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Bundesgerichtshof
Urt. v. 12.05.1995, Az.: V ZR 34/94

Eventuelle Klagehäufung; Abweisung des Hauptantrags; Teilurteil; Kausalität; Täuschung; Abgabe der Willenserklärung; Darlegungslast; Zusicherung; Kausalität nach Lebenserfahrung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
12.05.1995
Aktenzeichen
V ZR 34/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 15351
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • JurBüro 1995, 610 (Kurzinformation)
  • MDR 1996, 464-465 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJ 1995, 503 (amtl. Leitsatz)
  • NJW 1995, 2361-2362 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1995, 1496-1497 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1995, 1540-1542 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

1. Bei eventueller Klagehäufung ist die Abweisung des Hauptantrags durch Teilurteil grundsätzlich zulässig (Bestätigung von BGHZ 56, 79).

2. Für die Darlegung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung genügt es, daß der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein konnten, und daß die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluß auf die Entschließung hat.

3. Ist ein Umstand, über dessen Vorhandensein eine Vertragspartei getäuscht hat, zugleich Gegenstand einer vertraglichen Zusicherung gewesen, so rechtfertigt dies nach der Lebenserfahrung die Annahme, daß die Täuschung die Entschließung des anderen Vertragsteils beeinflußt hat.

Tatbestand:

1

Mit notariellem Vertrag vom 2. Mai 1990 kauften die Kläger durch Vermittlung des Beklagten zu 3 von den Beklagten zu 1 und 2 ein mit einem dreigeschossigen Haus und einer Halle bebautes Grundstück zum Preise von 400.000 DM. Der Vertrag enthält u. a. folgende Klausel:

2

"... Dem Käufer ist die bestehende Wohnungsbindung und die damit verbundenen Rechtsfolgen bezüglich der beiden Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoß, insbesondere in Gestalt der Wirtschaftlichkeitsberechnung, der Kostenmiete und der Wohnberechtigungsscheine der Mieter, bekannt. Außerhalb der beiden Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoß besteht entsprechend der hiermit übernommenen Zusicherung des Verkäufers keine Wohnungsbindung."

3

Nach beiderseitiger Erfüllung der Vertragspflichten erklärten die Kläger mit Schreiben vom 15. Mai 1991 die Anfechtung des Vertrages - Kaufvertrag und Auflassung - wegen arglistiger Täuschung, da die Wohnung im ersten Obergeschoß entgegen der vertraglichen Zusicherung ebenfalls der Wohnungsbindung unterlag.

4

Sie verlangen von den Beklagten Rückzahlung des Kaufpreises sowie Ersatz von Aufwendungen und Schäden, die nach ihrer Auffassung im Zusammenhang mit dem Vertragsschluß stehen, Zug um Zug gegen lastenfreie Rückgabe des Grundstücks und gegen Grundbuchberichtigung. Von der Gesamtsumme machen sie im Wege der Teilklage einen Betrag von 474.000 DM geltend und verlangen Freistellung von einer gegenüber dem Vater der Klägerin im Rahmen der Finanzierung des Kaufpreises eingegangenen Verpflichtung. Ferner begehren sie die Feststellung der Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrages einschließlich der Auflassung sowie - erstmals in zweiter Instanz - Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz aller weiteren aus der arglistigen Täuschung entstandenen Schäden. Schließlich machen sie hilfsweise, für den Fall, daß der Kaufvertrag fortbesteht, einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung in Höhe von 150.000 DM geltend.

5

Das Landgericht hat die seinerzeitigen Hauptanträge durch Teilurteil abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat zur Zurückweisung des Rechtsmittels und zur Abweisung der im Berufungsverfahren erhobenen Feststellungsklage geführt. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre zuletzt gestellten Anträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

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I. Das Berufungsgericht hält das landgerichtliche Teilurteil für zulässig und im Ergebnis für zutreffend. Zwar hätten die Beklagten zu 1 und 2 wahrheitswidrig zugesichert, daß das erste Obergeschoß nicht von der Wohnungsbindung erfaßt sei. Doch könne nicht festgestellt werden, daß die darin liegende Täuschung für den Kaufentschluß der Kläger ursächlich geworden sei. Das Verhalten der Beklagten zu 1 und 2 rechtfertige auch nicht einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des gesamten Vertrages und damit seine Rückabwicklung. Voraussetzung dafür sei nämlich, daß der verbliebene Teil der Leistung der Beklagten für die Kläger ohne Interesse sei. Davon könne indes nicht ausgegangen werden.

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Das Berufungsgericht verneint ferner wegen verschiedener anderer von den Klägern vorgetragener Umstände eine Anfechtbarkeit des Vertrages und eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten zu 1 und 2. Eine Haftung des Beklagten zu 3 sieht es schon deswegen als nicht gegeben an, weil dieser nicht Vertragspartner der Kläger sei und die Voraussetzungen für eine Haftung als Verhandlungsführer unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß nicht vorlägen.

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II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand.

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1. Zu Recht ist das Berufungsgericht allerdings von der Zulässigkeit des Teilurteils ausgegangen. Die von der Revision dagegen vorgebrachten Bedenken greifen nicht durch.

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Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es zulässig, einen Hauptantrag durch Teilurteil abzuweisen und die Entscheidung über den Hilfsantrag zurückzustellen (BGHZ 56, 79; BGH, Urt. v. 13. Februar 1992, III ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2081). Hiergegen ist in der Literatur zwar verschiedentlich der Einwand erhoben worden, bei dieser Verfahrensweise bestehe die Gefahr widersprechender Entscheidungen, da über die Teile des Rechtsstreits in verschiedenen Instanzen entschieden werden könne (vgl. Bülow, DNotZ 1971, 376, 377; de Lousanoff, Zur Zulässigkeit des Teilurteils gemäß § 301 ZPO, 1979, S. 135 f; Zöller/Vollkommer, ZPO, 19. Aufl., § 301 Rdn. 8). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Bei richtiger Betrachtung hängt das dem Hilfsantrag stattgebende Urteil nämlich in seiner Wirksamkeit davon ab, daß der Hauptantrag rechtskräftig abgewiesen wird (MünchKomm-ZPO/Musielak, § 301 Rdn. 9; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., § 99 IV 3 e). Damit besteht regelmäßig nicht die Gefahr divergierender Entscheidungen. Nur wenn aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Erlaß eines Teilurteils miteinander unvereinbare Entscheidungen zur Folge hat, ist eine andere Beurteilung geboten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn zwei selbständig nebeneinander stehende Klagegründe zugleich wechselseitig im Eventualverhältnis geltend gemacht werden (BGH, Urt. v. 13. Februar 1992, III ZR 28/90, NJW 1992, 2080, 2081). So liegt der Fall entgegen der Auffassung der Revision hier auch bei wertender Betrachtung nicht. Die im Eventualverhältnis erhobenen Ansprüche betreffen nämlich verschiedene Streitgegenstände, die nicht wechselseitig als Hilfsanträge zur Entscheidung gestellt werden. Widersprüchliche Entscheidungen sind damit nicht zu besorgen. Daß die Frage der arglistigen Täuschung und der Kausalität als Vorfrage für beide Streitgegenstände von Bedeutung ist, ist der Revision zwar zuzugeben, ändert aber an der rechtlichen Beurteilung nichts, da die Entscheidung hierüber nicht in Rechtskraft erwächst.

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2. Nicht zu beanstanden ist auch die Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 3.

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a) Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Beklagte zu 3 nicht Vertragspartner der Kläger war. Die hiergegen erhobene Rüge greift nicht durch. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich nämlich aus dem Exposé des Beklagten zu 3, welches Grundlage der Vertragsverhandlungen war, nicht der Abschluß eines Maklervertrages zwischen den Klägern und dem Beklagten zu 3. Hierin kann allenfalls ein Angebot zu einem solchen Vertrag erblickt werden. Die Revision zeigt hingegen keinen vom Berufungsgericht etwa übergangenen Sachvortrag der Kläger auf, der den Schluß auf eine Vertragsannahme rechtfertigt. Die Kläger haben vielmehr selbst vorgetragen, keinen Vertrag mit dem Beklagten zu 3 geschlossen zu haben.

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b) Daß der Beklagte zu 3 aufgrund seiner Stellung als Verhandlungsführer nicht aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß haftet, ist vom Berufungsgericht ohne Rechtsfehler angenommen worden. Die Revision tritt dem auch nicht entgegen.

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c) Ohne Erfolg bleibt die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe es unterlassen, eine Haftung des Beklagten zu 3 nach § 826 BGB zu prüfen. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen ersichtlich nicht vor. Die Revision vermag auf keinen Sachvortrag in den Tatsacheninstanzen zu verweisen, aus dem auf eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung durch den Beklagten zu 3 geschlossen werden kann.

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3. Das angefochtene Urteil kann jedoch im übrigen keinen Bestand haben. Das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit der von den Klägern erklärten Anfechtung des Grundstückskaufvertrages und der darin enthaltenen Auflassung zu Unrecht verneint.

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a) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, rechtfertigen die getroffenen Feststellungen die Annahme, daß die Beklagten zu 1 und 2 die Kläger arglistig darüber getäuscht haben, daß die Wohnung im ersten Obergeschoß ebenfalls der Wohnungsbindung unterlag.

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b) Das Berufungsgericht hat indes die Kausalität der arglistigen Täuschung für den Kaufentschluß mit fehlerhaften Erwägungen verneint. Für die Annahme eines Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung genügt es, daß der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein konnten, und daß die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluß auf die Entschließung hat (Senatsurt. v. 5. Dezember 1975, V ZR 34/74, WM 1976, 111, 113). Diese Voraussetzungen sind hier entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gegeben. Da es den Streitstoff insoweit fehlerhaft subsumiert hat und weitere tatsächliche Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind, kann der Senat die Umstände selbst würdigen (BGHZ 122, 308, 316).

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Die Frage der Wohnungsbindung war Gegenstand der Vertragsverhandlungen und der in die Vertragsurkunde aufgenommenen Erklärungen. Dabei wurde die Wohnungsbindungsfreiheit hinsichtlich des ersten Obergeschosses eigens zugesichert. Dies rechtfertigt nach der Lebenserfahrung die Annahme, daß die Täuschung die Entschließung der Kläger beeinflußt hat. Denn eine für den Vertragsschluß bedeutungslose Eigenschaft wird im allgemeinen nicht ausdrücklich zugesichert. Daß die arglistig hervorgerufene Fehlvorstellung unter Umständen nicht das einzige für den Vertragsschluß bestimmende Moment war, ist unerheblich. Es genügt, daß es mitursächlich war (MünchKomm-BGB/Kramer, 3. Aufl., § 123 Rdn. 9 m.w.N.). Der Beweis der Ursächlichkeit der Täuschung ist damit zumindest dem Anschein nach erbracht. Die Beklagten haben keine Umstände aufgezeigt, die zu einer anderen Bewertung führen. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Ursächlichkeit sei deswegen zu verneinen, weil sich die Kläger auch durch die auf den Wohnungen im zweiten und dritten Obergeschoß lastende Wohnungsbindung nicht von dem Kauf haben abhalten lassen. Dieser Schluß ist jedoch nicht berechtigt. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die vertraglichen Vereinbarungen machen vielmehr deutlich, daß die Kläger die Wohnungsbindung im zweiten und dritten Obergeschoß hingenommen haben, hingegen bezüglich des ersten Obergeschosses an einer frei kalkulierbaren Miete interessiert waren. Dabei ist auch der Umstand, daß diese Wohnung - wie von Anfang an beabsichtigt - an den Bruder bzw. Schwager der Kläger vermietet worden ist, ohne Bedeutung. Dies ändert nichts daran, daß die Kläger in der Mietpreisgestaltung gebunden sind und in rechtlich zulässiger Weise keine höhere Miete vereinnahmen können. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Kläger ist auch tatsächlich keine höhere Miete gezahlt worden.

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Soweit sich das Berufungsgericht in seiner Auffassung durch den Vortrag der Kläger zur Herabsetzung des Kaufpreises von ursprünglich 450.0o0 DM auf 400.000 DM bestätigt sieht, hat es - wie die Revision mit Recht rügt - den Vortrag fehlerhaft gewürdigt. Die Kläger haben behauptet, die Herabsetzung des Kaufpreises habe mit der Wohnungsbindung nichts zu tun gehabt. Dies rechtfertigt aber nicht den Schluß, daß die Wohnungsbindung für die Kaufentscheidung keine Rolle gespielt hat.

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c) Die Wirkungen der Anfechtung erfassen im vorliegenden Fall den Grundstückskaufvertrag und die zugleich erklärte Auflassung, da die Täuschung nicht nur für das Verpflichtungs-, sondern auch für das Erfüllungsgeschäft ursächlich geworden ist. Die Anfechtung war auch nicht nach § 144 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Die Annahme des Landgerichts, die Kläger hätten das anfechtbare Rechtsgeschäft schlüssig bestätigt, ist vom Berufungsgericht zu Recht nicht mehr aufgegriffen worden. Eine solche Würdigung wird dem Gesamtverhalten der Kläger nicht gerecht. Die Anfechtung hat damit zur Nichtigkeit des Vertrages geführt. Dies ist, da der Rechtsstreit insoweit zur Endentscheidung reif ist (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), auf Antrag der Kläger auszusprechen.

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4. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung erfüllt zugleich die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Kläger gegen die Beklagten zu 1 und 2 unter dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß. Dieser Anspruch kann unabhängig davon geltend gemacht werden, ob das Anfechtungsrecht ausgeübt worden ist. Die Vorschriften des Anfechtungsrechts stellen gegenüber dem Schadensersatzanspruch keine diesen ausschließende Spezialregelung dar (vgl. Senatsurt. v. 21. Juni 1974, V ZR 15/73, NJW 1974, 1505, 1506 und v. 22. Oktober 1976, V ZR 247/75, LM BGB § 123 Nr. 47; MünchKomm-BGB/Kramer, 3. Aufl., § 123 Rdn. 30).

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III. Da das Urteil - soweit sich die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 richtet - schon aus diesen Gründen der Aufhebung unterliegt, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob auch die übrigen von den Klägern vorgetragenen Gründe eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung rechtfertigen und einen Schadensersatzanspruch zur Folge haben. Das Berufungsgericht wird dies unter dem Gesichtspunkt einer Haftung der Beklagten zu 1 und 2 wegen Verschuldens bei Vertragsschluß bezüglich aller geltend gemachten Schadenspositionen zu untersuchen haben, sofern nicht bereits die Täuschung über das Bestehen der Wohnungsbindung im ersten Obergeschoß in vollem Umfang schadensersatzbegründend ist. Daneben kommt eine deliktsrechtliche Haftung in Betracht (§§ 826, 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB). Die von dem Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - geprüften Normen, § 463 und §§ 325, 326, 440 BGB, sind hingegen nicht anwendbar, da es infolge der wirksamen Anfechtung an der erforderlichen vertraglichen Grundlage fehlt.