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Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.02.1996, Az.: VIII ZR 68/95

Berufung des Klägers; Neuer Hauptantrag; Erstinstanzliche Weiterverfolgung des Hilfsantrags

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
14.02.1996
Aktenzeichen
VIII ZR 68/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 14368
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BB 1996, 2540 (red. Leitsatz)
  • GRUR 1996, 928 (red. Leitsatz)
  • MDR 1996, 1066-1067 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1996, 765-766 (Volltext mit amtl. LS)
  • SGb 1997, 24 (amtl. Leitsatz)
  • VersR 1996, 1294-1295 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1996, 1511-1513 (Volltext mit amtl. LS)
  • WRP 1996, 539-541 (Volltext mit amtl. LS) "Hilfsantrag in der Berufung"

Amtlicher Leitsatz

Die Berufung des in erster Instanz unterlegenen Klägers ist hinsichtlich eines neuen Hauptantrags nicht schon dann zulässig, wenn der Kläger sein erstinstanzliches Begehren mit einem Hilfsantrag weiterverfolgt (Bestätigung von BGH vom 12. 7. 1994 - VI ZB 43/93 VersR 94, 1446 = NJW-RR 94, 1404; vgl. auch BGH vom 9. 11. 1995 - IX ZB 65/95 - NJW 96, 320).

Tatbestand:

1

Die Klägerin war seit dem 1. April 1980 Kraftfahrzeug-Vertragshändlerin der Beklagten. Nach deren ordentlicher Kündigung des Vertragsverhältnisses zum 31. März 1993 meldete die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 26. November 1993 einen Ausgleichsanspruch gemäß § 89 b HGB an.

2

Mit ihrer Klage hat die Klägerin in erster Instanz zunächst einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 462.191,11 DM geltend gemacht. Nach Klagerücknahme im übrigen hat sie zuletzt als Teilforderung eine Ausgleichszahlung in Höhe von 130.000 DM begehrt. Die Beklagte hat widerklagend die Feststellung beantragt, daß der Klägerin über den vorgenannten Betrag hinaus keine weiteren 332.191,11 DM als Ausgleichsanspruch zustehen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Mit ihrer Berufung hat die Klägerin den Ausgleichsanspruch und den Antrag auf Abweisung der Widerklage nur noch hilfsweise geltend gemacht. In erster Linie hat sie mit der Begründung, daß die Kündigung der Beklagten gemäß § 26 Abs. 2 GWB, § 242 BGB unwirksam sei, die Feststellung begehrt, daß ihr die Beklagte wegen Nichtbelieferung seit dem 31. März 1993 zum Schadensersatz verpflichtet sei (Hauptantrag zu 1 a) und daß der zwischen den Parteien geschlossene Händlervertrag durch die Kündigung der Beklagten nicht zum 31. März 1993 aufgelöst worden sei, sondern zumindest bis zum 30. September 1993 fortbestanden habe (Hauptantrag zu 1 b). Vorab hat die Klägerin die Verweisung des Rechtsstreits an den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf beantragt. Das Berufungsgericht hat die Berufung mit den beiden Hauptanträgen als unzulässig verworfen und im übrigen zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre zweitinstanzlichen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision, die insoweit, als das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin mit den beiden Hauptanträgen als unzulässig verworfen hat, gemäß § 547 ZPO unbeschränkt zulässig ist, ist insgesamt nicht begründet.

4

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

5

Eine Verweisung des Rechtsstreits an den Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf sei nicht möglich, weil erstinstanzlich keine Kartellrechtssache im Sinne des § 87 GWB vorgelegen habe, Streitgegenstand vielmehr nur der Ausgleichsanspruch der Klägerin in entsprechender Anwendung des § 89 b HGB gewesen sei. Ob auch bei "nachträglichen Kartellberufungssachen" eine Verweisung an den Kartellsenat in Betracht komme, könne offenbleiben. Wegen Unzulässigkeit der Berufung mit den Hauptanträgen sei nicht feststellbar, ob insoweit eine Kartellrechtssache vorliege.

6

Die Berufung sei mit den Hauptanträgen unzulässig, weil die Klägerin hiermit keine Beseitigung einer durch das angefochtene Urteil gesetzten Beschwer anstrebe. Zwar könne bei einer im übrigen zulässigen Berufung auch ein bisher nicht gestellter Antrag im Wege der Klageänderung in das Berufungsverfahren eingeführt werden. Voraussetzung sei jedoch, daß mit der geänderten Klage zumindest teilweise die ursprüngliche Beschwer angegriffen werde. Das sei nicht der Fall, wenn - wie hier - mit dem Hauptantrag ein neuer, bisher noch nicht geltend gemachter Anspruch erhoben und nur mit dem Hilfsantrag das erstinstanzliche Begehren (teilweise) weiter verfolgt werde.

7

Der zulässige Hilfsantrag sei nicht begründet. Der Klägerin stehe ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 89 b HGB jedenfalls deswegen nicht zu, weil sie ihn nicht rechtzeitig innerhalb der Dreimonatsfrist des § 89 b Abs. 4 Satz 2 HGB in der hier gemäß Art. 29 EGHGB gültigen Fassung geltend gemacht habe. Die entsprechende Anwendung des § 89 b HGB auf Vertragshändlerverträge erstrecke sich nach der Interessenlage auch auf die Ausschlußfrist des § 89 b Abs. 4 Satz 2 HGB.

8

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

9

1. Ohne Erfolg erhebt die Revision die - durch § 549 Abs. 2 ZPO nicht ausgeschlossene (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 551 RdNr. 14; Karsten Schmidt in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., §§ 93, 94 RdNr. 10) - Rüge, für die Entscheidung über die Berufung der Klägerin sei nicht das Berufungsgericht, sondern gemäß §§ 92, 96 GWB ausschließlich der Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf zuständig gewesen und daher der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 4 ZPO gegeben.

10

Gemäß § 92 GWB entscheidet der Kartellsenat des Oberlandesgerichts über die Berufung gegen Endurteile der nach den §§ 87, 89 zuständigen Landgerichte. Das sind die von den Landgerichten als Kartellgerichte erlassenen Urteile (BGHZ 31, 162, 167;  71, 367, 369). Hier hat das Landgericht indessen schon mangels Geltendmachung eines kartellrechtlichen Anspruchs nicht als Kartellgericht entschieden.

11

Zu Recht hat das Berufungsgericht offengelassen, ob der Kartellsenat des Oberlandesgerichts auch für "nachträgliche Kartellberufungssachen" zuständig ist, in denen sich erst in der Berufungsinstanz ergibt, daß eine Kartellrechtssache vorliegt (bejahend Karsten Schmidt a.a.O.., § 92 RdNr. 14; zustimmend GK-von Renthe gen. Fink, GWB, 4. Aufl., § 92 RdNr. 4 a.E.). Die Zuständigkeit des Kartellsenats ist in diesen Sachen allenfalls dann gegeben, wenn sich der kartellrechtliche Tatbestand aus Vorbringen ergibt, das in der Berufungsinstanz in prozeßrechtlich zulässiger Weise nachgeschoben worden ist (Karsten Schmidt a.a.O..; GK-von Renthe gen. Fink a.a.O..). Diese Einschränkung ist - entgegen der Ansicht der Revision - erforderlich, um zu verhindern, daß der Kartellsenat über einen Rechtsstreit entscheiden muß, in dem es auf Kartellrecht schon deswegen nicht ankommt, weil das diesbezügliche neue Vorbringen prozeßrechtlich unzulässig ist. So verhält es sich aber hier, weil die Berufung der Klägerin mit den auf Kartellrecht gestützten beiden Hauptanträgen unzulässig ist (dazu nachfolgend unter 2).

12

2. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin mit den beiden Hauptanträgen als unzulässig verworfen.

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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Berufung unzulässig, wenn mit ihr nicht zumindest teilweise die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer, sondern ausschließlich ein neuer, bisher noch nicht geltend gemachter Anspruch verfolgt wird (zuletzt z.B. Urteil vom 3. Juni 1994 - VIII ZR 178/93 = WM 1994, 1996 unter 2 a; Beschluß vom 12. Juli 1994 - VI ZB 43/93 = NJW-RR 1994, 1404 unter 1, jeweils m.w.Nachw.). Daher kann zwar bei einer im übrigen zulässigen Berufung auch ein bisher nicht gestellter Antrag im Wege der Klageänderung gemäß § 263 ZPO in das Berufungsverfahren eingeführt werden. Dafür ist jedoch Voraussetzung, daß der Kläger mit der geänderten Klage zumindest teilweise die ursprüngliche Beschwer angreift. Diese Voraussetzung ist in bezug auf einen neuen Hauptantrag nicht erfüllt, wenn der Kläger sein erstinstanzliches Begehren lediglich mit einem Hilfsantrag weiterverfolgt. In diesem Fall wendet er sich mit dem neuen Hauptantrag gerade nicht gegen die durch das erstinstanzliche Urteil begründete Beschwer (BGH, Beschluß vom 12. Juli 1994 a.a.O.. unter 4).

14

Dem steht der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 9. November 1995 (IX ZB 65/95 = NJW 1996, 320) nicht entgegen. Diese Entscheidung bejaht die Zulässigkeit der Berufung in einem Fall, in dem die in erster Instanz unterlegene Klägerin in der Berufungsinstanz die Klage nur noch hilfsweise gegen den erstinstanzlichen Beklagten, in erster Linie jedoch gegen eine andere (neue) Beklagte gerichtet hatte. Sie betrifft in ihren tragenden Gründen indessen nur die - auch nach der hier in Übereinstimmung mit dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 1994 (a.a.O..) vertretenen Auffassung zu bejahende - Zulässigkeit der Berufung mit dem Hilfsantrag. Das ergibt sich schon daraus, daß im Rubrum lediglich der erstinstanzliche Beklagte als Beschwerdegegner aufgeführt ist, hingegen nicht die in der Berufungsinstanz in erster Linie in Anspruch genommene neue Beklagte.

15

Die Ausführungen der Revision geben dem Senat keine Veranlassung, von der vorgenannten Rechtsprechung abzugehen. Hierfür sprechen weder ein praktisches Bedürfnis noch der Grundsatz der Prozeßökonomie. Es wäre vielmehr inkonsequent, die Zulässigkeit eines neuen Hauptantrages allein aus der Zulässigkeit eines Hilfsantrages herzuleiten, der nur für den Fall gestellt wird, daß der Hauptantrag unbegründet ist.

16

b) Danach hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin mit den beiden erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Hauptanträgen deswegen zu Recht als unzulässig verworfen, weil die Klägerin mit ihnen nicht die Beseitigung einer durch das angefochtene Urteil begründeten Beschwer erstrebt. Während Streitgegenstand der ersten Instanz allein der von der Klägerin (in der zweiten Instanz nur noch hilfsweise verfolgte) Ausgleichsanspruch entsprechend § 89 b HGB war, begehrt sie in der Berufungsinstanz mit den beiden auf § 26 Abs. 2 GWB, § 242 BGB gestützten Hauptanträgen die Feststellung, daß ihr die Beklagte wegen Nichtbelieferung zum Schadensersatz verpflichtet ist und der Händlervertrag der Parteien durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst worden ist, sondern noch eine bestimmte Zeit fortbestanden hat.

17

3. Mit zutreffender Begründung hat das Berufungsgericht die Berufung insoweit zurückgewiesen, als die Klägerin mit dem zulässigen Hilfsantrag ihr in erster Instanz erfolgloses Begehren weiter verfolgt hat.

18

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Vertragshändler von dem Unternehmer unter bestimmten Voraussetzungen in entsprechender Anwendung des § 89 b HGB Ausgleich verlangen (zuletzt z.B. Urteil vom 6. Oktober 1993 - VIII ZR 172/92 = WM 1994, 243 unter II 1 m.w.Nachw.; Urteil vom 1. Dezember 1993 - VIII ZR 41/93 = WM 1994, 548 unter II 3 a). Zu Recht hat das Berufungsgericht offengelassen, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind. Jedenfalls ist ein etwaiger Ausgleichsanspruch der Klägerin erloschen, weil sie ihn nicht innerhalb der Frist des § 89 b Abs. 4 Satz 2 HGB geltend gemacht hat. § 89 b HGB kommt hier entsprechend Art. 29 EGHGB in der am 31. Dezember 1989 geltenden Fassung zur Anwendung, da das Vertragsverhältnis der Parteien vor dem 1. Januar 1990 begründet worden ist und an diesem Tag noch bestand und der etwaige Ausgleichsanspruch der Klägerin vor Ablauf des Jahres 1993 entstanden ist. Nach § 89 b Abs. 4 Satz 2 HGB in der vorgenannten Fassung ist der Ausgleichsanspruch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen. Diese Frist hat die Klägerin nicht gewahrt. Das Vertragsverhältnis der Parteien hat infolge der Kündigung der Beklagten am 31. März 1993 geendet. Den Ausgleichsanspruch hat die Klägerin jedoch erstmals mit Anwaltsschreiben vom 26. November 1993 angemeldet.

19

Entgegen der Ansicht der Revision besteht keine Veranlassung, von der entsprechenden Anwendung des § 89 b HGB die in Abs. 4 Satz 2 geregelte Ausschlußfrist auszunehmen. Ihr Sinn besteht darin, daß der Unternehmer alsbald Klarheit darüber erhalten soll, ob der Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch geltend machen will, damit er im Fall der Beendigung des Handelsvertretervertrages die erforderlichen Dispositionen treffen kann (BGH, Urteil vom 18. September 1986 - I ZR 24/85 = WM 1987, 21 unter II). Liegen die Voraussetzungen für einen Ausgleichsanspruch des Vertragshändlers in entsprechender Anwendung des § 89 b HGB vor, hat der Unternehmer in gleicher Weise Interesse an alsbaldiger Klarheit über die Absichten des Vertragshändlers.

20

Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen eine entsprechende Anwendung der Übergangsregelung des Art. 29 EGHGB. Es ist kein Grund ersichtlich, den Vertragshändler insoweit besser zu stellen als den Handelsvertreter und ihm die einjährige Ausschlußfrist des § 89 b Abs. 4 Satz 2 HGB in der jetzt geltenden Fassung zugute kommen zu lassen.

21

Letztlich kann sich die Klägerin auch nicht auf eine etwaige Unkenntnis der Ausschlußfrist des § 89 b Abs. 4 Satz 2 HGB und der Übergangsregelung des Art. 29 EGHGB berufen, zumal sie anwaltlich vertreten war.