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Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.03.1988, Az.: VI ZR 201/87

Grober Behandlungsfehler des operierenden Arztes; Operative Versorgung des Oberschenkels nach schweren Frakturen und Gefäßzerreissungen verursacht durch einen Verkehrsunfall; Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens unter Berücksichtigung der konkreten Umstände; Operation in einem Kreiskrankenhaus; Beweislastumkehr für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Verlust eines Beins

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.03.1988
Aktenzeichen
VI ZR 201/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 13199
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Stuttgart - 25.06.1987
LG Rottweil

Fundstellen

  • MDR 1988, 663 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1988, 1511-1513 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1988, 790 (amtl. Leitsatz)
  • VersR 1988, 495-497 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Landkreis R.,
vertreten durch den Landrat, Landratsamt, R.

Prozessgegner

Haftpflichtverband der deutschen Industrie, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit,
vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Hans F., Zweigniederlassung S., G. straße ..., S.

Amtlicher Leitsatz

Die Annahme eines groben Behandlungsfehlers des operierenden Arztes - hier: Operative Versorgung des Oberschenkels nach schweren Frakturen und Gefäßzerreißungen im Anschluß an einen Verkehrsunfall - setzt eine Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens unter Berücksichtigung der konkreten Umstände - hier: Operation in einem Kreiskrankenhaus - voraus.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
auf die mündliche Verhandlung vom 8. März 1988
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Steffen und
die Richter Dr. Ankermann, Dr. Macke, Bischoff und Dr. Birkmann
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. Juni 1987 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Am 21. Oktober 1981 wurde die damals 19-jährige Angelika G. von einem Lastkraftwagen überfahren und insbesondere durch Überrollen des rechten Oberschenkels schwer verletzt. Der Kläger ist der Haftpflichtversicherer des Halters des Lastkraftwagens. Er ist der Verletzten zum Ersatz ihres Schadens verpflichtet. Von dem beklagten Landkreis als Träger des Kreiskrankenhauses S., in dem Angelika G. nach dem Unfall zunächst behandelt worden ist, verlangt der Kläger im Wege des Gesamtschuldnerausgleiches Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für die Aufwendungen, die ihm, dem Kläger, infolge der notwendig gewordenen Amputation des Oberschenkels der Angelika G. entstanden sind und entstehen werden. Dem liegt folgender Geschehensablauf zugrunde:

2

Der Verkehrsunfall ereignete sich um 11.05 Uhr. Anschließend wurde Angelika G. unter schwerem Schockzustand in das Krankenhaus S. eingeliefert. Nach der Erstversorgung, insbesondere Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse, begann nach der Einleitung der Anästhesie der Oberarzt Dr. T. um 14.30 Uhr mit der operativen Versorgung des rechten Oberschenkels, der eine offene Etagenfraktur dritten Grades aufwies. Nach Ausräumung zerstörten Muskelgewebes führte er eine Osteosynthese durch. Gegen 16.00 Uhr brach er nach Absprache mit der Anästhesistin die Operation wegen Blutungen der Patientin aus Mund und Nase ab. Angelika G. wurde in die neurochirurgische Abteilung der Universitätsklinik T. verlegt. Dort führten die Ärzte eine Revision der Gefäße im rechten Oberschenkel durch, wobei sie die zerrissenen Gefäße aufsuchten und eine Gefäß-Anastomose durchführten. Sie konnten indessen den Oberschenkel damit nicht mehr retten. Er mußte schließlich amputiert werden.

3

Der Kläger hat dem Oberarzt Dr. T. schwere Fehler bei der operativen Versorgung des Oberschenkels vorgeworfen, ohne die nach seiner Behauptung das Bein hätte gerettet werden können. Vor allem sei mit der Operation zu spät begonnen worden, und Dr. T. habe die dringend erforderliche Versorgung der Gefäßverletzungen nicht rechtzeitig vorgenommen.

4

Der Beklagte hat vorgetragen, Dr. T. sei kein Fehler bei der Behandlung der schweren Oberschenkelverletzung vorzuwerfen. Das Bein der Klägerin sei ohnehin nicht mehr zu retten gewesen.

5

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger (nur) die Aufwendungen zu ersetzen, die ihm infolge der Amputation des rechten Oberschenkels der Angelika G. entstanden sind und noch entstehen. Mit der Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des klagabweisenden landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

6

I.

Das Berufungsgericht verneint deliktische Ersatzansprüche gegen den Beklagten, weil es den Entlastungsbeweis nach § 831 BGB für Dr. T. als geführt ansieht. Es bejaht jedoch eine Ersatzpflicht des Beklagten gegenüber Angelika G. aus dem Krankenhausvertrag und hält deshalb einen Ausgleichsanspruch des Klägers als Gesamtschuldner nach § 426 BGB in voller Höhe seiner Aufwendungen als Haftpflichtversicherer wegen der Oberschenkelamputation für begründet. Es führt, sachverständig beraten, aus, Dr. T. habe die Behandlung im Krankenhaus des Beklagten grob fehlerhaft durchgeführt. Er hätte die Verdachtsdiagnose auf einen Gefäßabriß schon vor der Operation stellen müssen. Selbst unter Berücksichtigung der ungewöhnlich langen Vorbereitungszeit zur Operation, die allerdings nicht nachweisbar auf einem Verschulden der Bediensteten des Beklagten beruhe, hätte Dr. T. sich sofort zu Beginn der Operation über die Gefäßverletzungen vergewissern müssen. Sodann wäre möglichst schnell der Oberschenkelschaft zu stabilisieren gewesen, wozu angesichts der gebotenen Beschleunigung höchstens eine halbe Stunde erforderlich gewesen wäre. Danach, spätestens also um 15.00 Uhr, hätte Dr. T. mit der Versorgung der Gefäße beginnen müssen. Zu diesem Zeitpunkt, vier Stunden nach dem Unfall, seien die Erfolgsaussichten dafür noch günstig gewesen. Aus fachärztlicher Sicht sei es nicht mehr verständlich und deshalb als grob fehlerhaft anzusehen, daß Dr. T. stattdessen noch um 16.00 Uhr, als die Operation habe abgebrochen werden müssen, mit der Osteosynthese beschäftigt gewesen sei. Ebenso wie aus diesem Umstand ergebe sich eine Beweislastumkehr für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Verlust des Beins der Angelika G. aus einer mangelnden Dokumentation der voroperativen Behandlungsphase. Zwar wäre eine Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Beines der Patientin ohnehin nicht mehr möglich gewesen; indessen habe der Beklagte nicht bewiesen, daß bei medizinisch richtigem Vorgehen im Krankenhaus des Beklagten das Bein der Patientin nicht mehr hätte gerettet werden können.

7

II.

Die dagegen gerichteten Revisionsangriffe sind begründet und führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision mit Recht rügt, den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, soweit es um die Voraussetzungen für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers des Oberarztes Dr. T. (§§ 286, 412 ZPO) und die Folge geht, daß den Beklagten die Beweislast für den (nicht mehr aufzuklärenden) Ursachenzusammenhang trifft.

8

1.

Die Feststellung des Berufungsgerichtes, Dr. T. habe eine rechtzeitige Gefäß-Anastomose bei der von ihm durchgeführten Operation vorwerfbar versäumt, ist durch das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausreichend belegt.

9

a)

Das Berufungsgericht wirft Dr. T. nicht als einen Behandlungsfehler vor, daß er die notwendige Operation des Oberschenkels der Patientin im Kreiskrankenhaus S. übernommen hat, ohne den Versuch zu machen, die Patientin in die personell und sachlich besser ausgestattete Universitätsklinik T. zu verlegen. Für die Revisionsinstanz ist deshalb davon auszugehen, daß die Operation im Krankenhaus des Beklagten unter den gegebenen Umständen - Noteinlieferung einer sehr schwer verletzten Unfallpatientin - durchgeführt werden durfte. Ebensowenig ist nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichtes anzunehmen, daß der Beginn der Operation über Gebühr hinausgezögert worden ist.

10

b)

Ein zur Haftung führender Behandlungsfehler des Oberarztes Dr. T. kann mithin nur darin liegen, daß er während der Operation nicht rechtzeitig mit der Versorgung zerrissener Gefäße begonnen hat, bevor die Operation dann wegen der zunächst ungeklärten und bedrohlichen Blutungen der Patientin aus Mund und Nase abgebrochen werden mußte. Zum mindesten eine grobe Nachlässigkeit des Operateurs hat das Berufungsgericht indessen insoweit nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt.

11

aa)

Für die Revisionsinstanz ist mangels entgegenstehender Feststellungen des Berufungsgerichtes zunächst davon auszugehen, daß Dr. T. vor der Operation nicht nur die schweren Knochenverletzungen erkannt hat, sondern auch schon die Verdachtsdiagnose auf eine Zerreißung größerer Gefäße des Oberschenkels gestellt hatte. Angesichts der bekannten Verletzungsursache, nämlich dem Überrollen des Oberschenkels durch einen schweren Lastkraftwagen, des sichtbaren Zustandes des Oberschenkels und der klinischen Situation der Patientin liegt das im übrigen nahe.

12

bb)

Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. folgend wirft das Berufungsgericht Dr. T. als ärztliches Versäumnis vor, er habe sich nicht, wie erforderlich, sofort zu Beginn der Operation über die Gefäßverletzungen vergewissert, und zwar durch Ausräumung des Gewebes und des querliegenden Knochenstückes und Darstellung der Gefäße. Dabei übersieht das Berufungsgericht, daß Dr. T. ohnehin zunächst praktisch die gesamte zerstörte Oberschenkelmuskulatur von dem von ihm (richtig) gewählten Zugang ausräumen mußte und das auch unstreitig getan hat. Er ist dann darangegangen, den Knochenbruch zu stabilisieren. Wenn Dr. T., wie zu unterstellen ist, ohnehin mit schweren Gefäßzerreißungen rechnete, andererseits aber auch nach der Ansicht des Berufungsgerichtes vor der Versorgung der Gefäße diese Stabilisierung vornehmen mußte, ist nicht erkennbar, warum das Unterlassen einer Darstellung der Gefäße ein noch dazu schwerer Fehler sein soll. Die Reihenfolge der gewählten Operationsschritte war richtig. Sie hätte sich nicht dadurch geändert, daß Dr. T. sich zunächst, noch bevor er an die Osteosynthese ging, die dahinterliegenden Gefäße ansah, um den Umfang dieser Verletzungen zu überprüfen. Er hatte ja nach seinem unwiderlegten Vorbringen die Absicht, nach Einrichtung und Stabilisierung der Fraktur die Gefäßverletzungen anzugehen und die Zerreißungen zu schließen.

13

cc)

Das Berufungsgericht hält es im Anschluß an die Ausführungen des Sachverständigen, der das aus fachärztlicher Sicht als nicht nachvollziehbar bezeichnet hat, für einen schweren Behandlungsfehler des Dr. T., mit der Einrichtung und Stabilisierung der Fraktur, für die angesichts der gebotenen Beschleunigung höchstens eine halbe Stunde erforderlich gewesen sei, noch um 16.00 Uhr, also 1 1/2 Stunden nach Operationsbeginn, befaßt gewesen zu sein. Das begegnet, wie die Revision mit Recht geltend macht, Bedenken. Das Berufungsgericht hätte den Versuch machen müssen, den Widerspruch zwischen den vorgetragenen Privatgutachten und den Äußerungen des Sachverständigen Dr. H. aufzuklären (vgl. u.a. Senatsurteile vom 10. November 1981 - VI ZR 92/80 - VersR 1982, 168 - und vom 17. Dezember 1985 - VI ZR 192/84 - VersR 1986, 467 m.w.N.).

14

Das Berufungsgericht, das den Sachverständigen insoweit nicht zusätzlich befragt hat, stellt nicht fest, welche Zeitspanne ein Operateur benötigt, um zunächst das zerstörte Muskelgewebe abzutragen und die Fraktur soweit freizulegen, daß mit deren Einrichtung und Befestigung begonnen werden kann. Zudem hat der Sachverständige Dr. H. seine Ansicht, Dr. T. habe für die Versorgung der Fraktur viel zu viel Zeit aufgewandt, nicht näher begründet. Dazu bestand indessen Anlaß, und das Berufungsgericht hätte den Sachverständigen hierzu weiter befragen müssen. Welche einzelnen Operationsschritte angesichts der schweren Verletzung erforderlich waren und wieviel Zeit sie beanspruchen dürften, ist nicht ersichtlich. Das gilt auch für den Fall, daß nur eine provisorische und deswegen weniger zeitaufwendige Stabilisierung des Bruches medizinisch möglich und angesichts der gebotenen Eile indiziert war. Ebensowenig ist aufgeklärt, ob und inwieweit der Sachverständige bei seinen Anforderungen an ein schnelles Operieren den Verhältnissen in einem Kreiskrankenhaus Rechnung getragen hat. Zur weiteren Nachfrage bestand um so mehr Anlaß, als Prof. V., Direktor einer auf Gefäßoperationen spezialisierten Abteilung einer Universitätsklinik, in seinem von dem Beklagten vorgetragenen Privatgutachten, offenbar in Kenntnis der gesamten Krankenunterlagen, zu dem Ergebnis gekommen ist, Dr. T. habe in jeder Hinsicht "lege artis" gehandelt. Im wesentlichen ebenso hat sich der Privatgutachter Prof. Dr. S. geäußert. Zur Auseinandersetzung mit diesen Stellungnahmen bestand entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes Anlaß. Sie befaßten sich zwar nicht ausdrücklich mit dem Zeitaufwand, den Dr. T. für die Behandlung der Fraktur benötigt hat. Immerhin war aber beiden Sachverständigen, die, soweit ersichtlich, auf dem hier in Frage stehenden Gebiet erfahrene Ärzte sind, der Operationsbericht mit seinen Zeitangaben bekannt. Wenn sie gleichwohl nicht eine unverständlich lange Operationsdauer moniert haben, spricht das zunächst dafür, daß sie insoweit aus fachlicher Sicht keinen Anlaß zu Beanstandungen gehabt haben. Das Berufungsgericht hätte auch bedenken müssen, daß es bislang keine plausible Erklärung dafür gibt, weshalb Dr. T. über Gebühr lange operiert haben sollte, und zwar in einem Ausmaß, das auch für den Fachchirurgen eines Kreiskrankenhauses nicht mehr verständlich sein soll.

15

dd)

Zu Recht weist die Revision im übrigen darauf hin, daß das Berufungsgericht bei der Würdigung eines etwaigen Fehlverhaltens des Oberarztes Dr. T. als groben Behandlungsfehler die besonderen Umstände des Falles nicht erkennbar mit einbezogen hat. Es ging um die schwierige Versorgung einer sehr schwer verletzten Patientin in einem Kreiskrankenhaus. Es wäre, wie jedenfalls die Privatgutachter gemeint haben, auch die Indikation für eine sofortige Amputation des Beines vertretbar gewesen. Selbst der Sachverständige Dr. H. hat erklärt, die Rettung des Beines wäre auch unter optimalen Bedingungen eine chirurgische Meisterleistung gewesen. Das sind Umstände, die etwaigen Fehlern bei der operativen Versorgung das Gewicht nehmen können. Wenn auch die Wertung weitgehend dem Tatrichter überlassen bleiben muß, so muß doch für das Revisionsgericht wenigstens nachprüfbar sein, ob alle wesentlichen Umstände bei dieser Wertung berücksichtigt worden sind. Daran fehlt es.

16

2.

Eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenverlaufs zu Lasten des Beklagten ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ferner nicht deswegen geboten, weil die Dokumentation der Behandlungsmaßnahmen vor Beginn der Operation lückenhaft ist, woraus das Berufungsgericht folgert, daß zweifelsfrei gebotene medizinische Befunderhebungen unterlassen worden seien. Soweit das Berufungsgericht beanstandet, daß diese Unterlagen nichts darüber enthalten, ob die Patientin zu Beginn der Narkose intubiert worden ist, ist nicht ersichtlich, inwiefern dieser Umstand sich auf die Dr. T. vorgeworfene Überschreitung der zulässigen Operationsdauer ausgewirkt haben könnte. Dasselbe gilt für den Umstand, daß eine Beschreibung der Wunde am Oberschenkel fehlt. Sie erscheint schon deshalb entbehrlich, weil sich Art und Umfang der Verletzungen aus den Operationsberichten ergeben. Entsprechendes gilt für die vom Oberlandesgericht vermißten Angaben dazu, ob die Patientin geblutet hat (wo?).

17

Aus dem Fehlen von Angaben über andere Maßnahmen als der Messung des Blutdruckes und des Pulses ab 12.15 Uhr entnimmt das Berufungsgericht, es sei bereits um 12.15 Uhr ein stabiler operabler Kreislaufzustand erreicht gewesen, der mithin einen früheren Operationsbeginn erlaubt hätte. Auch insoweit wird indessen bislang auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen und den ihnen zugrundeliegenden Äußerungen des Sachverständigen Dr. H. nicht erkennbar, inwieweit das Unterlassen etwaiger gebotener Aufzeichnungen die Aufklärung des Sachverhaltes in rechtserheblicher Weise zu Lasten des Klägers erschwert haben soll. Blutdruck und Puls der Patientin sind laufend überwacht worden, wenn auch die ermittelten Werte nicht schriftlich festgehalten worden sind. Daß notwendige kreislaufstabilisierende Maßnahmen (welche?) unterblieben sind, ist bislang nicht ersichtlich; es liegt ein solches Versäumnis angesichts der ohnehin eingeleiteten Schockbehandlung und der Notwendigkeit, die Patientin in einen operablen Zustand zu versetzen, der ja auch erreicht worden ist, auch nicht nahe. Zwar hat der Sachverständige Dr. H. das "übliche Festhalten des durch Besicht feststellbaren Zustandes" der Patientin vermißt, was für ein Dokumentationsversäumnis spricht. Offenbar ist ohne Kenntnis der Meßwerte für Blutdruck und Puls und des äußeren Zustandes der Patientin nicht mehr aufzuklären, ob mit der Operation angesichts der gebotenen Eile schon etwa 1/2 Stunde früher hätte begonnen werden können. Indessen liegt insoweit ein Sorgfaltsverstoß der verantwortlichen Ärzte, denen wohl ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist, nicht auf der Hand. Für sich allein rechtfertigt es deshalb eine mangelnde Dokumentation in der voroperativen Phase nicht, die Beweislast für die Kausalität eines in dem verspäteten Beginn der Operation zu sehenden Arztfehlers dem Beklagten aufzuerlegen. Freilich wird das Berufungsgericht bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung des Behandlungsverlaufs die etwaige Summierung vermeidbarer Zeitverluste bis zum Beginn der erforderlichen Gefäß-Anastomose zu bewerten haben. In diesem Zusammenhang könnte dann auch eine eher geringfügige Verzögerung des Operationsbeginns Bedeutung gewinnen.

18

3.

Das angefochtene Urteil beruht auf den dargelegten Verfahrensfehlern. Es ist nicht auszuschließen, daß das Berufungsgericht nach der gebotenen weiteren Aufklärung des Sachverhaltes zu dem Ergebnis kommen kann, daß Dr. T. nicht der Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers trifft mit der Folge, daß die Klage wegen Unaufklärbarkeit des Ursachenverlaufs abzuweisen ist. Bei der erforderlichen Neuverhandlung des Rechtsstreits wird der Beklagte Gelegenheit haben, seine weiteren Revisionsrügen vorzutragen, insbesondere zu der Frage, ob die schweren Verletzungen der Patientin überhaupt eine Rettung des Beines erlaubt hätten, so wie zu der vom Berufungsgericht nicht näher begründeten Auffassung, im Innenverhältnis der Gesamtschulder müsse der Beklagte den gesamten Schaden allein tragen. Soweit es um die Kausalität einer etwaigen schuldhaften Verzögerung der operativen Versorgung der Gefäßzerreißungen für die spätere Oberschenkelamputation geht, wird gegebenenfalls auch aufzuklären sein, wieviel Zeit sie in Anspruch genommen und ob sie bis 16.00 Uhr, als der Zustand der Patientin den Abbruch der Operation erzwang, hätte beendet werden können. Bei der erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht schließlich, soweit erforderlich, klarzustellen haben, daß eine Ausgleichspflicht des Beklagten jedenfalls für Leistungen des Klägers auf die immateriellen Schäden der Angelika G. schon wegen des Fehlens einer deliktischen Haftung des Beklagten nicht in Betracht kommt.

Dr. Steffen
Dr. Ankermann
Dr. Macke
Bischoff
Dr. Birkmann