Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.04.1987, Az.: IVb ZR 39/86

Klage auf nachehelichen Unterhalt; Unterhaltsbedürftigkeit einer geschiedenen Ehefrau; Fehlende Erwerbstätigkeit aufgrund der Nachwirkungen einer erlittenen Operation; Vornahme der subjektiv zuzumutenden Anstrengungen zur Findung einer angemessenen Erwerbsmöglichkeit; Vorliegen einer realen Beschäftigungschance

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.04.1987
Aktenzeichen
IVb ZR 39/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 13158
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Karlsruhe - 25.03.1986

Fundstellen

  • FamRZ 1987, 912
  • FamRZ 1987, 912, 913
  • NJW-RR 1987, 962-963 (Volltext mit red. LS)

Redaktioneller Leitsatz

Keine Abweisung einer Unterhaltsklage aus § 1573 Abs. 1 BGB alleine deshalb weil der Anspruchsteller noch nicht alle ihm subjektiv zuzumutenden Findung von Arbeitsmöglichkeiten ausgeschöpft hat, sondern nur bei Feststehen einer realen Arbeitsmöglichkeit. Diese wird anhand von objektiven Voraussetzungen wie den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und den persönlichen Eigenschaften des Bewerbers (Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand) festgemacht.

Bei Annahme einer Teilzeitarbeit nach angemessenen Bemühungen besteht ein Unterhaltsanspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB nur insoweit, wie diese Einkünfte nicht für einen den bemessenen vollen Unterhalt ausreichen.

In dem Rechtsstreit
hat der IVb - Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 8. April 1987
durch
den Vorsitzenden Lohmann und
die Richter Dr. Krohn, Dr. Macke, Dr. Zysk und Nonnenkamp
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe - 18. Zivilsenat in Freiburg (Familiensenat) - vom 25. März 1986 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien - die um nachehelichen Unterhalt streiten - schlossen am 3. September 1966 die Ehe, aus der eine inzwischen volljährige Tochter stammt. Seit dem 25. Juni 1983 sind sie geschieden.

2

Die im Jahre 1938 geborene Klägerin war bis zum 31. Oktober 1973 insgesamt über 20 Jahre lang in ihrem erlernten Beruf als Drogistin erwerbstätig, zuletzt als Filialleiterin im väterlichen Betrieb. Der im Jahre 1929 geborene Beklagte war Beamter im gehobenen Dienst. Er wurde im fünfzigsten Lebensjahr vorzeitig pensioniert und bezieht seit dem 1. Januar 1984 ein monatliches Nettoruhegehalt von 3.218,14 DM einschließlich Kindergeld. Nach der Scheidung zahlte er der Klägerin noch bis einschließlich Juni 1984 Unterhalt, weil sie wegen einer attestierten Krankheit zunächst nicht arbeiten konnte. Aus dem Verkauf des im Miteigentum beider Parteien stehenden Einfamilienhauses, das sie während der Ehe bewohnt hatten, erhielt die Klägerin im Sommer 1984 einen Erlösanteil von 174.800 DM.

3

Mit ihrer am 18. Oktober 1984 eingereichten Klage hat die Klägerin eine monatliche Unterhaltsrente von 1.200 DM ab 1. Juli 1984 beansprucht. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

4

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache.

5

1.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klägerin sei nicht unterhaltsbedürftig. Sie brauche zwar den Stamm des Vermögens, den sie aus dem Verkauf des gemeinsamen Hauses der Parteien erhalten habe, nicht zu verwerten, da dies im Hinblick auf die dem Beklagten in gleicher Höhe zugeflossenen Vermögenswerte unbillig sei (§ 1577 Abs. 3 BGB), doch könne sie aus der Anlage der ihr zugeflossenen 174.800 DM eine durchschnittliche Monatsrendite von mindestens 650 DM erzielen. Mit diesen Mitteln und dem Verdienst aus einer Vollzeitbeschäftigung sei sie in der Lage, ihren gesamten Unterhaltsbedarf aus eigenen Kräften zu decken. Infolge der Nachwirkungen einer im Februar 1983 erfolgten Unterleibsoperation sei die Klägerin (nur) bis April 1984 erwerbsunfähig gewesen. Danach habe sie sich intensiv um eine Vollzeitbeschäftigung bemühen müssen. Nach einem im ersten Rechtszug eingeholten Gutachten des staatlichen Gesundheitsamtes F. vom 30. Januar 1985 sei zwar ihre gesundheitliche Belastbarkeit im Anschluß an eine 1975 durchgeführte Bandscheibenoperation und aufgrund degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule eingeschränkt. Es gebe jedoch keinen Grund, an ihrer in diesem Gutachten attestierten Arbeitsfähigkeit in dem erlernten Beruf als Drogistin oder einem von der körperlichen Belastung her vergleichbaren Beruf zu zweifeln. Daher könne sie nicht nach § 1572 BGB Unterhalt verlangen. Auch ein Anspruch aus § 1573 BGB bestehe nicht, obwohl die Klägerin noch keinen Arbeitsplatz gefunden habe; denn sie sei der Obliegenheit zur intensiven Suche nach einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Ab Januar 1983 habe sie sich nur sporadisch, in manchen Monaten auch gar nicht bemüht.

6

Erst in den letzten beiden Monaten vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (21. Januar 1986) hätten ihre Bemühungen genügt. Zu dieser Zeit sei aber der Anspruch aus § 1573 Abs. 1 i.V. mit Abs. 3 BGB bereits auf Dauer entfallen, weil sie mehr als ein Jahr lang seit April 1984 nur äußerst unzureichende Bemühungen um eine Arbeitsstelle unternommen habe. Das Berufungsgericht gehe davon aus, daß die Klägerin, wenn sie sich ab Mai 1984 mit der gleichen Intensität wie kurz vor dem Senatstermin um Arbeit bemüht hätte, eine ihrem Alter, ihrer Ausbildung und ihrem derzeitigen Kenntnisstand entsprechend angemessene Arbeit hätte finden können, durch die sie dauerhaft ein durchschnittliches Nettoeinkommen erzielen könne, das ihren Unterhaltsbedarf in vollem Umfang befriedige.

7

2.

Die Revision wendet hiergegen zunächst ein, daß die Klägerin wegen Krankheit arbeitsunfähig sei, zumindest aber nicht vollschichtig erwerbstätig sein könne, und rügt, daß das Berufungsgericht den angebotenen Beweis, Prof. Dr. Beck als sachverständigen Zeugen zu vernehmen, nicht erhoben habe. Damit hat die Revision keinen Erfolg. Einen Unterhaltsanspruch aus § 1572 BGB hat das Berufungsgericht vielmehr ohne Rechtsfehler abgelehnt.

8

Die Klägerin hatte das vom Amtsgericht eingeholte Gutachten des staatlichen Gesundheitsamtes vom 30. Januar 1985 nicht angegriffen, sondern sich auf darin enthaltene Feststellungen in ihrer Berufungsbegründung selbst bezogen. Den genannten Zeugen hatte sie zum Beweise dafür benannt, daß die im ärztlichen Attest dieses Zeugen vom 27. Juni 1984 enthaltene Beurteilung weiterhin gelte, der Klägerin seien "allenfalls noch körperliche Frauenarbeiten vier bis sechs Stunden täglich unter Vermeidung von Zwangshaltung sowie dem Heben und Tragen von Lasten" zumutbar. Dabei handelt es sich indessen um eine subjektive Bewertung oder Schlußfolgerung, mithin um eine Gutachterfrage, nicht aber um eine Tatsache, die Gegenstand des Zeugenbeweises sein kann. Zeuge in diesem Sinne ist auch der sachverständige Zeuge.

9

Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht - ebenso wie schon das Familiengericht - die Arbeitsfähigkeit der Klägerin aufgrund des Gutachtens des staatlichen Gesundheitsamts festgestellt hat. Das Berufungsgericht hat dargelegt, warum es den älteren ärztlichen Attesten, in denen der Klägerin teilweise eine eingeschränkte oder fehlende Erwerbsfähigkeit bescheinigt ist, nicht gefolgt ist. Diese Ausführungen sind auch nicht widersprüchlich, denn es ist zwischen der eingeschränkten gesundheitlichen Belastbarkeit und der Fähigkeit zu unterscheiden, gleichwohl eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts zur Arbeitsfähigkeit der Klägerin ist auch im übrigen revisionsrechtlich nicht angreifbar. Die Ablehnung eines Unterhaltsanspruchs aus § 1572 BGB bleibt daher bei Bestand.

10

3.

Das Berufungsurteil hält jedoch den Revisionsangriffen nicht stand, soweit diese sich dagegen wenden, daß ein Unterhaltsanspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB abgelehnt worden ist. Hierzu hat die Revision auch mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

11

a)

Einem Anspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, daß von der Klägerin im Zeitpunkt der Scheidung aufgrund der Nachwirkungen einer erlittenen Operation eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden konnte. Den deshalb nach § 1572 BGB geschuldeten Unterhalt hat der Beklagte so lange gewährt, bis die Voraussetzungen dieser Vorschrift entfallen waren. Von diesem Zeitpunkt an gilt gemäß § 1573 Abs. 3 BGB der Abs. 1 entsprechend.

12

b)

Der Senat hat - nach Verkündung des Berufungsurteils - in mehreren Entscheidungen zu den Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs aus § 1573 Abs. 1 BGB Stellung genommen (vgl. insbesondere dieUrteile vom 4. Juni 1986 - IVb ZR 45/85 - BGHR BGB 1573 Beweislast 1 = FamRZ 1986, 885, 886 undvom 29. Oktober 1986 - IVb ZR 82/85 - FamRZ 1987, 144). Danach darf die auf § 1573 Abs. 1 BGB gestützte Unterhaltsklage nicht schon abgewiesen werden, wenn der Anspruchsteller die ihm subjektiv zuzumutenden Anstrengungen zur Findung einer angemessenen Erwerbsmöglichkeit nicht oder nicht ausreichend unternommen hat. Darüber hinaus muß vielmehr feststehen oder zumindest nicht auszuschließen sein, daß bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte, was in erster Linie von objektiven Voraussetzungen wie den Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und den persönlichen Eigenschaften des Bewerbers (Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand) abhängt (vgl. dazu auch dasSenatsurteil vom 27. November 1985 - IVb ZR 79/84 - FamRZ 1986, 244, 246). Das Berufungsgericht hat zwar die subjektiven Bemühungen der Klägerin um einen Arbeitsplatz einer eingehenden Prüfung unterzogen und ohne Rechtsfehler festgestellt, daß diese jedenfalls zeitweise nicht ausgereicht haben. Es hat aber zu den weiter erforderlichen objektiven Voraussetzungen der Abweisung einer Klage aus § 1573 Abs. 1 BGB Feststellungen nicht getroffen, sondern sich auf den Satz beschränkt, es gehe davon aus, daß die Klägerin, wenn sie sich mit der erforderlichen Intensität um Arbeit bemüht hätte, eine ihrem Alter, ihrer Ausbildung und ihrem derzeitigen Kenntnisstand entsprechende angemessene Arbeit hätte finden können. Abgesehen davon, daß gerade auch der vom Berufungsgericht nicht einbezogenen gesundheitlichen Belastbarkeit der Klägerin eine wesentliche Bedeutung bei einer erfolgreichen Arbeitssuche zukommen dürfte, ist nicht erkennbar, auf welche konkreten Umstände das Berufungsgericht seine Einschätzung gründet.

13

c)

Die Revision rügt mit Erfolg, daß das Berufungsgericht einen zu den realen Beschäftigungschancen der Klägerin angetretenen Beweis nicht erhoben hat. Die Klägerin hatte im Schriftsatz vom 10. Januar 1986 (Seite 5/6) unter Darlegung der bei ihr bestehenden objektiven Gegebenheiten (fehlende Berufspraxis, Alter, äußere Erscheinung einschließlich Gesundheitszustand, Arbeitsmarkt) vorgetragen, sie sei nicht vermittelbar und hätte keine Anstellung erhalten, auch wenn sie sich "rund um die Uhr auf jedes nur denkbare Inserat, auch überregional, beworben hätte". Der hierzu angebotene Beweis durch Einholung einer Auskunft des Arbeitsamtes hätte erhoben werden müssen, denn die amtliche Auskunft einer Behörde ersetzt die Zeugenvernehmung des in Frage kommenden Sachbearbeiters (vgl. Senatsbeschluß BGHZ 89, 114, 119) [BGH 23.11.1983 - IVb ZB 6/82]. Das Berufungsgericht durfte sich daher über den Beweisantrag nicht hinwegsetzen und ohne weiteres vom Gegenteil ausgehen.

14

Das angefochtene Urteil kann danach nicht bestehen bleiben, sondern ist aufzuheben. Der Senat kann auch nicht abschließend in der Sache entscheiden, weil erforderliche Feststellungen noch vom Tatrichter getroffen werden müssen.

15

4.

Für die neue Verhandlung wird noch auf folgendes hingewiesen:

16

a)

Für den Fall, daß das Berufungsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, daß die Klägerin bei entsprechenden Bemühungen (nur) eine Teilzeitarbeit zu finden vermocht hätte, kommt ein Unterhaltsanspruch aus § 1573 Abs. 1 BGB insoweit in Betracht, wie die Einkünfte aus der angemessenen Teilzeitarbeit nicht ausreichen, um den nach den ehelichen Lebensverhältnissen (§ 1578 Abs. 1 S. 1 BGB) zu bemessenden vollen Unterhalt zu decken.

17

b)

Zu Recht hat das Berufungsgericht der Klägerin nicht angesonnen, ihre Bedürftigkeit dadurch zu beheben, daß sie den Stamm des ihr als Verkaufserlös zugeflossenen Kapitals verwertet. Bei der gemäß § 1577 Abs. 3 BGB gebotenen Billigkeitsabwägung - die als tatrichterliche Aufgabe nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Prüfung unterliegt (vgl.Senatsurteil vom 5. März 1986 - IVb ZR 12/85 - FamRZ 1986, 560, 561) - durfte berücksichtigt werden, daß dem Beklagten als früheren Miteigentümer entsprechende Vermögenswerte zugeflossen sind, die er zu Unterhaltszwecken voraussichtlich nicht benötigt (vgl.Senatsurteil vom 27. Juni 1984 - IVb ZR 20/83 - FamRZ 1985, 354, 357).

18

Ebensowenig ist zu beanstanden, daß das Berufungsgericht andererseits den aus der Anlage dieses Vermögens fließenden Ertrag als Einkünfte der Klägerin gemäß § 1577 Abs. 1 BGB berücksichtigt hat. Es kommt nicht darauf an, daß das Kapital aus der Veräußerung des Eigenheims der Parteien stammt (Senatsurteil vom 27. Juni 1984 a.a.O. S. 356).

Lohmann
Krohn
Macke
Zysk
Nonnenkamp