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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 09.06.1993, Az.: BLw 34/93

Entscheidung im streitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Beschluss und Auswirkungen eines Verfahrensfehlers; Echte Rückwirkung und Verfassungsmäßigkeit der Norm im konkreten Fall; Abfindung ausgeschiedener Mitglieder von einer LPG (Beschluss der Vollversammlung); LPG-rechtliches Grundprinzip der Gleichberechtigung aller Mitglieder

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
09.06.1993
Aktenzeichen
BLw 34/93
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1993, 20939
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • MDR 1994, 222-223 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJ 1993, 575 (amtl. Leitsatz)
  • WM 1993, 1760-1762 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Abfindung eines LPG-Mitglieds

Prozessführer

G. Agrar GmbH & Co. KG,
vertreten durch die Verwaltungsgesellschaft mbH A.
diese vertreten durch die Geschäftsführer Dr. B., M. und R., G. Straße A.

Prozessgegner

Heinz F., B.straße ..., G.

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Ein unter der Geltung des LwAnpG 1990 von der Vollversammlung einer LPG gefaßter Beschluß, der Rückerstattungsansprüche von Mitgliedern, die ihre Mitgliedschaft vorher durch Kündigung beendet haben, ausschließt, ist unwirksam.

  2. b)

    Zur Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung von §§ 51 a Abs. 1, 44 Abs. 1 LwAnpG 1991.

Der Bundesgerichtshof, Senat für Landwirtschaftssachen, hat
am 9. Juni 1993
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Hagen und
die Richter Dr. Vogt und Dr. Wenzel sowie
die ehrenamtlichen Richter Dahm und Komp
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 gegen das Teilurteil des Kreisgerichts - Landwirtschaftsgericht - Erfurt vom 22. März 1993 wird auf ihre Kosten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beteiligte zu 2 Auskunft über den Wert der Beteiligung des Beteiligten zu 1 an der LPG Andisleben für den Zeitpunkt Ende März 1991 zu erteilen hat.

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 10.000 DM.

Gründe

1

I.

Der Beteiligte zu 1 war Mitglied der LPG A., der Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2. Er kündigte seine Mitgliedschaft am 16. November 1990. Der Vorstand der LPG bestätigte die Kündigung per 1. Februar 1991. Ende März 1991 verlangte der Beteiligte zu 1 von der LPG Auskunft, in welcher Höhe sich seine Anteile am Vermögen der Genossenschaft nach seinem Ausscheiden belaufen. Mit Schreiben vom 8. April 1991 teilte der Vorsitzende der LPG dem Beteiligten zu 1 mit, daß in Kürze die Bundesregierung ein neues Landwirtschaftsanpassungsgesetz für die neuen Bundesländer beschließen werde, das die Rechtsansprüche der LPG-Mitglieder regele. Am 29. Mai 1991 beschloß die Vollversammlung der LPG die Umwandlung in die Beteiligte zu 2. Gleichzeitig ordnete sie ihr Vermögen den Mitgliedern zu, und zwar in Höhe von 70 % nach erbrachter Arbeitsleistung und in Höhe von 30 % nach eingebrachter Bodenfläche. Ehemalige Mitglieder sollten nicht anspruchsberechtigt sein.

2

Der Beteiligte zu 1 verlangt Auskunft über die Höhe seiner Anteile an der LPG per 29. Mai 1991.

3

Das Landwirtschaftsgericht hat dem Antrag durch "Teilurteil" stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.

4

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil das Landwirtschaftsgericht die Zulassungswürdigkeit offensichtlich nicht geprüft hat (vgl. Senatsbeschlüsse v. 4. Dezember 1992, BLw 19/92, NJW 1993, 857 = AgrarR 1993, 87; v. 21. April 1993, BLw 59/92, zur Veröffentlichung bestimmt) und der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt.

5

Die Rechtsbeschwerde ist jedoch sachlich nicht begründet.

6

Die angefochtene Entscheidung ist allerdings Verfahrens- und formfehlerhaft ergangen. Da es sich um eine Rechtsstreitigkeit aus dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz im Sinne des § 65 LwAnpG handelt, hätte das Landwirtschaftsgericht richtigerweise im streitigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Beschluß entscheiden müssen (Senatsbeschl. v. 4. Dezember 1992, BLw 19/92, AgrarR 1993, 87 = WM 1993, 709). Dies rechtfertigt aber keine Aufhebung, weil die Entscheidung materiell-rechtlich Bestand hat.

7

Zutreffend nimmt das Landwirtschaftsgericht an, daß dem Beteiligten zu 1 gemäß § 51 a Abs. 1 LwAnpG n.F. die Ansprüche nach § 44 LwAnpG n.F. zustehen und die Beteiligte zu 2 sie als Rechtsnachfolgerin der LPG zu befriedigen hat. Die hiergegen von der Rechtsbeschwerde vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

8

Die gesetzliche Regelung entfaltet ausdrücklich (echte) Rückwirkung (Senatsbeschl. v. 4. Dezember 1992, BLw 23/92, WM 1993, 466 = AgrarR 1993, 89). Dies begegnet, wie der Senat bereits entschieden hat (a.a.O. mit zustimmender Anmerkung von Kohler, EWiR 1993, 483), jedenfalls insoweit verfassungsrechtlich keinen Bedenken, als die Neufassung des § 44 LwAnpG auch vorher schon entstandene Abfindungsansprüche erfaßt, über welche die LPG aufgrund der Bestimmungen des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes a.F. in dem maßgeblichen Zeitraum keinen - gültigen - Beschluß gefaßt hatte, der das Mitglied günstiger stellt als die Neuregelung.

9

Gegen diese Rechtsprechung ist eingewandt worden, eine Norm könne nicht je nach Lage des Einzelfalles einmal verfassungswidrig und einmal verfassungsmäßig sein (Neixler/Lachmann, ZIP 1993, 812, 814). Diese Kritik ist jedoch unbegründet. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, verfassungsrechtliche Fragen zu entscheiden, die für die Beurteilung des Streitgegenstandes bedeutungslos sind. Ob eine Norm unzulässig in verfassungsrechtlich geschützte Rechtsgüter eingreift, ist nur dann zu prüfen, wenn hiervon die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt. Läßt die Norm eine Auslegung zu, welche ihre Anwendung im konkreten Streitfall als verfassungsmäßig erscheinen läßt, so hat das Gericht diese Auslegung seiner Entscheidung zugrunde zu legen (Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, 6. Aufl., Art. 100 Rdn. 42 m.w.N.).

10

Nach der mit Beschluß vom 4. Dezember 1992 (BLw 23/92, a.a.O.) begründeten Auffassung des Senats kann die rückwirkende Geltung des § 44 LwAnpG n.F. (§ 51 a Abs. 1 und 2 LwAnpG n.F.) nur für eine bestimmte Fallkonstellation verfassungsrechtliche Bedenken aufwerfen. Da diese Fallkonstellation bisher nicht gegeben war und auch vorliegend nicht gegeben ist, braucht die Frage weiterhin nicht abschließend entschieden zu werden. Der von der Mitgliederversammlung aus Anlaß der Umwandlung gefaßte Beschluß, an der vermögensmäßigen Auseinandersetzung der LPG nur die Mitglieder zu beteiligen, die bei Beschlußfassung am 29. Mai 1991 noch Mitglied waren, und Ansprüche ehemaliger Mitglieder auszuschließen, hat den Beteiligten zu 1 nicht begünstigt, sondern benachteiligt. Insoweit kann die rückwirkende Geltung von § 44 LwAnpG n.F. nicht in eine seiner verfassungsrechtlich geschützten Positionen oder Erwartungen eingreifen und ist sie unbedenklich.

11

Soweit die Rechtsbeschwerde demgegenüber in Anlehnung an eine in der Literatur vertretenen Ansicht (Neixler/Lachmann/Schramm, AgrarR 1992, 93 f; Neixler/Lachmann, ZIP 1993, 812, 814) den Rechtsstandpunkt vertritt, § 44 LwAnpG n.F. könne nicht nur in ein verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut des abfindungsberechtigten früheren LPG-Mitglieds, sondern auch in schützenswertes Vertrauen der LPG und ihrer verbliebenen Mitglieder eingreifen, wenn die Vollversammlung die Abfindung eines ausgeschiedenen Mitglieds vorher durch Beschluß in einer Weise geregelt hatte, welche die LPG und ihre Mitglieder günstiger stellt als die Neuregelung, vermag dem der Senat nicht zu folgen. Dabei kann offenbleiben, ob die LPG überhaupt Subjekt eines verfassungsrechtlich geschützten Vertrauenstatbestandes sein kann. Jedenfalls konnten die LPG und ihre Mitglieder nach Inkrafttreten des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes vom 29. Juni 1990 wegen der durch den Wandel des Landwirtschaftsrechts ausgelösten allgemeinen Rechtsunsicherheit und der Tatsache, daß die Umwandlung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften erst zum 31. Dezember 1991 abgeschlossen sein mußte (§ 69 LwAnpG a.F.), nicht auf den Fortbestand der - weitgehend unbestimmten - Gesetzeslage und darauf vertrauen, daß der Gesetzgeber die Abfindung ausgeschiedener Mitglieder nicht noch konkretisieren und einer Beschlußfassung durch die Vollversammlung die materielle Rechtsgrundlage entziehen werde.

12

Im vorliegenden Fall hat die Beteiligte zu 2 das im übrigen, wie das Schreiben vom 8. April 1991 belegt, auch nicht getan, sondern die Umwandlung und die Vermögensaufteilung in Kenntnis der Tatsache beschlossen, daß die Ansprüche der Mitglieder Gegenstand der Novelle zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz waren. Sie hat damit bewußt das Risiko in Kauf genommen, daß der Beschluß vom 29. Mai 1991 durch eine Änderung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes a.F. überholt wird.

13

Unabhängig hiervon hat der Beschluß der Vollversammlung für den Beteiligten zu 1 auch deswegen keine Wirkung entfaltet, weil er unwirksam war. Nach dem insoweit maßgeblichen Recht der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften waren Beschlüsse der Vollversammlung unwirksam, die gegen die "Grundprinzipien des LPG-Rechts, wie die Gleichberechtigung aller Mitglieder" verstoßen (LPG-Recht, Lehrbuch 1984 S. 87). Dieser Tatbestand ist hier gegeben. Der von der Vollversammlung beschlossene Ausschluß von Abfindungsansprüchen ehemaliger Mitglieder, die gemäß § 43 LwAnpG a.F. ihre Mitgliedschaft vorher gekündigt hatten, verletzte die Bestimmungen des damals gültigen Landwirtschaftsanpassungsgesetzes a.F. sowie den Grundsatz der Gleichberechtigung aller Mitglieder.

14

Die Umstellung der Agrar- und Ernährungswirtschaft der DDR auf die Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft brachte es mit sich, daß das Landwirtschaftsanpassungsgesetz jedem Mitglied einer LPG das Recht einräumte, seine Mitgliedschaft durch Kündigung zu beenden (§ 43 Abs. 1 LwAnpG a.F.). Gemäß § 49 Abs. 1 LwAnpG a.F. war nach Beendigung der Mitgliedschaft zwischen der LPG und dem ausgeschiedenen Mitglied die vermögensmäßige Auseinandersetzung durchzuführen. Aus Absatz 3 dieser Vorschrift folgt, daß der Ausgeschiedene einen Anspruch auf "Rückerstattung" von Vermögen hatte, sofern das Vermögen der LPG zur Deckung der Schulden der Genossenschaft ausreichte. Der Umfang des zurückzuerstattenden Vermögens ergab sich nach § 44 Abs. 2 LwAnpG a.F. aus dem Anteil des eingebrachten Vermögens, der sich daraus ergebenden Vermögensentwicklung und dem vom Mitglied erbrachten Anteil an der Wertschöpfung durch Arbeit. Die Ansicht der Rechtsbeschwerde, § 44 Abs. 2 LwAnpG a.F. gelte nur für ausscheidende Mitglieder, die eine bäuerliche oder gärtnerische Einzelwirtschaft begründen wollten, verkennt den Regelungsgehalt der §§ 43 f. LwAnpG a.F. Sie verstößt darüber hinaus gegen das LPG-rechtliche Grundprinzip der Gleichberechtigung aller Mitglieder, indem sie das Vermögen der LPG nicht allen Mitgliedern, die es erwirtschaftet haben, sondern nur den verbleibenden Mitgliedern und den Wiedereinrichtern zugute kommen lassen will. Wenn aber die Anwendung des § 44 Abs. 2 LwAnpG a.F. auf alle ausscheidenden Mitglieder auch ein Gebot der Gleichbehandlung ist, dann verstieß der Beschluß der Vollversammlung vom 29. Mai 1991 zugleich gegen ein Grundprinzip des LPG-Rechts. Ein solcher Beschluß erlangte ebenso wie ein gegen zwingende Vorschriften verstoßender Generalversammlungsbeschluß im Genossenschaftsrecht (vgl. Lang/Weitmüller, Genossenschaftsgesetz, 32. Aufl. § 51 Rdn. 11 f.) keine Wirksamkeit.

15

Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 44 Abs. 1 LwVG zurückzuweisen, wobei der Senat klargestellt hat, daß die Auskunft für den Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs, nämlich Ende März 1991, zu erteilen ist (§ 51 a Abs. 3 Satz 2 LwAnpG n.F.).

Streitwertbeschluss:

Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 10.000 DM.

Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf §§ 33, 34 Abs. 2 LwVG, § 18 KostO.

Hagen
Vogt
Wenzel