Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.01.1987, Az.: VI ZR 303/85
GmbH; Haftung; Geschäftsführer; Unerlaubte Handlung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 13.01.1987
- Aktenzeichen
- VI ZR 303/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 13300
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHZ 99, 298 - 303
- BB 1987, 638-639
- GmbHR 1987, 227-228 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1987, 486-487 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1987, 1193-1194 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1987, 808 (amtl. Leitsatz)
- VersR 1987, 681-683 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Eine GmbH haftet grundsätzlich nicht nach § 31 BGB, wenn ihr Geschäftsführer als ihr Organ nur Vorbereitungen für eine unerlaubte Handlung trifft, die er erst später als Geschäftsführer einer anderen GmbH ausführt.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der beklagten GmbH Ersatz des Schadens, den er dadurch erlitten hat, daß er im Jahre 1973 der EWE-KG, einer sogenannten Abschreibungsgesellschaft, als Kommanditist beigetreten ist.
Die Beklagte war bis zum 1. April 1972 persönlich haftende Gesellschafterin der EWE-KG. An diesem Tag trat an ihrer Stelle die ESE-GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin in die EWE-KG ein. Geschäftsführer sowohl der Beklagten als auch der ESE-GmbH war - neben jeweils einem weiteren Geschäftsführer - Herr E.
Die EWE-KG beabsichtigte, auf der spanischen Insel Fuerteventura ein Luxushotel zu errichten. Zur Finanzierung des Projekts sollte Fremdkapital in Höhe von 20 000 000 DM aufgenommen und ein Eigenkapital von 16 500 000 DM durch anzuwerbende Kommanditisten aufgebracht werden, denen hohe Verlustzuweisungen durch Rücklagen nach dem Entwicklungshilfe-Steuergesetz in der Fassung vom 15. März 1968 (BGBl. I S. 217) in Aussicht gestellt werden sollten. Das Zweite Steueränderungsgesetz 1971 vom 10. August 1971 (BGBl. I S. 1266) sah diese Möglichkeit der Rücklagenbildung nur noch vor, wenn die Investitionen in einem Entwicklungsland in Erfüllung einer bereits am 31. Dezember 1970 bestehenden rechtsverbindlichen Verpflichtung vorgenommen wurden. Um eine derartige bereits am 31. Dezember 1970 bestehende Verpflichtung vorzutäuschen, datierte der damalige Geschäftsführer der Beklagten E. die maßgeblichen Geschäftsvorfälle zurück. Außerdem schloß er einen ebenfalls rückdatierten Scheinvertrag über die Gewährung eines Kredits von 20 000 000 DM. Nach dem Vorbringen des Klägers sind die Manipulationen in der Zeit vom 1. Januar 1971 bis 1. April 1972 vorgenommen worden.
Die rückdatierten Vertragsunterlagen wurden am 27. April 1972, nachdem inzwischen die ESE-GmbH anstelle der Beklagten persönlich haftende Gesellschafterin der KG geworden war, dem Finanzamt vorgelegt. Dieses bescheinigte am 6. Juni 1972 das Vorliegen der Verlustzuweisungsvoraussetzungen nach dem Entwicklungshilfe-Steuergesetz a. F. sowie das Vorliegen einer Fremdmittelzusage über 20 000 000 DM. Bei der Werbung der Kommanditisten legte die EWE-KG die Bescheinigung des Finanzamts den Interessenten vor. Hierdurch wurde auch der Kläger veranlaßt, sich mit einer Einlage von 50 000 DM an der KG zu beteiligen.
Das Hotelprojekt scheiterte; das in den Jahren 1972 bis 1975 erbaute Hotel wurde 1980 zwangsversteigert. Seit 1984 fordern die Finanzbehörden von den Kommanditisten die zu Unrecht gewährten Steuerersparnisse zurück.
Das Landgericht hat die auf Zahlung von 50 000 DM gerichtete Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr stattgegeben. Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung des Berufungsurteils.
Entscheidungsgründe
I. (von der weiteren Darstellung wird abgesehen), II.
1. (von der weiteren Darstellung wird abgesehen)
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß E. bei der Rückdatierung der Verträge in Ausführung einer ihm zustehenden Verrichtung i. S. des § 31 BGB gehandelt hat, begegnet entgegen der Ansicht der Revision keinen Bedenken. Dabei kann dahinstehen, ob die Handlungen des Geschäftsführers E. von seiner Vertretungsmacht gedeckt waren. Denn die in § 31 BGB normierte Haftung knüpft nicht an die Vertretungsmacht, sondern an die Fähigkeit des Organs an, für die juristische Person zu handeln (BGH Urt. vom 8. Februar 1952 - I ZR 92/51 - NJW 1952, 537, 538; Senatsurteil vom 8. Juli 1986 BGHZ 98, 148 [BGH 08.07.1986 - VI ZR 47/85]). Die Einstandspflicht der juristischen Person setzt deshalb nach ständiger Rechtsprechung nicht voraus, daß sich das handelnde Organ in den Grenzen seiner Vertretungsmacht gehalten hat; entscheidend ist vielmehr allein, ob sein Handeln in den ihm zugewiesenen Wirkungskreis fiel (BGHZ 49, 19, 23; Senatsurteile vom 5. Dezember 1958 - VI ZR 114/57 - WM 1959, 80, 81; vom 20. Februar 1979 - VI ZR 256/77 - NJW 1980, 115 [BGH 20.02.1979 - VI ZR 256/77]; vom 8. Juli 1986 aaO). An dieser Voraussetzung kann es fehlen, wenn das Organ durch Überschreiten der ihm zustehenden Vertretungsmacht sein schadenstiftendes Verhalten so sehr außerhalb seines Aufgabenbereichs stellt, daß ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln und dem allgemeinen Rahmen der ihm übertragenen Geschäfte nicht mehr erkennbar und daher der Schluß geboten ist, das Organ habe nur bei Gelegenheit, nicht aber in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen gehandelt (Senatsurteile vom 5. Dezember 1958 und 8. Juli 1986 aaO). Davon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein. Zum Wirkungskreis des E. als Geschäftsführer der Beklagten gehörte in der Zeit, in der diese persönlich haftende Gesellschafterin in der EWE-KG war, auch die Vertretung der KG. Denn die KG konnte nur durch die Beklagte am Geschäftsverkehr teilnehmen. Der Abschluß der Verträge über den Ankauf des Grundstücks, über dessen Bebauung und über die Finanzierung war notwendige Voraussetzung für die Durchführung des von der KG geplanten Abschreibungsprojekts. Indem E. diese Verträge namens der KG abschloß und rückdatierte, handelte er notwendigerweise auch im Namen der die KG vertretenden Komplementär-GmbH und hielt sich damit im Rahmen des ihm übertragenen Wirkungskreises. Ob E. mit der Rückdatierung der Verträge seine Befugnisse als Organ der GmbH mißbraucht hat, ist unerheblich. Denn die Rückdatierung der Verträge steht mit deren Abschluß in einem derart engen inneren Zusammenhang, daß sie aus der Sicht eines Außenstehenden durchaus noch in den Aufgabenkreis des Geschäftsführers E. fällt. Unerheblich ist schließlich auch, daß E. mit der Rückdatierung der Verträge noch nicht gegenüber dem Finanzamt und den späteren Kommanditisten in Erscheinung getreten ist. Entscheidend ist einzig und allein, daß die Rückdatierung in den dem E. übertragenen Wirkungskreis fiel.
3. Weitere Voraussetzung einer Haftung der Beklagten nach § 31 BGB ist jedoch, daß ihr Geschäftsführer E. in der Zeit bis zum 1. April 1972, in der die Beklagte Komplementärin der EWE-KG war, eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung gegenüber dem Kläger begangen hat.
a) Indem E. durch Täuschung des Finanzamts den Bescheid vom 6. Juni 1972 erschlichen und mit Hilfe dieses Bescheids u. a. den Kläger zur Beteiligung an der EWE-KG bewogen hat, hat er einen Betrug zum Nachteil des Klägers begangen. Damit hat er sich gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB und zugleich auch nach § 826 BGB schadensersatzpflichtig gemacht. Für dieses zum Schadensersatz verpflichtende Verhalten des E. muß die Beklagte nach § 31 BGB in zeitlicher Hinsicht nur insoweit einstehen, als E. dabei als ihr Organ gehandelt hat. Das war nur bis zum Ausscheiden der Beklagten aus der KG am 1. April 1972 der Fall. Am 1. April 1972 hatte E. mit der Ausführung des Betruges zum Nachteil des Klägers und damit auch der sittenwidrigen Schädigung des Klägers noch nicht begonnen. Ob der Beginn der Ausführung in der Vorlage der manipulierten Vertragsunterlagen beim Finanzamt zu sehen ist, kann dahinstehen. Vor diesem Zeitpunkt hat die Verwirklichung des Betrugstatbestandes jedenfalls nicht begonnen. Die Rückdatierung der Verträge und der Abschluß von Scheinverträgen sind in Bezug auf den geplanten Betrug reine Vorbereitungshandlungen. Diese Vorbereitungshandlungen lösen für sich genommen noch keine Schadensersatzpflicht des E. aus. Damit fehlt es an einer zum Schadensersatz verpflichtenden Handlung des E., für welche die Beklagte nach § 31 BGB einstehen müßte.
b) Das Handeln des E. bis zum 1. April 1972 läßt sich auch nicht als Beihilfe zu dem später von ihm selbst begangenen Betrug einordnen. Das ist begrifflich ausgeschlossen. Der Täter kann nicht Beihilfe zu seiner eigenen Tat leisten. Nur wenn E. nicht auch Geschäftsführer der am 1. April 1972 in die KG eingetretenen ESE-GmbH gewesen wäre und damit eine andere natürliche Person den Betrugstatbestand verwirklicht hätte, hätte E. durch Übergabe der von ihm vorbereiteten inhaltlich falschen Verträge an seinen Nachfolger als Geschäftsführer der neuen Komplementär-GmbH eine Beihilfe zu dem von diesem ausgeführten Betrug begangen. In diesem Falle müßte auch die Beklagte nach § 31 BGB für das Verhalten des E. haften, jedenfalls wenn er die Unterlagen noch als Organ der Beklagten übergeben hätte.
c) Auch die Beklagte selbst kommt nicht als Gehilfin des von E. als Geschäftsführer der ESE-GmbH begangenen Betruges in Betracht. Die juristische Person nimmt zwar durch ihr Organ am Rechtsleben teil und wird von der Rechtsordnung als durch das Organ selbsthandelnde Person angesehen (Senatsurteil vom 5. Dezember 1958 - VI ZR 114/57 - WM 1959, 80, 81). Gleichwohl kann sie nicht Täter oder Gehilfe einer unerlaubten Handlung sein. § 31 BGB ist keine haftungsbegründende, sondern eine haftungszuweisende Norm, die einen Haftungstatbestand voraussetzt (Staudinger/Coing, BGB 12. Aufl. § 31 Rdn. 4; BGB-RGRK 12. Aufl. § 31 Rdn. 1). Über § 31 BGB wird die unerlaubte Handlung des Organs lediglich der juristischen Person als Haftungsmasse zugerechnet. Unerläßliche Voraussetzung dieser Zurechnung ist es, daß das Organ, also eine natürliche Person, eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung begangen hat. Gerade daran fehlt es aber im vorliegenden Fall.
d) Nun trifft es allerdings zu, daß die Manipulationen des E. in der Zeit, in der er noch Geschäftsführer der Beklagten war, ungeachtet ihrer rechtlichen Qualifizierung als Vorbereitungshandlungen ein Teilstück des Betruges gewesen sind, der später im Namen der EWE-KG durch die Organe der ESE-GmbH ausgeführt worden ist. Der Betrug baute auf diesen Manipulationen, die sich die Beklagte zurechnen lassen muß, auf. Der Senat hat deshalb erwogen, ob in derartigen Fällen die haftungsrechtliche Zurechnung des § 31 BGB aus diesem Grund auf die spätere Tatausführung, die insoweit mit den vorbereitenden Manipulationen eine Einheit bildet, zu erstrecken ist. Nach Auffassung des Senats ist das jedoch weder möglich, wie sich aus den vorstehenden rechtlichen Erwägungen ergibt, noch im Haftungsinteresse geboten. Dem Geschädigten wachsen mit der EWE-KG und der ESE-GmbH die Haftungsschuldner zu, denen er sein Vertrauen geschenkt hat. In der Beklagten würde er einen zusätzlichen Haftungsschuldner erhalten, der an dem Ins-Werk-Setzen der Schädigung in Richtung auf ihn nicht beteiligt gewesen ist. Eine derartige Ausdehnung der haftungsrechtlichen Zurechnung liefe andererseits Gefahr, eine juristische Person auch dann für die Schädigung mitverantwortlich zu machen, wenn ihr Organ in der Zeit der Organschaft gerade deshalb nicht schon zur Tatausführung geschritten ist, weil die Entdeckung der Machenschaften durch die juristische Person zu befürchten war. Das überstiege den Sinn der Zurechnungsregel des § 31 BGB. Dem läßt sich auch nicht entgegenhalten, daß die juristische Person bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 31 BGB für die Schädigung haften müßte, wenn ihr Organ noch zur Zeit der Organschaft einen Dritten zu dem Betrug angestiftet oder Beihilfe geleistet hat. Diese Fälle unterscheiden sich von den in Frage stehenden dadurch, daß der Anstifter oder Gehilfe seinen Tatbeitrag in die Hände des Dritten legt, sich also seines Beitrags in diesem Sinne entäußert und damit eine Bedingung setzt, die deshalb, wenn die Haupttat ausgeführt wird, haftungsrechtlich eine Zurechnung nach § 830 Abs. 2 BGB begründet.