Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.11.1995, Az.: VIII ZR 227/94
Vorprozessuale Äußerungen; Prozeßvortrag
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 08.11.1995
- Aktenzeichen
- VIII ZR 227/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 15249
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- DAR 1996, 93 (Volltext mit amtl. LS)
- JR 1996, 376-377
- MDR 1996, 305 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1996, 222 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1996, 394 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1996, 1169 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1996, 321-322 (Volltext mit amtl. LS)
- zfs 1996, 172-173 (Volltext)
Amtlicher Leitsatz
Vorprozessuale Äußerungen einer Partei sind generell nicht geeignet, ihrem Prozeßvortrag die Beachtlichkeit zu nehmen.
Tatbestand:
Im Frühjahr 1990 schlossen die Klägerin als Leasinggeberin und die Beklagte zu 1 als Leasingnehmerin Leasingverträge über vier Lastkraftwagen. Die Beklagten zu 2 und 3, Geschäftsführer der Beklagten zu 1, übernahmen jeweils die gesamtschuldnerische Mithaftung neben der Leasingnehmerin. Aufgrund einer Vereinbarung vom 26. August 1991 überließ die Beklagte zu 1 die Leasingfahrzeuge mit Zustimmung der Klägerin dem Transportunternehmen T. in D., das an der Übernahme der Fahrzeuge interessiert war, zum Gebrauch. Die Klägerin kündigte die Leasingverträge mit Schreiben vom 10. Januar 1992 wegen Zahlungsverzuges fristlos. Mit Verträgen vom 18. Mai 1992 veräußerte sie die Leasingfahrzeuge zum Nettopreis von insgesamt 60.000 DM. Die Leasingfahrzeuge befanden sich zum Zeitpunkt der Veräußerung in schlechtem Zustand und wiesen Beschädigungen auf. Hierdurch wurde der Verwertungserlös erheblich geschmälert.
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ersatz des Kündigungsschadens in Anspruch, den sie zuletzt mit 60.984,85 DM beziffert hat. Die Beklagten haben die Schadensberechnung beanstandet, eine nachvollziehbare Abzinsung vermißt und behauptet, die Schäden und der schlechte Zustand der Leasingfahrzeuge seien nicht von ihnen zu verantworten, da die Fahrzeuge nach der Rückgabe an die Klägerin von Dritten intensiv weiter benutzt worden seien.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr bis auf einen Teil der geforderten Zinsen stattgegeben. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung und Zurückverweisung an die Vorinstanz.
I. Die Revision zieht nicht in Zweifel, daß die Beklagten zum Ersatz des Schadens verpflichtet sind, der der Klägerin aufgrund der von ihnen veranlaßten fristlosen Kündigung entstanden ist. Aus Rechtsgründen ist hiergegen nichts einzuwenden.
II. Das Berufungsgericht hat das Schadensersatzbegehren in der zuletzt geltend gemachten Höhe für begründet gehalten und dazu ausgeführt:
In zweiter Instanz habe die Klägerin den ihr entstandenen Schaden durch Einreichung einer geordneten und übersichtlichen Zusammenstellung schlüssig dargetan. Das gelte auch für die von den Beklagten weiterhin angegriffene Abzinsung. Die Beklagten hätten deshalb im einzelnen aufzeigen müssen, welche Angaben oder Berechnungen sie in bezug auf die Abzinsung immer noch vermißten. Was die Beschädigungen der Leasingfahrzeuge anbelange, könne unterstellt werden, daß diese erst nach der Überlassung der Fahrzeuge an die Firma T. eingetreten seien, denn die Beklagten seien auch weiterhin dafür verantwortlich gewesen, daß die Fahrzeuge nach Vertragsende in ordnungsgemäßem Zustand an die Klägerin zurückgelangten. Mit ihrer Behauptung, die Beschädigungen seien erst durch Weiterbenutzung der Fahrzeuge nach deren Rückgabe an die Klägerin eingetreten, könnten die Beklagten "nicht gehört werden", weil dieses Vorbringen der Beklagten mit ihren eigenen vorprozessualen Äußerungen in Widerspruch stehe. In einem Schreiben vom 18. Mai 1992 an die Firma T. hätten die Beklagten nämlich selbst ausgeführt, die inzwischen taxierten Fahrzeuge wiesen einen schlechten Allgemeinzustand und erhebliche Beschädigungen auf.
III. Diese Verfahrensweise rügt die Revision mit Recht als fehlerhaft. Der vom Berufungsgericht angenommene Widerspruch zu vorprozessualen Äußerungen der Beklagten vermag die Übergehung des Beweisantritts der Beklagten für den angeblichen Zeitpunkt der Beschädigung der Leasingfahrzeuge nicht zu rechtfertigen.
Die Beweisaufnahme über eine beweiserhebliche Tatsache darf nur dann abgelehnt werden, wenn die unter Beweis gestellte Behauptung so ungenau ist, daß ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie aufs Geratewohl, gleichsam "ins Blaue" aufgestellt und deshalb rechtsmißbräuchlich ist (BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 - X ZR 88/90 = BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweisantrag, Ablehnung 6 m.w.Nachw.; Urteil vom 14. Januar 1993 - VII ZR 185/91 = WM 1993, 1853 = NJW 1993, 2674 [BGH 14.01.1993 - VII ZR 185/91 KG] unter II 2 b bb; Senatsurteile vom 1. Dezember 1993 - VIII ZR 243/92 = WM 1994, 706 unter II 2 b = BGHR ZPO § 286 Abs. 1 Beweisantrag, Ablehnung 12 und vom 3. Mai 1995 - VIII ZR 95/94 = WM 1995, 1235 [BGH 03.05.1995 - VIII ZR 95/94] unter II 3 a bb). Weder das eine noch das andere ist hier der Fall.
Vorprozessuale Äußerungen einer Partei sind generell nicht geeignet, ihrem Prozeßvortrag die Beachtlichkeit zu nehmen. Ob mit Blick auf solche Äußerungen dem Prozeßvortrag einer Partei letzten Endes der Erfolg versagt bleibt, kann erst im Rahmen der abschließenden Würdigung nach § 286 ZPO unter Einschluß der Ergebnisse einer verfahrensrechtlich gebotenen Beweisaufnahme beurteilt werden.
IV. Die Sache mußte deshalb unter Aufhebung des Berufungsurteils an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, damit die erforderlichen Beweise erhoben werden. Im Zuge der erneuten Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits wird das Berufungsgericht ferner Gelegenheit haben, auf die weitere Rüge der Revision einzugehen, das angefochtene Urteil lasse nicht erkennen, ob das Berufungsgericht von seinem Ermessen bei der Wahl der Abzinsungsmethode Gebrauch gemacht und die Anwendung der den Beklagten angeblich günstigeren Barwertmethode in Erwägung gezogen habe.