nur die Strukturen des KON-KURD, sondern auch diejenigen der CDK fortgeführt.

13

Unterhalb der Führungsebene war und ist Europa in Organisationseinheiten verschiedener Ebenen eingeteilt. In Deutschland gab es seit 2002 die drei Sektoren ("saha") "Süd", "Mitte" und "Nord"; seit 2012 ist der Sektor "Süd" in die Sektoren "Süd 1" und "Süd 2" aufgeteilt. Im Jahr 2016 wurden in den vier Sektoren neun Regionen ("eyalet") mit insgesamt 31 Gebieten ("bölge") gebildet. Für jede Organisationseinheit wird von der Führung mindestens ein Verantwortlicher eingesetzt; Sektoren, Regionen und Gebiete werden in der Regel von einem durch die Organisation alimentierten, professionellen Führungskader geleitet. Die Organisationseinheiten stellen der PKK Finanzmittel bereit, rekrutieren Nachwuchs für den Guerillakampf und betreiben Propaganda. Dabei haben sie die Vorgaben der Europaführung umzusetzen und ihr über die Erfüllung ihrer Aufgaben regelmäßig Bericht zu erstatten.

14

bb) Der aus der Türkei stammende Beschuldigte ist kurdischer Volkszugehörigkeit. Innerhalb der PKK trägt er die Decknamen "F. ", "M. " und "C. ". In Kenntnis der Ziele, Programmatik und Methoden der Organisation übernahm er am 21. Juni 2020 die Leitung des Gebiets N. . Aus dem als Zentrale genutzten Me. V. in der dortigen Fo. heraus war er als hauptamtlicher Kader mit den insoweit typischen Führungsaufgaben befasst. Insbesondere unterhielt er Kontakte zu anderen Aktivisten und Sympathisanten der PKK, organisierte Treffen und Versammlungen, trat bei einer solchen als Redner vor über 100 Personen auf, kümmerte sich um die Propaganda der Organisation und trieb sogenannte Spendengelder ein. Unterdessen wurde er von Unterstützern der PKK verköstigt und beherbergt. Bezüglich der Einzelheiten der Aktivitäten, derer der Beschuldigte dringend verdächtig ist, wird auf den Haftbefehl verwiesen.

15

b) Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung PKK und ihrer Teilstrukturen in Deutschland beruht, wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist, auf Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden, insbesondere des Bundeskriminalamts, die sich in zahlreichen Auswerteberichten finden und auf deren Grundlage es bereits vielfach zu Verurteilungen von Kadern der PKK durch verschiedene Oberlandesgerichte gekommen ist, sowie auf öffentlichen Verlautbarungen der Organisation.

16

Die Handlungen des Beschuldigten, der sich bisher zur Sache nicht eingelassen hat, ergeben sich im Wesentlichen aus einem Behördenzeugnis des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, der Auswertung überwachter Telekommunikation und Erkenntnissen aus der polizeilichen Durchsuchung des Me. V. und den dort sichergestellten elektronischen Datenträgern.

17

c) In rechtlicher Hinsicht folgt daraus, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht hat (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB). Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung der jeweiligen Verantwortlichen für die hiesigen Gebiete der PKK am 6. September 2011 erteilt (§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB).

18

2. Es bestehen zumindest der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 - AK 57/18, juris Rn. 30 ff.) - derjenige der Schwerkriminalität. Daher bedarf keiner weiteren Erörterung, ob der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr ebenfalls vorliegt (vgl. zu den Voraussetzungen BGH, Beschluss vom 29. September 2016 - StB 30/16, NJW 2017, 341 Rn. 13).

19

Der Beschuldigte ist in Frankreich als Asylbewerber registriert. In Deutschland verfügt er weder über einen Aufenthaltstitel noch über einen festen Wohnsitz. Im Fall seiner Verurteilung hat er mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Einer Erwerbstätigkeit geht er nicht nach, im Tatzeitraum wurde er von der PKK alimentiert. Über familiäre oder andere soziale Bindungen außerhalb der Organisation, die einer Flucht oder einem Untertauchen entgegenstehen könnten, ist nichts bekannt. Als mutmaßliches Mitglied der Vereinigung in verantwortlicher Position kann er mit hoher Wahrscheinlichkeit auf deren Strukturen einschließlich konspirativer Kommunikationsformen zurückgreifen, um unterzutauchen.

20

Vor diesem Hintergrund ist insgesamt zu erwarten, dass sich der Beschuldigte, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird. Dieser Gefahr kann durch andere fluchthemmende Maßnahmen nicht genügend begegnet werden, weshalb der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO erreicht werden kann.

21

3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Haftfortdauer.

22

Das Verfahren ist bisher durchgehend mit der gebotenen Zügigkeit geführt worden. Die Auswertung der zahlreichen aufgezeichneten Telefonverbindungen und der 19 elektronischen Datenträger, die im Zuge der Durchsuchungen haben sichergestellt werden können, gestaltet sich besonders umfangreich, zumal in weiten Teilen Übersetzungen erforderlich sind. Hinsichtlich der Einzelheiten wird insoweit auf die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 14. Oktober 2021 Bezug genommen. Aus dieser geht auch hervor, dass das Bayerische Landeskriminalamt die Auswertungen voraussichtlich Ende November 2021 abgeschlossen haben wird. Parallel laufen weitere Maßnahmen wie die Vernehmung der zentralen Zeugin. Der Abschluss der Ermittlungen ist für Mitte Dezember 2021 vorgesehen.

23

4. Schließlich steht die Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits derzeit nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer

Berg

Erbguth

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