Bundesgerichtshof
Beschl. v. 30.03.1994, Az.: XII ZB 134/93
Vollständigkeit; Rechtsmittelschrift; Prozeßbevollmächtigter; Telefaxnummer; Büroaufgaben; Personal
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 30.03.1994
- Aktenzeichen
- XII ZB 134/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1994, 15714
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG München
- AG Erding
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- AnwBl 1994, 520-521 (Volltext mit amtl. LS)
- CR 1994, 530-532 (Volltext mit red. LS)
- FamRZ 1995, 33-34 (Volltext mit red. LS)
- SGb 1995, 206 (amtl. Leitsatz)
- VersR 1994, 1448-1450 (Volltext mit red. LS)
Redaktioneller Leitsatz
1. Die Überprüfung der Vollständigkeit einer Rechtsmittelschrift obliegt dem Prozeßbevollmächtigten allein.
2. Die Order eines Rechtsanwaltes, in seiner Kanzlei Telefaxnummern regelmäßig auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen, schließt sein Verschulden für den Fall aus, daß diese nicht immer aktuell sind.
3. Zur Wahrnehmung seiner Tätigkeit als Organ der Rechtspflege kann ein Rechtsanwalt sein geschultes und überwachtes Personal mit den anfallenden Büroaufgaben betrauen.
Gründe
I. Der Beklagte wurde durch ihm am 22. März 1993 zugestelltes Urteil des Familiengerichts - unter teilweiser Klageabweisung - zur Zahlung von Trennungs- und Kindesunterhalt verurteilt. Hiergegen legte er mit durch Telefax übermitteltem Schriftsatz vom 22. April 1993 seiner zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Berufung ein. Die mit der Übersendung betraute Kanzleiangestellte verwendete dazu die Telefaxnummer 5597-2850, bei der es sich um die Nummer der Zivilprozeßabteilung des Amtsgerichts München handelt. Dies hatte zur Folge, daß das Telefax zwar am 22. April 1993, 16.14 Uhr, beim Amtsgericht München einkam, aber erst am 23. April 1993 der bei diesem Gericht bestehenden Allgemeinen Einlaufstelle der Münchner Justizbehörden zuging.
Auf die nicht vor dem 26. April 1993 abgegangene Mitteilung des Oberlandesgerichts über den Eingang der Berufungsschrift beantragte der Beklagte mit am 6. Mai 1993 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ferner beantragte er am 24. Mai 1993 (Montag) für den Fall, daß dem Wiedereinsetzungsgesuch stattgegeben werde, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 24. Juni 1993. Mit am 15. Juni 1993 eingegangenem Schriftsatz begründete er die Berufung. Das Oberlandesgericht wies am 24. Juni 1993 das Wiedereinsetzungsgesuch des Beklagten sowie dessen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurück. Gegen diesen dem Beklagten am 13. Juli 1993 zugestellten Beschluß richtet sich die am 23. Juli 1993 mit dem Ziel eingelegte sofortige Beschwerde, mit der er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erstrebt.
II. Die nach §§ 238 Abs. 2, 519b Abs. 2, 621d Abs. 2, 621 Abs. 1 Nr. 4 und 5 ZPO statthafte und in gesetzlicher Form und Frist eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
1. Der Beklagte hat allerdings die Berufungsfrist von einem Monat (§ 516 ZPO), die am 22. April 1993 endete, nicht eingehalten. Durch die an diesem Tag beim Amtsgericht München durch Telefax eingegangene Berufungsschrift wurde sie nicht gewahrt. Zwar besteht bei diesem Gericht eine Allgemeine Einlaufstelle der Münchner Justizbehörden. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Präsidentin des Oberlandesgerichts München nehmen aber nach der bestehenden Vereinbarung der Präsidenten der Münchner Gerichte nur die Allgemeinen Einlaufstellen - nicht die Gerichte, bei denen eine Allgemeine Einlaufstelle besteht - Schriftsätze mit fristwahrender Wirkung auch für die anderen Gerichte entgegen. Für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsschrift war es deshalb erforderlich, daß sie noch am 22. April 1993 der Allgemeinen Einlaufstelle zuging. Dies ist nicht geschehen.
2. Dem Beklagten ist jedoch auf seinen rechtzeitig, innerhalb von zwei Wochen seit Behebung des Hindernisses (§ 234 Abs. 1 und 2 ZPO), gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne sein oder seiner Prozeßbevollmächtigten Verschulden verhindert war, die Notfrist des § 516 ZPO einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).
a) Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte im wesentlichen vorgetragen und glaubhaft gemacht: Nach Fertigstellung der Berufungsschrift am 22. April 1993 sei von seiner sachbearbeitenden Prozeßbevollmächtigten, der Rechtsanwältin S. -L., die bei ihr angestellte, sorgfältig und fehlerlos arbeitende Rechtsanwaltsgehilfin H. beauftragt worden, den Schriftsatz sofort per Telefax an die Einlaufstelle des Oberlandesgerichts München zu übermitteln. Frau H. habe ihn am gleichen Tag an die von ihr als gemeinsamen Telefaxanschluß für das Bayerische Oberste Landesgericht, das Oberlandesgericht, die Landgerichte München I und II sowie das Amtsgericht München notierte Telefonnummer 5597-2850 gesandt. Diese Nummer sei von Frau H. in den letzten Wochen und Monaten regelmäßig für fristwahrende Schriftsätze auch zum Oberlandesgericht München verwendet worden, ohne daß es zu einem Hinweis auf verspäteten Eingang gekommen sei. Frau H. sei sich sicher gewesen, daß die von ihr benutzte Nummer auch für fristwahrende Sendungen an das Oberlandesgericht verwendet werden könne. Seine Prozeßbevollmächtigte habe keinen Anlaß gehabt, an der Richtigkeit dieser Annahme zu zweifeln, da die ausdrückliche Weisung bestanden habe, die verwendeten Telefaxnummern immer wieder auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Erst Anfang des Jahres 1993 sei dem Sozius seiner Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt S. , aufgefallen, daß auf den Briefköpfen des Oberlandesgerichts eine andere Telefaxnummer angegeben war, als sie in der Kanzlei verwendet wurde. Er habe deshalb Frau H. ausdrücklich angewiesen, die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts erneut auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Frau H. habe daraufhin im Zusammenhang mit einem zu übermittelnden Schriftsatz bei einer Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts angerufen und die Auskunft erhalten, daß die Telefaxnummer 5597-2850 für fristwahrende Schriftsätze an das Oberlandesgericht noch richtig sei und verwendet werden könne. In dem Verzeichnis der Telefaxanschlüsse in der Kanzlei seiner Prozeßbevollmächtigten sei deshalb die Nummer 5597-2850 weiterhin für fristwahrende Schriftsätze an das Oberlandesgericht geführt worden.
Das Oberlandesgericht ist der Meinung, die Versäumung der Berufungsfrist beruhe auf einem Verschulden der Rechtsanwältin S. -L. und hat dazu ausgeführt: Der Telefaxanschluß 5597-2850 sei als gemeinsamer Telefaxanschluß der Münchner Justizbehörden Ende 1988 eingerichtet worden. Dies sei in Nr. 1 der Mitteilungen der Anwaltskammer für 1989 den Anwälten des Gerichtsbezirks mitgeteilt worden. In Nr. 1/1991 der Mitteilungen sei bereits ein Hinweis an die Rechtsanwälte enthalten gewesen, daß diese gemeinsame Fernkopierstelle und ihre Funktion als Allgemeine Einlaufstelle voraussichtlich zum 31. Dezember 1991 aufgehoben werde. Die Auflösung sei jedoch erst mit Wirkung vom 31. März 1992 erfolgt. Seitdem gelte für die Zivilsenate des Oberlandesgerichts München ausschließlich die Telefaxnummer 5597-3570. Die Aufhebung der gemeinsamen Fernkopierstelle der Münchner Justizbehörden sei den Rechtsanwälten des Oberlandesgerichtsbezirks in Nr. 2/1992 der Mitteilungen zur Kenntnis gebracht worden, die am 18. September 1992 verschickt worden sei. Bei dieser Sachlage könne sich die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten nicht darauf berufen, sie habe keine Kenntnis davon haben können, daß der Anschluß Nr. 5597-2850 nur noch dem Amtsgericht München für die dortige Zivilprozeßabteilung zugeordnet sei. Dies gelte um so mehr, als sie im Wiedereinsetzungsgesuch selber darauf hingewiesen habe, es sei bereits aufgefallen, daß auf den
Briefköpfen des Oberlandesgerichts eine andere Telefaxnummer als die in der Kanzlei verwendete angegeben sei. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Rechtsanwaltsgehilfin H. von einer Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts bestätigt bekommen habe, daß die Telefaxnummer 5597-2850 weiterhin für fristwahrende Schriftsätze verwendet werden könne. Die Anwältin des Beklagten müsse sich daran festhalten lassen, daß ihr die Auflösung der gemeinsamen Fernkopierstelle spätestens Anfang Oktober 1992 durch die Anwaltskammer mitgeteilt worden sei. Im Hinblick auf die Bedeutung der Angelegenheit habe die Anwältin ferner die Überprüfung selbst vornehmen müssen. Dies habe nicht nur durch Anruf bei einer Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts geschehen dürfen, da der Abdruck einer neuen Telefaxnummer in den Briefköpfen der Schreiben des Oberlandesgerichts bereits ein sehr deutliches Indiz dafür darstelle, daß die Telefaxnummer 5597-2850 eben nicht mehr für das Oberlandesgericht gelte.
Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden.
b) Richtig ist der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, daß der Prozeßbevollmächtigte eigenverantwortlich für eine ordnungsgemäße Rechtsmitteleinlegung zu sorgen hat. Insbesondere hat er zu prüfen, ob die Rechtsmittelschrift vollständig ist, alle notwendigen Angaben richtig wiedergibt und an das richtige Gericht adressiert ist (Senatsbeschluß vom 7. Oktober 1987 - IVb ZB 99/87 - VersR 1988, 251). Dies bedeutet jedoch nicht, daß es dem Anwalt zum Verschulden gereicht, wenn die in seiner Kanzlei verwendeten Telefaxnummern nicht stets dem neuesten Stand entsprechen, obwohl er angeordnet hat, daß die Telefaxnummern immer wieder auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sind. Um seinen eigentlichen Aufgaben als Organ der Rechtspflege gerecht werden zu können, darf sich der Rechtsanwalt von rein büromäßigen Aufgaben freihalten und diese sorgfältig geschulten und allgemein überwachten Angestellten überlassen (Senatsbeschluß vom 2. Mai 1990 - XII ZB 17/90 - BGHR ZPO § 233 Büropersonal 3 m.N.). Dies gilt auch für die Prüfung, ob die verwendeten Telefaxnummern noch dem bisherigen Adressaten zugeordnet sind. Diese Tätigkeit ist nicht unmittelbar Teil der dem Rechtsanwalt obliegenden Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten (§ 3 BRAO), sondern eine untergeordnete, ausführende Büroaufgabe. Es gereicht der Prozeßbevollmächtigten deshalb nicht zum Verschulden, daß sie die Veröffentlichung in den Mitteilungen der Anwaltskammer nicht bemerkt, sondern sich auf die Befolgung ihrer Anordnung durch das Büropersonal verlassen hat.
Aus demselben Grund ist es auch kein Verschulden des Rechtsanwalts S. , das der Beklagte sich zurechnen lassen müßte (BGH, Beschluß vom 4. Juli 1975 - IV ZB 22/75 - VersR 1975, 1028, 1029), daß er nicht selbst überprüft hat, ob die Nummer 5597-2850 noch (auch) dem Oberlandesgericht zugeteilt war, nachdem er bemerkt hatte, daß die auf den Schreiben des Oberlandesgerichts angegebene Telefaxnummer davon abwich. Die Überprüfung einer Telefaxnummer auf ihre Richtigkeit ist eine so einfache Tätigkeit, daß Rechtsanwalt S. ohne Verschulden davon ausgehen durfte, die bisher sorgfältig und fehlerlos arbeitende Frau H. werde seiner Anweisung korrekt nachkommen. Weder er noch Rechtsanwältin S. -L. brauchten damit zu rechnen, daß sie sich mit der Auskunft einer Geschäftsstelle begnügen würde, ohne sich - wie es richtig gewesen wäre - bei der Telefonzentrale oder der Verwaltung des Oberlandesgerichts vergewissert zu haben. Dabei kann offenbleiben, ob eine Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Frau H. eine unzutreffende Auskunft gegeben hat oder Frau H. die Auskunft mißverstanden hat. Denn in beiden Fällen wäre ein Schuldvorwurf gegen die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten nicht begründet. Hat die Geschäftsstelle eine falsche Auskunft gegeben, so fällt dies nicht in den Verantwortungsbereich der Rechtsanwälte (vgl. BGH, Beschluß vom 6. Oktober 1988 - VII ZB 17/88 - NJW 1989, 589). Hat hingegen Frau H. die Auskunft mißverstanden (etwa weil ihr gesagt worden war, die Nummer 5597-2850 könne für fristwahrende Schriftsätze verwendet werden, sofern der Schriftsatz noch am Tag des Eingangs der Allgemeinen Einlaufstelle zugehe), so handelt es sich um ein Versehen des Büropersonals. Dessen Verschulden kann dem Beklagten nicht zur Last gelegt werden.
Ein Rechtsschutzinteresse für die sofortige Beschwerde fehlt nicht deshalb, weil der Antrag des Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist abgelehnt worden ist. Soweit die Zulässigkeit einer nachträglichen Änderung der Ablehnungsentscheidung verneint werden sollte (vgl. dazu BVerfGE 79, 372 [BVerfG 28.02.1989 - 1 BvR 649/88]), wird zu prüfen sein, ob von Amts wegen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) die Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist in Betracht kommt.