Bundesgerichtshof
Urt. v. 26.10.1990, Az.: V ZR 122/89
Anschlußberufung; Klageausdehnung; Verwerfung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 26.10.1990
- Aktenzeichen
- V ZR 122/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 14322
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- AnwBl 1992, 39-40 (amtl. Leitsatz)
- LM H. 37 / 1991 § 521 ZPO Nr. 22
- MDR 1991, 422 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1991, 510-511 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1991, 894 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1991, 383-384 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1991, 42-43 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
1. Unselbständige Anschlußberufung an die Berufung des beklagten Konkursverwalters mit dem Ziel, auf ihn persönlich die Klage auszudehnen, ist unzulässig.
2. Eine unzulässige unselbständige Anschlußberufung ist auch dann zu verwerfen, wenn sie nicht zugestellt worden ist und der Anschlußkläger in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag stellt, jedoch die Anschlußberufung nicht zurücknimmt.
Tatbestand:
Die Klägerin hat aus abgetretenem Recht der Firma V.-GmbH, die ihrerseits Einzelrechtsnachfolgerin der Firma W.-GmbH war, den Beklagten als Konkursverwalter der Firma N.-Werk auf Zahlung von 70.000 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Hierbei handelte es sich um die Rückforderung eines Teilbetrages der von der W. in Höhe von 200.000 DM geleisteten Anzahlung auf den Kaufpreis aus einem mit der Gemeinschuldnerin geschlossenen Grundstückskaufvertrag. Dieser Vertrag ist in notariell beurkundeter Form durch Angebot der W. und durch Annahmeerklärung des beklagten Konkursverwalters zustande gekommen, von diesem aber infolge Zwangsversteigerung des Grundbesitzes nicht erfüllt worden.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt. In der Rechtsmittelbegründung hat er "vorsorglich" darauf hingewiesen, daß sich das angefochtene Urteil gegen ihn nur in seiner Eigenschaft als Konkursverwalter und nicht gegen ihn persönlich richte. Darauf hat die Klägerin erwidert, das Urteil sei im Rubrum berichtigend dahin klarzustellen, daß der Beklagte sowohl persönlich als auch als Konkursverwalter in Anspruch genommen werde; "die Klage" werde "jedenfalls auch auf § 82 KO gestützt", weil der Beklagte seine Pflichten als Konkursverwalter verletzt habe. In der mündlichen Verhandlung hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin beantragt:
"die nach meiner Meinung auch für den Beklagten persönlich eingelegte Berufung durch Versäumnisurteil zurückzuweisen, weil der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten im Verhandlungstermin erklärt hat, er trete für den Beklagten persönlich nicht auf. "
Hilfsweise hat er Vertagung für den Fall beantragt, "daß der Senat tatsächlich meinen sollte, der Beklagte persönlich sei noch nicht Prozeßpartei", weil dann der Klägerin Gelegenheit gegeben werden müsse, sich darauf prozessual einzustellen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und die "in zweiter Instanz" gegen den Beklagten "persönlich gerichtete Klage" als unzulässig abgewiesen.
Beide Parteien haben Revision eingelegt. Der Senat hat nur die Revision der Klägerin angenommen. Die Klägerin beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist. Der Beklagte beantragt Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat nur zum Teil Erfolg.
1. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen nicht. Das Berufungsgericht hat den Wert der Beschwer auf einen die Revisionssumme erreichenden Betrag festgesetzt. Daran ist das Revisionsgericht gebunden (§ 546 Abs. 2 ZPO). Zwar kann ein Rechtsmittel trotz formeller Beschwer ausnahmsweise mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig sein (Senatsurt. v. 23. April 1958, V ZR 229/56, NJW 1958, 995, 996; BGHZ 50, 261, 263); dafür genügt jedoch nicht, daß dem Rechtsmittelkläger, wie hier, im wirtschaftlichen Ergebnis nur an einer Abänderung der ihn belastenden Kostenentscheidung gelegen ist (BGHZ 57, 224 ff [BGH 03.11.1971 - IV ZR 26/70]). Ausschlaggebend ist, daß gegen die in der Hauptsache ergangene Entscheidung ein Rechtsmittel statthaft ist, denn dann erfaßt deren Anfechtung auch den Kostenpunkt (§§ 99 Abs. 1 ZPO). In einem solchen Fall ergibt sich das Rechtsschutzbedürfnis gerade aus dem Kosteninteresse.
2. In der Sache selbst führt das Berufungsgericht aus: Die in der Berufungsbeantwortung enthaltene Erklärung der Klägerin, sie wolle die Klage auch auf § 82 KO gegen den Beklagten persönlich stützen, sei als Versuch einer Klageerweiterung anzusehen. Diese sei indessen dem Beklagten persönlich nicht zugestellt worden, so daß ihm gegenüber kein wirksames Prozeßverhältnis bestehe. Der Antrag der Klägerin auf Zurückweisung einer vermeintlichen Berufung des Beklagten persönlich gehe deshalb ins Leere. Dieser Antrag schließe jedoch entsprechend der Berufungsbeantwortug das Ziel ein, den Beklagten auch persönlich zur Zahlung zu verurteilen. Insoweit müsse die Klage durch unechtes Versäumnisurteil als unzulässig abgewiesen werden, weil der Beklagte persönlich nicht Prozeßpartei sei.
a) Diese Ausführungen verkennen, wie die Revision zu Recht rügt, daß über eine nicht zugestellte und daher nicht rechtshängige Klage (§§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO) nicht entschieden werden kann. Nur wenn die Klägerin gleichwohl in der mündlichen Verhandlung die persönliche Verurteilung des Beklagten beantragt hätte, hätte der Antrag als unzulässig abgewiesen werden müssen. Ein solcher Antrag aber ist nicht gestellt worden. Die Klägerin hat lediglich Zurückweisung der Berufung des Beklagten beantragt. Sie hat dabei zwar angenommen, der Beklagte persönlich sei schon Prozeßpartei, jedoch ihm gegenüber keinen Klageantrag gestellt, sondern insoweit Vertagung der Sache beantragt.
b) Das Berufungsgericht hätte jedoch die Abschlußberufung, mit der die Klägerin einen gegen den Beklagten persönlich gerichteten Klageanspruch in den Rechtsstreit einzuführen versuchte, als unzulässig verwerfen müssen. Dahingehend ist das angefochtene Urteil abzuändern.
Das Berufungsgericht versteht den Vortrag der Klägerin in der Berufungserwiderung als den Versuch einer Erweiterung der Klage auf den Beklagten persönlich. Diese Auslegung, die freier revisionsgerichtlicher Prüfung unterliegt (BGH, Urt. v. 6. Mai 1987, IVb ZR 52/86, BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1 - Anfechtungsumfang 2), ist richtig. Die Klägerin hat dort zwar in erster Linie den irrigen Standpunkt vertreten, schon das Urteil des Landgerichts richte sich auch gegen den Beklagten persönlich; sie hat aber außerdem erklärt, die Klage werde jedenfalls auch auf § 82 KO gestützt. Somit war eine Erstreckung der Klage auf ihn persönlich für den Fall gewollt, daß nicht bereits das erstinstanzliche Urteil diese Tragweite hatte. Darin lag eine Hilfsanschlußberufung. Daß sie nicht ausdrücklich als solche bezeichnet war, ist unschädlich, weil der klare Wille der Klägerin zum Ausdruck kam, zu ihren Gunsten hilfsweise eine Änderung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen. Das genügt (st. Rechtspr., vgl. BGHZ 109, 179, 187) [BGH 03.11.1989 - V ZR 143/87].
Diese Hilfsanschlußberufung war jedoch unzulässig. Eine unselbständige Anschließung an die Berufung des Beklagten ist nur statthaft, wenn gegen ihn selbst mehr als die Zurückweisung seines Rechtsmittels erreicht werden soll. Hier hingegen war Ziel der Anschließung, die Klage auf einen am Rechtsstreit unbeteiligten Dritten zu erstrecken; denn der bis dahin nur als Partei kraft Amtes verklagte Konkursverwalter war prozessual nicht dieselbe Partei wie der Konkursverwalter persönlich, auf den die Klage ausgedehnt werden sollte (BGH, Urt. v. 6. Juli 1989, IX ZR 280/88, WM 1989, 1546, 1549 im Anschl. an BGHZ 21, 285, 287). Daher war die Anschließung unzulässig (BGH, Urt. v. 12. Dezember 1988, II ZR 129/88, WM 1989, 503, 504).
Ihrer Verwerfung stand nicht entgegen, daß die Klägerin in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag zur Hilfsanschlußberufung gestellt hat. Zwar wird die unselbständige Anschließung erst mit Antragstellung in der Verhandlung wirksam (Senatsbeschl. v. 22. September 1961, V ZB 23/61, NJW 1961, 2309; BGHZ 37, 131, 133); dies bedeutet jedoch nur, daß vorher keine Sachentscheidung über die Anschlußberufung ergehen darf. Davon zu unterscheiden ist die Prüfung der Zulässigkeit. Insoweit ist die unselbständige Anschlußberufung in einer der selbständigen Berufung entsprechenden Weise zu behandeln. Das ergibt sich aus § 522 a Abs. 3 ZPO, wonach die für die Berufung geltende Vorschrift des § 519 b ZPO analog anzuwenden ist. Demgemäß ist eine unzulässige unselbständige Anschlußberufung zu verwerfen (BGHZ 4, 229, 240). Dieser Folge hätte sich die Klägerin nur durch Rücknahme ihrer Hilfsanschlußberufung entziehen können. Das hat sie indessen nicht getan, sondern die Anschließung durch den Antrag auf Vertagung in der Schwebe gelassen. Damit ist die Hilfsanschlußberufung anhängig geblieben, so daß deren Verwerfung geboten gewesen wäre.
Daß die Anschlußberufung dem Beklagten nicht zugestellt worden war, hinderte ihre Verwerfung nicht. Für die selbständige Berufung ist anerkannt, daß die nach § 519 a ZPO nötige Zustellung keine Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsmittels ist, sondern nur der Unterrichtung der Gegenpartei dient (BGHZ 65, 114, 116), folglich die Berufung auch ohne vorherige Zustellung verworfen werden kann, wenn ein nicht nachholbares Zulässigkeitserfordernis fehlt (Stein Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., § 519 b Rdn. 26; allg. Auff.). Für die unselbständige Anschließung, auf die § 519 ZPO gemäß § 522 a Abs. 3 ZPO entsprechend anzuwenden ist, kann nichts anderes gelten. Diese war hier - wie dargelegt - von vornherein unzulässig, weil der Beklagte persönlich in den Prozeß nicht hineingezogen werden konnte, selbst wenn er damit einverstanden gewesen wäre. Die im Berufungsurteil erörterte und von der Revision aufgegriffene Frage, ob ein Dritter, auf den erst in der Berufungsinstanz die Klage erstreckt wird, seine dazu erforderliche Zustimmung rechtsmißbräuchlich verweigert (vgl. BGHZ 91, 132, 134), könnte sich nur stellen, wenn ein in erster Instanz unterlegener Kläger Berufung mit dem Ziel einer derartigen Klageerweiterung einlegt.
3. Bei der hier zu treffenden Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren ist zu berücksichtigen, daß im Verhältnis zwischen den Prozeßparteien, also zwischen der Klägerin und dem Beklagten als Verwalter der Konkursmasse, Kosten nur nach dem Streitwert seines Rechtsmittels angefallen sind, weil sich durch die ihn dem Gegenstand nach nicht betreffende Hilfsanschlußberufung der Wert nicht erhöht hat. Deshalb fallen die Kosten dem Beklagten zur Last (§§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO). Soweit der Klägerin als Folge der nicht rechtshängig gewordenen Klageerweiterung zusätzliche außergerichtliche Kosten entstanden sein sollten, kommt mangels eines Prozeßrechtsverhältnisses zu dem Beklagten persönlich eine Kostenentscheidung nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat gemäß § 92 Abs. 2 ZPO den auf ihre Revision entfallenden Kostenanteil in vollem Umfang zu tragen.