Bundesgerichtshof
Urt. v. 22.07.2004, Az.: III ZR 355/03
Pflicht zur Unterrichtung des Patienten vor Abschluß einer Wahlleistungsvereinbarung; Unwirksamkeit einer Wahlleistungsvereinbarung ohne hinreichende vorherige Unterrichtung des Patienten; Inhaltliche Anforderungen an die Unterrichtung des Patienten über die mit einer Wahlleistungsvereinbarung verbundenen Leistungen und Kosten; Unzulänglichkeit einer Unterrichtung, die die Beschaffung der notwendigen Informationen der Eigeninitiative des Patienten überläßt
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 22.07.2004
- Aktenzeichen
- III ZR 355/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 16099
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Berlin vom 30.10.2003
- AG Neukölln
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- ArztR 2005, 127-129 (Volltext)
- BGHR 2004, 1465-1466
- BGHReport 2004, 1465-1466
- DB 2004, VIII Heft 33 (amtl. Leitsatz)
- EBE/BGH 2004, 266-267
- FStBay 2005, 193-196
- GesR 2004, 427-428
- JWO-VerbrR 2004, 269
- MDR 2004, 1229 (Volltext mit amtl. LS)
- MedR 2004, 678-679 (Kurzinformation)
- NJW-RR 2004, 1428-1429 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 2005, 120-121 (Volltext mit amtl. LS)
- ZMGR 2004, 200-202
Amtlicher Leitsatz
Zur Pflicht des Krankenhauses, den Patienten vor Abschluß einer Wahlleistungsvereinbarung über die Entgelte und den Inhalt der wahlärztlichen Leistungen zu unterrichten (Fortführung der Senatsurteile vom 27. November 2003 - III ZR 37/03, für BGHZ 157, 87 vorgesehen = NJW 2004, 684 und vom 8. Januar 2004 - III ZR 375/02 = NJW 2004, 686).
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Nach § 22 Abs. 2 S. 1 der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) sind Wahlleistungen vor der Erbringung schriftlich zu vereinbaren; der Patient ist vor Abschluß der Vereinbarung über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt im einzelnen zu unterrichten. Eine Wahlleistungsvereinbarung, die ohne hinreichende vorherige Unterrichtung des Patienten abgeschlossen worden ist, ist unwirksam.
- 2.
Für eine ordnungsgemäße Unterrichtung reicht es einerseits nicht aus, wenn der Patient lediglich darauf hingewiesen wird, daß die Abrechnung des selbstliquidierenden Chefarztes nach der Gebührenordnung für Ärzte erfolge; andererseits ist es nicht erforderlich, daß dem Patienten unter Hinweis auf die mutmaßlich in Ansatz zu bringenden Nummern des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte detailliert und auf den Einzelfall abgestellt die Höhe der voraussichtlich entstehenden Arztkosten - in Form eines im wesentlichen zutreffenden Kostenanschlages - mitgeteilt wird.
- 3.
Es ist zweckmäßig, die Unterrichtung des Patienten schriftlich niederzulegen; zwingendes Wirksamkeitserfordernis ist dies indessen nicht.
- 4.
Eine Unterrichtung des Inhalts, daß auf die Möglichkeit verwiesen wird, die GOÄ einzusehen und sich erläutern zu lassen, daß auf die Auslage der GOÄ hingewiesen wird und eine fachkundige Aufklärung über Leistungen und Kosten auf Nachfrage erfolge, ist schon deshalb unzulänglich, weil sie die Beschaffung der notwendigen Informationen letztlich der Eigeninitiative des Patienten überläßt, indem diesem lediglich das Angebot unterbreitet wird, ihn "auf Nachfrage" fachkundig über Leistungen und Kosten aufzuklären.
In dem Rechtsstreit
hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juli 2004
durch
den Vorsitzenden Richter Schlick und
die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Galke
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Streithelferin des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 6 des Landgerichts Berlin (Charlottenburg) vom 30. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Die Streithelferin hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.
Tatbestand
Der Kläger ist Chefarzt der Hals-, Nasen- und Ohren-Abteilung einer Klinik in Berlin, deren Träger die Streithelferin ist. Der Beklagte befand sich dort wegen einer Trommelfellperforation vom 18. Juli bis zum 2. August 2002 in stationärer Behandlung und wurde vom Kläger zweimal operiert. In der vom Beklagten und vom aufnehmenden Krankenhausmitarbeiter unterzeichneten schriftlichen Wahlleistungsvereinbarung vom 18. Juli 2002 ist außer dem Kästchen "Unterbringung in einem 1-Bett-Zimmer" das weitere Kästchen "Gesondert berechenbare ärztliche Leistungen (Wahlarztleistungen)" angekreuzt. Im weiteren Text des Schriftstücks heißt es, soweit hier von Interesse, wie folgt:
"Die Wahlleistungen werden gesondert berechnet.
Die Vereinbarung über gesondert berechenbare Leistungen (Wahlarztleistungen) erstreckt sich auf alle an der Behandlung des Patienten beteiligten Ärzte des Krankenhauses, soweit diese zur gesonderten Berechnung ihrer Leistungen berechtigt sind, einschließlich der von diesen Ärzten veranlaßten Leistungen von Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen außerhalb des Krankenhauses.
Die gesondert berechenbaren ärztlichen Leistungen werden von den in der Anlage zum Pflegekostentarif aufgeführten liquidationsberechtigten Ärzten persönlich oder unter der Aufsicht des leitenden Arztes nach fachlicher Leistung von einem nachgeordneten Arzt in der Abteilung erbracht; im Verhinderungsfalle übernimmt die Aufgaben des leitenden Arztes sein ständiger Vertreter.
Die Berechnung der wahlärztlichen Leistungen erfolgt nach der Gebührenordnung für Ärzte/Zahnärzte (GOÄ/GOZ) in der jeweils gültigen Fassung. Die liquidationsberechtigten Ärzte können zum Zwecke der Rechnungserstellung und -bearbeitung eine privatärztliche Verrechnungsstelle beauftragen oder die Abrechnung dem Krankenhaus überlassen.
Erhöht oder vermindert sich während des Behandlungszeitraums der Pflegekostentarif und hat dies Auswirkungen auf die vereinbarten Wahlleistungsentgelte, so gelten die sich daraus ergebenden Entgelte von dem Zeitpunkt an als vereinbart, in dem sie in Kraft treten (§ 21 BPflV) ..."
Die auf Zahlung von 1.369,33 EUR gerichtete Honorarklage des Klägers ist von den Vorinstanzen mit der Begründung abgewiesen worden, die Wahlleistungsvereinbarung sei nicht formwirksam zustande gekommen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Krankenhausträgers, dem der Kläger den Streit verkündet hat und der ihm beigetreten ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1.
Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 der - vorliegend anwendbaren - Bundespflegesatzverordnung (BPflV) vom 26. September 1994 (BGBl. I S. 2750) sind Wahlleistungen vor der Erbringung schriftlich zu vereinbaren; der Patient ist vor Abschluß der Vereinbarung über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt im einzelnen zu unterrichten. Nach der Rechtsprechung des Senats, von der abzugehen kein Anlaß besteht, ist eine Wahlleistungsvereinbarung, die ohne hinreichende vorherige Unterrichtung des Patienten abgeschlossen worden ist, unwirksam (vgl. zuletzt Senatsurteile vom 27. November 2003 - III ZR 37/03, für BGHZ 157, 87 vorgesehen = NJW 2004, 684, und vom 8. Januar 2004 - III ZR 375/02 = NJW 2004, 686, jeweils m.w.N.). Beide Vorinstanzen haben zu Recht angenommen, daß diese Wirksamkeitsvoraussetzung der Klageforderung vorliegend nicht erfüllt ist.
2.
Der Senat hat inzwischen - nach Erlaß des hier in Rede stehenden Berufungsurteils - die Anforderungen präzisiert, die an eine ausreichende Unterrichtung zu stellen sind (Urteile vom 27. November 2003 und vom 8. Januar 2004 jeweils aaO; s. dazu auch die Besprechung von Kern, LMK 2004, 59). Danach reicht es einerseits nicht aus, wenn der Patient lediglich darauf hingewiesen wird, daß die Abrechnung des selbstliquidierenden Chefarztes nach der Gebührenordnung für Ärzte erfolge; andererseits ist es nicht erforderlich, daß dem Patienten unter Hinweis auf die mutmaßlich in Ansatz zu bringenden Nummern des Gebührenverzeichnisses der Gebührenordnung für Ärzte detailliert und auf den Einzelfall abgestellt die Höhe der voraussichtlich entstehenden Arztkosten - in Form eines im wesentlichen zutreffenden Kostenanschlages - mitgeteilt wird. Der Senat hat vielmehr Kriterien aufgestellt, an denen sich die Unterrichtung des Patienten zu orientieren hat. Ausreichend ist danach in jedem Fall:
- eine kurze Charakterisierung des Inhalts wahlärztlicher Leistungen, wobei zum Ausdruck kommt, daß hierdurch ohne Rücksicht auf Art und Schwere der Erkrankung die persönliche Behandlung durch die liquidationsberechtigten Ärzte sichergestellt werden soll, verbunden mit dem Hinweis darauf, daß der Patient auch ohne Abschluß einer Wahlleistungsvereinbarung die medizinisch notwendige Versorgung durch hinreichend qualifizierte Ärzte erhält;
- eine kurze Erläuterung der Preisermittlung für ärztliche Leistungen nach der Gebührenordnung für Ärzte bzw. für Zahnärzte (Leistungsbeschreibung anhand der Nummern des Gebührenverzeichnisses; Bedeutung von Punktzahl und Punktwert; Möglichkeit, den Gebührensatz je nach Schwierigkeit und Zeitaufwand zu erhöhen); Hinweis auf Gebührenminderung nach § 6a der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ);
- ein Hinweis darauf, daß die Vereinbarung wahlärztlicher Leistungen eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung zur Folge haben kann;
- ein Hinweis darauf, daß sich bei der Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen die Vereinbarung zwingend auf alle an der Behandlung des Patienten beteiligten liquidationsberechtigten Ärzte erstreckt (vgl. § 22 Abs. 3 Satz 1 BPflV);
- und ein Hinweis darauf, daß die Gebührenordnung für Ärzte/Gebührenordnung für Zahnärzte auf Wunsch eingesehen werden kann; die ungefragte Vorlage dieser Gesetzestexte erscheint demgegenüber entbehrlich, da diesen für sich genommen kein besonderer Informationswert zukommt. Der durchschnittliche Wahlleistungspatient ist auch nicht annähernd in der Lage, sich selbst anhand des Studiums dieser umfänglichen komplizierten Regelungswerke einen Überblick über die Höhe der auf ihn zukommenden Arztkosten zu verschaffen.
3.
Die Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall ergibt, daß hier eine ausreichende Unterrichtung des Beklagten nicht festgestellt werden kann.
a)
Allerdings ist der Revision zuzugeben, daß die Unterrichtung auch mündlich erfolgen konnte. Der Senat hat es im Urteil vom 27. November 2003 (aaO S. 685) zwar für zweckmäßig erachtet, die Unterrichtung schriftlich niederzulegen; zwingendes Wirksamkeitserfordernis ist dies indessen nicht (zur Zulässigkeit mündlicher Unterrichtung vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1989 - IX ZR 289/87 = NJW 1990, 761, 766; Senatsurteil vom 19. Dezember 1995 - III ZR 233/94 = NJW 1996, 781, 782).
b)
Zum Inhalt der dem Beklagten erteilten Unterrichtung hatten der Kläger und seine Streithelferin in den Vorinstanzen vorgetragen, es sei allgemein und so auch im Streitfall auf die Möglichkeit verwiesen worden, die GOÄ einzusehen und sich erläutern zu lassen. Weiter würden die Grundstrukturen der GOÄ erläutert und seien auch erläutert worden. Vor Abschluß der Vereinbarung werde auf die Auslage der GOÄ im jeweiligen Chefarzt-Sekretariat hingewiesen; fachkundige Aufklärungen über Leistungen und Kosten erfolgten auf Nachfrage, worauf der Patient zuvor hingewiesen werde.
c)
Eine Unterrichtung dieses Inhalts ist schon deshalb unzulänglich, weil sie die Beschaffung der notwendigen Informationen letztlich der Eigeninitiative des Patienten überläßt, indem diesem lediglich das Angebot unterbreitet wird, ihn "auf Nachfrage" fachkundig über Leistungen und Kosten aufzuklären. Damit können sich weder der Kläger als selbstliquidierender Chefarzt noch die Streithelferin als Krankenhausträgerin (und somit als die Vertragspartnerin der Vereinbarung über die gesonderte Berechnung; § 22 Abs. 1 Satz 1 BPflV) ihrer Eigenverantwortung dafür entziehen, den Patienten vor Abschluß der Vereinbarung über die Entgelte der Wahlleistungen und deren Inhalt im einzelnen zu unterrichten. Bei der Erläuterung der "Grundstrukturen der GOÄ" bleibt - worauf die Revisionserwiderung zu Recht hinweist - im Dunkeln, was die die Aufklärung erteilende Person unter diesen "Grundstrukturen" verstanden hat.
d)
Auch die Verfahrensrüge der Revision geht fehl, der Kläger und seine Streithelferin hätten auf entsprechenden richterlichen Hinweis in den Vorinstanzen ergänzend zum Inhalt der Unterrichtung vorgetragen. Eines solchen Hinweises bedurfte es im Berufungsrechtszug schon deshalb nicht, weil spätestens durch das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts klargestellt worden war, daß die Wirksamkeit der Wahlleistungsvereinbarung für den vorliegenden Rechtsstreit von zentraler Bedeutung war; daraus ergab sich die Notwendigkeit vollständigen und präzisen Sachvortrags zum Inhalt der dem Beklagten tatsächlich zuteil gewordenen Aufklärung von selbst. Zum anderen geht auch aus der Revisionsbegründung nicht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, welche Informationen dem Beklagten tatsächlich erteilt worden sind, so daß Feststellungen darüber, ob den oben wiedergegebenen Anforderungen der Senatsrechtsprechung Genüge getan ist, auch auf dieser Grundlage nicht getroffen werden können.
4.
Da zwischen dem Streithelfer und dem Beklagten keine wirksame Vereinbarung über wahlärztliche Leistungen zustande gekommen ist, steht dem Kläger kein Vergütungsanspruch aus § 612 Abs. 2 BGB für die im Zusammenhang mit der stationären Behandlung des Beklagten erbrachten ärztlichen Leistungen zu; auch ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1 BGB besteht nicht (Senatsurteil vom 24. November 2003 aaO S. 686; Senatsurteil BGHZ 138, 91, 99).