Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.04.1992, Az.: XII ZR 20/91
Voraussetzungen für die Anfechtung eines Mietvertrages; Voraussetzungen für das Vorliegen einer arglistigen Täuschung; Ermittlung des Willens des Anfechtungsberechtigten
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 01.04.1992
- Aktenzeichen
- XII ZR 20/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 14311
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Düsseldorf - 20.09.1990
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- NJW-RR 1992, 779-780 (Volltext mit red. LS)
- WM 1992, 996-997 (Volltext mit red. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Für die schlüssige Bestätigung eines nach § 123 BGB anfechtbaren Rechtsgeschäfts gibt es bestimmte Voraussetzungen und Gesichtspunkte.
Tenor:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. September 1990 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Durch Vertrag vom 26. April/2. Mai 1988 vermietete die Klägerin dem Beklagten ein Ladenlokal von "ca. 35,26 m2" Größe in der Marktpassage B. zum Betrieb eines Fachgeschäfts für Tee und Honig. Das Mietverhältnis begann vereinbarungsgemäß am 13. Oktober 1988. Für den Monat Oktober hatte der Beklagte nur Nebenkosten und Mehrwertsteuer zu entrichten; für die Zeit vom 1. November 1988 bis 30. September 1989 war ein Mietzins von 90 DM je m2 = 3.173,40 DM monatlich zuzüglich Nebenkosten und MWSt vereinbart; ab 1. Oktober 1989 sollte sich der Mietzins auf 100 DM pro m2 = 3.526 DM monatlich zuzüglich Nebenkosten und MWSt belaufen. Kurz vor Eröffnung des gemieteten Ladenlokals erfuhr der Beklagte, daß sein Vorgänger im Mietverhältnis seinen Teehandel in ein neues, etwa 100 m von der Marktpassage entfernt gelegenes Geschäftslokal verlegt hatte und ihn dort fortführte.
Der Beklagte zahlte der Klägerin seit Beginn des Mietverhältnisses lediglich die monatlichen Nebenkosten mit MWSt; die vereinbarten Mietzinsen entrichtete er nicht. Mit Schreiben vom 13. Februar 1989 focht er "den Mietvertrag" wegen Irrtums und arglistiger Täuschung an und kündigte das Mietverhältnis vorsorglich zum 28. Februar 1989. Am 17. Februar 1989 räumte er das Ladenlokal.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung des vereinbarten Mietzinses für die Monate November 1988 bis Februar 1989 in Höhe von je 3.979,44 DM abzüglich für Nebenkosten gezahlter Beträge sowie eines durch Verrechnung erledigten Teilbetrages (für das Verlegen eines Teppichbodens) in Anspruch. Sie hat vor dem Landgericht ein Versäumnisurteil auf Zahlung von 14.014,76 DM erwirkt.
Mit dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil hat sich der Beklagte darauf berufen, die Klägerin habe ihn durch arglistige Täuschung zum Abschluß des Mietvertrages veranlaßt. Sie habe ihm wider besseres Wissen erklärt, der frühere Mieter gebe seinen Teehandel vollständig auf, daher könne er, der Beklagte, dessen Jahresumsatz in einer Höhe von etwa 500.000 DM erwarten. Tatsächlich habe er in der
Zeit vom 18. Oktober 1988 bis zum 16. Februar 1989 nur Umsätze von insgesamt 35.663 DM erzielt.
Der Beklagte hat widerklagend Schadensersatz für die ihm im Zusammenhang mit der Eröffnung und dem Betrieb des Ladenlokals entstandenen Aufwendungen in Höhe von insgesamt 54.679,05 DM verlangt und darüber hinaus beantragt, ihn von den Schadensersatzansprüchen freizustellen, die der von ihm auf der Grundlage eines Franchisevertrages mit der Führung des Ladenlokals beauftragte Willibald M. - in Höhe von 62.736,10 DM - gegen ihn erhebe.
Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufrecht erhalten und die Widerklage abgewiesen. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil hatte - bis auf einen Teil der der Klägerin zugesprochenen Zinsen - keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren auf Aufhebung des Versäumnisurteils und Abweisung der Klage sowie Verurteilung der Klägerin nach Maßgabe der Widerklageanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel ist begründet.
1.
Das Berufungsgericht hat die Anfechtung des Beklagten nicht durchgreifen lassen, weil er den Mietvertrag gemäß § 144 BGB bestätigt habe mit der Folge, daß die Anfechtung ausgeschlossen sei. Der Beklagte habe die Hauptleistung der Klägerin teilweise entgegengenommen, indem er die Mietsache übernommen und sich ihren Gebrauch habe gewähren lassen. Außerdem habe er Nebenkosten und Vorschüsse darauf gezahlt und sich die Kosten für das Einbringen eines Teppichbodens - durch Verrechnung - vergüten lassen. Er habe damit Erfüllungsleistungen der Klägerin angenommen, auch seinerseits den Mietvertrag teilweise erfüllt, obwohl er nach seinem eigenen Vortrag schon vor dem 13. November (muß heißen: Oktober) 1988 erkannt habe, daß der Vorgänger sein Gewerbe fortsetzte, wodurch in nächster Nähe ein Konkurrenzbetrieb entstanden war. Dieses Verhalten des Beklagten habe einen stillschweigenden Verzicht auf sein Anfechtungsrecht eingeschlossen. Seinen Vorbehalt, er habe lediglich versuchen wollen, Investitionen zu erwirtschaften und gegenüber seinem Vertragspartner M. vertragstreu zu bleiben, habe er der Klägerin nicht erkennbar gemacht.
Zwar kann der Wille des Anfechtungsberechtigten, ein ihm bekanntes Anfechtungsrecht nicht auszuüben, wie das Oberlandesgericht insoweit zu Recht annimmt, auch konkludent zum Ausdruck gebracht werden. Jedoch sind an die Annahme einer Bestätigung durch schlüssiges Verhalten strenge Anforderungen zu stellen, da Teilnehmer am Rechtsverkehr erfahrungsgemäß nicht ohne weiteres auf bestehende Befugnisse oder Gestaltungsmöglichkeiten zu verzichten pflegen (BGHZ 110, 220, 222 [BGH 02.02.1990 - V ZR 266/88]; BGH Urteile vom 29. September 1982
- VIII ZR 320/81 = WM 1982, 1249, 1251; vom 23. April 1971
- VIII ZR 258/69 = NJW 1971, 1705, 1800, jeweils m.w.N.). Für die Fälle eines Anfechtungsrechts nach § 123 BGB gilt dies in besonderem Maße deshalb, weil dem Anfechtungsberechtigten in derartigen Fällen eine Anfechtungsfrist von einem Jahr zur Verfügung steht (§ 124 BGB). Diese gesetzliche Überlegungsfrist darf, wie die Revision zu Recht rügt, nicht dadurch unterlaufen werden, daß vor Ablauf der Frist jedes Verhalten des Anfechtungsberechtigten, das sich (noch) im Rahmen seiner Vertragspflichten bewegt, schon als Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts gewertet wird. Eine stillschweigende Bestätigung i.s. von § 144 BGB kann vielmehr nur angenommen werden, wenn das Verhalten des Anfechtungsberechtigten eindeutig Ausdruck eines Bestätigungswillens ist und jede andere den Umständen nach einigermaßen verständliche Deutung ausscheidet (BGHZ aaO; Urteile vom 29. September 1982 und 28. April 1971 aaO). Sobald ein Verhalten auch auf einem anderen Grund beruhen kann, ist eine Bestätigung grundsätzlich nicht anzunehmen. Auf diesem Hintergrund sind auch die Entgegennahme einer nach dem anfechtbaren Vertrag geschuldeten Leistung und etwa der Gebrauch der daraus erlangten Sache zu werten: Diese können Ausdruck eines Bestätigungswillens sein; wird die angebotene Sache aber nur aus wirtschaftlicher Notwendigkeit oder zur Abwendung eines größeren Verlustes zunächst an- oder in Gebrauch genommen, so bedeutet ein solches Verhalten in der Regel keine Bestätigung i.S. von § 144 BGB (BGH Urteil vom 28. April 1971 aaO m.w.N.; vgl. auch BGB-RGRK/Krüger-Nieland/Zöller 12. Aufl. § 144 Rdn. 6; Münch-Komm/Mayer-Maly BGB, 2. Aufl. § 144 Rdn. 3).
Nach den dargelegten Grundsätzen kann dem Verhalten des Beklagten aus der Zeit bis zum 13. Februar 1989, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, kein - eindeutiger - Bestätigungswille entnommen werden. Der Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt den vereinbarten Mietzins entrichtet, sondern sich im Gegenteil auf die Zahlung von Nebenkosten beschränkt. Damit fehlt es insoweit schon deshalb an einem als Bestätigung wertbaren Verhalten, weil der Beklagte gerade seine Gegenleistung für die Überlassung der gemieteten Räume unter Verletzung seiner - im Falle eines wirksamen Vertrages bestehenden - Vertragspflichten nicht erbracht hat. Daß er trotz der kurz vor Inkrafttreten seines Mietverhältnisses erlangten Kenntnis von der Eröffnung eines Konkurrenzbetriebes des Mietvorgängers in unmittelbarer Nähe der Marktpassage gleichwohl das Geschäft eröffnet und den Tee- und Honighandel in Angriff genommen hat, läßt unter den gegebenen Umständen für sich allein nicht auf einen Bestätigungswillen schließen. Der Beklagte hat sich hierzu vielmehr nach seinem Vortrag im Schriftsatz vom 18. Juni 1990 (S. 2), dem die Klägerin insoweit nicht widersprochen hat (Schriftsatz vom 25. Juni 1990), aus wirtschaftlicher Notwendigkeit veranlaßt gesehen, nachdem er bereits erhebliche Investitionen für die Einrichtung des Geschäfts getätigt und den früheren Polizeibeamten M. vertraglich an sich gebunden hatte. Wenn er unter diesen Umständen zunächst versuchte, durch Eröffnung und (vorläufige) Inbetriebnahme des Teehandels ausreichende Umsätze zu erzielen - obwohl er sich durch die Klägerin getäuscht fühlte und die Konsequenzen aus dem täuschenden Verhalten erst bis zum Ablauf eines Jahres nach Abschluß der Vertragsverhandlungen zu ziehen brauchte - läßt dieses Verhalten bei der gebotenen objektiven Beurteilung durchaus eine andere Deutung zu als die Äußerung eines Bestätigungswillens. Damit scheidet die Annahme einer Bestätigung i.S. von § 144 BGB durch konkludentes Verhalten aus Rechtsgründen aus.
Das angefochtene Urteil kann daher mit der ihm gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben.
3.
Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO). Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob dem Beklagten ein Anfechtungsrecht nach § 123 BGB zustand. Nachdem jedoch entgegen seiner Auffassung die Voraussetzungen des § 144 BGB nicht gegeben sind, ist das Bestehen eines Anfechtungsrechts entscheidungserheblich.
Der Beklagte hat hierzu im Berufungsverfahren unter Bezugnahme auf sein Vorbringen aus dem ersten Rechtszug behauptet und unter Beweis gestellt: Die Klägerin habe ihm, in der Person des von ihr bevollmächtigten Zeugen P., wider besseres Wissen, zumindest aber ins Blaue hinein, vorgespiegelt, der Vormieter werde seinen gleichartigen Betrieb vollständig einstellen, so daß er, der Beklagte, entsprechend dem angeblichen Umsatz des Vormieters von einem Jahresumsatz von 500.000 DM ausgehen könne; zur Zeit dieser Zusicherung habe die Klägerin (d.h. der von ihr bevollmächtigte P.) bereits Kenntnis davon gehabt, daß der Vormieter in unmittelbarer Nähe des alten Ladenlokals einen neuen Teeladen eröffnen werde; er, der Beklagte, habe den Mietvertrag im Vertrauen auf die Zusage der Klägerin geschlossen, daß der Vorgänger seinen Betrieb vollständig einstelle und er deshalb den Kundenstamm übernehmen könne (Berufungsbegründung vom 13. März 1990 S. 4 i.V. mit Schriftsatz vom 3. Oktober 1989 S. 1, 2 und 3).
Dieser Vortrag enthält die schlüssige Behauptung sowohl einer arglistigen Täuschung als auch eines Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen, begangen durch den als Zeugen benannten bevollmächtigten Vertreter der Klägerin P., der die Vertragsverhandlungen mit dem (Vertreter des) Beklagten geführt hat, und dessen Kenntnis und Verhalten die Klägerin sich nach §§ 166, 278 BGB zurechnen lassen muß (vgl. BGH Urteil vom 8. Dezember 1989 - V ZR 259/87 = BGHR BGB § 123 Abs. 2 Dritter 2). Wenn P. bei Abgabe der behaupteten Zusicherung Kenntnis von den tatsächlichen Absichten und Plänen des Vormieters gehabt und gleichwohl dem Beklagten gegenüber etwas anderes behauptet hat, liegen sowohl Arglist als auch ein schuldhaftes Vertragsverhalten auf der Hand. Selbst wenn P. dem Beklagten (bzw. seinem Vertreter) gegenüber aber lediglich Wissen (über die Absicht des Vormieters, seinen Betrieb endgültig einzustellen, und über dessen Jahresumsatz) vorgegeben hat, das er tatsächlich nicht hatte, sich also auf die Gefahr hin geäußert hat, daß seine Angaben nicht zutrafen, um den Beklagten auf diese Weise zum Abschluß des Mietvertrages zu bestimmen, kann auch ein derartiges Verhalten eine arglistige Täuschung und ein Verschulden beim Vertragsschluß bedeuten (vgl. BGH Urteile vom 3. Dezember 1986 - VIII ZR 345/88 = BGHR BGB § 123 Abs. 1 Kauf 1;vom 22. Februar 1991 - V ZR 299/89 = BGHR aaO Kausalität 1; BGHZ 63, 382, 388 [BGH 21.01.1975 - VIII ZR 101/73]; BGB-RGRK/Krüger-Nieland aaO § 123 Rdn. 10 bis 12; Palandt/Heinrichs BGB 51. Aufl. § 123 Rdn. 11).
Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht eine Haftung der Klägerin wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen verneint hat, sind demgegenüber nicht geeignet, die angefochtene Entscheidung zu tragen. Denn sie beruhen ebenfalls auf der Erwägung, der Beklagte habe seine Vertragserklärung vom 26. April 1988 durch sein Verhalten im und nach Oktober 1988 rechtsverbindlich bestätigt.
Da das Berufungsgericht der Behauptung des Beklagten über eine schuldhaft unrichtige Zusicherung des Bevollmächtigten der Klägerin nicht nachgegangen ist, muß der Rechtsstreit zur Nachholung der Beweiserhebung und zur neuen Entscheidung zurückverwiesen werden.