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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 05.08.2021, Az.: III ZR 211/20
Nachweis der Besorgnis der Befangenheit eines vorsitzenden Richters
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.08.2021
Referenz: JurionRS 2021, 42259
Aktenzeichen: III ZR 211/20
ECLI: ECLI:DE:BGH:2021:050821BIIIZR211.20.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Köln - 14.02.2020 - AZ: 8 O 54/19

OLG Köln - 28.08.2020 - AZ: 1 U 19/20

Rechtsgrundlage:

§ 42 Abs. 2 ZPO

BGH, 05.08.2021 - III ZR 211/20

Redaktioneller Leitsatz:

Der Umstand, dass ein Richter einen vom Dieselskandal betroffenen Volkswagen erworben und in der Folge eine Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG erhoben hat, rechtfertigt die Besorgnis seiner Befangenheit in einem entsprechenden Schadensersatzverfahren.

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2021 durch die Richter Tombrink, Dr. Remmert und Reiter, die Richterin Dr. Arend und den Richter Dr. Herr
beschlossen:

Tenor:

Die in der Erklärung des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. H. vom 13. Juli 2021 mitgeteilten Umstände rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

I.

1

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz unter dem Vorwurf, sie habe in den von ihr, der Klägerin, erworbenen PKW des Typs Audi A4 2.0 l TDI einen von der Volkswagen AG hergestellten Dieselmotor EA 189 mit einer verbotenen Abschalteinrichtung eingebaut. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Die hiergegen eingelegten Berufungen beider Parteien sind im Wesentlichen ohne Erfolg geblieben. Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht wendet sich die Beklagte mit ihrer Beschwerde.

2

Am 13. Juli 2021 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. H. , angezeigt, dass er im Frühjahr 2014 einen Volkswagen CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG erhoben habe; das Verfahren sei vor kurzem mit einem Vergleich abgeschlossen worden. Die Beklagte hat darauf mitgeteilt, dass sonach ein Grund vorliege, der geeignet sei, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Senatsvorsitzenden zu rechtfertigen. Die Klägerin hat hierzu keine Stellungnahme abgegeben.

II.

3

Die in der Anzeige des Vorsitzenden Richters mitgeteilten Tatsachen rechtfertigen die Besorgnis der Befangenheit.

4

1. Gemäß § 42 Abs. 2 ZPO ist die Befangenheit eines Richters zu besorgen, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme besteht, dass der abgelehnte Richter eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 - II ZB 14/19, NJW 2020, 1680 Rn. 9 und vom 28. Juli 2020 - VI ZB 94/19, NJW 2020, 3458 Rn. 7, jeweils mwN). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt bereits der "böse Schein", das heißt der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (BGH aaO).

5

Misstrauen gegen die Unvoreingenommenheit eines Richters ist unter anderem dann gerechtfertigt, wenn objektive Gründe dafür sprechen, dass er auf Grund eines eigenen - sei es auch nur mittelbaren - wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits der Sache nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenübersteht (BGH aaO). Die Besorgnis der Befangenheit im Sinne von § 42 Abs. 2 ZPO kann dementsprechend begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche erhebt, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2019 aaO Rn. 10 und vom 28. Juli 2020 aaO Rn. 8).

6

Der Anschein fehlender Unparteilichkeit kann auch dann bestehen, wenn der Richter gegen eine Prozesspartei Klage und darin den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung erhoben hat, sofern dieses Verfahren noch andauert oder noch nicht lange Zeit zurückliegt; mit der Beteiligung an einem solchen Verfahren nimmt der Richter gegenüber dieser Partei keine neutrale Haltung ein, sondern erscheint als deren Gegner (vgl. zu einer entsprechenden Musterfeststellungsklage Senat, Beschluss vom 25. März 2021 - III ZB 57/20, WM 2021, 1109).

7

2. Nach diesen Maßstäben liegt hier ein Ablehnungsgrund vor. Seiner Erklärung vom 13. Juli 2021 zufolge hat der Vorsitzende Richter einen Volkswagen CC mit dem Motor EA 189 erworben und aufgrund dessen eine Schadensersatzklage gegen die Volkswagen AG erhoben. Es besteht somit die naheliegende Möglichkeit, dass er im vorliegenden Rechtsstreit in wesentlichen Teilen den gleichen Sachverhalt und die gleichen Rechtsfragen zu beurteilen hat wie in eigener Sache, ob nämlich Käufern von Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns, die mit dem hier in Rede stehenden Dieselmotor EA 189 nebst Abschalteinrichtung ausgestattet sind, Schadensersatzansprüche zustehen. Zudem steht die Beurteilung der Klageforderung in einem engen Zusammenhang mit der Bewertung des Verhaltens der Volkswagen AG. Dieser gegenüber erscheint der Vorsitzende Richter in Anbetracht seiner auf den Vorwurf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gestützten Klage indes als "Gegner". Dieser Sachverhalt ist insgesamt geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen zu lassen. Dabei genügt bereits der "böse Schein", die tatsächliche Einstellung des Richters ist insoweit nicht ausschlaggebend. Dass der Rechtsstreit zwischen dem Vorsitzenden Richter und der Volkswagen AG inzwischen mit einem Vergleich abgeschlossen worden ist, ist insoweit ohne Belang, weil das betreffende Verfahren noch nicht lange Zeit zurückliegt.

Tombrink

Remmert

Reiter

Arend

Herr

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