Bundesgerichtshof
Urt. v. 24.04.1992, Az.: V ZR 13/91
Grundstückskaufvertrag; Klausel; Fälligkeitszins; Schadenspauschalierung; Vertragsstrafenvereinbarung; Abgrenzung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 24.04.1992
- Aktenzeichen
- V ZR 13/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 14786
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Mannheim
- OLG Karlsruhe
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHWarn 1992, 284-286
- DB 1992, 1774-1775 (Volltext mit amtl. LS)
- DNotZ 1992, 659-662
- IBR 1992, 463 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- MDR 1992, 965 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1992, 424 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1992, 2625-2626 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1992, 1411-1413 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1992, 314
- ZIP 1992, 939-941 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zur Abgrenzung zwischen Fälligkeitszinsen, Schadenspauschalierung und Vertragsstrafenvereinbarung in der Klausel eines notariellen Vertrages, mit der sich der Grundstückskäufer verpflichtet, auf den Kaufpreis "Zinsen aus dem Gesichtspunkt des Verzuges ab Fälligkeit in Höhe von 10 % p.a. zu bezahlen".
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 12. Dezember 1990 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mannheim vom 21. Juni 1990 wird auch insoweit zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die gesamten Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagten im Rahmen einer gegenseitigen Abrechnung nach Vollzug eines Grundstückkaufvertrages gegen den Kläger ein Anspruch auf Zinsen in Höhe von 125.611,11 DM zusteht.
Die Beklagte (damals als B. K. L. firmierend) verkaufte durch notariellen Vertrag vom 24. August 1987 der BGB-Gesellschaft "W.-WK P. G. mbH" ein Grundstück zum Kaufpreis von 1.868.000 DM, der spätestens am 31. Dezember 1987 zur Zahlung fällig war. Einer der Gesellschafter war der Kläger, der inzwischen die Anteile der früheren Mitgesellschafterin übernommen hat. Die Käuferin verpflichtete sich, "Zinsen aus dem Gesichtspunkt des Verzuges ab Fälligkeit in Höhe von 10 % p.a. zu bezahlen" (§ 4 des Vertrages). Die Übergabe des Grundbesitzes war an die Zahlung des Kaufpreises gebunden; von diesem Tage an sollten die Gefahr, Nutzungen und Lasten auf die Käuferin übergehen (§ 6 des Vertrages). Die Beklagte hatte sich unter anderem verpflichtet, der Käuferin bestimmte Aufwendungen bis zur Höhe von 100.000 DM zu erstatten. Der Kaufpreis wurde erst am 26. September 1988 bezahlt.
Die Beklagte erstellte mit Schreiben vom 30. März 1989 eine Schlußabrechnung zum 26. September 1988, in der sie für die Zeit vom 1. Januar 1988 bis 26. September 1988 Zinsen nach § 4 des Kaufvertrages in Höhe von 125.611,11 DM geltend machte.
Der Kläger, über dessen Aktiv- und Passivlegitimation die Parteien im Rahmen der Abrechnung nicht mehr streiten, hat von der Beklagten Zahlung von 140.974,87 DM nebst 4 % Prozeßzinsen verlangt. Er hat vorgetragen, § 4 des Vertrages enthalte eine Vertragsstrafenvereinbarung, einen entsprechenden Anspruch habe sich die Beklagte bei Entgegennahme des Kaufpreises aber nicht vorbehalten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht unter Klageabweisung im übrigen die Beklagte zur Zahlung von 101.369,80 DM nebst 4 % Zinsen seit 1. März 1990 verurteilt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils; der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch der Beklagten auf Zinsen in rechnerisch unbestrittener Höhe von 125.611,11 DM, weil in § 4 des Kaufvertrages nicht eine Schadenspauschale, sondern eine Vertragsstrafe vereinbart worden sei, deren Zahlung sich die Beklagte bei Annahme des Kaufpreises als Erfüllung nicht vorbehalten habe (§ 341 Abs. 3 BGB). Ausnahmsweise liege hier in der Vereinbarung von Zinsen eine Vertragsstrafenabrede, weil die Vertragsparteien, insbesondere die Beklagte, genau gewußt hätten, daß ein relevanter Verzugsschaden überhaupt nicht eintreten werde. Unstreitig seien der Beklagten bis zur Zahlung des Kaufpreises Mieteinnahmen von 133.000 DM zugeflossen. Da sie auch nicht substantiiert bestritten habe, daß die Lasten des Grundstücks geringfügig seien, werde der Nachteil der verspäteten Kaufpreiszahlung durch den eingenommenen Mietzins "mehr als ausgeglichen". Selbst wenn man in § 4 des Vertrages eine Schadenspauschalierung sehe, halte diese einer Inhaltskontrolle nach §§ 138, 242 BGB nicht stand. Auf der Grundlage nun nicht mehr streitiger Abrechnungsposten bejaht es Ansprüche des Klägers in Höhe von 141.001,69 DM, denen nur Ansprüche der Beklagten in Höhe von 39.631,89 DM gegenüberstünden, woraus sich ein Saldo von 101.369,80 DM ergebe.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Bei der Auslegung der Zinsklausel zieht das Berufungsgericht nur die Alternative Schadenspauschalierung oder Vertragsstrafe in Betracht und engt damit seinen Blickwinkel rechtsfehlerhaft ein. Es erwägt nämlich nicht eine dritte Möglichkeit. Schon nach dem Vertragswortlaut kommt ernsthaft in Betracht, daß die Vertragspartner Fälligkeitszinsen vereinbaren wollten. Eine solche nach Grund und Höhe von § 452 BGB abweichende Vereinbarung ist zulässig (vgl. Senatsurteil vom 16. November 1990 - V ZR 217/89 - WM 1991, 326, 327 = NJW 1991, 843; Erman/Weitnauer, BGB, 8. Aufl., § 452 Rdn. 3; Palandt/Putzo, BGB, 51. Aufl., § 452 Rdn. 1). Sie ist auch in Höhe von 10 % jedenfalls in einer Individualvereinbarung rechtlich unbedenklich (Senatsurteil a.a.O.). Verfehlt ist deshalb die Hilfsüberlegung des Berufungsgerichts, die Zinsregelung würde einer "Inhaltskontrolle nach §§ 138, 242 BGB nicht standhalten".
2. Die Auslegung des Berufungsgerichts läßt sich deshalb nicht halten. Weitere tatsächliche Feststellungen kommen nicht mehr in Betracht; insbesondere macht die Revisionserwiderung - auch nach eingehender Erörterung der möglichen Auslegungsvarianten in der mündlichen Verhandlung - nicht geltend, daß Auslegungsstoff übergangen worden sei oder noch in Betracht komme. Das Revisionsgericht ist damit zu eigener Auslegung befugt (BGHZ 65, 107, 112 [BGH 25.09.1975 - VII ZR 179/73]; 109, 19, 22).
a) In der Zinsklausel liegt keine Vertragsstrafenvereinbarung. Auch das Berufungsgericht verkennt nicht, daß hier der Wortlaut des Vertrages nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine solche Annahme hergibt. Da auf beiden Seiten aber geschäftserfahrene Firmen beteiligt waren (Bank und Immobilienfirma), wäre - zumal in einem notariellen Vertrag - zu erwarten gewesen, daß eine etwa gewollte Vertragsstrafenabrede auch ausdrücklich so bezeichnet würde. Hier spricht alles dafür, daß die Regelung in erster Linie nicht die Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung sichern und auf den Vertragspartner einen möglichst wirkungsvollen Druck zur Zahlung ausüben, sondern eher eine zusätzliche vertragliche Leistung begründen oder der vereinfachten Durchsetzung eines als bestehend vorausgesetzten Schadenersatzes dienen soll (vgl. BGH, Urteile vom 8. Oktober 1969 - VIII ZR 20/68 - NJW 1970, 31, 32 [BGH 08.10.1969 - VIII ZR 20/68]; vom 25. November 1982 - III ZR 92/81 - NJW 1983, 15, 42 je m.w.N.). Eine Abgrenzung ist nur nach dieser primären Zielsetzung möglich, weil einerseits auch eine Zinsregelung auf den Vertragspartner unverkennbar Druck zur Zahlung des Kaufpreises ausübt, andererseits auch eine Vertragsstrafe dem Gläubiger im Verletzungsfall die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung ohne Einzelnachweis eröffnet (vgl. BGHZ 85, 305, 313 m.w.N.). An dieser Auslegung können auch die Ausführungen des Berufungsgerichts über die unstreitig eingenommenen Mieten und die in dieser Zeit als geringfügig angesehenen Lasten nichts ändern. Insoweit kann schon nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Beklagte vor dem Besitzübergang auch die volle Gefahr trug (§ 6 des Vertrages) und bei Vertragsschluß noch nicht feststand, ob sich dieses Risiko verwirklichen würde. Insbesondere aber schlösse eine - zutreffende - Prognose über den Eingang der Mieten nicht die Vereinbarung einer zusätzlichen Leistung aus.
b) Daß die Käuferin sich in § 4 des Vertrages "verpflichtet", Zinsen "ab Fälligkeit" zu bezahlen, spricht in der Tat dafür, daß damit Fälligkeitszinsen als Nebenleistung zum Kaufpreis gewollt sind; diese setzen einen Verzugsschaden weder voraus, noch können sie durch eine Vorteilsausgleichung (vgl. z.B. BGHZ 91, 209, 210) [BGH 17.05.1984 - VII ZR 169/82] gemindert werden. Obwohl sich Fälligkeitszinsen auch als Druck dahin auswirken, den Kaufpreis termingerecht zu zahlen, handelt es sich nicht um eine Vertragsstrafe als Druckmittel zur ordnungsgemäßen Erbringung der versprochenen Leistung, sondern um einen Teil der versprochenen Leistung selbst. Demgemäß hat der Senat auch eine ähnliche Klausel wie hier nicht als Vertragsstrafenregelung verstanden (Senatsurteil vom 16. November 1990 a.a.O.).
Allerdings erwähnt die Vertragsklausel auch noch den "Gesichtspunkt des Verzuges". Das zwingt aber nicht zu einer schadenersatzrechtlichen Betrachtungsweise, weil hier wegen der kalendermäßigen Bestimmung der Leistungszeit (§ 284 Abs. 2 Satz 1 BGB) Fälligkeit und Verzug zusammenfallen. Die vereinbarten Zinsen sind damit zwangsläufig auch Verzugszinsen, ohne daß mit Erwähnung des Verzuges zugleich feststünde, die Vertragsparteien hätten ihre Zinsabsprache als Schadenspauschale verstanden. Für diesen Fall hätte es vor allem in einem notariellen Vertrag ohnehin nahegelegen, den Begriff des "Verzugsschadens" zu verwenden.
Letztlich kann aber die Abgrenzung zwischen Fälligkeitszinsen und einer Verzugsschadenspauschale hier offenbleiben. Auch wenn die Zinsregelung der vereinfachten Durchsetzung eines als bestehend vorausgesetzten Verzugsschadens dienen sollte, müßte angenommen werden, daß die Vertragsparteien gleichzeitig konkludent eine Abrede dahin getroffen haben, die während der Verzugszeit eingenommenen Mieten nicht auf den Zinsschaden anzurechnen. Haben die Vertragsparteien - wie das Berufungsgericht feststellt - bei Vertragsabschluß als sicher angenommen, daß sich die 10 %ige Verzinsung des Kaufpreises und der während der Verzugszeit eingenommene Reinertrag aus den Mieten jedenfalls die Waage halten würden, dann wäre unverständlich, warum sie trotzdem eine ausdrückliche Verpflichtung der Käuferin zur Zinszahlung ab Fälligkeit in den Vertrag aufgenommen haben. Eine solche Klausel wäre praktisch folgenlos geblieben - und damit überflüssig gewesen -, wenn die als sicher vorausgesehenen Mieteingänge im Wege der Vorteilsausgleichung hätten angerechnet werden sollen. Insbesondere bei geschäftserfahrenen Partnern ist nicht vorstellbar, daß sie eine derartig "leerlaufende" Regelung treffen wollten. Dieser auch schon für Fälligkeitszinsen sprechende Umstand führt jedenfalls dazu, von einer Nichtanrechnungsvereinbarung der Vertragsparteien hinsichtlich der Mieteinnahmen auszugehen. Auch hierauf hat der Senat in der mündlichen Verhandlung hingewiesen, ohne daß der Kläger dem Überzeugendes entgegenhalten konnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97, 91, ZPO.
Hagen
Vogt
Räfle
Lambert-Lang
Tropf