Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.08.1987, Az.: 4 StR 333/87
Schaltung einer Zählervergleichseinrichtung als eine Maßnahme der Überwachung des Fernmeldeverkehrs; Fehlende richterliche Anordnung; Auswirkungen von unzulässig gewonnenen Ermittlungsergebnissen auf ein später erfolgtes Geständnis; Konsequenzen der Unverwertbarkeit einer Aussage für andere Aussagen derselben Person
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 06.08.1987
- Aktenzeichen
- 4 StR 333/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 11862
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Münster - 03.03.1987
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHSt 35, 32 - 35
- Kriminalistik 1987, 648
- NJW 1988, 1223-1224 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1988, 142
- StV 1987, 469-470
Verfahrensgegenstand
Brandstiftung
Amtlicher Leitsatz
- a)
Die Schaltung einer Zählervergleichseinrichtung stellt eine Maßnahme der Überwachung des Fernmeldeverkehrs nach § 100a StPO dar.
- b)
Die Feststellung, ob sich der Vorhalt der auf Grund einer unzulässigen Telefonüberwachung gewonnenen Ergebnisse in einer früheren Vernehmung noch auf ein später abgelegtes Geständnis ausgewirkt hat, obliegt dem Tatrichter (Fortführung von BGHSt 27, 355).
Anzeichen für das Vorliegen eines erheblichen Affektes können in dem Verhalten eines Angeklagten vor der Tat sowie für einen Affektabbau nach der Tat sprechenden Symptomen gesehen werden, weshalb der Tatrichter in solchen Fällen verpflichtet ist, sich im Urteil mit der Möglichkeit einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit auseinanderzusetzen (Hinweis).
In der Strafsache
hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 6. August 1987,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Salger,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Knoblich, Laufhütte, Dr. Jähnke, Dr. Meyer-Goßner als beisitzende Richter,
Bundesanwalt ... in der Verhandlung, Staatsanwalt ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Dr. ... aus .... als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
- I.
Das Verfahren wird auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Brandgefahr verurteilt worden ist.
Insoweit werden die Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
- II.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 3. März 1987 dahin geändert, daß der Angeklagte wegen schwerer Brandstiftung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt ist.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die (übrigen) Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung und vorsätzlichen Herbeiführens einer Brandgefahr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
I.
Der Senat stellt auf Antrag des Generalbundesanwalts das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Brandgefahr verurteilt worden ist. Damit entfallen die dafür festgesetzte Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 80 DM und die Gesamtfreiheitsstrafe.
II.
Im übrigen ist die Revision unbegründet.
1.
Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch:
a)
Der Beschwerdeführer rügt, das Landgericht habe gegen §§ 100a, 100b StPO verstoßen, da es zur Überführung des Angeklagten sein vor dem Sachverständigen Dr. M. am 3./4. März 1986 abgelegte Geständnis verwertet habe.
aa)
Der Angeklagte hatte bereits am 24. Februar 1986 vor der Polizei ein Geständnis abgelegt, nachdem ihm vorgehalten worden war, daß Lesebänder seines Telefons beschlagnahmt worden seien. Dieses Geständnis wurde ihm am nächsten Tag bei einer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter vorgelesen und von ihm bestätigt. Die Strafkammer hat diese Geständnisse in ihrer Beweisführung nicht berücksichtigt, weil die von der Deutschen Bundespost geschaltete Zählervergleichseinrichtung zwischen dem Telefonanschluß des Angeklagten und anderen Telefonanschlüssen nicht durch den Richter nach § 100b StPO angeordnet worden war; die Niederschrift über die Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter war zudem nach - zutreffender - Ansicht des Landgerichts nicht verwertbar, weil sie nur eine Verweisung auf die vorausgegangene polizeiliche Vernehmung enthielt (BGHSt 6, 279, 280 ff.) [BGH 08.04.1954 - 3 StR 725/53]. Die Strafkammer hatte gegen die Verwertung des vor dem Sachverständigen abgelegten Geständnisses des Angeklagten jedoch keine Bedenken, weil es von dem unzulässigen Vorhalt der Zählervergleichseinrichtung nicht mehr beeinflußt worden sei.
Demgegenüber ist der Revisionsführer der Auffassung, das vor dem Sachverständigen abgelegte Geständnis sei noch unmittelbar von dem unzulässigen Vorhalt der Zählervergleichseinrichtung beeinflußt worden. Es sei von dem "Grundbewußtsein" des Angeklagten, die Beweissituation sei durch eindeutige und rechtmäßige Beweismittel unverrückbar festgeschrieben, nicht zu trennen. Deshalb wirke die unzulässige polizeiliche Vernehmung vom 24. Februar 1986 unmittelbar fort und stehe damit einer Verwertung auch des vor dem Sachverständigen abgelegten Geständnisses entgegen.
bb)
Die Strafkammer ist zu Recht davon ausgegangen, daß das vor der Polizei abgelegte Geständnis des Angeklagten unverwertbar ist, weil die Schaltung der Zählervergleichseinrichtung ohne richterliche Anordnung erfolgt war. Gemäß § 100b Abs. 1 Satz 1 StPO darf die Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs auf Tonträger (§ 100a StPO) nur durch den Richter angeordnet werden; eine - hier ebenfalls nicht vorliegende - Anordnung durch den Staatsanwalt wegen Gefahr im Verzug bedarf der richterlichen Bestätigung binnen drei Tagen (§ 100b Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO). Der Begriff "Fernmeldeverkehr" in §§ 100a, lOOb StPO erfaßt nicht nur den Inhalt der geführten Ferngespräche, sondern auch die unmittelbar mit dem Telefonieren notwendigerweise verbundenen Vorgänge, wie z.B. das Anwählen des Gesprächspartners (BGHSt 31, 296, 297). Das folgt aus der Definition des Fernsprechgeheimnisses in § 10 Abs. 1 Satz 3 FernmG, der den Schutz ausdrücklich darauf erstreckt, "ob und zwischen welchen Personen ein Fernmeldeverkehr stattgefunden hat". Daher unterliegt auch die Schaltung einer Zählervergleichseinrichtung, durch die Telefonanschlüsse in der Weise überwacht werden, daß die jeweils angewählten Telefonnummern mit Zeitpunkt und Dauer der Telefonverbindung festgestellt und diese Daten auf einem Leseband automatisch ausgedruckt werden, so daß der Telefonverkehr des überwachten Telefonanschlusses festgehalten wird, dem richterlichen Anordnungsgebot nach §§ 100a, 100b StPO (so auch Schäfer in Löwe/Rosenberg 24. Aufl. Rdn. 18, Laufhütte in KK Rdn. 2, je zu § 100a StPO). Das Fehlen einer richterlichen Anordnung führt zur Unverwertbarkeit der aus der Telefonüberwachung gewonnenen Ergebnisse (BGHSt 31, 304, 306, 308; Schäfer aaO Rdn. 43).
cc)
Aus der Unverwertbarkeit einer Aussage, die unter Verstoß gegen §§ 100a, 100b StPO gewonnen worden ist, folgt jedoch nicht, daß auch alle weiteren Aussagen der vernommenen Personen zu demselben Thema unverwertbar sind, denn sonst wäre selbst ein trotz vorschriftsmäßiger Belehrung in der Hauptverhandlung abgelegtes Geständnis unverwertbar (vgl. BGHSt 22, 129, 135). Bei der Bestimmung des Umfangs eines Beweisverwertungsverbotes darf nicht außer Acht gelassen werden, daß damit die Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts, die zu den tragenden Grundsätzen des Strafverfahrensrechts gehört, eingeschränkt wird (BGHSt 28, 122, 128). Wie der Bundesgerichtshof schon mehrfach ausgeführt hat, darf ein Verfahrensfehler, der ein Verwertungsverbot für ein Beweismittel zur Folge hat, deshalb nicht ohne weiteres dazu führen, daß das gesamte Strafverfahren lahmgelegt wird (BGHSt 27, 355, 358; 32, 68, 71) [BGH 24.08.1983 - 3 StR 136/83]. Eine spätere Aussage kann demnach verwertet werden, wenn sie von der unzulässigen Maßnahme nicht mehr beeinflußt worden ist, wenn etwa seither längere Zeit verstrichen ist und dem Vernommenen das Tonband oder die früheren Vernehmungen nicht mehr vorgehalten worden sind (BGHSt 27, 355, 358).
Ist ein Beschuldigter durch den Vorhalt von Ergebnissen aus einer unzulässigen Telefonüberwachung zu einem Geständnis veranlaßt worden, so ist es zwar möglich, daß sein fortbestehender Irrtum über die Rechtmäßigkeit des Vorhaltes sich auch noch bei späteren Vernehmungen auswirkt und sein Aussageverhalten bestimmt. Es ist aber auch denkbar, daß er später unbeeinflußt davon ein Geständnis ablegen will, der unzulässige Vorhalt also auf die im weiteren Verfahrensgang getroffene freie Willensentschließung, die Tat einzugestehen, ohne Bedeutung war. Dies hat der Tatrichter zu prüfen und zu entscheiden. Dabei wird nicht unberücksichtigt bleiben können, inwieweit das ursprüngliche Geständnis überhaupt durch das unzulässig gewonnene Beweisergebnis beeinflußt worden ist, ob es also unmittelbar darauf beruhte (wie z.B. bei Vorhalt eines Gesprächs, in dem die Tat eingestanden wurde) oder - wie hier - nur mittelbar dazu beigetragen hat (indem erst aus der Tatsache von geführten Telefongesprächen unbekannten Inhalts auf die erfolgte Brandstifung geschlossen wurde). Die Erwägungen, mit denen der Tatrichter hier ausgeschlossen hat, daß das vor dem Sachverständigen von dem Angeklagten abgelegte Geständnis noch von dem unzulässigen Vorhalt beeinflußt worden ist, sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden:
Die Strafkammer verweist zutreffend darauf, daß der Sachverständige den Angeklagten zu Beginn der Untersuchung ordnungsgemäß belehrt hat, er müsse zur Sache keine Angaben machen, weil der Sachverständige gehalten sei, das, was er vom Angeklagten höre, im Gutachten zu verwenden. Der Sachverständige hat dem Angeklagten weder die Tatsache der Einrichtung der Zählervergleichseinrichtung vorgehalten, noch ihm irgendwelche anderen Vorhaltungen gemacht. Die Untersuchung erfolgte zudem erst geraume Zeit (ca. eine Woche) nach der polizeilichen Vernehmung. Die Strafkammer betont ferner, daß der Angeklagte beim Sachverständigen "von sich aus aus freien Stücken im Zusammenhang den fraglichen Sachverhalt geschildert" hat (UA 20). Dies hat sie - an anderer Stelle der Urteilsgründe - näher dargelegt (UA 23): "Es bedurfte kaum eines Anstoßes durch den Sachverständigen." Der Angeklagte hatte "erkennbar ein inneres Bedürfnis..., sich die Taten quasi 'von der Seele zu reden'".
Bei dieser Sachlage läßt die tatrichterliche Wertung, das vor dem Sachverständigen abgelegte Geständnis sei von dem unzulässigen Vorhalt unbeeinflußt gewesen, einen Rechtsfehler nicht erkennen.
b)
Auch die weitere Verfahrensrüge bleibt erfolglos. Zwar beanstandet der Beschwerdeführer zu Recht, daß Dr. M. nur als Sachverständiger und - wie das Protokoll der Hauptverhandlung gemäß § 274 StPO beweist - nicht auch als Zeuge vernommen worden ist, so daß auch eine Entscheidung darüber, ob er als solcher zu vereidigen sei, nicht getroffen wurde. Wenn ein Sachverständiger aber über ein vor ihm abgelegtes Geständnis des Angeklagten berichtet, ist grundsätzlich seine Vernehmung - und gegebenenfalls Vereidigung - als Zeuge erforderlich (vgl. BGHSt 9, 292, 293 ff.; 13, 1, 3; 250, 251; 18, 107, 108; 22, 268, 271; BGH NStZ 1982, 256). Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil jedoch nicht (§ 337 Abs. 1 StPO):
Wie der Beschwerdeführer selbst erwähnt und wie sich aus den Urteilsgründen ergibt (UA 19), hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt, ein den Angaben des Sachverständigen entsprechendes Geständnis abgelegt zu haben. Damit ist auszuschließen, daß der Sachverständige insoweit als Zeuge unter Eid etwas anderes als bei seiner Sachverständigen-Anhörung bekundet hätte. Weil die Möglichkeit der Beeinflussung der Sachentscheidung des Landgerichts durch den aufgezeigten Verfahrensverstoß daher rein theoretisch ist, fehlt es an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Rechtsfehler und dem Urteil (vgl. BGH NStZ 1985, 182; 1986, 323; BGH, Urteil vom 8. November 1984 - 1 StR 608/84).
2.
Mit der Sachbeschwerde wendet sich der Angeklagte ausdrücklich nur gegen seine Verurteilung nach § 310a StGB. Insoweit hat der Senat das Verfahren jedoch eingestellt (oben I). Hinsichtlich der Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3.
Der Senat schließt aus, daß sich die Bemessung der Geldstrafe wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Brandgefahr auf die Höhe der wegen schwerer Brandstiftung verhängten Freiheitsstrafe ausgewirkt hat.
Knoblich
RiBGH Laufhütte ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb verhindert zu unterschreiben Salger
Jähnke
Meyer-Goßner