Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.03.1987, Az.: VI ZR 123/86
Grundsätze des "gestörten Gesamtschuldnerausgleichs"; Anscheinsbeweis bei Verstößen gegen Unfallverhütungsvorschriften; Schulbezogenheit eines Unfalls; Voraussetzungen für das Vorliegen eines Betriebsunfalls bei der Bundesbahn
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 10.03.1987
- Aktenzeichen
- VI ZR 123/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 13227
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Celle - 10.04.1986
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- MDR 1987, 750-751 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1987, 2445-2446 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1987, 1310 (amtl. Leitsatz)
- VersR 1987, 781-783 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
Deutsche Bundesbahn,
vertreten durch die Bundesbahndirektion H., J. straße ..., H.
Prozessgegner
Gemeindeunfallversicherungsverband Schleswig-Holstein,
vertreten durch den Geschäftsführer Wolfgang B., S. straße ..., K.
Amtlicher Leitsatz
Zur Frage, ob die Verletzung eines Schülers durch einen Mitschüler während einer Klassenfahrt mit der Bundesbahn schulbezogen ist.
Zur Frage, ob die Verletzung eines Reisenden, der während einer Zugfahrt beim Hinauslehnen aus dem Abteilfenster von einem unbekannten Gegenstand getroffen worden ist, ein Betriebsunfall ist, für den die Bundesbahn haftet.
Zum Anscheinsbeweis für die Kausalität eines Mitverschuldens des Reisenden, der sich während einer Fahrt mit der Bundesbahn aus dem geöffneten Fenster lehnt und von einem aus dem Zug geworfenen Gegenstand getroffen wird.
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der Zivilsenat VI des Bundesgerichtshofes
auf die mündliche Verhandlung vom 10. März 1987
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Steffen
und die Richter Scheffen, Dr. Ankermann, Dr. Lepa und Dr. Birkmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. April 1986 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger, ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, macht gegen die beklagte Bundesbahn aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche aus dem Unfall des Schülers Heiko K. geltend, den dieser in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1981 auf einer Studien- bzw. Klassenfahrt erlitten hat. Heiko K. gehörte einer Reisegruppe von 60 Schülern und 3 Lehrern an, die im letzten Wagen eines D-Zuges reservierte Plätze eingenommen hatte. Gegen 0.24 Uhr öffnete der damals 17 Jahre alte K. auf freier Strecke bei einer Fahrgeschwindigkeit zwischen 100 und 140 km/h das Abteilfenster und lehnte sich hinaus. Dabei wurde er von einem festen Gegenstand, dessen Herkunft und Beschaffenheit bis heute unbekannt geblieben sind, am Kopf getroffen. K. erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma; die Unfallfolgen dauern heute noch an.
Der Kläger hat aus Anlaß des Unfalls, den er als Schulunfall anerkannt hat, Behandlungs- und Folgekosten gezahlt, von denen er - gestützt auf § 1 Abs. 1 HPflG, § 1542 RVO a.F. - einen Teilbetrag in Höhe von 45.000 DM nebst Zinsen gegen die Beklagte geltend macht.
Die Beklagte hat ihre Haftung in Abrede gestellt. Sie hat in erster Linie behauptet, daß der Gegenstand, der K. verletzt habe, nur von außen auf den Zug geworfen worden sein könne; ein solcher betriebsfremder Eingriff löse ihre Haftung nicht aus. Sie hafte aber auch dann nicht, wenn - was sie hilfsweise geltend macht - ein Mitschüler des K. den Gegenstand aus dem Fenster eines vorderen Abteils hinausgeworfen habe. In diesem Fall greife zugunsten dieses Schülers das Haftungsprivileg aus §§ 636, 637 RVO ein, so daß sich ihre Einstandspflicht auf ihren Verantwortungsanteil beschränke; im Innenverhältnis zu ihr müsse jedoch allein der schädigende Mitschüler für den Schaden aufkommen. Im übrigen falle K. ein erhebliches Mitverschulden zur Last, weil er sich entgegen dem im Abteil angebrachten Verbotsschild aus dem Fenster gelehnt habe.
Die beiden Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht mit der Einschränkung, daß dem Kläger ein geringerer als der geltend gemachte Zinsanspruch zustehe.
Hiergegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgt.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts muß die Beklagte für die Unfallfolgen aufkommen. Der Verletzte K., der im Unfallzeitpunkt nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 b RVO bei dem Kläger unfallversichert gewesen sei, habe gegen die Beklagte nach § 1 Abs. 1 HPflG einen Schadensersatzanspruch erlangt, der gemäß § 1542 RVO a.F. auf den Kläger übergegangen sei. Der Unfall habe sich bei dem Betrieb der Bundesbahn ereignet. Es bestehe die naheliegende Möglichkeit, daß K. von einem Gegenstand getroffen worden sei, den ein anderer Reisender aus dem fahrenden Zug hinausgeworfen habe. Dies sei eine der typischen Gefahren des Bahnbetriebes.
Allerdings müßte die Haftung der Beklagten aus § 1 Abs. 1 HPflG verneint werden, wenn K. - wie es die Beklagte behaupte - von einem von außen auf den Zug geworfenen Gegenstand getroffen worden wäre. Davon könne aber nicht ausgegangen werden. Zwar habe die Beklagte zum Beweis ihrer Behauptung die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Diesem Beweisantritt sei jedoch nicht nachzugehen, weil das angebotene Beweismittel ungeeignet sei; da die Umstände des Unfallhergangs weitgehend im Dunklen lägen, könne ein Sachverständiger nicht hinreichend sicher ausschließen, daß der Gegenstand aus dem Zug geworfen worden sei. An der Haftung der Beklagten ändere sich auch dann nichts, wenn - wie sie hilfsweise behaupte - der Gegenstand, von dem K. getroffen worden sei, von einem Mitschüler und nicht von einem anderen Reisenden stamme. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum "gestörten Gesamtschuldnerausgleich", nach denen sich eine aus §§ 636, 637 RVO folgende Haftungsprivilegierung des Mitschülers als Erstschädiger für die Beklagte als Zweitschädiger dahin auswirke, daß sie nur in Höhe ihres Haftungsanteils einzustehen habe, griffen hier nämlich nicht ein. Hätte ein Mitschüler den Gegenstand aus dem fahrenden Zug geworfen, so sei er nicht haftungsprivilegiert, weil es sich nicht um eine mit der Schulsituation zusammenhängende Verfehlung handele, vielmehr stünden die spezifischen Gefahren des Bahnbetriebs im Vordergrund. Schließlich mindere sich die Ersatzpflicht der Beklagten auch nicht durch ein Mitverschulden des K. Der Schuldvorwurf, der ihn wegen des leichten Hinauslehnens aus dem Fenster treffe, sei als so gering zu bewerten, daß er gegenüber der Bahngefahr nicht ins Gewicht falle.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1.
Allerdings ist es nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 HPflG bejaht hat. Nach dieser Vorschrift ist der Betriebsunternehmer (u.a.) dann, wenn bei dem Betrieb einer Schienenbahn der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Ein Betriebsunfall im Sinne des § 1 Abs. 1 HPflG liegt nicht nur vor, wenn der Unfall durch eine dem Eisenbahnbetrieb eigentümliche Gefahr verursacht worden ist, sondern auch dann, wenn ein unmittelbarer äußerer - örtlicher und zeitlicher - Zusammenhang zwischen dem Unfall und einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung der Eisenbahn besteht (BGHZ 1, 17, 19; Senatsurteile vom 18. Dezember 1956 - VI ZR 166/56 - VersR 1957, 112 und vom 5. März 1963 - VI ZR 15/62 - NJW 1963, 1107 = VersR 1963, 583, 584 [BGH 05.03.1963 - VI ZR 15/62], jeweils m.w.N.). Ein solcher unmittelbarer äußerer Zusammenhang besteht hier. Nach dem hier als unstreitig zu Grunde zu legenden Sachverhalt ist K. während der Zugfahrt von einem Gegenstand verletzt worden, der entweder von einem Mitreisenden aus dem fahrenden Zug oder von Dritten auf diesen geworfen worden ist. In beiden Fallgestaltungen ist die Verletzung von K. so unmittelbar mit seiner Bahnbeförderung verbunden, daß von einem Betriebsunfall im Sinne von § 1 Abs. 1 HPflG gesprochen werden muß.
2.
Die Haftung der Beklagten aus § 1 Abs. 1 HPflG entfällt allerdings, wenn K. - wie die Beklagte behauptet - von einem Gegenstand getroffen worden ist, den ein Dritter von außen auf den fahrenden Zug geworfen hat. Die Verletzung eines Reisenden, die darauf beruht, daß Betriebsfremde von außen einen Gegenstand auf einen fahrenden Zug werfen, kann nicht nur von der Beklagten auch bei äußerster Sorgfalt nicht abgewendet werden, sondern gehört auch nicht zu den Betriebsrisiken, die das Gesetz haftungsrechtlich dem Betrieb der Bahn zuordnet. Für die Beklagte ist dies ein Unfall durch höhere Gewalt, der ihre Ersatzpflicht nach § 1 Abs. 2 HPflG ausschließt (RG EE 46, 95; vgl. auch Filthaut, Haftpflichtgesetz, 1982, § 1 RdNr. 169; Geigel/Schlegelmilch, Der Haftpflichtprozeß, 19. Aufl., Kap. 22 RdNr. 25). Anders verhält es sich, wenn der Gegenstand aus einem Abteilfenster des fahrenden Zuges geworfen worden ist; in einem solchen Fall handelt es sich nicht um ein außergewöhnliches, von außen auf den Bahnbetrieb einwirkendes Ereignis.
Das Berufungsgericht hat das Sachverständigengutachten, das die Beklagte zum Beweis ihrer Behauptung angeboten hat, nicht eingeholt. Hierin liegt ein Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht, das seine Fachkunde nicht dargetan hat, hat zu Unrecht angenommen, daß das angebotene Sachverständigengutachten als ein völlig ungeeignetes Beweismittel zu qualifizieren sei. An die Bejahung dieses Zurückweisungsgrundes sind hohe Anforderungen zu stellen; dies folgt aus dem Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1985 - VI ZR 19/84 - VersR 1986, 183, 185). Diesen Anforderungen wird die Zurückweisung des Beweismittels im Streitfall nicht gerecht. Zwar mag es zutreffen, daß wichtige Umstände des Unfallgeschehens (Art des Gegenstandes, Unfallstelle, Windverhältnisse) entweder gar nicht oder nicht exakt feststellbar sind. Dies bedeutet aber noch nicht, daß ein Sachverständigengutachten zur hier zur Erörterung stehenden Beweisfrage ohne verwertbares Ergebnis bleiben müßte. Die Beklagte hat sich für ihre Behauptung, daß der Gegenstand, der K. am Kopf getroffen hat, von außen gekommen sein muß und nicht aus einem Abteilfenster des fahrenden Zuges geworfen worden sein kann, auf physikalische Gesetze berufen, mit deren Hilfe sich die Beweisfrage schon unter Zugrundelegung der wenigen bekannten Unfallumstände (insbesondere der Geschwindigkeit des Zuges und der Aufschlagstelle des Gegenstandes) beantworten lasse. Dieser Versuch der Beweisführung ist nicht von vornherein untauglich. Das Berufungsgericht hätte deshalb zur Klärung des Hergangs einen Sachverständigen hinzuziehen müssen.
3.
Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht auch in seiner Auffassung, daß es für die Haftung der Beklagten aus § 1 Abs. 1 HPflG ohne Bedeutung ist, ob - wie die Beklagte hilfsweise geltend macht - ein Mitschüler des K. den Gegenstand, der zur Verletzung geführt hat, aus einem der vorderen Zugabteile hinausgeworfen hat. Gelänge es der Beklagten, diese Behauptung zu beweisen, so würde ihre Haftung zwar nicht nach § 1 Abs. 2 Satz 1 HPflG entfallen, weil - wie oben ausgeführt - die Verletzung eines Reisenden durch einen aus dem fahrenden Zug geworfenen Gegenstand kein außergewöhnliches, von außen auf den Bahnbetrieb einwirkendes Vorkommnis darstellt. Sie würde aber nach den Grundsätzen des "gestörten Gesamtschuldnerausgleichs" verringert oder ganz ausgeschlossen. Nach diesen Grundsätzen beschränken sich die Schadensersatzansprüche des Verletzten in den Fällen, in denen einer der Schädiger nach §§ 636, 637 RVO haftungsprivilegiert ist, auf Ansprüche gegen den nicht haftungsprivilegierten Zweitschädiger, wobei diese Ansprüche sich auf das verringern, was auf diesen Schädiger im Innenverhältnis der Schädiger endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch die Sonderregelung der §§ 636, 637 RVO "gestört" wäre (BGHZ 61, 51, 55; zuletzt Senatsurteil vom 17. Februar 1987 - VI ZR 81/86 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Der Senat teilt nicht die Meinung des Berufungsgerichts, daß hier auch dann, wenn ein Mitschüler der Täter wäre, der Klageanspruch von den Grundsätzen des "gestörten Gesamtschuldnerausgleichs" unbeeinflußt bliebe, weil zugunsten dieses Mitschülers die Haftungsprivilegierung aus §§ 636, 637 RVO nicht eingreifen würde. Vielmehr ist der Senat der Auffassung, daß die Haftung des Mitschülers nach § 637 Abs. 4 i.V.m. § 637 Abs. 1 RVO ausgeschlossen wäre. Die Schädigungshandlung jenes Mitschülers würde in diesem Fall Bezüge zum Schulbetrieb aufweisen, so daß sie als schulbezogen zu qualifizieren wäre. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist die Schulbezogenheit zu bejahen, wenn die Verletzungshandlung durch die Schulsituation bedingt oder wenigstens begünstigt worden ist, wenn sie mit dem Schulbetrieb in einem "inneren Zusammenhang" steht; im Gegensatz hierzu steht ein Unfall, zu dem es nur "bei Gelegenheit" des Schulbesuchs gekommen ist (Senatsurteile vom 12. Oktober 1976 - VI ZR 271/75 - VersR 1977, 129, 130 und vom 28. Februar 1978 - VI ZR 91/77 - VersR 1978, 441, 442; vgl. ferner BGH, Urteil vom 27. April 1981 - III ZR 47/80 - VersR 1981, 849, 850). War ein Mitschüler des Verletzten der Täter, so folgt der innere Zusammenhang der Verletzungshandlung mit dem Schulbetrieb daraus, daß die Verletzung während der Teilnahme an einer schulischen Veranstaltung geschehen und die Verletzungshandlung - der Wurf des Gegenstandes aus dem Abteilfenster des fahrenden Zuges - von einem Teilnehmer dieser Veranstaltung ausgegangen ist. Erfahrungsgemäß führt das Gruppenerlebnis auf Klassenfahrten vor allem dann, wenn sich die Disziplin während der Abwesenheit von Aufsichtspersonen lockert, besonders häufig zu übermütigen und bedenkenlosen Verhaltensweisen.
Darauf, ob der Unfall in diesem Fall als Schädigung bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr zu qualifizieren wäre, kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an. Denn die Haftungsprivilegierung des Schädigers ist bei der Teilnahme des Versicherten am allgemeinen Verkehr nur zu dessen Gunsten aufgehoben, nicht aber zu Gunsten eines Sozialversicherungsträgers, der an einem Regreß nach § 1542 RVO a.F., § 116 SGB X auch in diesem Fall durch §§ 636, 637 RVO gehindert ist (BGHZ 63, 313, 316 f.).
Da mithin davon auszugehen ist, daß die Beklagte die Voraussetzungen des "gestörten Gesamtschuldnerausgleichs" schlüssig vorgetragen hat, sind die von ihr hierzu angetretenen Beweise zu erheben, falls nicht schon die Einholung des Sachverständigengutachtens zu ihrer primär aufgestellten Behauptung zur Klageabweisung führt (vgl. oben unter 2)). Gelingt der Beklagten der Beweis ihrer Behauptung, daß ein Mitschüler des K. den Gegenstand aus einem der vorderen Zugabteile hinausgeworfen hat, so hat das Berufungsgericht darüber zu befinden, in welchem Umfang sich eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen des "gestörten Gesamtschuldnerausgleichs" verringert.
4.
Der Senat teilt auch nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, das Verschulden des Verletzten K. sei als so gering zu bewerten, daß es bei der Abwägung nach § 4 HPflG, § 254 BGB nicht ins Gewicht falle. K. hat gegen eine ausdrückliche und eindringliche Verhaltensanweisung der Beklagten verstoßen; vor jedem Abteilfenster findet sich die Aufschrift "nicht hinauslehnen". Angesichts der mit einem Zuwiderhandeln verbundenen, für jeden Reisenden erkennbaren Gefahren stellt die Mißachtung dieses Gebots ein Verschulden des Verletzten gegen sich selbst dar, das so erheblich ist, daß es bei der Abwägung der Verursachungsanteile auch dann ins Gewicht fallen muß, wenn sich der Betroffene nur "leicht" hinausgelehnt hat, wovon das Berufungsgericht hier ausgeht. Das Mitverschulden des K. ist im Rahmen der Abwägung auch dann zu berücksichtigen, wenn die näheren Umstände des Unfallhergangs weiter unaufgeklärt bleiben; dies gilt jedenfalls dann, wenn feststeht, daß K. von einem aus dem fahrenden Zug geworfenen Gegenstand getroffen worden ist. In Parallele zu den für Verstöße gegen Unfallverhütungsvorschriften entwickelten Grundsätzen kommt hier für die Kausalitätsfrage der Anscheinsbeweis zum Tragen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats wird bei einem Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften prima facie vermutet, daß es bei Beachtung der Schutzvorschrift nicht zu der Verletzung gekommen wäre, wenn sich - wie hier - in dem Unfall gerade die Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Vorschrift verhindern wollte (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 1984 - VI ZR 296/82 - VersR 1984, 775, 776 m.w.N.). Entsprechendes gilt für den Verstoß gegen die hier zur Erörterung stehende Verhaltensanweisung.
III.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um ihm Gelegenheit zur Erhebung der angebotenen Beweise zu geben.
Scheffen
Dr. Ankermann
Dr. Lepa
Dr. Birkmann