Bundesgerichtshof
Urt. v. 19.12.1991, Az.: IX ZR 41/91
Mitverschulden; Rechtsanwalt; Fristenkontrolle; Aufgabenbereich des Rechtsanwalts; Fristenkalender; Anwaltsvertrag; Verjährung; Fristwahrung; Anwaltspflicht; PVV; PFV; Mitverschulden des Mandanten
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 19.12.1991
- Aktenzeichen
- IX ZR 41/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 14434
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BB 1992, 392-393 (Volltext mit amtl. LS)
- DB 1992, 887 (Kurzinformation)
- FamRZ 1992, 794 (amtl. Leitsatz)
- HFR 1993, 94-95 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1992, 415 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1992, 231 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1992, 820-821 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1992, 447-448 (Volltext mit red. LS)
- WM 1992, 739-741 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Fristenkontrolle gehört zum ureigenen Aufgabenbereich des Rechtsanwalts. Hat er es bei einem uneingeschränkten Anwaltsvertrag versäumt, dafür Sorge zu tragen, daß die Rechte des Mandanten gegen eine drohende Verjährung gesichert werden, so kann er kein Mitverschulden daraus herleiten, daß der Mandant selbst rechtskundig ist und in der Lage gewesen wäre, den Fall unter Kontrolle zu halten.
Tatbestand:
Die klagende Stadtgemeinde nimmt die Beklagten, in einer Sozietät verbundene Rechtsanwälte, wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages auf Schadensersatz (Zahlung und Feststellung) in Anspruch.
Ein Mitarbeiter des Städtischen Bauamts, Bauingenieur T., erlitt am 6. August 1984 auf einer Baustelle einen Dienstunfall. Mit Schreiben vom 27. Februar 1985 beauftragte die Klägerin die Beklagten mit der Geltendmachung der gemäß § 99 LBG (NW) auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüche. Die Beklagten schlugen vor, zunächst den Ausgang einer von ihnen für den Geschädigten T. erhobenen Schadensersatzklage abzuwarten. Damit war die Klägerin einverstanden. Durch rechtskräftiges Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Januar 1987 wurde der bauleitende Architekt C. verurteilt, an T. ein Schmerzensgeld zu bezahlen; außerdem wurde festgestellt, daß er verpflichtet ist, T. den materiellen und immateriellen Zukunftsschaden aus dem Unfall zu 2/3 zu ersetzen. Der Auftrag der Klägerin war bei den Beklagten inzwischen in Vergessenheit geraten. Eine von der Klägerin am 15. Februar 1989 gegen C. erhobene Klage wurde wegen Verjährung rechtskräftig abgewiesen. Zuvor hatte die Klägerin den Beklagten den Streit verkündet.
Im vorliegenden Verfahren hat das Landgericht dem Zahlungsanspruch dem Grunde nach und dem - auf Ersatz in Höhe von 2/3 gerichteten - Feststellungsbegehren in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil dahin geändert, daß der Zahlungsanspruch dem Grunde nach (nur) zur Hälfte gerechtfertigt sei, und festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet seien, der Klägerin 1/3 ihrer Aufwendungen zu ersetzen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie erstrebt die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. Das Berufungsgericht hat ein hälftiges Mitverschulden der Klägerin an der Entstehung des Schadens angenommen. Es hat ausgeführt, das Rechtsamt der Klägerin, das die Angelegenheit bearbeitet habe und juristisch ausgebildete Bedienstete beschäftige, sei in gleicher Weise wie die Beklagten verpflichtet gewesen, Vorsorge dafür zu treffen, daß die Ansprüche der Klägerin gegen den Schädiger C. nicht "verloren gingen". Dazu habe zumindest das Notieren und Überwachen der Verjährungsfrist gehört, damit die Klägerin gegebenenfalls rechtzeitig vor Ablauf der Frist die notwendigen Schritte selbst hätte einleiten können. Es sei nicht auszuschließen gewesen, daß der Prozeß T. gegen C. drei Jahre nach dem Unfall noch andauern werde, so daß sich die Klägerin die geeigneten weiteren Schritte selbst hätte überlegen müssen. Dazu habe die Klägerin nicht des Rates der Beklagten bedurft, einen solchen habe sie auch nicht erbeten. Das beiderseitige Verschulden sei in etwa gleich zu gewichten.
Die Beklagten hätten die Sache "aus den Augen" verloren, weil sie bei ihnen unter einem anderen Namen gelaufen sei. Bei der Klägerin sei der Vorgang ebenfalls "außer Kontrolle" geraten, wie der Umstand zeige, daß eine von der Sachbearbeiterin verfügte Wiedervorlagefrist "10.03.1986" nicht beachtet worden sei. Auch später habe man sich um die Sache nicht weiter gekümmert. Die Klägerin hätte indessen auf die Durchsetzbarkeit ihrer Ansprüche achten müssen und sich nicht uneingeschränkt darauf verlassen dürfen, daß die Beklagten die Fristen überwachten. Denn die letzte Verantwortung dafür, wie gegen den Schädiger hätte vorgegangen werden sollen, sei bei ihr geblieben.
II. Diese Erwägungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Daß der Auftraggeber eine Gefahrenlage, zu deren Vermeidung er einen Fachmann hinzugezogen hat, bei genügender Sorgfalt selbst hätte erkennen und abwenden können, begründet in aller Regel kein Mitverschulden. Insbesondere im Falle eines Beratungsvertrages kann es dem zu Beratenden nicht als mitwirkendes Verschulden vorgehalten werden, er hätte das, worüber ihn sein Berater hätte aufklären sollen, bei entsprechenden Bemühungen auch ohne fremde Hilfe erkennen können (BGH, Urt. v. 12. März 1986 - IVa ZR 183/84, WM 1986, 675, 677 = BB 1986, 192 f; v. 17. Oktober 1991 - IX ZR 255/90, z. V. in BGHZ bestimmt; vgl. auch Urt. v. 16. November 1970 - VIII ZR 227/68, LM § 276 BGB (Hb) Nr. 15 = BB 1971, 62; v. 1. Dezember 1987 - X ZR 36/86, NJW-RR 1988, 855, 856). Dies gilt insbesondere im Verhältnis des Rechtsanwalts zu seinem Mandanten. Die rechtliche Bearbeitung eines ihm anvertrauten Falles obliegt allein dem Rechtsanwalt. Auch wenn der Mandant selbst über eine juristische Vorbildung verfügt, muß er darauf vertrauen können, daß der beauftragte Anwalt die anstehenden Rechtsfragen fehlerfrei bearbeitet, ohne daß eine Kontrolle notwendig ist. Daher kommt ein Mitverschulden des Mandanten grundsätzlich nicht in Betracht, soweit es um die rechtliche Bearbeitung des Falles geht (Rinsche, Die Haftung des Rechtsanwalts und des Notars 3. Aufl. Rdn. I 115; Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht 1989 Rdn. 417; vgl. auch OLG Düsseldorf VersR 1980, 483).
2. Auch die Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigen keine andere Beurteilung. Nach den rechtlich einwandfreien Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Klägerin die Beklagten rechtzeitig mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche beauftragt. Wenn diese dann der Klägerin den Vorschlag unterbreiteten, zunächst einmal - insbesondere aus Kostengründen - den Ausgang des Klageverfahrens T. gegen C. abzuwarten, war es allein Sache der Beklagten, das damit verbundene Verjährungsrisiko abzusichern.
a) Verfehlt ist die Begründung des Berufungsgerichts, da nicht auszuschließen gewesen sei, daß der Prozeß ihres Bediensteten T. drei Jahre nach dem Unfall noch andauern werde, hätte sich die Klägerin ihre weiteren Schritte selbst überlegen müssen. Dem widerspricht die Feststellung des Berufungsgerichts, die Klägerin habe die Beklagten mit der Verfolgung ihrer Ansprüche beauftragt. Da diese den Auftrag angenommen haben, waren sie verpflichtet, mit der Klägerin das weitere Vorgehen zu besprechen und sie insoweit - umfassend und das Interesse des Mandanten in bestmöglicher Weise wahrend (BGH, Urt. v. 17. März 1988 - IX ZR 43/87, WM 1988, 905, 907; st.Rspr.) - zu beraten. Selbst wenn der Umfang der Beratungspflicht eines Anwalts bei einer rechtskundigen Partei nicht soweit geht wie bei einem rechtlichen Laien (Vollkommer, aaO. Rdn. 159 m.w.N.), so entfällt sie doch nicht völlig.
Regelmäßig ist die Fristenkontrolle nicht Sache des Mandanten. Sie gehört vielmehr zum ureigenen Aufgabenbereich des Rechtsanwalts (OLG Düsseldorf VersR 1980, 483, 484). Er hat dafür Sorge zu tragen, daß die Rechte des Mandanten gegen eine drohende Verjährung gesichert werden (BGH, Urt. v. 13. Juli 1971 - VI ZR 140/70, VersR 1971, 1119, 1121, st.Rspr.). Das gilt auch dann, wenn der Mandant ein Wirtschaftsunternehmen oder eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit eigener Rechtsabteilung ist und in der Lage gewesen wäre, den Fall selbst unter Kontrolle zu halten. Denn aus dem Abschluß eines uneingeschränkten Anwaltsvertrages will auch ein solcher Mandant die Sicherheit schöpfen, daß jedenfalls der Anwalt "aufpassen" wird. Da diese Erwartung für den Anwalt erkennbar ist, sind an seine Sorgfaltspflichten grundsätzlich keine geringeren Anforderungen zu stellen als bei einem Mandatsverhältnis mit einer rechtsunkundigen Partei. Insoweit ist auch nicht zwischen Rechtsmittel- und Verjährungsfristen zu unterscheiden.
Ausnahmsweise wird es an einer Belehrungsbedürftigkeit des rechtskundigen Mandanten dann fehlen, wenn der Anwalt mit Sicherheit davon ausgehen kann, die Partei sei sich des Risikos der Verjährung bewußt und kenne auch den Zeitpunkt des Fristablaufs. In dieser Richtung hatten die Beklagten aber nicht den geringsten Hinweis. Die Verjährung war zwischen den Parteien nie ein Thema gewesen. Unter diesen Umständen durften die Beklagten nicht erwarten, die Rechtsabteilung der Klägerin habe das Problem der Verjährung im Blick.
b) Ein Mitverschuldensvorwurf kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß das Mandat etwa nicht mit der wünschenswerten Klarheit erteilt worden sei. Mit Schreiben vom 5. März 1985, in dem die Beklagten - unter Anfügung einer ihnen vorliegenden Stellungnahme der Schädigerseite - Vorschläge für ein zweckmäßiges Vorgehen unterbreiteten und versprachen, auf den Fall zurückzukommen, haben sie den Auftrag angenommen.
Wenn sich die Klägerin die Entscheidung darüber, wie "im Streitfall" gegen den/die Schädiger vorzugehen war, vorbehalten haben sollte - das entnimmt das Berufungsgericht offenbar im Wege eines Umkehrschlusses der Formulierung des Auftrags, die Beklagten sollten die Ansprüche der Klägerin "im Rahmen... (der) Verhandlungen mit dem Schädiger" geltend machen -, so kann daraus nicht gefolgert werden, daß die Klägerin selbst auf die Durchsetzbarkeit ihrer Ansprüche achten mußte und sich nicht uneingeschränkt darauf verlassen durfte, die Beklagten würden die Fristen genau überwachen. Denn die - in Wahrheit immer dem Mandanten verbleibende (Vollkommer, aaO., Rdn. 163) - Entscheidungsfreiheit über das Vorgehen "im Streitfall" nützte der Klägerin nichts, wenn die mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche betrauten Beklagten jene verjähren ließen, noch ehe "der Streitfall" eintrat.
III. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben, soweit es die Klage abgewiesen hat. Da der rechtserhebliche Sachverhalt unstreitig ist und es weiterer Feststellungen nicht bedarf, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Nachdem der Vorwurf des Mitverschuldens unberechtigt ist, war das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen.