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Bundesgerichtshof
Urt. v. 09.05.1996, Az.: VII ZR 259/94

Bauvertrag; Verjährung; Flachdach

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
09.05.1996
Aktenzeichen
VII ZR 259/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 14247
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 132, 383 - 389
  • BB 1996, 1797 (Volltext mit amtl. LS)
  • BauR 1996, 707-709 (Volltext mit amtl. LS)
  • DB 1996, 1562-1563 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1996, 791 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1996, 1213 (Urteilsbesprechung von RA Dr. Günter Schmeel, Hamburg; Lehrbeauftragter für Bau- und Umweltrecht an der Technischen Universität Hamburg-Harburg; TUHH)
  • NJW 1996, 2155-2156 (Volltext mit amtl. LS) "Flachdach"
  • WM 1996, 1322-1324 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Bei Flachdacharbeiten hat der Auftraggeber ein erhöhtes Bedürfnis an einer ausreichenden Bemessung der Verjährungsfrist. Deshalb ist die formularmäßige Vereinbarung einer Verjährungsfrist von 10 Jahren und 1 Monat mit § 9 AGBG vereinbar.

Tatbestand:

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte, die als Subunternehmerin Dachdeckerarbeiten ausgeführt hat, aus abgetretenem Recht ihrer Tochtergesellschaft K. I. GmbH (im folgenden. KI) auf Gewährleistung und Verzugsschaden in Anspruch.

2

Im Jahre 1983 erteilte die Bauherrengemeinschaft "Münchener Westkreuz" der Klägerin als Generalunternehmerin den Auftrag zur Errichtung einer Wohn- und Geschäftshausanlage. Die von der Klägerin kurz darauf gegründete KI übertrug der Beklagten die Dachdecker- und Spenglerarbeiten der Flachdächer. Dem Vertrag zwischen KI und der Beklagten liegen u.a. ein weitgehend vorformuliertes Besprechungsprotokoll vom 26. Oktober 1983, das Bestellschreiben vom 23. Dezember 1983, die zusätzlichen Vertragsbedingungen der KI (ZVB) und die VOB/B zugrunde. In den ZVB heißt es.

3

"Abnahme

4

... 12. 3 Der AN erklärt sein Einverständnis, daß die rechtlichen Wirkungen der endgültigen Abnahme mit dem Tage der Abnahme der Gesamtbauleistung durch den Bauherrn eintreten sollen.

5

13. Gewährleistung

6

13.1 Die Verjährungsfrist für die Gewährleistung beträgt 5 Jahre und 1 Monat nach der förmlichen Abnahme des Gesamtbauwerkes durch den Bauherrn, wenn nicht eine andere Frist vereinbart wurde."

7

Position 13 des Protokolls vom 26. Oktober 1983 sowie Punkt 13.1 des Bestellschreibens vom 23. Dezember 1983 lauten.

8

"Die Verjährungsfrist beginnt voraussichtlich am 31. Dezember 1984 und betragt 10 Jahre und 1 Monat."

9

Nachdem die Bauherrengemeinschaft Mängel u.a. am Gewerk der Beklagten gerügt hatte, leitete KI im Oktober 1985 ein Beweissicherungsverfahren gegen die Beklagte ein. Am 5. Dezember 1985 erfolgte die Abnahme der Gebäude. Im Jahre 1986 erhob die Klägerin gegen die Bauherrengemeinschaft Klage wegen restlichen Werklohns, im Dezember 1988 verkündete sie der Beklagten den Streit.

10

Mit ihrer am 23. Juli 1992 bei Gericht eingegangenen Klage hat die Klägerin von der Beklagten Nachbesserung und Ersatz ihres Verzugsschadens verlangt, außerdem hat sie Feststellung beantragt, daß die Beklagte zum Ersatz weiterer Schäden verpflichtet sei.

11

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, etwaige Ansprüche der Klägerin seien verjährt. Das Berufungsgericht hat dieses Urteil und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache an das Landgericht zu rückverwiesen. Dagegen wenden sich die Revision der Klägerin und die Anschlußrevision der Beklagten.

Entscheidungsgründe

12
13

I. Die Revision und die Anschlußrevision sind zulässig. Beide Parteien sind durch die zurückverweisende Entscheidung des Berufungsgerichts beschwert, weil ihren Antragen auf sachliche Entscheidung nicht entsprochen worden ist (zur Beschwer bei einer Zurückverweisung nach § 539 ZPO: BGH, Urteil vom 5. Oktober 1994 - XII ZR 15/93 = NJW-RR 1995, 123, 124, Urteil vom 15. Dezember 1959 - VI ZR 222/58 - BGHZ 31, 358, 361).

14

II. Die Revisionen sind auch begründet.

15

Das Berufungsgericht meint, das erstinstanzliche Verfahren leide an einem Mangel im Sinn des § 539 ZPO, weil das Landgericht bei seiner Annahme, etwaige Gewährleistungsansprüche seien verjährt, Sachvortrag der Parteien übergangen habe.

16

1. Dem Landgericht sei darin beizutreten, daß die Klausel, nach der die Gewährleistungsfrist zehn Jahre und einen Monat betrage, unwirksam sei.

17

a) Bei der Klausel handele es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung. KI habe sie vorformuliert. Schon in den Vorbemerkungen zum Leistungsverzeichnis habe KI eine Gewährleistungsfrist von zehn Jahren ausbedungen. Diese Frist sei am 26. Oktober 1983 gemäß dem von KI vorbereiteten Besprechungsprotokoll nur dahin geändert worden, daß sie zehn Jahre und einen Monat betrage. KI habe die Klausel für eine Vielzahl von Vertragen aufgestellt. Sie habe die lange Verjährungsfrist mit den Subunternehmern für jene Gewerke vereinbart, für die sie selbst der Bauherrengemeinschaft eine entsprechende Frist zugestanden habe. Eine Individualvereinbarung im Sinn des § 1 Abs. 2 AGBG liege nicht vor.

18

b) Die Klausel halte einer Inhaltskontrolle nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG nicht stand. Sie weiche unter unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners von § 638 Abs. 1 BGB ab. Angesichts der Belastung der Beklagten durch eine Verdoppelung der gesetzlichen Verjährungsfrist sowie der Tatsache, daß den gesetzlichen Verjährungsfristen im allgemeinen ein erheblicher Gerechtigkeitsgehalt zukomme, könnten nur erhebliche Belange des Verwenders eine derartige Abweichung rechtfertigen. Solche lagen hier nicht vor. So weit Baumangel erst nach Ablauf der gesetzlichen Frist von fünf Jahren auftraten, betreffe das nicht die vorliegenden, intensiv überwachten Gewerke.

19

2. Das Landgericht habe auch zutreffend angenommen, da mit der Abnahme am 5. Dezember 1985 die gesetzliche Gewährleistungsfrist von fünf Jahren begonnen habe und diese Frist nicht bereits durch die Streitverkündung im Vorprozeß unterbrochen worden sei.

20

3. Es habe indes verfahrensfehlerhaft nicht überprüft, inwieweit das von KI im Oktober 1985 beantragte und frühestens am 28. September 1987 beendete Beweissicherungsverfahren die Verjährung unterbrochen habe. Die Mängel seien allerdings in dem Beschluß des Amtsgerichts völlig unzureichend bezeichnet. Ob dies einer Verjährungsunterbrechung entgegengestanden habe, bedürfe bezüglich einiger Mangel weiterer Feststellungen. Infolge des Verfahrensfehlers des Landgerichts sei. der Streitstoff überwiegend unaufgeklärt geblieben, eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts sei nicht zweckdienlich.

21

III. Das halt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Entscheidung über die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beruht auf einer fehlerhaften Anwendung des § 539 ZPO.

22

1. Ein Verfahrensfehler des erstinstanzlichen Gerichts, der sich auf das Ergebnis der Entscheidung rechtlich nicht ausgewirkt hat, rechtfertigt keine Zurückverweisung der Sache gemäß § 539 ZPO. Das Berufungsgericht muß die rechtliche Relevanz des Verfahrensfehlers im Rahmen seiner Sachentscheidungskompetenz nach § 537 ZPO umfassend prüfen (BGH, Urteile vom 3. November 1992 - VI ZR 361/91 - NJW 1993, 538, 539; vom 19. Oktober 1989 - I ZR 22/88 - LM § 539 ZPO Nr. 16 Bl. 1). Die Richtigkeit dieser materiell rechtlichen Prüfung als Voraussetzung seiner kassatorischen Entscheidung ist revisibel (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1959, BGHZ 31, 358, 364).

23

2. Auf den vom Berufungsgericht im Hinblick auf eine Verjährungsunterbrechung durch das Beweissicherungsverfahren angenommenen Verfahrensfehler kommt es hier rechtlich nicht an, denn die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche sind bereits deshalb nicht verjährt, weil die Klausel in Nr. 13 des Protokolls vom 26. Oktober 1983 und Nr. 13. 1 des Bestellschreibens vom 23. Dezember 1983, nach der die Verjährungsfrist zehn Jahre und einen Monat betragt, wirksam ist. Es kann offenbleiben, ob es sich bei dieser Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinn des § 1 AGBG handelt. Jedenfalls halt sie, wenn sie wie hier für das Gewerk "Flachdacharbeiten" verwendet wird, einer etwa gebotenen Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand.

24

a) Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre und einen Monat in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauvertrags gegen das AGB-Gesetz verstößt, ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden. In der Literatur wird eine Verlängerung der VOB-Verjährungsfrist durch Allgemeine Geschäftsbedingungen auf bis zu fünf Jahre für unbedenklich gehalten. Eine darüber hinausgehende Fristverlängerung soll dagegen nur unter engen Voraussetzungen nach den typischen Umstanden des Falles wirksam sein (vgl. Korbion/Locher, AGB-Gesetz und Bauerrichtungsvertrage, 2. Aufl. Rdn. 111, Kaiser, Mängelhaftungsrecht, 7. Aufl. Rdn. 168 und Fußnote 4; Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 3. Aufl., § 23 AGBG Rdn. 290, Ingenstau/Korbion, VOB, 12. Aufl., B § l Rdn. 238, Anhang Rdn. 141, Kleine-Möller/Merl/Oelmeier, Handbuch des privaten Baurechts, § 2 Rdn. 462). In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind AGB-Klauseln mit Gewährleistungsfristen bis zu sieben Jahren für wirksam gehalten worden (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1298 [OLG Düsseldorf 07.06.1994 - 21 U 90/92], OLG Köln, Schäfer/Finnern/Hochstein, § 13 Nr. 4 VOB/B Nr. 17).

25

b) Der Senat halt die Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre und einen Monat für wirksam, wenn sie wie hier für Flachdacharbeiten vereinbart ist. Eine unangemessene Benachteiligung im Sinn des § 9 Abs. 1, 2 AGBG liegt nicht vor.

26

aa) Die Klausel weicht von der gesetzlichen Regelfrist wesentlich ab. Sie verlängert die in § 638 Abs. 1 BGB für Bauwerke vorgesehene Verjährungsfrist von fünf Jahren auf zehn Jahre und einen Monat. Diese Abweichung von der gesetzlichen Regelung ist jedoch, jedenfalls wenn sie wie hier Flachdacharbeiten betrifft, durch besondere Interessen des Auftraggebers gerechtfertigt. Dies gilt auch wenn wie vorliegend § 13 Nr. 5 Abs. 1 S. 2 VOB/B vereinbart ist.

27

bb) Die gesetzliche Frist beruht darauf, daß aus der Sicht des historischen Gesetzgebers schwerwiegende Baumangel regelmäßig innerhalb fünf Jahren hervortreten. Der Gesetzgeber hat auch diese Fünfjahresfrist nicht für außergewöhnlich lang angesehen, denn er hat für die gesamte werkvertragliche Gewährleistung, abweichend von der Regel des § 225 BGB eine vertragliche Fristverlängerung zugelassen (§ 638 Abs. 2 BGB). Der Senat hat bereits darauf hingewiesen, daß diese Frist für bestimmte moderne Bautechniken und Baustoffe verhältnismäßig kurz ist (vgl. Senat, Urteil vom 8. März 1984 - VII ZR 349/82 - BGHZ 90, 273, 277) und des halb unangemessen sein kann.

28

Bei Flachdacharbeiten hat der Auftraggeber ein erhöhtes Bedürfnis an einer ausreichenden Bemessung der Verjährungsfrist, weil Ausführungsmängel wie auch Planungsmangel an Flachdächern häufig vorkommen und erfahrungsgemäß oft erst später als fünf Jahre nach der Abnahme auftreten. Dies belegen neuere Untersuchungen (vgl. Bauschadensbericht 1988 des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, S. 7, Oswald/Wilmes, Daten über Schaden an Gebäuden, Teil II, 1989, S. 14 ff, 46). Danach tritt bei Flachdacharbeiten ca. ein Drittel der Anfangsschäden erst nach über fünf Jahren in Erscheinung (Oswald/Wilmes aaO. S. 49).

29

cc) Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts spielt es für die bei § 9 AGBG gebotene Interessenabwägung keine Rolle, ob eine konkrete Gefahr, Mangel erst nach Ablauf von fünf Jahren zu entdecken, im vorliegenden Fall wegen besonders intensiver Überwachung der Dacharbeiten nicht bestand. § 9 AGBG legt einen generellen, überindividuellen Prüfungsmaßstab und eine typisierende Betrachtungsweise zugrunde, auf die speziellen Umstande des Einzelfalls kommt es insoweit nicht an (Senat, Urteil vom 23. Juni 1988 - VII ZR 117/87 - BGHZ 105, 24, 31) [BGH 23.06.1988 - VII ZR 117/87].

30

3. Für die Wirksamkeit der Klausel über die Gewährleistungsfrist ist es ohne Bedeutung, daß Ziff. 12.3 und 13.1 der ZVB, nach denen die Verjährung der Gewährleistungsansprüche erst mit der Abnahme der Gesamtbauleistung durch den Bauherrn beginnen soll, unwirksam sind (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 1989 - VII ZR 89/87 - BGHZ 107, 75, 78 f).

31

Die Unwirksamkeit der Ziff. 12.3 und 13.1 ZVB führt nicht dazu, daß auch die Bestimmung über die Gewährleistungsfrist nichtig ist. Nach gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1984 - VIII ZR 214/83 - BGHZ 93, 29, 37,. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 7. Aufl., § 6 Rdn. 12 m.w.N.) können inhaltlich von einander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch dann Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen unwirksamen Regelungen stehen. Die vorliegenden Klauseln sind hinsichtlich der Festlegung von Fristbeginn und Fristdauer voneinander zu trennen und aus sich heraus verständlich (zu vergleichbaren Klauseln: Senat, Urteil vom 9. Oktober 1986 - VII ZR 184/85 - ZfBR 1987, 37, 38)

32

4. Da die Parteien somit eine Gewährleistungsfrist von zehn Jahren und einen Monat wirksam vereinbart haben, war die seit 5. Dezember 1985 laufende Verjährungsfrist im Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 1992 noch nicht abgelaufen.

33

III. Das Urteil ist daher aufzuheben und die Sache gemäß § 565 Abs. 1 ZPO zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.