Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.02.1994, Az.: XI ZR 105/93
Sittenwidrigkeit bei Gelegenheitsdarlehn; Sittenwidriger Vertrag; Rechtsmittelvereinbarung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 01.02.1994
- Aktenzeichen
- XI ZR 105/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 15000
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BB 1994, 596-597 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1994, 552-553 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1994, 335 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1994, 1056-1057 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1994, 563-565 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1994, 455-457 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1994, 179
- ZIP 1994, 450-452 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1994, A30-A31 (Kurzinformation)
Amtlicher Leitsatz
1. Zur Frage der objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit beim Gelegenheitsdarlehen.
2. Die Sittenwidrigkeit eines Darlehensvertrags macht für sich allein eine Vereinbarung mit dem Darlehensnehmer über die Nichteinlegung oder die Rücknahme von Rechtsmitteln gegen eine auf diesen Vertrag gestützte Verurteilung nicht unwirksam.
Tatbestand:
Der Kläger hat im Scheckprozeß einen mit dem Namen des Beklagten unterschriebenen Scheck vom 26. Oktober 1986 vorgelegt und ein Versäumnisurteil über die Schecksumme von 125.273 DM nebst 6% Zinsen ab 31. Oktober 1986 sowie 10 DM Scheckunkosten und 413, 40 DM Scheckprovision erwirkt. Dagegen hat der Beklagte fristgerecht Einspruch eingelegt und vorgetragen, er habe keinerlei Geschäftsbeziehungen zum Kläger unterhalten und nie einen Scheck zu seinen Gunsten ausgestellt; entweder sei die Scheckunterschrift gefälscht, oder der Kläger habe sich ein blanko unterschriebenes Scheckformular verschafft und unberechtigt ausgefüllt. Der Kläger hat erwidert, der Scheck sei in seinem Beisein am 26. Oktober 1986 vom Beklagten ausgefüllt und unterschrieben worden. Im übrigen sei es inzwischen zu einer außergerichtlichen Einigung der Parteien gekommen, der Beklagte habe sich zur Rücknahme seines Einspruchs verpflichtet.
Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufgehoben und mit der Begründung, der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, daß dem Scheck ein Grundgeschäft zugrunde gelegen habe, die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und sein Vorbringen über die außergerichtliche Einigung der Parteien wiederholt. Das Berufungsgericht hat darüber Zeugen vernommen und ein Schriftsachverständigengutachten eingeholt. In der letzten mündlichen Verhandlung hat der Kläger vom Scheckprozeß Abstand genommen und zur Begründung seines Zahlungsanspruchs vorgetragen: Der Beklagte habe sich im Sommer 1984 mit einem seiner zahlreichen Objekte in finanziellen Schwierigkeiten befunden und um ein Darlehen von 72.000 DM gebeten. Er, der Kläger, habe ihm das Geld gegeben und die Zusage erhalten, nach etwa sechs Wochen werde er 90.000 DM zurückbekommen. Als Sicherheit habe ihm der Beklagte einen Blankoscheck gegeben. Im Oktober 1986 habe er im Einverständnis mit dem Beklagten den sich aus der versprochenen Rückzahlungssumme zuzüglich 12, 5% Zinsen ergebenden Scheckbetrag eingetragen. Der Beklagte hat sein Einverständnis zur Klageänderung und die Einlassung zu dem neuen Sachvortrag verweigert. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger in erster Linie eine Verwerfung des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil, hilfsweise dessen Aufrechterhaltung oder eine Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 125.273 DM nebst 12,5% Zinsen aus 72.000 DM seit 27. Oktober 1986.
Entscheidungsgründe
Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (BGHZ 37, 79, 81). Das Urteil ist jedoch inhaltlich keine Säumnisfolge, sondern beruht auf einer Sachprüfung.
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Alle darüber hinausgehenden Anträge des Klägers erfordern eine weitere Sachaufklärung durch das Berufungsgericht. Ihm kann der Senat es daher auch überlassen, Bedeutung und Zulässigkeit der Reihenfolge dieser Anträge weiter zu prüfen.
I. Zur Begründung der Klageabweisung unter Aufhebung des Versäumnisurteils hat das Berufungsgericht ausgeführt: Darauf, ob der Beklagte sich zur Rücknahme seines Einspruchs verpflichtet habe, komme es nicht mehr an, nachdem der Kläger sich auf Nachfragen des Gerichts zum Grundgeschäft geäußert habe. Jetzt ergebe sich nämlich aus seinem eigenen Vorbringen, daß dem Scheck kein wirksames Grundgeschäft zugrunde gelegen habe: ein Darlehensvertrag mit einer Zinsvereinbarung von 25% für sechs Wochen, mithin über 200% im Jahr erfülle die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB. Da sich der aus einem sittenwidrigen Darlehensvertrag in Anspruch Genommene über § 826 BGB sogar gegen eine rechtskräftige Verurteilung wehren könne, dürfe ein gegen ihn ergangenes Versäumnisurteil auch dann nicht bestätigt werden, wenn er sich zur Rücknahme des Einspruchs verpflichtet habe. Der Kläger könne auch nicht vom Scheckverfahren Abstand nehmen und sein Begehren auf eine andere prozessuale und materielle Grundlage stellen. Die darin liegende Klageänderung habe weder die Zustimmung des Beklagten gefunden noch sei sie sachdienlich; das Ergebnis der bisherigen Prozeßführung könne nämlich bei der Entscheidung über den neuen Streitstoff nicht verwertet werden; im übrigen hätte auch bei einer Zulassung der Klageänderung der Anspruch aus dem Darlehensvertrag wegen der Nichtigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB als unbegründet abgewiesen werden müssen.
II. Das Berufungsurteil unterliegt in prozessualer wie auch in materiell-rechtlicher Hinsicht durchgreifenden Bedenken.
1. Wie die Revision mit Recht rügt, durfte das Berufungsgericht, nachdem der Kläger vom Scheckprozeß Abstand genommen und seine Forderung auf den Darlehensvertrag gestützt hatte, eine Sachentscheidung darüber jedenfalls mit der gegebenen Begründung nicht verweigern.
Rechtsfehlerfrei ist zwar der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts: Im Berufungsrechtszug entspricht der Übergang vom Scheckprozeß zum ordentlichen Verfahren einer Klageänderung; sie ist, wenn der Beklagte - wie hier - nicht zustimmt, entsprechend § 263 ZPO nur zulässig, wenn das Gericht sie für sachdienlich erachtet (BGHZ 69, 66, 69 m.w.Nachw.).
Das Berufungsgericht hat jedoch bei der weiteren Prüfung den Begriff der Sachdienlichkeit verkannt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es entscheidend darauf an, ob die Zulassung der Klageänderung den Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und sich ein weiterer Rechtsstreit vermeiden läßt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1989 - VII ZR 84/89 = BGHR ZPO § 263 Sachdienlichkeit 3 m.w.Nachw.). Wenn das Berufungsgericht die Auffassung vertrat, auch der Streit über das Grundgeschäft sei entscheidungsreif, bei Zulassung der Klageänderung hätte der Anspruch aus dem Darlehensvertrag wegen Sittenwidrigkeit ebenso abgewiesen werden müssen wie der Scheckanspruch, so durfte es die Sachdienlichkeit nicht verneinen, sondern mußte die Klageänderung zulassen, um durch eine Sachentscheidung über das Grundgeschäft den Streit der Parteien endgültig zu beenden.
2. Allerdings hält die Begründung, mit der das Berufungsgericht den Darlehensvertrag für unwirksam erklärt und deswegen den Scheckanspruch abgewiesen hat, der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Es braucht nicht entschieden zu werden, ob Landgericht und Oberlandesgericht - wie die Revision meint - die Darlegungslast im Scheckprozeß verkannt haben, als sie den Kläger, nachdem der Beklagte jede geschäftliche Beziehung der Parteien bestritten hatte, veranlaßten, sich näher zum Grundgeschäft zu äußern.
Nachdem der Kläger seinen Vortrag entsprechend ergänzt und sogar die Klage auf sein neues Vorbringen gestützt hatte, war das Berufungsgericht jedenfalls nicht gehindert, dieses Vorbringen rechtlich zu würdigen und zu prüfen, ob der Beklagte dem Scheckanspruch wegen Nichtigkeit des zugrundeliegenden Darlehensvertrags die Bereicherungseinrede entgegensetzen kann.
b) Nicht zu billigen ist jedoch das Ergebnis, zu dem das Berufungsgericht bei seiner Prüfung gekommen ist: Auf der Grundlage des eigenen Vortrags des Klägers läßt sich der Tatbestand der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB nicht bejahen.
Schon bei den objektiven Voraussetzungen der Norm bereitet die Feststellung eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung beim Gelegenheitsdarlehen eines nicht gewerbsmäßig handelnden Darlehensgebers größere Schwierigkeiten als bei einem standardisierten Bankkredit; die Vergütung, die einem privaten Geldgeber für eine ganz kurzfristige Kapitalüberlassung versprochen wird, kann nicht ohne weiteres, auf einen Jahresbetrag hochgerechnet, mit einem der marktüblichen Zinssätze für bestimmte Bankkreditarten verglichen werden (vgl. Senatsurteil vom 19. Juni 1990 - XI ZR 280/89 = WM 1990, 1322, 1324) [BGH 19.06.1990 - XI ZR 280/89].
Außerdem bedürfen bei Gelegenheitsdarlehen auch die subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB einer eingehenden Prüfung im Einzelfall (Senatsurteil vom 19. Juni 1990 aaO, 1323). Die Revision rügt mit Recht, daß das angefochtene Urteil hierzu jegliche Ausführungen vermissen läßt. Nach der - allein zugrundezulegenden - Darstellung des Klägers in der letzten Berufungsverhandlung wandte sich der Beklagte an ihn mit der Bitte, ihm, weil er finanzielle Schwierigkeiten mit einem seiner geschäftlichen Projekte habe, für etwa sechs Wochen 72.000 DM darlehensweise zur Verfügung zu stellen. Wenn der Beklagte dafür die Rückzahlung eines um 18.000 DM höheren Betrages versprach, reicht das allein nicht aus, um dem Kläger sittenwidriges Handeln vorzuwerfen, weil er auf das Angebot einging. Dazu hätte es des Vortrags weiterer Einzelheiten bedurft. Ohne nähere Feststellungen über Anlaß und Umstände des Geschäfts ist dem Kläger nicht zu widerlegen, daß er den versprochenen Mehrbetrag nicht so sehr als Verzinsung, sondern als eine Art Geschäftsbeteiligung angesehen hat und sich zumindest nicht bewußt war, eine Zwangslage des Beklagten auszunutzen.
Da der Beklagte sich zu dem Klägervorbringen über das Grundgeschäft in der Berufungsinstanz nicht geäußert hat, war und ist eine Entscheidung über den Darlehensanspruch ohne weitere Aufklärung nicht möglich.
3. Soweit der Kläger - vorrangig oder hilfsweise - eine Bestätigung des gegen den Beklagten erlassenen Versäumnisurteils im Scheckprozeß erstrebte, fordert die Revision mit Recht eine Entscheidung darüber, ob der Beklagte sich gegenüber dem Kläger verpflichtet hat, den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zurückzunehmen. Hielt das Berufungsgericht diese Behauptung des Klägers aufgrund der bereits durchgeführten Beweisaufnahme für erwiesen, so mußte es den Einspruch als unzulässig verwerfen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 1989 - II ZR 110/88 = WM 1989, 868, 869 m.w.Nachw.).
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht geglaubt, darauf komme es nicht an, weil sich aus dem neuen Vorbringen des Klägers selbst die Sittenwidrigkeit des Grundgeschäfts ergebe und daher der Scheckanspruch aufgrund der Rechtsprechung zur Rechtskraftdurchbrechung aus § 826 BGB auch dann nicht durchgreifen könne, wenn das Versäumnisurteil wegen der Rücknahme des Einspruchs rechtskräftig werde. Diese Begründung des Berufungsgerichts ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft:
a) Wie bereits zu 2. ausgeführt, reicht der Sachvortrag zum Grundgeschäft nicht aus, um alle Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit zu bejahen.
b) Selbst wenn der Darlehensvertrag als sittenwidrig anzusehen wäre, verliert der Darlehensnehmer dadurch nicht die Möglichkeit, ein Urteil, das die Rechtsfolge des § 138 Abs. 1 BGB unberücksichtigt läßt, durch Nichteinlegung oder Rücknahme von Rechtsmitteln oder -behelfen rechtskräftig werden zu lassen. Die Rechtsprechung zur Durchbrechung der Rechtskraft nach § 826 BGB (BGHZ 101, 380 [BGH 24.09.1987 - III ZR 187/86]), auf die das Berufungsgericht seine gegenteilige Auffassung stützen will, bezieht sich auf Vollstreckungsbescheide und beruht auf deren Besonderheiten; selbst dort genügt die sich aus einer Nichtanwendung des § 138 BGB ergebende Unrichtigkeit des Titels nicht zur Rechtskraftdurchbrechung; es müssen zusätzliche besondere Umstände hinzukommen (BGHZ aaO S. 385). Wenn es - wie hier - um ein Versäumnisurteil geht, könnte die Vereinbarung über die Rücknahme des Einspruchs unbeachtlich sein, wenn etwa das Einverständnis des Beklagten mit anstößigen Mitteln herbeigeführt worden wäre. Dafür bietet der Parteivortrag aber keinerlei Anhalt.
c) Schließlich beschränkt sich auch die Rechtskraftdurchbrechung aus § 826 BGB auf die Forderungen, denen aufgrund der Sittenwidrigkeit jede materielle Grundlage fehlt; in Höhe des - auch bei Sittenwidrigkeit zurückzuzahlenden - Darlehenskapitals bleibt die rechtskräftige Entscheidung vollstreckbar (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1988 - III ZR 195/87 = WM 1989, 170, 172).
Bei der Zurückverweisung hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.