Bundesgerichtshof
Urt. v. 29.01.1993, Az.: V ZR 227/91
Culpa in contrahendo; Gutachtenüberlassung; CIC; Grundwassergutachten; Sachverständigengutachten
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 29.01.1993
- Aktenzeichen
- V ZR 227/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 15383
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BB 1993, 1042 (Volltext mit amtl. LS)
- IBR 1993, 348 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- MDR 1993, 620 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1993, 1643-1645 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1993, 1099-1102 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1993, 185
Amtlicher Leitsatz
Der Verkäufer verschweigt für den Kaufentschluß wesentliche Umstände nicht, wenn der Käufer weiß, daß mit einem bestimmten Risiko zu rechnen ist, der Verkäufer hierzu konkrete Kenntnisse entgeltlich (hier: durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über Grundwasser) erworben hat und deren Preisgabe seinerseits von einem Entgelt abhängig macht.
Tatbestand:
Durch notariellen Vertrag vom 1. Juli 1987 kaufte der Kläger von der erstbeklagten Kommanditgesellschaft, diese vertreten durch ihren persönlich haftenden Gesellschafter, den Beklagten zu 2, ein bebautes Grundstück in G. G. zum Preise von 1.350.000 DM.
Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, daß in dem Kaufpreis ein Entgelt für eine bereits vorhandene Bauplanung und eine noch einzuholende Abriß- und Baugenehmigung enthalten sind. Eine Haftung für "Größe, Güte und Beschaffenheit" wurde ausgeschlossen (§ 6 Abs. 3 des Vertrages).
Nach einem von den Beklagten im Januar 1987 eingeholten Bodengutachten liegt bei höchstem Grundwasserstand die Wasseroberfläche über der - geplanten - Sohle des Kellergeschosses; dadurch wurde während der Bauarbeiten ein Absenken des Grundwasserspiegels und dazu eine wasserrechtliche Genehmigung nötig.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Er behauptet, sie hätten ihm bei den Vertragsverhandlungen nicht nur die Existenz des Bodengutachtens verschwiegen, sondern sogar behauptet, daß mit dem Auftreten von Grundwasser nicht zu rechnen sei. Er habe Mehraufwendungen von 281.859,92 DM für die Wasserhaltung, Mietzinsausfall für die um drei Monate verzögerte Fertigstellung in Höhe von 48.546,54 DM und Statikerkosten in Höhe von 9.543,08 DM gehabt. Diese Summen nebst Verzugszinsen sowie die Feststellung, daß die Beklagten ihm allen weiteren Schaden, der durch das Verschweigen entstehe, ersetzen müßten, macht der Kläger geltend.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat durch Teil- und Grundurteil die Zahlungsklage abgewiesen, soweit mehr als 220.270,98 DM gefordert werden. Im übrigen hat es den Zahlungsanspruch dem Grunde nach zu zwei Drittel für gerechtfertigt erklärt und in diesem Umfang auch die Feststellung einer Ersatzverpflichtung ausgesprochen.
Mit ihrer Revision erstreben die Beklagten Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Der Kläger beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen. Er hat Anschlußrevision eingelegt, mit der er sein Klagebegehren in vollem Umfange weiterverfolgt. Die Beklagten beantragen, die Anschlußrevision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht meint, dem Kläger stünden wegen des Grundwasseranfalles mit der Notwendigkeit einer genehmigungspflichtigen Grundwasserabsenkung während der Bauzeit keine Gewährleistungsansprüche zu. Grundwasser gehöre zur natürlichen Beschaffenheit dieses Grundstücks und habe hier mindestens schon deshalb keinen Fehler i.S. des § 459 BGB dargestellt, weil lediglich vorübergehendes Auspumpen während der Bauzeit nötig gewesen sei. Die Beklagten hätten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Grundwasserfreiheit nicht zugesichert; sie hatten auch nicht die - stillschweigende - Zusicherung gegeben, daß keine weiteren als die dem Kläger ausgehändigten behördlichen Genehmigungen nötig seien. Jedoch hätten die Beklagten wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen unter Berücksichtigung eines mitwirkenden Verschulden des Klägers diesem zwei Drittel des Schadens zu ersetzen, der dadurch entstanden sei oder noch entstehe, daß sie ihm die Notwendigkeit, den Grundwasserspiegel abzusenken, und das Erfordernis einer wasserrechtlichen Genehmigung hierzu verschwiegen hätten. Die Beklagten habe insoweit auch ohne ausdrückliche Nachfrage des Klägers eine Offenbarungspflicht getroffen. Die Beklagten seien zwar nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger das Bodengutachten unentgeltlich zu überlassen; sie hätten aber so präzise Angaben über seinen Inhalt machen müssen, daß der Kläger dessen Bedeutung und den Nutzen des Erwerbs hätte erkennen können.
II. Die Revision ist in vollem Umfange, die Anschlußrevision nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet.
Zur Revision:
1. Ohne Erfolg bleibt die Rüge, das Berufungsgericht habe kein Zwischenurteil über den Grund des Anspruchs erlassen dürfen, da es keine ausreichenden Feststellungen zur Aktivlegitimation des Klägers und zur hohen Wahrscheinlichkeit eines Schadens getroffen habe (Hinweis auf BGHZ 111, 125, 133) [BGH 04.04.1990 - VIII ZR 71/89]. Das Berufungsgericht stellt nämlich ausdrücklich fest, als Schadenersatz komme für den Kläger eine lediglich am Maßstab von Baumehrkosten orientierte Reduzierung des Kaufpreises sowie ein in Mietausfall bestehender Verzögerungsschaden in Betracht.
2. Die Revision nimmt als ihr günstig hin, daß das Berufungsgericht dem Vertrag weder einen Anspruch des Klägers auf Aushändigung des Bodengutachtens entnimmt noch daß es aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine Zusicherung der Grundwasserfreiheit im Sinne des § 459 Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten folgert. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht erkennbar.
3. In Betracht kommen danach nur Schadensersatzansprüche wegen Verschweigens von Umständen bei bestehender Offenbarungspflicht.
a) Zu Recht rügt die Revision insoweit, das Berufungsgericht habe das Beweisangebot durch Sachverständigengutachten dazu übergangen, daß in den Bauplänen eine Grundwasserwanne eingeplant und damit eindeutig das Auftreten von Grundwasser einkalkuliert gewesen sei; es habe lediglich ohne Begründung festgestellt, die Planung habe keine Wanne vorgesehen. Ob das Berufungsgericht ausreichende eigene Sachkunde hatte, um aus den Plänen auf das Fehlen einer Wanne zu schließen, läßt sich dem Urteil nicht entnehmen. Anders als die Revisionserwiderung meint, ist die Behauptung aber hinreichend substantiiert und erheblich. Mußte ein Fachmann aus den bei den Verhandlungen vorliegenden Bauplänen erkennen, daß diese mit der Ausbildung einer Grundwasserwanne das Vorhandensein oder mindestens die Möglichkeit von Grundwasser berücksichtigten, so bedurfte es eines weiteren aufklärenden Hinweises durch den Beklagten zu 2 nicht mehr, daß mit dem Auftreten von Grundwasser auch während der Bauarbeiten zu rechnen sei. Denn die Verhandlungen führte für den Kläger ein nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit der Grundwasserproblematik der dortigen Gegend vertrauter Fachmann, der Architekt D.
Kann mithin die Entscheidung, daß die Beklagten Aufklärungspflichten verletzt hätten, ohne Beweisaufnahme zu diesem Punkt nicht bestehen bleiben, so kommt es nicht darauf an, ob, wie Revision und Anschlußrevision rügen, das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft ohne erneute Vernehmung der Zeugen das Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz anders verstanden haben will.
b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht zudem die Verletzung einer Pflicht zur Aufklärung des Klägers über die Höhe des Grundwasserspiegels und die Notwendigkeit seines Absenkens während der Bauzeit bejaht.
Nach den Feststellungen des Landgerichts, deren Richtigkeit das Berufungsgericht unterstellt, hat der Beklagte zu 2 bei den Vertragsverhandlungen bekanntgegeben, daß er ein Gutachten zum Wasserstand eingeholt habe und bereit sei, es dem Kläger zusätzlich zu verkaufen. Erklärt der Verkäufer aber hinsichtlich einer Eigenschaft, deren Vorhandensein beide Parteien für möglich halten - gleich, ob ungefragt oder auf Frage -, er habe sich hierzu sachkundig gemacht, sei aber nicht bereit, zu dieser Eigenschaft unentgeltlich Angaben zu machen, so verletzt er keine Aufklärungspflicht. Unter dem Gesichtspunkt der Schutzwürdigkeit des Vertragspartners geht es darum, daß diesem etwas verheimlicht wird, was für seine Vertragsentschließung bedeutsam ist oder jedenfalls sein kann. Weiß der Kaufinteressent dagegen, daß mit einem bestimmten Risiko zu rechnen ist und daß sein Vertragsgegner hierzu ganz konkrete besondere Kenntnisse gegen Entgelt erworben hat, deren Preisgabe er seinerseits von einer Vergütung abhängig macht, so liegt es an ihm, ob er den Vertragsschluß von der Offenlegung der Kenntnisse abhängig machen oder den Vertrag mit dem vorgesehenen Inhalt schließen und das damit ihm zugeschobene Risiko übernehmen will.
4. Mit der gegebenen Begründung kann die Verurteilung der Beklagten danach nicht bestehen bleiben. Die Sache ist noch nicht zur Entscheidung reif, weil das Berufungsgericht den Sachverhalt nicht abschließend geklärt hat (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO); es hat sich mit den Einwänden des Klägers zur Beweiswürdigung des Landgerichts zu befassen und wird je nach dessen Ergebnis die Zeugen vernehmen und ggf. das Gutachten einholen müssen.
B. Zur Anschlußrevision:
Die Anschlußrevision hat Erfolg, soweit sie sich gegen ein dem Kläger angelastetes Mitverschulden wendet; im übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
I. 1. Sie rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe auch von seinem Standpunkt aus nicht offenlassen dürfen, ob es der Wertung des Beweisergebnisses des Landgerichts folgen wolle oder die Zeugen erneut vernehmen müsse. Schon für die Frage des Umfanges eines Mitverschuldens des Klägers bei einer Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo wäre nämlich von Bedeutung gewesen, ob der Beklagte zu 2 auf die Frage eines möglichen Grundwasseranfalles das von ihm eingeholte Gutachten zum Kauf angeboten, das Gutachten verschwiegen oder gar eine Grundwassergefahr heruntergespielt hat.
2. Unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens könnte erst recht die Rüge erheblich sein, das Berufungsgericht habe zu Unrecht Ersatzansprüche wegen zugesicherter (§ 463 Satz 1 BGB) oder vorgetäuschter (§ 463 Satz 2 BGB analog) Eigenschaften der Kaufsache verneint; denn gegenüber diesen Ansprüchen kann ein vorvertragliches Mitverschulden nicht nach § 254 Abs. 1 BGB eingewendet werden (BGH, Urt. v. 28. Juni 1978, VIII ZR 112/77, WM 1978, 1175; vgl. auch Urt. v. 31. Januar 1990, VIII ZR 314/88, BGHR BGB § 254 Abs. 1 - Kauf 1).
a) Als eine solche Eigenschaft kommt, wie die Revision mit Recht geltend macht, die Höhe des Grundwasserspiegels in einem Riedgebiet in dem Sinne in Betracht, daß ein geplanter Bau ohne Absenkung des Grundwasserspiegels und damit auch ohne die dazu erforderlichen baulichen Maßnahmen und behördlichen Genehmigungen durchgeführt werden kann (vgl. zur Eignung der Bodenbeschaffenheit eines Grundstücks zur Bebauung auch Senatsurteile v. 18. September 1987, V ZR 219/85, BGHR BGB § 459 Abs. 2 - Eigenschaft, zugesicherte; und v. 18. Dezember 1987, V ZR 223/85, BGHR BGB § 459 Abs. 2 - Eigenschaft, zugesicherte 4, insoweit in BGHZ 103, 39 ff [BGH 18.12.1987 - V ZR 223/85] nicht abgedruckt).
b) Entgegen den Revisionsrügen rechtsfehlerfrei stellt das Berufungsgericht jedoch fest, daß die Beklagten nicht die Vollständigkeit der Bauunterlagen und damit auch nicht eine Grundwasserhöhe unterhalb der Bausohle zugesichert haben. Eine ausdrückliche Zusicherung ist nicht erfolgt. Auch die Annahme, der Kläger habe von der Vollständigkeit der Bauunterlagen ausgehen dürfen, nötigte das Berufungsgericht nicht - wie die Revision meint - zu der Feststellung, darin liege zugleich eine stillschweigende Zusicherung der Beklagten zur Vollständigkeit der Unterlagen oder gar zum Grundwasserstand. Denn es fehlt hier an jedem Anhaltspunkt, daß der Verkäufer eine Bereitschaft zu erkennen gegeben habe, für alle Folgen einstehen zu wollen, wenn die genannten Eigenschaften fehlen (BGHZ 59, 158, 160).
bb) Gleichfalls ohne Erfolg bleibt die Rüge, das Berufungsgericht habe nicht beachtet, daß nach der Aussage des Architekten D. die Beklagte die Vollständigkeit der Pläne und Grundwasserfreiheit im geplanten Baubereich arglistig vorgespiegelt habe durch die Erklärung, nur wenn die Bausohle tiefer gelegt werde, könne etwas Grundwasser anfallen. Das arglistige Vorspiegeln einer nicht vorhandenen Eigenschaft ist zwar dem Verschweigen eines Fehlers gleichzustellen (Senatsurt. v. 12. Mai 1989, V ZR 10/88; MünchKomm/ H.P. Westermann, BGB 2. Aufl. § 463 Rdn. 10). Der Zeuge D. hat sich aber, worauf die Revision in Erwiderung zur Anschlußrevision ausdrücklich hinweist, nicht mehr daran erinnern können, ob das von ihm geschilderte Gespräch vor oder nach Vertragsschluß stattgefunden hat.
Danach kommt hier allenfalls das Verschweigen einer Eigenschaft bei bestehender Aufklärungspflicht im Rahmen der culpa in contrahendo in Betracht.
3. Für die Frage, ob und in welchem Umfang der Kläger sich, falls eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten erneut zu bejahen sein sollte, ein Mitverschulden zurechnen lassen muß, wird es danach ebenfalls wie für eine Haftung der Beklagten darauf ankommen, welche Erklärungen der Beklagte zu 2 bei den Kaufverhandlungen abgegeben hat.
II. 1. Ohne Erfolg wendet sich die Anschlußrevision jedoch dagegen, daß das Berufungsgericht die Kausalität der behaupteten Aufklärungsverletzung für die vom Kläger aufgewandten Kosten für den Statiker verneint hat. Anders als sie rügt, stützt das Berufungsgericht seine Erwägungen zu diesem Punkt nicht auf Vermutungen, sondern auf den Vortrag des Klägers und die Erwiderung der Beklagten; danach soll der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 1989 eingeräumt haben, die von ihm in Auftrag gegebene Statik für die Streifenfundamente habe beim Bau Verwendung gefunden.
2. Unbegründet ist auch die Rüge gegen die Aberkennung von Verzugszinsen. Die Weigerung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, mag eine Mahnung entbehrlich machen. Es fehlt jedoch schon an Vortrag des Klägers zum Zeitpunkt des Entstehens des Schadens. Der Kläger hat selbst nur Rechnungen vorgelegt, die aus Mitte 1988 datieren, ohne nähere Darlegung, ob und wann diese Positionen von ihm beglichen worden sind. Es ist zudem offensichtlich, daß Mietverluste wegen verspäteter Fertigstellung des Gebäudes nicht schon im Zeitpunkt des lediglich um sechs Wochen verzögerten Aushebens der Baugrube entstanden sein können. Ebensowenig können Kosten der Wasserhaltung schon zu einem Zeitpunkt entstanden sein, in dem nach dem Vortrag des Klägers der Bau eingestellt worden war; denn die Genehmigung zum Abpumpen des Wassers ist erst nach dem Zeitpunkt erteilt worden, von dem ab Verzugszinsen verlangt werden.
C. Im Streit bleiben danach noch Schadensbeträge von 330.406,46 DM nebst Zinsen seit 6. Oktober 1988.
In diesem Umfange wird das Berufungsgericht zu erwägen haben, ob es sich der Beweiswürdigung des Landgerichts anschließt oder selbst Zeugen zu der Frage anhört, welche Gespräche zwischen den Parteien vor Abschluß des Vertrages geführt worden sind; danach muß es entscheiden, ob es auch noch das von den Beklagten angebotene Gutachten zur Frage der Planung einer Bodenwanne einholen muß.
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.