Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.05.1995, Az.: I ZR 151/93

Frachtführer; Inkonnexe Forderung; Vorkasse; Vertraglicher Pfandund Zurückbehaltungsrechtsausschluß; Verlust des Gutes durch Versteigerung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
18.05.1995
Aktenzeichen
I ZR 151/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 15499
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • MDR 1995, 1017-1018 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1995, 2917-2918 (Volltext mit amtl. LS)
  • RIW 1995, 776-778 (Volltext mit amtl. LS)
  • TranspR 1995, 383-384 (Volltext mit amtl. LS)
  • VRS 1996, 81
  • VersR 1995, 1469-1470 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1995, 1626-1628 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Verlangt der Frachtführer mit Rücksicht auf eine zwischen ihm und dem Absender streitige inkonnexe Forderung (aus einem früheren Frachtgeschäft) für die Ausführung eines (weiteren) Beförderungsauftrags Vorkasse, liegt darin die vertragliche Zusage, an dem nach Zahlung des Vorkassenbetrags zur Beförderung übernommenen Gut kein Pfand- oder Zurückbehaltungsrecht wegen der umstrittenen inkonnexen Forderung geltend zu machen. Der Frachtführer handelt in einem solchen Fall hinsichtlich der ihn treffenden Vertragspflichten zumindest grob fahrlässig bzw. mit dem Vorsatz gleichstehenden Verschulden, wenn er ungeachtet der Vorkassenvereinbarung das Gut aufgrund des beanspruchten Pfandrechts versteigern läßt.

2. Verlust i. S. d. Art. 17 Abs. 1 CMR ist gegeben, wenn der Frachtführer das von ihm zur Beförderung übernommene Gut in Ausübung eines von ihm beanspruchten Pfandrechts nicht an den Empfänger ausliefert, sondern - sei es auch in Kenntnis des Absenders versteigern läßt.

Tatbestand:

1

Der Kläger erteilte am 3. Dezember 1987 gegenüber der Beklagten, die zur B. L.-Gruppe gehört, den Auftrag, zwei Container mit Isolierprodukten von Glasgow/Großbritannien nach München zu befördern. Beide Seiten bestätigten mit Schreiben vom 4. Dezember 1987 die Auftragserteilung. Die Beklagte erklärte in ihrem Fernschreiben: "wie telefonisch besprochen, erhalten wir am montag, 07.12.1987, einen scheck ihres hauses über die frachtkosten."

2

Die B. L. Ltd. erstellte über die Frachtkosten zwei Rechnungen vom 10. und 11. Dezember 1987 über insgesamt 3.129,-- DM, die mit Scheck bezahlt und am 10. Dezember 1987 dem Konto des Klägers belastet wurden.

3

Die Empfängerin der Sendung, die D.-Vertrieb GmbH, erwartete die Auslieferung der Container am 11. und 14. Dezember 1987. Mit Fernschreiben vom 10. Dezember 1987 teilte die B. L. R./Niederlande dem Kläger jedoch mit, die Auslieferung werde sich verzögern, wenn der Kläger nicht eine wegen früherer Rechnungen noch offene Forderung der B. L. Ltd. über 7.372,08 DM nebst Zinsen begleiche.

4

Der Kläger verweigerte die Zahlung auf die von ihm bestrittene Forderung. Er verlangte mit Fernschreiben vom 14. Dezember 1987 die Auslieferung bis zum 16. Dezember 1987 als der letzten Frist, die ihm sein eigener Kunde gestellt habe, und teilte der Beklagten mit, sie könne, wenn der Auftrag nicht fristgemäß erledigt werde, über die Ware verfügen; er werde dann Schadensersatz fordern.

5

Zu einer Auslieferung kam es nicht; das Frachtgut wurde in den Niederlanden versteigert.

6

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises für das Isoliermaterial (64.995,37 DM) sowie der Anwaltskosten (1.271,67 DM) und der vorgerichtlichen Mahnkosten von 10,-- DM.

7

Der Kläger hat behauptet, bei Erteilung des Auftrags habe sein Vertriebsleiter mit einer Mitarbeiterin der Beklagten vereinbart, daß die Beklagte wegen der noch offenstehenden Rechnungen kein Pfandrecht oder Zurückbehaltungsrecht ausüben und das Frachtgut ausliefern werde, wenn das Frachtgeld für diesen Transport im voraus bezahlt werde.

8

Der Kläger hat beantragt,

9

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 66.267,04 DM nebst 7,5 % Zinsen seit dem 14. Januar 1988 sowie 10,-- DM vorgerichtliche Mahnkosten zu zahlen.

10

Die Beklagte hat demgegenüber vorgetragen, der Beförderungsvertrag sei nicht mit ihr, sondern der B. L. Ltd. geschlossen worden. Nach deren - in den Vertrag einbezogenen - Allgemeinen Transportbedingungen stehe der B. L. Ltd. ein Pfandrecht an Waren zu "zum Ausgleich von Fracht- und sonstigen Forderungen, die fällig und an B. L. Limited zahlbar sind". Von diesem Recht sei Gebrauch gemacht worden. Bei Auftragserteilung sei die behauptete mündliche Nebenabrede nicht getroffen worden. Im übrigen hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

11

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klageansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

12

I. Das Berufungsgericht hat unterstellt, daß der behauptete Vertrag über die Gestellung und den Transport von zwei Containern zwischen den Parteien zustande gekommen sei. Denn ein etwaiger Anspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen der Nichtauslieferung des Frachtgutes sei jedenfalls verjährt.

13

Für einen etwaigen Schadensersatzanspruch des Klägers aus Art. 17 CMR auf Ersatz wegen Verlustes des Frachtgutes oder Verspätung habe eine Verjährungsfrist von einem Jahr gegolten; von einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Vertragsverletzung, bei der eine Verjährungsfrist von drei Jahren eingreife, könne nicht ausgegangen werden.

14

Die behauptete mündliche Vereinbarung bei Auftragserteilung, daß der Transport und die Ablieferung des Frachtgutes unabhängig von der Bezahlung noch offener Rechnungen durchzuführen sei, könne aufgrund der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Die Beweislast trage der Kläger.

15

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

16

1. Aufgrund der Unterstellung des Berufungsgerichts ist auch im Revisionsverfahren davon auszugehen, daß der behauptete Vertrag - sei es ein Frachtvertrag, sei es ein Speditionsvertrag - zwischen den Parteien zustande gekommen ist.

17

Die Unterstellung bezieht sich nur auf die Frage, ob auch der Kläger Vertragspartei geworden ist. Daß der Auftrag der Beklagten - nicht etwa der B. L. Ltd. - erteilt wurde, hat das Berufungsgericht im unstreitigen Tatbestand dargelegt, ohne daß die Beklagte einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt hätte. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung besteht zwischen dem unstreitigen Tatbestand des Berufungsurteils und der späteren Angabe im Tatbestand, daß die Beklagte geltend gemacht habe, der Vertrag sei nicht mit ihr zustande gekommen, kein Widerspruch, weil das Berufungsgericht an dieser Stelle nur das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten wiedergegeben hat. Dem Tatbestand ist deshalb zu entnehmen, daß das Vorbringen des Klägers zur Passivlegitimation der Beklagten im Berufungsverfahren unstreitig geworden ist. Dafür spricht im übrigen auch, daß die Beklagte in ihren Schriftsätzen ihr Bestreiten zu dieser für die Entscheidung des Rechtsstreits offensichtlich ganz wesentlichen Frage nicht wiederholt hat, obwohl das Landgericht - im Einklang damit, daß der Auftrag von der Beklagten bestätigt worden war (Fernschreiben vom 4. Dezember 1987) - die Beklagte als Vertragspartei angesehen hatte.

18

2. Für das Vertragsverhältnis der Parteien gelten die Vorschriften des Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), da der Ort der Übernahme des Gutes und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in zwei Vertragsstaaten des Übereinkommens liegen (Art. 1 Abs. 1 CMR).

19

Haftungsgrundlage für den Schadensersatzanspruch des Klägers ist danach Art. 17 Abs. 1 CMR, der eingreift, wenn während der Zeit der Obhut des Frachtführers am Gut dieses in Verlust gerät. Diese Voraussetzungen für die Haftung der Beklagten sind vorliegend gegeben. Es ist unstreitig, daß das Gut seitens der Beklagten übernommen, aber nicht beim Empfänger abgeliefert, sondern in den Niederlanden versteigert worden ist. Damit war es für den Kläger im Sinne des Art. 17 Abs. 1 CMR in Verlust geraten, ohne daß es insoweit noch auf die Verlustvermutung des Art. 20 CMR ankäme. Dem steht nicht entgegen, daß der Kläger selber der Beklagten mitgeteilt hat, sie könne, wenn sie den Beförderungsauftrag nicht fristgerecht ausführe, über die Ware verfügen. Diese Erklärung und der damit verbundene weitere Hinweis des Klägers, daß er sodann Schadensersatz verlangen werde, waren lediglich der Versuch, die Beklagte unter Hinweis auf die Folgen auftragswidrigen Verhaltens doch noch zur Auslieferung des Gutes an den Empfänger zu bewegen, änderten aber nichts daran, daß das Gut im Hinblick auf das von der Beklagten beanspruchte Pfandrecht nicht mehr zur Disposition des Klägers stand und damit - spätestens im Zeitpunkt der Versteigerung - für ihn verloren war.

20

3. Der Annahme des Berufungsgerichts, daß der Kläger auch dann, wenn er selbst Vertragspartei geworden sein sollte, von der Beklagten keinen Schadensersatz fordern könne, weil sein Anspruch jedenfalls nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 CMR verjährt sei, kann nicht beigetreten werden. Für den Schadensersatzanspruch aus Art. 17 Abs. 1 CMR gilt nicht eine Verjährungsfrist von einem Jahr, sondern die Verjährungsfrist des Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR von drei Jahren. Denn die Beklagte hat den Kläger durch die Nichtauslieferung des Gutes an den Empfänger zumindest grob fahrlässig, also mit einem dem Vorsatz gleichstehenden Verschulden im Sinne dieser Bestimmung (BGH, Urt. v. 3.11.1994 - I ZR 100/92, Umdr. S. 13 (zu Art. 29 CMR), zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Koller, Transportrecht, 2. Aufl., Art. 29 CMR Rdn. 2 f.; Art. 32 CMR Rdn. 7), geschädigt. Auf das Bestehen eines Pfandrechts aufgrund (inkonnexer) Forderungen aus anderen Geschäften kann sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Nichtauslieferung des übernommenen Gutes nicht berufen. Das folgt aus den Abreden der Parteien bei der Auftragserteilung.

21

Die Beklagte hatte für die Durchführung des Auftrags Vorkasse durch Scheckzahlung verlangt. Damit hatte sie zugesagt, bei Zahlung den Auftrag auch auszuführen und das Gut auszuliefern. An diesem Erklärungsgehalt ihres eigenen Verhaltens muß sie sich festhalten lassen. Hätte sie erklärt, das Gut trotz Vorkasse nur nach Erfüllung anderer noch offenstehender Forderungen ausliefern zu wollen, wäre selbstverständlich auf die Inanspruchnahme ihrer Dienste verzichtet worden und dementsprechend die Zahlung der Vorkasse unterblieben. Das war - ebenso selbstverständlich - der Beklagten bewußt.

22

Schon aufgrund der dargelegten Vereinbarung zur Durchführung des Auftrags war die Beklagte gehindert, unter Berufung auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen ein Pfandrecht an dem ihr übergebenen Gut wegen Forderungen aus anderen Verträgen geltend zu machen. Im übrigen hätte der Beklagten auch aus den - ebenfalls anwendbaren - ADSp kein Pfandrecht zugestanden. Denn die Voraussetzungen, unter denen nach § 50 Buchst. c ADSp ein Pfandrecht hinsichtlich inkonnexer Forderungen gegeben sein kann, sind im Streitfall nicht gegeben.

23

Falls die Beklagte nicht im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ihres Vorgehens handelte, war ihre Fehleinschätzung der Rechtslage und damit auch ihre Schadensverursachung durch die Nichtauslieferung des Gutes an den Empfänger zumindest grob fahrlässig. Der Umstand, daß die Vorinstanzen bei ihrer nachträglichen Beurteilung des Vorgehens der Beklagten ein rechtswidriges Verhalten nicht feststellen konnten, entlastet diese nicht. Die Vorinstanzen haben übersehen, welchen Erklärungsinhalt die Auftragsannahme unter Forderung von Vorkasse - auch ohne Feststellbarkeit einer ausdrücklichen mündlichen Abrede - bereits für sich hatte, während dieser für die Beklagte selbst auf der Hand lag.

24

4. Die geltend gemachte Schadensersatzforderung ist danach jedenfalls nicht verjährt, da die maßgebliche Verjährungsfrist von drei Jahren noch nicht abgelaufen ist. Letzteres zieht auch die Beklagte nicht in Zweifel.

25

Eine eigene Entscheidung des Senats ist auf der Grundlage des bisherigen Verfahrensstands nicht möglich. Für die Entscheidung kommt es nunmehr, abgesehen von Feststellungen zum Schadensumfang, auf die Frage an, ob der Kläger Vertragspartner der Beklagten war. Dafür spricht, daß der Auftrag von dem Zeugen Ba. mit Fernschreiben vom 4. Dezember 1987 im Namen des Klägers bestätigt wurde und auch die Auftragsbestätigung der Beklagten im Fernschreiben vom 4. Dezember 1987 an den Kläger selbst gerichtet war. Andererseits hat aber der Zeuge Ba. ausgesagt, sein Arbeitgeber sei damals die I., eine GmbH, gewesen; er habe den Auftrag im Namen dieser Firma erteilt.

26

III. Bei dieser Sachlage ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.