Bundesgerichtshof
Beschl. v. 11.11.1993, Az.: VII ZB 24/93
Anforderungen an einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist; Auslegung einer prozessualen Erklärung einer Partei; Umdeutung des Antrags auf Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist in Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungpflicht
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 11.11.1993
- Aktenzeichen
- VII ZB 24/93
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1993, 15006
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- KG - 17.09.1993
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- HFR 1994, 625-626 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1994, 568-569 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Auslegung darf auch im Prozeßrecht nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Dabei ist eine Berichtigung einer Prozeßhandlung nicht ausgeschlossen, sofern es sich um einen offensichtlichen Irrtum handelt.
In dem Rechtsstreit
hat der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
am 11. November 1993
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Lang sowie
die Richter Prof. Quack, Dr. Haß, Hausmann und Dr. Wiebel
beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 7. Zivilsenats des Kammergerichts vom 17. September 1993 aufgehoben.
Die Sache wird an das Berufungsgericht mit der Maßgabe zurückverwiesen, daß zunächst über den Antrag der Klägerin vom 28. Juni 1993 auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu befinden ist. Dem Berufungsgericht bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens vorbehalten.
Beschwerdewert: 319.788,60 DM
Gründ
I.
Die Klägerin begehrt von den Beklagten zu 1 bis 3 Restwerklohn. Das Landgericht Berlin hat den Beklagten zu 1 durch erstes Teilurteil zur Zahlung von 56.323,63 DM verurteilt. Hiergegen hat der Beklagte zu 1 Berufung beim Kammergericht eingelegt und diese am 30. März 1993 fristgerecht begründet (Az.: 7 U 686/93). Der Senatsvorsitzende hat der Klägerin mit Verfügung vom 18. Mai 1993 aufgegeben, innerhalb von sechs Wochen auf die Berufungsbegründung zu erwidern.
Das Landgericht Berlin hat mit zweitem Teilurteil den Beklagten zu 2 ebenfalls zur Zahlung von 56.323,63 DM verurteilt; die weitergehende Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2 hat es abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin mit einem am 27. Mai 1993 bei dem Kammergericht eingegangenen Schriftsatz fristgerecht Berufung eingelegt (Az.: 7 U 3382/93); der Beklagte zu 2 hat gleichfalls Berufung eingelegt. Mit ihrem am Montag, dem 28. Juni 1993 beim Kammergericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin beantragt, "die heute auslaufende Berufungserwiderungsfrist erstmalig um einen Monat, also bis zum 28. Juli 1993, zu verlängern". Am 29. Juni 1993 hat der Senatsvorsitzende durch Verfügung "die Frist zur Erwiderung auf die Berufungsbegründungsschrift vom 29. März 1993 antragsgemäß bis zum 28. Juli 1993 verlängert".
Das Kammergericht hat mit Beschluß vom 17. September 1993 die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen, da die Klägerin bis zum Ablauf der Frist keinen Antrag auf Verlängerung gestellt habe; ein Irrtum in der Antragsstellung liege nicht nahe. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin, die mit einem beim Kammergericht am 28. September 1993 eingegangenen weiteren Schriftsatz ihre Berufung begründet hat.
II.
Das gemäß § 519 b Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsmittel der Klägerin hat Erfolg.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 28. Juni 1993 rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt; hierüber ist noch nicht entschieden.
1.
Der Antrag vom 28. Juni 1993 ist entgegen der Auffassung des Kammergerichts als Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auszulegen.
a)
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann das Revisionsgericht die Würdigung prozessualer Erklärungen einer Partei uneingeschränkt nachprüfen und Erklärungen selbst auslegen (BGH Urteil vom 26. Juni 1991 - VIII ZR 231/90 = NJW 1991, 2630, 2631 f m.N.). Die Auslegung darf auch im Prozeßrecht nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Dabei ist eine Berichtigung einer Prozeßhandlung nicht ausgeschlossen, sofern es sich um einen offensichtlichen Irrtum handelt (BGH Urteil vom 8. März 1988 - VI ZR 234/87 = NJW 1988, 2540, 2541; Stein/Jonas/Leipold ZPO 20. Aufl. Vorb. § 128 Rdn. 195 u. 228 m.N.).
b)
Die Klägerin hat sich in ihrem für das Gericht bestimmten Antrag vom 28. Juni 1993 auf Verlängerung "der Berufungserwiderungsfrist" erkennbar verschrieben; gemeint war eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Dies wird bei Würdigung aller weiteren in diesem Schriftsatz enthaltenen Erklärungen offensichtlich.
Im Rubrum des Schriftsatzes vom 28. Juni 1993 wird die gegnerische Partei der Klägerin mit "G. u.a." benannt und als Aktenzeichen 7 U 3382/93 angegeben. Aufgrund dieser Angaben war der Schriftsatz eindeutig der von der Klägerin eingelegten Berufung gegen das zweite Teilurteil des Landgerichts Berlin zuzuordnen. Die von "G.", dem Beklagten zu 1, allein eingelegte Berufung gegen das erste Teilurteil des Landgerichts Berlin war unter dem Aktenzeichen 7 U 686/93 eingetragen worden. Der Antrag der Klägerin bezog sich daher erkennbar auf das Berufungsverfahren 7 U 3382/93.
Im Zeitpunkt ihrer Antragstellung war der Klägerin im Verfahren 7 U 3382/93 noch keine Frist zu einer Erwiderung der Berufung gesetzt worden. Mithin wäre ihre Bitte um Verlängerung der Erwiderungsfrist in diesem Verfahren bei einer nur am Wortlaut haftenden und damit rein formalen Würdigung sinnlos gewesen. Das rechtfertigte jedoch nicht, den Antrag der Klägerin dem Berufungsverfahren 7 U 686/93 zuzuordnen. Denn die Klägerin hatte in ihrem Schriftsatz ausdrücklich um Verlängerung der "heute auslaufenden" Erwiderungsfrist gebeten. Der Lauf der mit Verfügung vom 18. Mai 1993 im Berufungsverfahren 7 U 686/93 gesetzten Erwiderungsfrist endete jedoch nicht am 28. Juni 1993, sondern an einem nicht genau bestimmbaren späteren Tag. Demgegenüber lief an diesem Tage, dem 28. Juni 1993, die Frist zur Berufungsbegründung der Klägerin ab. Dann bestand aber für das Gericht aller Anlaß zu der Annahme, die Klägerin wolle in dem von ihr genannten Verfahren die Verlängerung der einzigen dort laufenden, Frist beantragen.
Für diese Auslegung spricht neben dem offenkundigen Interesse der Klägerin, ihre Berufung fristgerecht begründen und damit weiterführen zu können, der übrige Text des Verlängerungsantrages. Mit der Wortwahl, es werde erstmals um eine Verlängerung von einem Monat gebeten, wird üblicherweise ein Antrag nach § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eingeleitet.
2.
Das Kammergericht hätte die Berufung mithin nur dann wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen dürfen, wenn der Antrag vom 28. Juni 1993 auf Verlängerung dieser Frist durch den Vorsitzenden abgelehnt worden wäre. Das ist nicht der Fall. Vielmehr hat der Vorsitzende über den wirklich gestellten Antrag nicht entschieden. Er hat ihn seinem Wortlaut entsprechend irrtümlich als Antrag auf Verlängerung der Erwiderungsfrist in dem Berufungsverfahren 7 U 686/93 verstanden und ihm dort stattgegeben. Damit wurde der Antrag mit seinem durch Auslegung ermittelten wirklichen Inhalt weder positiv noch negativ beschieden.
Der Antrag hat sich auch nicht anderweitig erledigt. Dies wäre der Fall, wenn die Klägerin ihre Berufung nicht innerhalb der von ihr erbetenen Frist begründet hätte (Senatsbeschluß vom 2. Dezember 1982 - VII ZB 20/81 = VersR 1983, 248). Die Klägerin hat ihre Berufung jedoch mit dem am 28. September 1993 bei dem Kammergericht eingegangenen Schriftsatz fristgerecht begründet, sofern ihrem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist stattgegeben wird.
3.
Die ausstehende Entscheidung über die Fristverlängerung muß nachgeholt werden. Diese Frist kann auf den rechtzeitig gestellten Antrag auch nach ihrem Ablauf noch verlängert werden.
Streitwertbeschluss:
Beschwerdewert: 319.788,60 DM
Quack,
Haß,
Hausmann,
Wiebel