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Bundesgerichtshof
Urt. v. 15.01.1992, Az.: IV ZR 13/91

Feststellungsklage; Deckungspflicht des Versicherers; Untätigkeit des Prozeßbevollmächtigten; Fristablauf; Zum Begriff "demnächst" gemäß § 270 Abs. 3 ZPO

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
15.01.1992
Aktenzeichen
IV ZR 13/91
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1992, 14602
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHWarn 1992, 13-15
  • MDR 1992, 900-901 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1992, 470-471 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1992, 433-434 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Wenn eine Klage (hier: auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers) ohne ausdrückliche Angabe des Streitwerts drei Wochen vor Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG eingereicht wird und der Prozeßbevollmächtigte des Klägers untätig bleibt, bis ihm das Gericht drei Wochen nach Fristablauf die Beantwortung von Fragen zur Festsetzung des Streitwerts aufgibt, ist die Zustellung nach weiteren drei Wochen noch "demnächst" geschehen (Ergänzung zu BGHZ 69, 361 = VersR 77, 1153).

Tatbestand:

1

Der Kläger betreibt ein Industriereinigungsunternehmen und ist bei der Beklagten haftpflichtversichert. Bei der Reinigung von Treibstofftanks kam es zu einer Explosion; zwei Mitarbeiter des Klägers fanden den Tod. Der Tank, in dem die Leute des Klägers gearbeitet hatten, wurde zerstört. Der Kläger begehrt die Feststellung der Deckungspflicht des beklagten Versicherers für diesen Schaden.

2

Die Beklagte meint, der Schaden sei durch einen Verstoß gegen Vorschriften über den Umgang mit explosiven Stoffen verursacht worden. Sie sei daher aufgrund der betreffenden Ausschlußklausel in der Beschreibung des versicherten Risikos von der Verpflichtung zur Leistung frei. Außerdem sei der Tank unmittelbar Gegenstand der gewerblichen Tätigkeit des Klägers gewesen, so daß Versicherungsschutz wegen der Bearbeitungsklausel des § 4 Abs. 1 Nr. 6b AHB ausgeschlossen sei. Dies hat sie dem Kläger mitgeteilt und ihn über die Folgen der Versäumung der sechsmonatigen Frist des § 12 Abs. 3 VVG belehrt. Das Schreiben ist dem Kläger am 21. April 1988 zugegangen.

3

Seine Klage ist am 30. September 1988 beim Landgericht eingegangen. Sie ist am 2. Dezember 1988 zugestellt worden. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

4

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.

5

I. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei gemäß

6

§ 12 Abs. 3 VVG von ihrer Leistungspflicht frei geworden, weil die erst nach Ablauf der Klagefrist bewirkte Zustellung nicht mehr "demnächst" erfolgt sei und daher nicht gemäß § 270 Abs. 3 ZPO auf die (rechtzeitige) Einreichung der Klage zurückbezogen werden könne, hält den Angriffen der Revision nicht stand.

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1. Die nach Ablehnung des Versicherungsschutzes einzuhaltende Klagefrist lief nach den - insoweit nicht angegriffenen - Feststellungen des Berufungsgerichts am 21. Oktober 1988 ab. Daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers bis zu diesem Zeitpunkt nichts unternommen hat, um die Zustellung der Klage zu erreichen, kann ihm nicht als Verschulden angelastet werden.

8

§ 270 Abs. 3 ZPO bezieht die Wirkung einer "demnächst" erfolgten Zustellung auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage zurück. Damit soll der Kläger vor den Nachteilen solcher Verzögerungen der Zustellung geschützt werden, die außerhalb seiner Einflußsphäre liegen und die er auch bei gewissenhafter Prozeßführung nicht vermeiden kann. Derjenige Zeitraum, dessen ungenutztes Verstreichen ihm nicht angelastet werden kann, hat deshalb außer Betracht zu bleiben bei der Beurteilung der Frage, ob eine Zustellung "demnächst" erfolgt ist (BGHZ 103, 20, 28). Einer Partei dürfen keine Nachteile daraus erwachsen, daß sie die ihr eingeräumte Frist bis zum letzten Tag ausnutzt.

9

2. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers ist nach der Einreichung der Klage erstmals tätig geworden, indem er mit Schreiben vom 11. November 1988 um Zusendung einer Kopie der ihm unbekannt gebliebenen gerichtlichen Verfügung vom 5. Oktober 1988 bat, an deren Beantwortung er vom Gericht erinnert worden war. Er hat sich mithin erst drei Wochen nach Fristablauf in der beschriebenen Weise um den Fortgang des Verfahrens gekümmert. Auch dies gereicht ihm nicht zum Verschulden.

10

a) Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß es nicht geboten gewesen sei, den Klägervertreter zu weiteren Ausführungen über den Streitwert zu veranlassen, wie dies mit der gerichtlichen Verfügung vom 5. Oktober 1988 geschehen ist; der Streitwert hätte schon aus den Angaben über die Haftungshöchstgrenzen und die Art des eingetretenen Schadens in der Klageschrift entnommen werden können. Eine Verzögerung der Zustellung, die dadurch eintritt, daß von seiten des Gerichts eine nicht gebotene Rückfrage erfolgt, kann dem Kläger nicht zugerechnet werden (BGH, Urteil vom 29. September 1983 - VII ZR 31/83 -, NJW 1984, 242 [BGH 29.09.1983 - VII ZR 31/83]).

11

Deshalb kommt es nicht darauf an, daß der Kläger nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht verpflichtet war, den Streitwert in der Klageschrift anzugeben (BGHZ 69, 361, 363ff.).

12

b) Dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers ist ferner nicht vorzuwerfen, daß er sich nicht schon vor dem 11. November 1988 bei Gericht um den Fortgang der Sache gekümmert hat. In der Entscheidung BGHZ 69, 361, 364, ist die Frage, wie lange der gerichtlichen Zahlungsaufforderung auch nach Ablauf der Frist noch untätig entgegengesehen werden kann und ob dabei ein Zeitraum von drei Wochen etwa keinesfalls überschritten werden darf, nicht abschließend entschieden. Sie braucht auch im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Der Zeitraum von drei Wochen ist hier nicht überschritten worden. Ein solcher Zeitraum kann allgemein nicht als zu lang angesehen werden.

13

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der Prozeßbevollmächtigte des Klägers auch nicht deshalb zu einer früheren Nachfrage verpflichtet, weil er die Klage bereits am 30. September 1988 eingereicht hatte (vgl. oben I. 1. und die Fallgestaltung in BGHZ 69, 361ff.).

14

c) Auch aus der Art, in der der Prozeßbevollmächtigte des Klägers am 11. November 1988 tätig geworden ist, läßt sich kein Vorwurf herleiten. Er hat auf die Verfügung vom 7. November 1988, mit der er an die Beantwortung der Verfügung vom 5. Oktober 1988 erinnert wurde, unverzüglich schriftlich reagiert. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hätte er allerdings den Inhalt der ihm unbekannt gebliebenen Verfügung vom 5. Oktober 1988 telefonisch erfragen oder Akteneinsicht nehmen sollen, um die notwendigen Angaben sofort machen zu können. Damit sind jedoch die Anforderungen an die anwaltliche Pflicht zu gewissenhafter Prozeßführung überspannt worden.

15

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs braucht sich ein Anwalt in einer derartigen Lage nicht des Telefons zu bedienen, sondern kann solche Anfragen im normalen Ablauf des Büroverkehrs auf dem üblichen postalischen Weg erledigen; er setzt sich dem Vorwurf der Nachlässigkeit nur aus, wenn er die Beantwortung der Anfrage des Gerichts längere Zeit aufschiebt (BGH, Urteil vom 23. Oktober 1963 - VIII ZR 76/62 - VersR 1964, 75f.; BGH, Urteil vom 6. April 1972 - III ZR 210/69 - NJW 1972, 1948, 1949f.) [BGH 06.04.1972 - III ZR 210/69].

16

3. Soweit das Berufungsgericht schließlich meint, der Klägervertreter hätte nach Kenntnis des Inhalts der gerichtlichen Verfügung vom 5. Oktober 1988 am 18. November 1988 sich nicht auf Angaben zum Streitwert beschränken dürfen, sondern den Gerichtskostenvorschuß selbst berechnen und sofort einzahlen oder aber einen Antrag gemäß § 65 Abs. 7 Nr. 4 GKG stellen müssen, hat es die Entscheidungen, mit denen es diese Auffassung stützt, mißverstanden. In dem Urteil BGHZ 69, 361, 364f. wird, wie gerade das wörtliche Zitat des Berufungsgerichts zeigt, nicht verlangt, daß die klagende Partei nach Ablauf der ihr zuzubilligenden Wartefrist den Vorschuß von sich aus berechnen und einzahlen müsse; vielmehr hat der Senat alternativ genügen lassen, daß die gerichtliche Berechnung und Anforderung des Vorschusses lediglich in Erinnerung gebracht wird. In dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Januar 1967 - III ZR 3/66 - VersR 1967, 400, 401 wird nicht gesagt, es sei nicht zuviel verlangt, wenn der klagenden Partei angesonnen werde, die Prozeßgebühr zu zahlen oder den bezeichneten Antrag nach dem Gerichtskostengesetz zu stellen; das Urteil spricht vielmehr an dieser Stelle ausdrücklich von der Zahlung der von der klagenden Partei "erforderten" Prozeßgebühr. Auch dieses Urteil verlangt eine Zahlung ohne schuldhaftes Zögern also erst, wenn die Prozeßgebühr vom Gericht erfordert ist.

17

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Frist zwischen dem Zugang der gerichtlichen Anforderung und deren Erledigung von bis zu 14 Tagen noch als geringfügig gewertet worden mit der Folge, daß insoweit noch kein Verschulden des Klägers anzunehmen war (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1984 - VII ZR 355/83 - WM 1985, 36, 37). Im vorliegenden Fall hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Gerichtskosten am 25. November 1988 eingezahlt, also lediglich eine Woche nach dem Zugang der Kopie der gerichtlichen Verfügung vom 5. Oktober 1988.

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II. Für das weitere Verfahren gibt der Senat folgende Hinweise:

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1. Soweit die Bearbeitungsklausel des § 4 Abs. 1 Nr. 6b AHB in Frage steht, hat das Landgericht angenommen, unmittelbarer Gegenstand der Tätigkeit des Klägers sei nicht der durch die Explosion zerstörte Tank gewesen, sondern der Schlamm im Tankboden; lediglich auf diesen Schlamm und allenfalls auf den Tankboden habe die Tätigkeit eingewirkt. Demgegenüber hat die Beklagte in zweiter Instanz vorgetragen, der dem Kläger erteilte Auftrag habe sich nicht nur auf das Heraussaugen des Bodenschlamms und der Reinigungsrückstände bezogen, sondern auch auf das Reinigen des Tankbodens und der Tankwände, und zwar bis zu einer Höhe von 2 m fettfrei und blank.

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Was im einzelnen Gegenstand der gewerblichen Tätigkeit des Klägers war und auf welche Weise sie vollzogen wurde, bleibt aufzuklären. Davon hängt ab, ob die Reinigung überhaupt eine Einwirkung auf Boden und Wände des Tanks erforderlich machte. Wenn es sich bei dem Tank um eine unbewegliche Sache gehandelt hat, der Tank also wesentlicher Bestandteil des Grundstücks war (§§ 93ff. BGB), würde eine nur mittelbare Einwirkung der Reinigung auf den Tank nicht zum Ausschluß des Versicherungsschutzes führen. Daß der Tank im Gefahrenbereich der Arbeiten des Klägers lag, macht ihn nicht ohne weiteres schon zum Objekt dieser Arbeiten (vgl. Rottmüller, VersR 1986, 843, 849f.).

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Wenn aber davon auszugehen ist, daß die Arbeiten "an" dem Tank ausgeführt wurden und § 4 Abs. 1 Nr. 6b AHB insofern eingreift, bleibt weiter aufzuklären, ob der Schaden durch die Reinigungsarbeiten des Klägers verursacht worden ist. Dies würde etwa zutreffen, wenn Feststoffe im Tank durch den Hochdruckreiniger in die Luft geschleudert wurden, beim Auftreffen auf den Boden Funken schlugen und dadurch das Gasgemisch entzündet haben (vgl. das Vorbringen im Schriftsatz des Klägervertreters vom 8. Mai 1989, Bl. 125 GA). Das gleiche gilt, wenn sich das Gemisch entzündet hat, weil die Leute des Klägers einen nicht explosionsgesicherten Scheinwerfer verwendet haben. Der Kläger bestreitet dies und behauptet, am Nachbartank sei mit Schneidbrennern und einer Schleifhexe gearbeitet worden; der Funkenflug könne zur Explosion geführt haben. Es ist Sache der Beklagten, die sich auf den Ausschluß des § 4 Abs. 1 Nr. 6b AHB beruft, den Nachweis zu führen, daß der entstandene Schaden tatsächlich durch die gewerbliche Tätigkeit des Klägers an der bearbeiteten Sache verursacht worden ist.

22

2. Greift § 4 Abs. 1 Nr. 6b AHB nicht ein, wird zu prüfen sein, ob der Versicherungsschutz entfallen ist, weil der Kläger durch vorschriftswidrigen Umgang mit explosiven Stoffen einer (verhüllten) Obliegenheit zuwidergehandelt (vgl. Senat, Urteil vom 24. Oktober 1979 - IV ZR 182/77 - VersR 1980, 153f.) oder den Versicherungsfall schuldhaft herbeigeführt hat (§ 61 VVG).