Bundesgerichtshof
Beschl. v. 26.03.2019, Az.: VI ZR 163/17
Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen des Vorliegens von Gesundheitsschäden aufgrund einer Exposition mit einem gesundheitsschädlichen Stoff (hier: Beryllium); Prüfung des Vorliegens eines Gehörsverstoßes wegen überspannter Anforderungen an die hinreichende Substantiierung des Klägervortrags
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 26.03.2019
- Aktenzeichen
- VI ZR 163/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 11198
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:BGH:2019:260319BVIZR163.17.0
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Offenburg - 15.01.2016 - AZ: 3 O 8/15
- OLG Karlsruhe in Freiburg - 17.03.2017 - AZ: 14 U 28/16
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- FA 2019, 221
- IBR 2019, 529
- MDR 2019, 825-826
- NJ 2019, 346-347
- VersR 2019, 835
Amtlicher Leitsatz
Zum Vorliegen eines Gehörsverstoßes wegen überspannter Anforderungen an die hinreichende Substantiierung des Klägervortrags und deshalb unterbliebener Vernehmung des Beklagten als Partei.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. März 2019 durch den Richter Wellner als Vorsitzenden, den Richter Offenloch, die Richterinnen Dr. Oehler und Müller und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Tenor:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. März 2017 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 100.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen Gesundheitsschäden aufgrund einer Exposition mit einem gesundheitsschädlichen Stoff (Beryllium) in Anspruch.
Der Kläger ist beim kommunalen Bauhof in O. beschäftigt, in dessen räumlicher Nähe sich das Werk der Beklagten befindet. Die Beklagte fertigt dort Maschinen zur Holzbearbeitung, insbesondere zum Einsatz in Sägewerken. Seit 2011 leidet der Kläger unter andauernden Atemwegbeschwerden, die sich u.a. durch rezidivierende Hustenanfälle, Druckgefühl im Hals und weißlichen Auswurf äußern. Es wurde eine Berylliose festgestellt, eine Erkrankung, die auf eine Exposition mit Beryllium, einem u.a. in der metallverarbeitenden Industrie eingesetzten, seltenen Stoff zurückzuführen ist.
Der Kläger macht die Beklagte für eine von ihm als krankheitsursächlich eingeschätzte Berylliumexposition verantwortlich. Er stützt seine Klage auf mehrere Indizien. Nach seinem Vortrag verwende die Beklagte in ihrem Produktionsprozess berylliumhaltige Materialien oder Werkstoffe. In den Jahren 2010 und 2011 sei es wiederholt zu massiven Staubemissionen aus dem Betrieb der Beklagten gekommen, weil die Filteranlage der Beklagten längere Zeit defekt gewesen sei. Seine Arbeitsstätte habe im Immissionsgebiet gelegen und neben ihm selbst seien vier weitere Mitarbeiter des Bauhofs an einer Berylliumsensibilisierung erkrankt. Bis ins Jahr 2011 habe er keine Krankheitssymptome gezeigt. Der Kläger hat beantragt, zu seinen Ausführungen Beweis zu erheben durch Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten, Vernehmung von Zeugen, durch Sachverständigengutachten sowie durch eine Anordnung nach § 142 ZPO, wonach der Beklagten aufgegeben werden soll, ihre Materialeinkaufslisten vorzulegen.
Das Landgericht hat die Klage ohne Beweiserhebung abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
1. Zur Begründung führt das Berufungsgericht aus, der Kläger habe keinen schlüssigen Sachverhalt vorgetragen, dessen Vorliegen man mittels der angebotenen Beweismittel klären könne. Die Beweise seien nicht zu erheben, weil eine solche Beweiserhebung mangels konkreten Vortrags eine Ausforschung darstelle.
Obwohl der Kläger als Außenstehender die Betriebsabläufe der Beklagten nicht kennen und deshalb dazu aus eigener Kenntnis nicht vortragen könne, bleibe er verpflichtet, konkrete Tatsachen vorzutragen und hierfür Beweis anzubieten. Dies gelte insbesondere, weil die Beklagte im Laufe des Rechtsstreits ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen sei, wonach sie für die Fertigung ihrer Sägewerksanlagen handelsübliche Stähle kaufe und verwende, keine Galvanisierungsanlage habe, keine Metallveredelung durchführe, sich nicht mit Gießen, Sintern, Galvanisieren und Nitrieren befasse, die Endlackierung der Anlagen mittels handelsüblicher Grundierung und Endlacke durchführe, die kein Beryllium enthielten, geschweige denn freisetzten, nicht Kupfer oder Nickel legiere, keine Punktschweißverfahren anwende sowie elektronische Bauelemente und Geräte durch Fachfirmen entsorge. Damit sei die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen, ohne dass es dem Kläger gelungen sei, nähere Behauptungen aufzustellen. Ohne diese Präzisierung stelle die Vernehmung des vom Kläger benannten Zeugen F. oder die Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten eine unzulässige Ausforschung dar.
Der Kläger habe auch nur eine unzureichende Indizienkette vorgebracht, die nicht ausreichend auf die Beklagte als Verursacherin schließen lasse. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehle es an den nötigen Anknüpfungstatsachen. Ein Sachverständiger habe die Aufgabe, das Gericht bei der Auswertung vorgegebener Tatsachen zu unterstützen, nicht hingegen, erst nach Anknüpfungstatsachen zu suchen.
Die Vorlage der Materialeinkaufslisten könne das Gericht nicht anordnen, weil § 142 Abs. 1 i.V.m. § 422 ZPO voraussetze, dass der Beweisführer nach bürgerlichem Recht einen Anspruch auf die Herausgabe oder Vorlage der fraglichen Urkunde habe. Einen solchen Anspruch habe der Kläger nicht. Ebenso wenig ergebe er sich aus dem Umwelthaftungsgesetz, denn dieses sei nicht anwendbar.
2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, eine Beweisaufnahme sei nicht erforderlich, beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
a) Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (Senatsbeschluss vom 14. März 2017 - VI ZR 225/16, VersR 2017, 966 Rn. 7; BGH, Urteil vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn. 14 mwN). Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (Senatsbeschluss vom 25. September 2018 - VI ZR 234/17, MDR 2019, 119, juris Rn. 8 mwN und zust. Anm. Schwenker in MDR 2019, 212 [BGH 25.09.2018 - VI ZR 234/17]; BGH, Beschluss vom 21. Mai 2007 - II ZR 266/04, WM 2007, 1569 Rn. 8; BGH, Urteil vom 29. Februar 2012 - VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 [BGH 29.02.2012 - VIII ZR 155/11] Rn. 16; BVerfG, WM 2012, 492 [BVerfG 24.01.2012 - 1 BvR 1819/10][BVerfG 24.01.2012 - 1 BvR 1819/10], juris Rn. 16; jeweils mwN).
b) Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht beanstandet, hat das Berufungsgericht hiergegen verstoßen, indem es den Sachvortrag des Klägers als nicht hinreichend konkret angesehen und deshalb eine Beweisaufnahme abgelehnt hat. Jedenfalls dem Antrag auf Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten wäre nachzukommen gewesen.
aa) Entgegen der Einschätzung des Berufungsgerichts ist der Vortrag des Klägers nicht schon wegen nicht hinreichender Substantiierung unschlüssig. Der Kläger hat vielmehr nach den oben angeführten Maßstäben eine im Fall ihrer Erweislichkeit die Tatbestandsmerkmale des § 823 Abs. 1 BGB erfüllende Indizienkette vorgetragen. Dabei durfte er sich auch auf nur vermutete Tatsachen stützen, denn er kann mangels Sachkunde und Einblick in die Produktionsabläufe der Beklagten keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben, weswegen er diese als Vermutungen in den Rechtsstreit einführen können muss (vgl. Senatsurteil vom 10. Januar 1995 - VI ZR 31/94, VersR 1995, 433, juris Rn. 15 ff.). Ein Vortrag "ins Blaue hinein" oder "aufs Geratewohl" auf der Basis von Vermutungen liegt angesichts der vom Kläger angeführten Anhaltspunkte, insbesondere der Erkrankung seiner Person sowie weiterer Kollegen und der Nähe deren Beschäftigungsortes zum Werk der Beklagten, nicht vor (vgl. Senatsurteile vom 17. Juni 1997 - VI ZR 372/95, NJW 1997, 2748, 2749 und vom 25. April 1995 - VI ZR 178/94, VersR 1995, 852, juris Rn. 13; BGH, Urteile vom 4. März 1991 - II ZR 90/90, MDR 1991, 688, juris Rn. 18; vom 19. September 1985 - IX ZR 138/84, VersR 1986, 160, juris Rn. 27 und vom 23. Oktober 1986 - VII ZR 195/85, NJW-RR 1987, 335, juris Rn. 9 sowie Zöller/Greger, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rn. 8 d). Soweit das Berufungsgericht aufgrund des Klägervortrags eine Verpflichtung der Beklagten angenommen hat, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast näher zu ihren Produktionsabläufen vorzutragen, geht es in einem ersten Schritt zu Recht von der Schlüssigkeit des Klägervortrags aus. Das Berufungsgericht durfte aber nach dem daraufhin erfolgten, bestreitenden Vortrag der Beklagten den Eintritt in die Beweisaufnahme nicht von einer weiteren Präzisierung des Klägervortrags abhängig machen. Ob der bestreitende Vortrag der Beklagten insoweit - wie das Berufungsgericht meint - den Anforderungen der sekundären Darlegungslast genügt, kann dabei offenbleiben, denn das Berufungsgericht hat mit seiner Forderung nach präziserem Vortrag die Anforderungen an die Substantiierung des klägerischen Vorbringens überspannt.
bb) Ein hinreichendes Bestreiten der Beklagten vorausgesetzt, hätte das Berufungsgericht jedenfalls die vom Kläger beantragte Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei durchführen müssen. In dieser Parteivernehmung liegt keine unzulässige Ausforschung. Vielmehr ist dem Kläger Gelegenheit zu geben, für seine Behauptung, im Betrieb der Beklagten werde Beryllium verwendet, den Wahrheitsbeweis zu führen. Die Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei nach § 445 ZPO ist dabei kein von vornherein ungeeignetes Beweismittel.
III.
Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat darauf hin, dass das Berufungsgericht den Antrag des Klägers auf Vorlage der Einkaufslisten nach § 142 ZPO nicht mit der gegebenen Begründung hätte ablehnen dürfen. Anders als das Berufungsgericht meint, ist für eine Vorlageanordnung kein materiell-rechtlicher Auskunfts- oder Herausgabeanspruch Voraussetzung (BGH, Urteil vom 26. Juni 2007 - XI ZR 277/05, BGHZ 173, 23 Rn. 20; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 142 Rn. 2). Die Vorlagepflicht des Gegners nach § 422 ZPO steht neben der Befugnis des Gerichts, eine Vorlage anzuordnen (BT-Drucks. 14/4722 S. 78; Zöller/Geimer, aaO, § 422 Rn. 2). Den erforderlichen schlüssigen Vortrag zur Relevanz (vgl. Zöller/Greger, aaO, § 142 Rn. 7) der Einkaufslisten hat der Kläger gehalten, denn aus diesen kann ersehen werden, ob die Beklagte berylliumhaltige Materialien eingekauft hat. Das Berufungsgericht war also verpflichtet, darzustellen, aufgrund welcher Ermessenserwägungen es von einer Vorlageanordnung abgesehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2007 - XI ZR 277/05, BGHZ 173, 23 juris Rn. 16 ff.).
Zur Einholung eines Sachverständigengutachtens entsprechend dem klägerischen Antrag war das Berufungsgericht nach der bisherigen Prozesslage nicht verpflichtet, denn hierfür fehlt es bislang an hinreichenden Anknüpfungstatsachen, so dass sich das beantragte Sachverständigengutachten derzeit nicht als geeignetes Beweismittel darstellt (Stein/Jonas/Ch. Berger, ZPO, 23. Aufl. 2015, § 403 Rn. 3). Nach der durchzuführenden Parteivernehmung des Geschäftsführers könnte sich dies - abhängig von den dort erzielten Ergebnissen - aber anders darstellen.