Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.03.1986, Az.: IX ZR 104/85
Zulässige Entscheidung des Berufungsgerichts; Einverständnis der Parteien
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 25.03.1986
- Aktenzeichen
- IX ZR 104/85
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 13695
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHZ 97, 280 - 283
- MDR 1986, 930-931 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1986, 2108-2112 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1986, 1021 (amtl. Leitsatz)
- WM 1986, 763
- ZIP 1986, 900-907
Redaktioneller Leitsatz
Redaktioneller Leitsatz:
Bei - ausdrücklichen oder vermuteten - Einverständnis der Parteien kann das Berufungsgericht über einen vom Gericht des ersten Rechtszugs noch nicht beschiedenen Anspruch zulässig entscheiden.
Tatbestand:
Das Landgericht gab durch Teilurteil den Anträgen, die Zwangsvollstreckung aus zwei notariellen Urkunden für unzulässig zu erklären und den Beklagten zur Erteilung der Auskunft über den Valutierungsstand von zwei Grundschulden zu verurteilen, ohne Einschränkung statt. Den Antrag, ihn zu verurteilen, Zug um Zug gegen Zahlung des noch valutierten Teils der beiden Grundschulden in deren Löschung einzuwilligen, beschied es nicht.
Den Berufungsantrag des Beklagten, die Klage unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen, wies das Berufungsgericht zurück. Auf die Anschlußberufung des Klägers, deren Zurückweisung in der Sache der Beklagte begehrte, erklärte es die Zwangsvollstreckung aus den Urkunden für unzulässig und verurteilte den Beklagten antragsgemäß, Zug um Zug gegen Zahlung von 210 135,46 DM die Löschung der beiden Grundschulden zu bewilligen und die Grundschuldbriefe herauszugeben.
Die Revision des Beklagten, mit der er seine Anträge auf Abweisung der Klage und Zurückweisung der Anschlußberufung weiter verfolgt, hatte teilweise Erfolg.
Entscheidungsgründe
(von der weiteren Darstellung wird abgesehen)
Den im ersten Rechtszug gestellten Antrag, den Beklagten zu verurteilen, Zug um Zug gegen Zahlung des noch valutierten Teils der beiden Grundschulden in deren Löschung einzuwilligen, hat das Landgericht in seinem Teilurteil nicht beschieden. Dennoch hält das Berufungsgericht den im zweiten Rechtszug mit der Anschlußberufung statt des Auskunftsbegehrens gestellten Antrag des Klägers, Zug um Zug gegen Zahlung von 210 135,46 DM die Löschung der beiden Grundschulden von 250 000 und 450 000 DM zu bewilligen, für zulässig. Das trifft entgegen den Bedenken der Revision zu:
a) Allerdings darf das Rechtsmittelgericht, bei dem ein Teilurteil im Sinne von § 301 ZPO angefochten worden ist, den vom unteren Gericht noch nicht entschiedenen Teil des Streitgegenstandes nur in Ausnahmefällen an sich ziehen; es hat sich im übrigen an den Grundsatz des § 537 ZPO zu halten, daß das Berufungsgericht nicht befugt ist, über den Teil des Streitgegenstandes zu entscheiden, der noch im ersten Rechtszug anhängig ist (BGHZ 30, 213). In dieser Entscheidung des VI. Zivilsenats und seinem Urteil vom 7. Juni 1983 - VI ZR 171/81, LM ZPO 537 Nr. 12) ist offengeblieben, ob jener Grundsatz, dem der VI. Zivilsenat entgegen der früheren Rechtsprechung weitere Geltung verschaffen wollte, durchbrochen werden kann, wenn beide Parteien das Rechtsmittelgericht um Entscheidung des gesamten Streitgegenstandes angehen oder ein solches Einverständnis infolge Rügeverzichts zu vermuten ist. Der erkennende Senat bejaht diese Frage im Einklang mit BGHZ 8, 383, 386; BGH Urt. v. 27. Juni 1956 - IV ZR 88/56 (LM Nr. 4 zu § 303 ZPO) und der überwiegenden Meinung in der Literatur (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 537 Rdnr. 2; Zöller/Schneider, ZPO 14. Aufl. § 537 Rdn. 8; Baumbach/Albers, ZPO 43. Aufl. § 537 Anm. 1 B; Thomas/Putzo, ZPO 13. Aufl. § 537 Anm. 1; Mattern JZ 1960, 385, 387 ff.; ablehnend jedoch: Lent NJW 1954, 640; Schwab NJW 1959, 1824; Riechert ZZP 80 (1967), 108; Merle ZZP 83 (1970), 436, 452). Denn das Einverständnis rechtfertigt die Abweichung von der prozessualen Regel des § 537 ZPO. Sie steht der Klageerweiterung und der Klageänderung in der Berufungsinstanz, die jedenfalls mit Einwilligung des Gegners zulässig sind, so nahe, daß eine unterschiedliche Beurteilung willkürlich erscheinen müßte. § 537 ZPO stellt keine starre Regel auf, deren Befolgung unverzichtbar wäre; die Einhaltung liegt nicht im überwiegenden öffentlichen Interesse, sondern soll den Belangen der Parteien dienen.
b) Von diesen Erwägungen ausgehend bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts über den Anspruch auf Bewilligung der Löschung der beiden Grundschulden. Denn in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat weder der Kläger gegenüber dem Berufungsantrag auf Abweisung der Klage noch der Beklagte gegenüber dem Antrag der Anschlußberufung, zur Bewilligung der Löschung zu verurteilen, gerügt, daß die Gegenseite eine Entscheidung über einen vom Landgericht noch nicht beschiedenen Antrag begehre. Beide Parteien erstrebten vielmehr eine sachliche Entscheidung über ihre im zweiten Rechtszug gestellten Anträge.
Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob die Zulässigkeit des Antrags der Anschlußberufung auch deshalb zu bejahen wäre, weil der Kläger entsprechend den in BGH Urt. v. 8. November 1978 - VIII ZR 199/77 (NJW 1979, 925, 926) dargelegten Grundsätzen auf den Leistungsantrag, zur Bewilligung der Löschung zu verurteilen, übergehen durfte.
(von der weiteren Darstellung wird abgesehen)