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Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.07.2021, Az.: VI ZR 698/20
Haftung eines Automobilherstellers gegenüber dem Käufer in einem sogenannten Dieselfall
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 27.07.2021
Referenz: JurionRS 2021, 34378
Aktenzeichen: VI ZR 698/20
ECLI: ECLI:DE:BGH:2021:270721UVIZR698.20.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Mainz - 18.07.2019 - AZ: 3 O 83/18

OLG Koblenz - 23.04.2020 - AZ: 1 U 1487/19

Rechtsgrundlagen:

§ 826 BGB

§ 31 BGB

Fundstellen:

VersR 2021, 1450

VRR 2021, 11-12

ZIP 2021, 2540-2541

BGH, 27.07.2021 - VI ZR 698/20

Amtlicher Leitsatz:

Zur Haftung eines Automobilherstellers nach § 826 BGB gegenüber dem Käufer in einem sogenannten Dieselfall (hier: Verkauf eines Gebrauchtwagens; kein Wegfall des Schadens durch Software-Update).

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Ist das Verhalten des Automobilherstellers im sogenannten Abgasskandal gegenüber einem Käufer als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen, gilt dies auch angesichts des Umstands, dass der Käufer das betroffene Fahrzeug als Gebrauchtwagen kaufte.

  2. 2.

    Ein darauf zurückzuführender Schaden entfällt nicht wegen eines durchgeführten Software-Updates.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO unter Berücksichtigung bis zum 30. Juni 2021 eingegangener Schriftsätze durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterin von Pentz, die Richter Offenloch und Dr. Allgayer sowie die Richterin Dr. Linder
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 23. April 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung eines Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 1. April 2015 bei einem Autohaus einen gebrauchten Audi Q 3 mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 EU5 zum Kaufpreis von 41.580 €, den er in Höhe von 5.000 € aus eigenen Mitteln zahlte und im Übrigen durch ein Darlehen bei der Volkswagen Bank finanzierte. In Motoren dieser Baureihe war eine Vorrichtung eingebaut, die die Abgasrückführung steuert. Das System erkannte, wenn das Fahrzeug auf einem Rollenprüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus auf Schadstoffemissionen getestet wurde. In diesem Fall schaltete es in den Modus "1", der eine höhere Abgasrückführungsrate und damit verbunden einen geringeren Ausstoß an Stickoxiden bewirkte. Insbesondere im gewöhnlichen Straßenverkehr wurde das Fahrzeug in einem Modus "0" betrieben, in dem die Abgasrückführung geringer und der Stickoxidausstoß folglich höher ausfiel.

3

Das Kraftfahrtbundesamt wertete diese Steuerung als unzulässige Abschalteinrichtung und erließ mit Bescheiden vom 14. sowie 15. Oktober 2015 Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, um die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. Die Beklagte rief die Fahrzeuge zurück, um sie durch Aufspielen einer geänderten Software technisch zu überarbeiten. Das Kraftfahrtbundesamt gab diese Nachrüstung frei. Beim Fahrzeug des Klägers wurde diese Nachrüstung durchgeführt.

4

Das Landgericht hat die Beklagte unter anderem verurteilt, an den Kläger 9.555,56 € nebst Zinsen zu zahlen und den Kläger von sämtlichen Verbindlichkeiten aus dem Darlehensverhältnis freizustellen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie Abtretung sämtlicher Rechte, die dem Kläger gegen den Darlehensgeber zustehen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet.

I.

6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass § 826 BGB grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des BGB anwendbar sei. Jedoch könnten Umstände wie die "Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit" (hier Verhalten nach § 263 StGB - Eingehungsbetrug), die im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB als Schutzgesetz geprüft und abgelehnt worden seien, nicht nochmals im Rahmen von § 826 BGB herangezogen werden. Unabhängig davon seien die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt. Soweit bislang bei der Beurteilung des "VW-Abgasskandals" ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten angenommen worden sei, sei als entscheidend angesehen worden, dass bei lebensnaher Betrachtung als Beweggrund für die Vornahme der Manipulationen an der Abgassteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung bei gleichzeitiger Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht komme. Die weiteren besonderen Umstände (Täuschungen in großem Umfang, Umgehung von Zulassungsvorschriften mit erheblichem technischen Aufwand, planmäßige Verschleierung des Handelns) führten dazu, dass dieses Handeln aus Gewinnstreben als verwerflich und damit als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB bewertet worden sei. Der Beweggrund der Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen könne jedoch - wenn überhaupt - nur beim erstmaligen Inverkehrbringen eines Neuwagens durch die Beklagte eine Rolle spielen. Jedenfalls liege beim Kläger kein Schaden mehr vor, da dieser durch das Aufspielen des Software-Updates entfallen sei und die Betriebsuntersagung nicht mehr drohe. Außerdem seien nur solche Schäden ersatzpflichtig, die auch in den Schutzbereich fielen. Alle europarechtlichen Vorschriften, gegen die die Beklagte verstoßen haben könnte, hätten gerade keinen individualschützenden Charakter, sondern dienten gesamtgesellschaftlichen Zielen. Die Beklagte habe auch den Tatbestand des Betrugs nicht zum Nachteil des Klägers verwirklicht.

II.

7

Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826 BGB nicht abgelehnt werden.

8

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe die manipulative Motorsteuerungssoftware nur aus Gewinnstreben zur Erzielung hoher Marktanteile eingesetzt. Durch das Vorgehen der Beklagten werde bei einem Abgastest dem Prüfer vorgegaukelt, die Werte entsprächen den gesetzlichen Bestimmungen. Es bestehe das Risiko, dass die Betriebserlaubnis widerrufen und das Fahrzeug stillgelegt werde. Das Fahrzeug sei aufgrund des Mangels weniger wert. Der Vorstand der Beklagten habe von der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware gewusst. Der Kläger habe ein Geschäft abgeschlossen, das er bei Kenntnis der Sachlage nicht abgeschlossen hätte.

9

Das vom Kläger vorgetragene und der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legende Verhalten der Beklagten ist ihm gegenüber als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB anzusehen (vgl. Senat, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 13 ff.; vom 26. Januar 2021 - VI ZR 405/19, juris Rn. 12 f.; vom 11. Mai 2021 - VI ZR 80/20, juris Rn. 12 mwN). Der Umstand, dass der Kläger das Fahrzeug als Gebrauchtwagen kaufte, ändert daran nichts (vgl. Senat, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 25; vom 18. Mai 2021 - VI ZR 452/19, juris Rn. 10 mwN). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden entfiele nicht wegen des durchgeführten Software-Updates (vgl. Senat, Urteile vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44 ff., insbesondere Rn. 58; vom 18. Mai 2021 - VI ZR 452/19, juris Rn. 13; vom 20. Juli 2021 - VI ZR 633/20, zVb). Der vom Kläger geltend gemachte Schaden fällt nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck des § 826 BGB. Auf den Schutzzweck der §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und der zur vollständigen Harmonisierung der technischen Anforderungen für Fahrzeuge erlassenen Rechtsakte der Europäischen Union kommt es im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB nicht an (vgl. Senat, Urteile vom 26. Januar 2021 - VI ZR 405/19, ZIP 2020, 368 Rn. 24 mwN; vom 18. Mai 2021 - VI ZR 452/19, juris Rn. 11).

III.

10

1. Die Auffassung der Revisionserwiderung, die Entscheidung des Berufungsgerichts stelle sich als richtig dar (§ 561 ZPO), weil dem Kläger aufgrund des zur Finanzierung mit der Volkswagen Bank abgeschlossenen Darlehensvertrags ein "verbrieftes Rückgaberecht" zugestanden habe, er das Fahrzeug an den Händler habe zurückgeben können und daher kein Risiko getragen habe, trifft schon deshalb nicht zu, weil das Berufungsgericht insoweit keine Feststellungen getroffen hat.

11

2. Daher ist die angegriffene Entscheidung aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO) und daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es wird Gelegenheit haben, sich mit dem weiteren Vorbringen der Parteien im Revisionsverfahren zu befassen.

Seiters

von Pentz

Offenloch

Allgayer

Linder

Von Rechts wegen

Verkündet am: 27. Juli 2021

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