Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.05.1994, Az.: XI ZB 2/94
Anschlußberufung; Unzulässigkeit; Vorabentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 10.05.1994
- Aktenzeichen
- XI ZB 2/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 15212
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- LM H. 10 / 1994 § 301 ZPO Nr. 50
- MDR 1994, 940 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1994, 2235-2236 (Volltext mit amtl. LS)
- SGb 1994, 572 (amtl. Leitsatz)
- VersR 1994, 1367 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Über eine unselbständige Anschlußberufung darf auch dann nicht vorab entschieden werden, wenn die Anschlußberufung unheilbar unzulässig ist.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einem Scheck über 100.000 DM in Anspruch. Die Beklagte hat im Wege der Widerklage von der Klägerin und dem Widerbeklagten zu 2) die Zahlung von 3.200 DM begehrt.
Das Landgericht hat die Klage sowie die gegen den Widerbeklagten zu 2) gerichtete Widerklage abgewiesen. In Richtung auf die Klägerin hat es der Widerklage stattgegeben.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Nach Ablauf der Berufungsfrist hat sich die Beklagte der Berufung angeschlossen. Sie begehrt vom Widerbeklagten zu 2) die Zahlung von 3.200 DM und von der Klägerin in erster Linie weitere 23.225,68 DM, jeweils zuzüglich Zinsen. Durch Beschluß vom 7. Februar 1994 hat das Berufungsgericht die Anschlußberufung der Beklagten gegen den Widerbeklagten zu 2) als unzulässig verworfen, da sich eine Anschlußberufung nur gegen den Berufungskläger richten könne und der Widerbeklagte zu 2) gegen das Urteil des Landgerichts keine Berufung eingelegt habe.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Sie ist der Ansicht, wegen der engen Verzahnung mit der Berufung habe über ihre unselbständige Anschlußberufung gegen den Widerbeklagten zu 2) nicht gesondert vorentschieden werden dürfen.
II. Die nach §§ 522 a Abs. 3, 519 b Abs. 2, 547 ZPO statthafte und nach §§ 569, 577 Abs. 2 ZPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Beschluß verstößt gegen §§ 301 Abs. 1, 522 Abs. 1 ZPO. Zwar hat das Berufungsgericht kein Teilurteil sondern einen Beschluß erlassen. Der in § 301 ZPO zum Ausdruck gekommene Rechtssatz, daß über abgrenzbare Teile des Streitgegenstands nur dann ein Urteil ergehen darf, wenn diese zur Ententscheidung reif sind, gilt aber dann, wenn nicht durch Urteil sondern durch Beschluß entschieden wird (vgl. BGH, Beschluß vom 20. November 1953 - IV ZB 96/53, NJW 1954, 109, 110).
An dieser Entscheidungsreife fehlt es hier. Die von der Beklagten eingelegte unselbständige Anschlußberufung zeichnet sich durch ihre Abhängigkeit von der Berufung der Klägerin aus. Nach § 522 Abs. 1 ZPO verliert die Anschlußberufung ihre Wirkung, wenn die Berufung zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird. Die Möglichkeit, daß die Berufung der Klägerin mit Einwilligung der Beklagten (§ 515 Abs. 1 ZPO) zurückgenommen wird, ist - zumindest theoretisch - gegeben. Solange dies der Fall ist, ist das rechtliche Schicksal der unselbständigen Anschlußberufung in der Schwebe mit der Folge, daß eine abgesonderte Entscheidung über sie nicht ergehen darf (RGZ 159, 293, 294 f.; BGHZ 16, 71, 74; 20, 311, 312 [BGH 30.04.1956 - II ZR 217/54]; BGH, Beschluß vom 20. November 1953 - IV ZB 96/53, NJW 1954, 109, 110; BGH, Urteil vom 13. Oktober 1954 - VI ZR 49/54, LM § 521 Nr. 4; BAG NJW 1975, 1248).
Das gilt, anders als ein Teil der Literatur ohne Angabe von Gründen meint (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, § 521 Rdn. 40; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 52. Aufl. § 522 Rdn. 3 unter unrichtiger Berufung auf BGH NJW 1980, 2313 f.; s. auch OLG Celle NJW 1962, 815 [OLG Celle 10.11.1961 - 11 U 84/61]), auch dann, wenn die unselbständige Anschlußberufung, wovon das Berufungsgericht hier zu Recht ausgegangen ist, unheilbar unzulässig ist. Auch in einem solchen Fall hängt der Bestand einer selbständigen Vorabentscheidung über die Anschlußberufung davon ab, daß die Hauptberufung nicht zurückgenommen wird. Es ist deshalb inkonsequent und mit § 301 Abs. 1 ZPO nicht vereinbar, eine Vorabentscheidung über die unheilbare Unzulässigkeit einer unselbständigen Anschlußberufung als zulässig, eine solche über deren (offensichtliche) Unbegründetheit dagegen als unzulässig anzusehen (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 522 Rdn. 7 Fn. 11; MünchKomm-ZPO/Musielak, § 301 Rdn. 11; AK-ZPO/Ankermann, § 522 Rdn. 6; Zöller/Schneider, ZPO 18. Aufl. § 521 Rdn. 31; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht 15. Aufl. S. 831; Schneider MDR 1976, 93, 95; Fenn NJW 1962, 1826; für heilbar unzulässige Anschlußberufungen s. auch: BGH, Beschluß vom 20. November 1953 - IV ZB 96/53, NJW 1954, 109, 110; Wieczorek/Rössler, ZPO 2. Aufl. § 521 Anm. E).
Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten war der angefochtene Beschluß daher aufzuheben. Dies hat zur Folge, daß der Beschwerdegegner in der Berufungsinstanz nicht als Zeuge vernommen werden kann, nimmt dem Berufungsgericht aber nicht die Möglichkeit, ihn gemäß § 141 ZPO als Partei zu hören und seinen Erklärungen im Rahmen der tatrichterlichen Überzeugungsbildung die ihnen zukommende Bedeutung beizumessen.