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Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.12.1996, Az.: VI ZR 314/95

Erstinstanzlicher Verfahrensmangel bei unterschiedlicher materiell-rechtlicher Beurteilung von Parteivorbringen durch das Berufungsgericht; Anforderungen an die Pflicht zur Substantiierung des Klägervortrags; Beurteilung eines Verfahrensmangels vom Standpunkt des Vorderrichters ausgehend

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
10.12.1996
Aktenzeichen
VI ZR 314/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 15596
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Koblenz - 10.05.1995
LG Koblenz

Fundstellen

  • FuR 1997, 122 (red. Leitsatz)
  • MDR 1997, 388-389 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1997, 1447-1448 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

1. Michael E., M. straße 32, S.

2. ... + ... Allgemeine VersicherungsAG,
vertreten durch die Vorsitzenden des Vorstandes Dr. Werner F. und Robert L., T. straße 1, W.

Prozessgegner

Theo S., O. 2, N.,

Amtlicher Leitsatz

Es begründet keinen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens i.S. des § 539 ZPO, wenn das Berufungsgericht Parteivorbringen materiell-rechtlich anders beurteilt als das Erstgericht, indem es geringere Anforderungen an die Schlüssigkeit stellt und infolgedessen im Gegensatz zum Landgericht eine Beweisaufnahme für erforderlich hält.

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 1996
durch
den Vorsitzenden Richter Groß und
die Richter Dr. Lepa, Dr. Müller, Dr. Dressler und Dr. Greiner
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Beklagten zu 1) wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 10. Mai 1995 aufgehoben, soweit es den Beklagten zu 1) betrifft.

  2. 2.

    In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegen den Erstbeklagten und die Zweitbeklagte als Haftpflichtversicherer Schadensersatzansprüche wegen eines Brandes geltend.

2

Am 6. September 1989 ist das landwirtschaftliche Anwesen des Klägers abgebrannt, nachdem auf dem Hof ein vom Erstbeklagten abgestellter Schlepper in Brand geraten war.

3

Der Kläger hat geltend gemacht, der Schlepper sei bei vom Erstbeklagten ausgeführten Schweißarbeiten infolge Unachtsamkeit in Brand geraten. Der Erstbeklagte habe das brennende Fahrzeug auch nicht weggefahren, obwohl es zunächst nur im Kabinenbereich gebrannt habe. Deshalb habe das Feuer auf die Gebäude übergegriffen. Der von der Gebäudeversicherung nicht übernommene Schaden belaufe sich auf 160.223,35 DM.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger ein schuldhaftes Verhalten des Erstbeklagten nicht substantiiert dargelegt habe. Es sei nicht erkennbar, welche Fehler der Erstbeklagte gemacht habe und welche Ursachenkette damit in Gang gesetzt worden sei. Das ergebe sich auch nicht aus der vom Kläger in Bezug genommenen Ermittlungsakte. Eines gerichtlichen Hinweises auf die fehlende Substantiierung bedürfe es nicht, weil schon die Beklagten hierauf hingewiesen hätten.

5

Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht dieses Urteil nebst dem zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

6

Mit der Revision erstrebt der Erstbeklagte

Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

7

I.

Das Berufungsgericht meint, das Landgericht habe an die Pflicht zur Substantiierung des Klägervortrags zu strenge Anforderungen gestellt und deshalb zu Unrecht nicht die vom Kläger angebotenen Beweise erhoben. Sein Verfahren leide daher an einem wesentlichen Mangel, der die Zurückverweisung an die Vorinstanz gemäß § 539 ZPO rechtfertige. Eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts gemäß § 540 ZPO sei nicht sachdienlich.

8

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

9

1.

Die Revision ist zulässig. Der Erstbeklagte ist durch die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beschwert, weil seinem Antrag auf Zurückweisung der Berufung nicht stattgegeben worden ist (Senatsurteil BGHZ 31, 358, 361).

10

2.

Die Revision rügt zu Recht, daß die vom Berufungsgericht ausgesprochene Zurückverweisung der Sache in § 539 ZPO keine Grundlage findet.

11

a)

Die Vorschrift des § 539 ZPO, die eine Ausnahme von der Verpflichtung zu der dem Berufungsgericht in § 537 ZPO aufgegebenen erneuten vollständigen Verhandlung und Entscheidung der Sache enthält, ist eng auszulegen. Deshalb hat das Berufungsgericht anhand eines strengen Maßstabes das Vorliegen eines Verfahrensmangels als Voraussetzung des § 539 ZPO zu prüfen, bevor es die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweist (Senatsurteile BGHZ 18, 107, 110;  31, 358, 362;  BGH, Urteil vom 1. Dezember 1993 - VIII ZR 243/92 - NJW-RR 1994, 377, 378).

12

b)

Der Auffassung des Berufungsgerichts, das Verfahren vor dem Landgericht leide an einem wesentlichen Mangel, kann nicht gefolgt werden. Ob ein solcher Mangel vorliegt, ist nämlich nach ständiger Rechtsprechung vom materiellrechtlichen Standpunkt des Vorderrichters aus zu beurteilen (Senatsurteile BGHZ 18, 107, 109;  31, 358, 362 und vom 3. November 1992 - VI ZR 361/91 - NJW 1993, 538, 539, jeweils m.w.N.; ebenso Urteil BGHZ 86, 218, 221) [BGH 12.01.1983 - IVa ZR 135/81], auch wenn das Berufungsgericht ihn nicht teilt. Hiernach begründet es keinen Fehler im Verfahren der Vorinstanz, wenn das Berufungsgericht Parteivorbringen materiell-rechtlich anders beurteilt als das Erstgericht, indem es geringere Anforderungen an die Schlüssigkeit und Substantiierungslast stellt und infolgedessen eine Beweisaufnahme für erforderlich hält (BGH, Urteil vom 7. Juni 1993 - II ZR 141/92 - NJW 1993, 2318 m.w.N.). Ein Verfahrensfehler kann in einem solchen Fall auch nicht mit einer Verletzung der richterlichen Hinweis- und Fragepflicht (§ 139 ZPO) begründet werden. Das Berufungsgericht muß grundsätzlich auch insoweit bei Prüfung der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, den Standpunkt des Erstgerichts zugrundelegen (BGH, Urteil vom 7. Juni 1993 - a.a.O., m.w.N.).

13

c)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein Verfahrensfehler des Landgerichts nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht will ihn darin sehen, daß das Landgericht zu strenge Anforderungen an die Substantiierungspflicht gestellt habe; insbesondere könne die vom Kläger unter Beweis gestellte Äußerung des Erstbeklagten unmittelbar nach dem Ausbruch des Brandes, der Sitz des Schleppers sei lose gewesen und er habe daran geschweißt, zumindest ein Indiz zugunsten des Klägers darstellen oder sogar zu einer Beweislastumkehr führen. Hierbei hat das Berufungsgericht jedoch verkannt, daß das Landgericht diese Behauptung als richtig unterstellt und lediglich die Auffassung vertreten hat, mit diesem Vorbringen werde der vom Kläger erhobene Vorwurf der Unachtsamkeit, also des für einen Schadensersatzanspruch erforderlichen Verschuldens, nicht hinreichend substantiiert. Mithin beruht die Auffassung des Landgerichts nicht auf einem Verfahrensfehler, sondern auf einer sachlichrechtlichen Würdigung des Streitstoffs, deren Nachprüfung dem Berufungsgericht in eigener Zuständigkeit obliegt.

14

Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann das angefochtene Urteil auch nicht wegen einer Verletzung des § 139 ZPO durch das Landgericht Bestand haben, weil das Berufungsgericht seiner Entscheidung einen derartigen Verfahrensfehler nicht zugrunde gelegt hat.

Groß
Dr. Lepa
Dr. Müller
Dr. Dressler
Dr. Greiner