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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 01.04.2020, Az.: 1 StR 5/20
Zugehörigkeit des zerkleinerten Rauchtabaks zu den steuerbaren Tabakwaren bzgl. Verwendung und Weiterverkauf von sog. "Hand-Strips" in "Shisha-Bars" als Wasserpfeifentabak; Beweiswürdigung zum Vorsatz der Steuerhinterziehung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 01.04.2020
Referenz: JurionRS 2020, 35408
Aktenzeichen: 1 StR 5/20
ECLI: ECLI:DE:BGH:2020:010420B1STR5.20.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Würzburg - 27.09.2019 - AZ: 420 Js 281/18 5 KLs

Fundstellen:

AO-StB 2021, 294

NStZ 2021, 301

StRR 2020, 24-26

ZWH 2021, 101

ZWH 2021, 103

Verfahrensgegenstand:

Steuerhinterziehung

BGH, 01.04.2020 - 1 StR 5/20

Redaktioneller Leitsatz:

Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG gehört zu den steuerbaren Tabakwaren auch Rauchtabak, der geschnitten oder anders zerkleinert ist und sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet. Für die Annahme steuerbaren Rauchtabaks ist entscheidend, ob der nach Hitzeeinwirkung entstehende Rauch durch Einziehen in den Mundraum bzw. Inhalation genossen werden kann, so dass nicht die Qualität des Tabaks oder seine lebensmittelrechtliche Zulassung, sondern allein seine Rauchbarkeit für die Steuerbarkeit maßgeblich ist.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1. April 2020 gemäß § 349 Abs. 4 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 27. September 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

  2. 2.

    Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen zu je 15 € verurteilt und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 53.152 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte im Zeitraum vom 22. März 2018 bis zum 7. Mai 2018 in sieben Fällen sogenannte "Hand-Strips" oder "Strips" aus Italien oder Polen, um diese Tabak enthaltenden Produkte mit Gewinn weiter zu verkaufen. Insbesondere konnten diese Tabakprodukte in "Shisha-Bars" als Wasserpfeifentabak verwendet werden, und zwar, indem die Strips in den Tonkopf der Wasserpfeifen gegeben wurden. Bei den Hand-Strips wurden die Mittelrippen der getrockneten Tabakblätter entfernt, bei den Strips die getrockneten Tabakblätter geschnitten und in Tabakstreifen zerlegt. Um die Tabakblätter feucht zu halten, müssen sie mit Glycerin vermischt werden. In den Shisha-Bars wurden derart zerkleinerten Tabakblättern Trockenfrüchte oder ätherische Öle als Geschmacksträger beigefügt.

3

Am 20. März 2018 schrieb der Angeklagte, der Glycerin erworben hatte, um den Tabak feucht zu halten (UA S. 15 dritter Absatz), per E-Mail der Zollverwaltung, ihm sei unklar, welcher Tabak als Rauchtabak im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 6. April 2017 – C-638/15 – gemeint sei.

II.

4

1. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Weder das Bestehen einer tabaksteuerlichen Erklärungspflicht noch der Tatvorsatz des Angeklagten sind tragfähig begründet.

5

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bleibt offen, ob den Angeklagten eine tabaksteuerliche Erklärungspflicht traf.

6

aa) Nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 TabStG gehört zu den steuerbaren Tabakwaren auch Rauchtabak, der geschnitten oder anders zerkleinert ist und sich ohne weitere industrielle Bearbeitung zum Rauchen eignet.

7

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 StR 19/16 Rn. 5 und 7 und dazu Ebner, jurisPR-Steuer R 26/2019 Anm. 4 unter C. IV. 2.) ist für die Annahme steuerbaren Rauchtabaks entscheidend, ob der nach Hitzeeinwirkung entstehende Rauch durch Einziehen in den Mundraum bzw. Inhalation genossen werden kann; nicht die Qualität des Tabaks oder seine lebensmittelrechtliche Zulassung, sondern seine Rauchbarkeit ist für die Steuerbarkeit maßgeblich (vgl. auch FG Hamburg, Urteil vom 7. Oktober 2008 – 4 K 124/08 Rn. 20 ff.; Nichtannahmebeschluss des Bundesfinanzhofs vom 30. April 2009 – VII B 243/08).

8

bb) Der hier erworbene und weiter veräußerte Tabak sollte nicht gegärt werden (Fermentation; vgl. auch FG München, Beschluss vom 20. Januar 2020 – 14 V 1567/19 S. 9 – nicht veröffentlicht). Indes wird in der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 6. April 2017 entsprechend der Vorlagefrage durch das Oberste Verwaltungsgericht der Tschechischen Republik als Voraussetzung für die Steuerbarkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c ii und Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/64/EU des Rates vom 21. Juli 2011 über die Struktur und die Sätze der Verbrauchsteuern auf Tabakwaren (ABl. 2011, L 176, S. 24) genannt, dass die Tabakblätter einen ersten Trocknungsprozess durchlaufen haben und anschließend kontrolliert feucht gehalten wurden.

9

cc) Das Landgericht hat bereits nicht ausgeschlossen, dass es sich bei der "Restfeuchtigkeit von ca. 20 %" um restliche natürliche Feuchtigkeit der Tabakblätter handelte. Nicht festgestellt ist, wie hoch der Anteil an Feuchthaltemitteln in den vom Hauptzollamt Bielefeld aufgrund dreier Testkäufe erworbenen Strips war (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 StR 19/16 Rn. 7). Deshalb kann – auch eingedenk einer möglichen anderen Konsumweise von "Shisha-Tabak" – nicht abschließend beurteilt werden, ob die bearbeiteten Tabakblätter kontrolliert feucht gehalten wurden und es sich deshalb um "Rauchtabak" im Sinne dieser Bestimmungen handelte (EuGH, Urteil vom 6. April 2017 – C-638/15 Rn. 35).

10

b) Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite des Angeklagten ist lückenhaft.

11

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zum Vorsatz der Steuerhinterziehung, dass der Täter den Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach kennt oder zumindest für möglich hält und ihn auch verkürzen will bzw. dessen Verkürzung billigend in Kauf nimmt; bedingter Vorsatz genügt. Nimmt der Steuerpflichtige irrtümlich an, dass ein Steueranspruch nicht entstanden ist, liegt nach dieser Rechtsprechung ein Tatumstandsirrtum vor, der den Vorsatz ausschließt (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB; BGH, Urteile vom 24. Juli 2018 – 1 StR 331/17 Rn. 14; vom 10. Januar 2019 – 1 StR 347/18 Rn. 20 ff., BGHR AO § 370 Abs. 1 Vorsatz 8; vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11 Rn. 21 ff., BGHR StGB § 16 Abs. 1 Umstand 5 und vom 10. Juli 2019 – 1 StR 265/18 Rn. 30).

12

bb) An dieser Vorgabe gemessen ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Denn es fehlt an der Wiedergabe der Antwort des Zollamts auf die Anfrage des Angeklagten vom 20. März 2018. So ist nicht auszuschließen, dass der Angeklagte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 6. April 2017 missverstand und deswegen den Anspruch des Staates auf Erhebung der Tabaksteuer verkannte.

13

2. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Sollte das Landgericht nach Aufklärung des Zustands der "Strips" zur Überzeugung gelangen, dass er bereits vor Erwerb durch den Angeklagten steuerbar war und der Angeklagte mit zumindest bedingtem Vorsatz handelte, so ist statt Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 AO, § 23 TabakStG) der Tatbestand der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei (§ 374 Abs. 1 Variante 2, Abs. 2 AO) einschlägig (BGH, Urteil vom 11. Juli 2019 – 1 StR 634/18 Rn. 23, BGHSt 64, 152, 159; Beschlüsse vom 9. Juni 2011 – 1 StR 21/11 Rn. 4 f.; vom 28. Juni 2011 – 1 StR 37/11 Rn. 4 f. und vom 23. Mai 2019 – 1 StR 127/19 Rn. 4 f.).

Raum

Bellay

Fischer

Bär

Leplow

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