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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.11.2012, Az.: IX ZB 62/12
Gewährung von Prozesskostenhilfe zugunsten des Insolvenzverwalters für die Verfolgung einer Forderung des Schuldners bei Vorliegen von Massekostenarmut
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.11.2012
Referenz: JurionRS 2012, 28536
Aktenzeichen: IX ZB 62/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Landshut - 07.02.2012 - AZ: 51 O 3108/11

OLG München - 08.05.2012 - AZ: 5 W 441/12

Fundstellen:

EWiR 2013, 597

InsbürO 2013, 199

JurBüro 2013, 206-208

JZ 2013, 99

MDR 2013, 177

NJW 2013, 8

NJW-RR 2013, 422-424

NZI 2012, 7

NZI 2013, 79-80

WM 2013, 54-55

ZInsO 2013, 249-250

ZIP 2012, 2526-2528

ZIP 2012, 5

ZVI 2013, 32-33

BGH, 22.11.2012 - IX ZB 62/12

Amtlicher Leitsatz:

ZPO § 114 Satz 1, § 116 Satz 1 Nr. 1; InsO § 207

Massekostenarmut steht der Gewährung von Prozesskostenhilfe zugunsten des Insolvenzverwalters für die Verfolgung einer Forderung des Schuldners dann nicht entgegen, wenn sie im Falle der Beitreibung des Klagebetrages abgewendet würde.

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter Raebel, Prof. Dr. Gehrlein, Grupp und die Richterin Möhring

am 22. November 2012 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. Mai 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller, Verwalter in dem über das Vermögen des R. eröffneten Insolvenzverfahren, beabsichtigt, den Antragsgegner in seiner Eigenschaft als Verwalter in dem über das Vermögen des D. H. eröffneten Insolvenzverfahren klageweise gemäß §§ 60, 61 InsO auf Schadensersatz in Höhe von 29.577,05 ? in Anspruch zu nehmen. Gegenstand der Forderung bildet der Vorwurf, R. habe durch die Ausführung von Montageleistungen gegen H. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über dessen Vermögen wertlose Forderungen erworben, weil der Antragsgegner diesem die Fortführung seines Betriebes gestattet habe.

2

Der Antragsteller beantragt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil er bei einer Masse von 7.502,47 ? und einer daraus an ihn zu entrichtenden Verwaltervergütung von 7.736,13 ? außerstande sei, die Verfahrenskosten aufzubringen. Die Vorinstanzen haben den Antrag abgelehnt. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

II.

3

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dem Antragsteller könne Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil sich nach Verfahrenseröffnung ergeben habe, dass nicht nur Masseunzulänglichkeit, sondern Massekostenarmut vorliege. Auf der Grundlage der tatsächlichen Angaben des Antragstellers seien die Voraussetzungen des § 207 Abs. 1 InsO erfüllt, weil die Insolvenzmasse nicht die Verfahrenskosten abdecke. Dabei sei ohne Bedeutung, dass im Falle einer erfolgreichen Prozessführung die Massekostenarmut entfalle.

5

2. Diese Beurteilung hält im entscheidenden Punkt rechtlicher Prüfung nicht stand. Dem Insolvenzverwalter kann Prozesskostenhilfe zwecks Einziehung einer Forderung des Schuldners gegen einen Dritten nicht gemäß § 114 Satz 1 ZPO unter dem Gesichtspunkt einer mutwilligen Rechtsverfolgung versagt werden, wenn eine bestehende Massekostenarmut bei Stattgabe der beabsichtigten Klage beseitigt werden kann.

6

a) Die Klage eines Insolvenzverwalters ist nicht schon dann mutwillig im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO, wenn er Masseunzulänglichkeit angezeigt hat (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2009 - IX ZB 221/08, WM 2009, 1673 Rn. 5 [BGH 16.07.2009 - IX ZB 221/08]). Anders ist die Lage, wenn sich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens herausstellt, dass die Insolvenzmasse nicht einmal mehr ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken (BGH, aaO Rn. 6).

7

aa) In einem solchen Fall stellt das Insolvenzgericht das Verfahren ein, wenn nicht ein ausreichender Geldbetrag vorgeschossen wird oder die Kosten nach § 4a InsO gestundet werden (§ 207 Abs. 1 InsO). Der Verwalter hat nach Wegfall der Verpflichtung zur Verwertung von Massegegenständen (§ 207 Abs. 3 Satz 2 InsO) nur noch die vorhandene liquide Masse zu verteilen (BGH aaO). Prozesskostenhilfe für ein Klage- oder Rechtsmittelverfahren des Verwalters kommt bei dieser Sachlage nicht in Betracht. Fordert das Gesetz die alsbaldige Einstellung des Insolvenzverfahrens (§ 207 Abs. 1 InsO), kann nicht ein Anspruch auf Finanzierung eines erst noch durchzuführenden Rechtsstreits bestehen (BGH, aaO Rn. 8). Danach scheidet hier die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich aus, weil mit Rücksicht auf die vorhandene Masse von 7.502,47 ? und die Vergütungsansprüche des Klägers von 7.736,13 ? Massearmut eingetreten ist.

8

bb) Für diese an die Masselosigkeit anknüpfende Beurteilung ist es entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ohne Bedeutung, ob der Verwalter -wie in der durch Beschluss vom 16. Juli 2009 (aaO) entschiedenen Sache -einen Anspruch aus Insolvenzanfechtung oder aus einem anderen Rechtsgrund zu verfolgen sucht. Scheidet bei Massekostenarmut die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen mit der Verfahrensaufhebung erlöschenden Anfechtungsanspruch aus, hat dies erst recht zu gelten, wenn der Anspruch nach Verfahrenseinstellung weiter geltend gemacht werden kann. In dieser Weise verhält es sich im Streitfall, weil die beabsichtigte Klage einen Einzelschaden des Schuldners zum Gegenstand hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 - IX ZB 172/07, WM 2008, 1691 Rn. 13), den dieser nach Verfahrenseinstellung selbständig verfolgen kann. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu befürchten, dass die Durchsetzung einer begründeten Forderung durch die Versagung von Prozesskostenhilfe vereitelt wird.

9

b) Entgegen der Würdigung des Beschwerdegerichts kommt zugunsten des Antragstellers trotz der eingetretenen Massekostenarmut ausnahmsweise die Gewährung von Prozesskostenhilfe in Betracht, weil im Falle der Durchsetzung der mit der beabsichtigten Klage verfolgten Forderung in Höhe von 29.755,05 ? die gegebene Massekostenarmut beseitigt würde. Bei dieser Sachlage kann die beabsichtigte Klage nicht als mutwillig eingestuft werden.

10

aa) Wie sich bereits aus dem angeführten Senatsbeschluss vom 16. Juli 2009 ergibt, ist Prozesskostenhilfe in Fällen der Massekostenarmut nur zu versagen, wenn auch die Durchsetzung des mit der beabsichtigten Klage verfolgten Anspruchs nicht dazu geeignet wäre, die eingetretene Massekostenarmut zu beheben (aaO, Rn. 4, 10). Daraus folgt im Gegenschluss, dass Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, sofern die Massekostenarmut infolge der Durchführung des Rechtsstreits, für den Prozesskostenhilfe beantragt wird, beseitigt werden kann (OLG Celle NZI 2010, 688 f; OLG Hamm ZInsO 2011, 1947; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 5. Aufl., § 80 Rn. 50; FK-InsO/Kießner, 6. Aufl., § 207 Rn. 37; HK-InsO/Kayser, 6. Aufl., § 80 Rn. 50; HK-InsO/Landfermann, aaO § 207 Rn. 16; Jaeger/Windel, InsO, § 207 Rn. 103; Graf-Schlicker/Riedel, InsO, 3. Aufl., § 207 Rn. 4; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 80 Rn. 117; Musielak/ Fischer, ZPO, 9. Aufl., § 116 Rn. 5; Jacoby, EWiR 2010, 473; aA OLG Celle ZIP 2010, 1464). Diese rechtliche Würdigung ermöglicht, dass ein Insolvenzverfahren mangels einer Einstellungspflicht fortgesetzt werden kann, wenn die Aktiva der Masse vornehmlich durchsetzbare Forderungen gegen Dritte wie Gesellschafter, Geschäftsführer und Anfechtungsgegner bilden. Müsste ein Insolvenzverfahren wegen Massekostenarmut trotz durchsetzbarer Forderungen eingestellt werden, wäre Drittschuldnern zu raten, selbst als berechtigt erkannten Forderungen in der Hoffnung auf eine Verfahrenseinstellung entgegenzutreten (vgl. Jacoby, aaO). Diese unerwünschte Folge wäre mit der Ordnungsfunktion des Insolvenzverfahrens unvereinbar. Der Aktivmasse sind darum im Rahmen der Kostendeckungsprüfung nach § 207 Abs. 1 InsO auch bestrittene Ansprüche zuzurechnen, wenn für ihre erfolgreiche gerichtliche Geltendmachung eine im Sinne von § 114 ZPO hinreichende Erfolgsaussicht besteht (Münch-Komm-InsO/Hefermehl, 2. Aufl. § 207 Rn. 22; Hinderer in Cranshaw/Paulus/ Michel, Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 207 Rn. 5; in diesem Sinne Henning in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2012, § 207 Rn. 7; BK-InsO/Gruber, 2007, § 207 Rn. 10; Uhlenbruck/Ries, aaO, § 207 Rn. 2).

11

bb) Zudem sichert diese Bewertung unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenskostendeckung einen Gleichlauf der Voraussetzungen für die Versagung der Eröffnung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO) und die Einstellung eines Insolvenzverfahrens (§ 207 Abs. 1 Satz 1 InsO).

12

Im Rahmen des § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO ist gemäß § 35 Abs. 1 InsO ein erst nach Verfahrenseröffnung realisierbarer Neuerwerb (HK-InsO/Kirchhof, aaO, § 26 Rn. 5) einschließlich möglicher anfechtungs- und haftungsrechtlicher Ansprüche (vgl. MünchKomm-InsO/Haarmeyer, aaO, § 26 Rn. 20) zu berücksichtigen. Folgerichtig sind auch Forderungen als Vermögenswert einzustellen, die nur im Prozessweg und auf der Grundlage der Gewährung von Prozesskostenhilfe (Jaeger/Schilken, aaO, § 26 Rn. 14) durchsetzbar sind (HK-InsO/Kirchhof, aaO, § 26 Rn. 7; Uhlenbruck, aaO, § 26 Rn. 14). Danach ist ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, wenn die Verfahrenskosten erst im Laufe des Verfahrens durch den Einzug der dem Schuldner zustehenden Forderungen bestritten werden können (Jaeger/Schilken, aaO, § 26 Rn. 29). Ebenso verhält es sich im Rahmen von § 207 Abs. 1 Satz 1 InsO. Eine Einstellung wegen Massekostenarmut scheidet aus, wenn ein Neuerwerb (§ 35 Abs. 1 InsO) auf der Grundlage realisierbarer Forderungen absehbar ist (HK-InsO/Landfermann, aaO, § 207 Rn. 16; HmbKomm-InsO/Weitzmann, aaO, § 207 Rn. 8). Vor diesem Hintergrund steht eine Massekostenarmut der Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen, wenn sie durch die beabsichtigte Klage abgewendet werden kann.

13

cc) Bei der Beurteilung, ob durch die beabsichtigte Klage die Massenkostenarmut beseitigt werden kann, ist neben den ohnehin im Rahmen des § 114 ZPO zu prüfenden Erfolgsaussichten außerdem zu erwägen, ob eine stattgebende Entscheidung gegen den Beklagten wirtschaftlich durchgesetzt werden kann (vgl. OLG Celle ZVI 2012, 119, 120; Henning, aaO; Braun/Kießner, InsO, 5. Aufl., § 207 Rn. 6; Uhlenbruck, aaO). Falls die Leistungsfähigkeit des Beklagten mit Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und die Höhe der Klageforderung nicht außer Zweifel steht, wird nach Maßgabe der voraussichtlichen Beitreibbarkeit ein prozentualer Abschlag vorzunehmen sein. Diese Bewertung obliegt zuvörderst dem Tatrichter. Im Streitfall erscheint ein solcher Abschlag mit Rücksicht auf die Höhe der Forderung und die Stellung des Beklagten als Rechtsanwalt nicht naheliegend.

14

c) Ohne Erfolg beruft sich die Beschwerde darauf, im Streitfall seien zudem die Stundungsvoraussetzungen nach § 4a InsO gegeben. Über einen entsprechenden Antrag ist bislang nicht entschieden worden. Das Rechtsbeschwerdegericht kann eine solche Kostenstundung nicht gewähren.

15

d) Die Sache ist mangels Endentscheidungsreife gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Dies gibt dem Beschwerdegericht die Gelegenheit, die übrigen Voraussetzungen (§§ 114, 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO) für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu prüfen.

Kayser

Raebel

Gehrlein

Grupp

Möhring

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