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Bundesgerichtshof
Urt. v. 06.03.1986, Az.: 4 StR 48/86

Verurteilung wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes ; Rüge der fehlerhaften Berechnung eines Blutalkoholwertes; Vorliegen erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
06.03.1986
Aktenzeichen
4 StR 48/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 11826
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHSt 34, 29 - 34
  • MDR 1986, 596-597 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1986, 2384-2385 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1986, 401
  • NStZ 1986, 311-312
  • StV 1986, 247-248

Verfahrensgegenstand

Gemeinschaftlicher schwerer Raub

Prozessführer

1. Michele C. aus Sp.-E, geboren am ... 1946 in Bu. (I.), zur Zeit in Haft,
2. Herbert Richard M. aus Sp.-E., geboren am ... 1952 in Elversberg, zur Zeit in Haft

Amtlicher Leitsatz

Zur Berechnung des Blutalkoholgehalts zur Tatzeit bei fehlender Blutprobe.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 6. März 1986,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Salger,
die Richter am Bundesgerichtshof Hürxthal, Dr. Knoblich, Laufhütte, Dr. Meyer-Goßner als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Revision des Angeklagten C. gegen das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 16. Oktober 1985 wird verworfen.

    Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

  2. 2.

    Auf die Revision des Angeklagten M. wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

    In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

    Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes zu Freiheitsstrafen von jeweils fünf Jahren verurteilt und gegen den Angeklagten C. eine Maßregel nach §§ 69, 69 a StGB verhängt. Die Angeklagten rügen mit ihren Revisionen die Verletzung materiellen Rechts.

2

1.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachbeschwerde des Angeklagten C. hat keinen diesen Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

3

2.

Das Rechtsmittel des Angeklagten M. ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuldspruch richtet.

4

Zwar ist nach dem Tatgeschehen ausgeschlossen, daß der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war (§ 20 StGB). Jedoch führt die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Bejahung der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten begegnet durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht hat bei seiner Prüfung einen Tatzeit-Blutalkoholwert berücksichtigt, dessen Berechnung mit wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen und der darauf beruhenden höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht im Einklang steht.

5

a)

Dem Angeklagten ist nach der Tat keine Blutprobe entnommen worden. Die Strafkammer ist seinen Angaben zum Alkoholkonsum gefolgt, wonach er in der Nacht zum Tattag zwischen 18 Uhr und 3 Uhr bis zu 25 Gläser Bier zu je 0,2 l, am Vormittag des Tattages zwischen 9 Uhr und 11 Uhr zehn Flaschen Bier zu je 0,33 l, am Nachmittag zwischen 14,45 Uhr und 17 Uhr weitere sechs Flaschen Bier gleicher Größe und am Abend bis etwa 21 Uhr noch drei Gläser Bier zu je 0,3 l getrunken hat. Mit dem Sachverständigen ist sie im Hinblick "auf die Alkoholgewöhnung und die daraus resultierende körperliche Konstitution des Angeklagten" davon ausgegangen, daß bei Trinkbeginn um 9 Uhr des Tattages der in der Nacht zuvor genossene Alkohol von bis zu 200 gr. voll abgebaut gewesen sei. Die im Laufe des Tattages getrunkene Alkoholmenge von 256 gr. hätte zwar - auf einmal getrunken - eine Blutalkoholkonzentration von 5 Promille ergeben,

"jedoch habe der alkoholgewöhnte Angeklagte die behauptete Biermenge mit den behaupteten zeitlichen Trinkpausen innerhalb der behaupteten Zeitspannen während des gesamten Tages getrunken, weshalb von einem individuellen Abbauwert von 0,2 Promille je Stunde (= 10 gr. Alkohol je Stunde) ausgegangen werden"

6

könne. Zur Tatzeit um 22 Uhr seien maximal 126 gr. Alkohol wirksam gewesen, was einer Blutalkoholkonzentration von allenfalls 2,5 Promille zur Tatzeit entspreche. Diesen Wert hat die Strafkammer ihrer Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zugrunde gelegt und eine alkoholbedingt erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit verneint.

7

b)

Zutreffend ist das Landgericht zunächst bei der Prüfung der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vom Ausmaß der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit ausgegangen (vgl. BGH NStZ 1984, 408). In nicht zu beanstandender Weise hat es die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu dessen Gunsten nicht ausschließbaren Höchstmengen des vor der Tatausführung genossenen Alkohols bestimmt. Die darauf aufbauende Berechnung der Tatzeit-Blutalkoholkonzentration nach der sogenannten Widmark-Formel (vgl. Hentschel/Born, Trunkenheit im Straßenverkehr, 3. Aufl. Rdn. 105) enthält jedoch Faktoren, die der näheren Begründung bedürfen.

8

aa)

Erkennbar hat die Strafkammer der Sachkunde des von ihr gehörten ärztlichen Sachverständigen auf dem Gebiet der Alkoholberechnung vertraut und dessen Ausführungen dazu übernommen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden (BGHSt 7, 238, 239). Der Tatrichter darf sich mangels hinreichender eigener Kenntnisse auf den für die Urteilsfindung maßgeblichen Wissensgebieten darauf beschränken, sich der Beurteilung von Sachverständigen hinsichtlich der einschlägigen Fachfragen anzuschließen. Doch ist er dann verpflichtet, die wesentlichen Grundlagen anzugeben, an die die Schlußfolgerungen des Gutachtens anknüpfen, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen (BGHSt 12, 311, 314/315; Hürxthal in KK § 261 StPO Rdn. 32 m. Nachw.).

9

Das Landgericht hat seinen Überlegungen eine Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von "allenfalls" 2,5 Promille zugrunde gelegt. Schon dieser Alkoholisierungsgrad legt in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nahe (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1986 - 4 StR 27/86), im "Bereich von 3 Promille" kann sie regelmäßig nicht ausgeschlossen werden (BGH NStZ 1986, 114). Es genügt deshalb nicht, allgemein auf die - im Zusammenhang mit der Alkoholgewöhnung zudem nicht recht verständliche - "körperliche Konstitution" des Angeklagten hinzuweisen, ohne auf die sich daraus ergebenden Besonderheiten hinsichtlich der für die Berechnung maßgeblichen Faktoren Körpergewicht und Verteilungsfaktor (Schütz, Alkohol im Blut, 1983, S. 59) einzugehen. Das gilt insbesondere dann, wenn den auf diese Weise getroffenen Feststellungen entscheidende Bedeutung zukommt. Im vorliegenden Verfahren können sich selbst kleinere Änderungen der Berechnungsfaktoren so auf die Höhe der ermittelten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration auswirken, daß die tatrichterliche Überzeugungsbildung von der (vollen) Schuldfähigkeit des Angeklagten davon beeinflußt wird.

10

bb)

Darüber hinaus entbehrt die angenommene Höhe des Rückrechnungsfaktors hinreichender wissenschaftlicher Grundlage. Die Strafkammer ist mit Rücksicht auf die Alkoholgewöhnung und das Trinkverhalten des Angeklagten von einem "individuellen" Abbauwert von 0,2 Promille pro Stunde ausgegangen und hat damit über Zeiträume von 15 Stunden und 12 Stunden zurückgerechnet. Sie hat ihren Berechnungen den nach neueren medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gesicherten maximalen Rückrechnungswert für zwei Stunden übersteigende Zeiträume (BGH VRS 69, 431/432; Gerchow/Heifer/Schewe/Schwerd/Zink, Die Berechnung der maximalen Blutalkoholkonzentration und ihr Beweiswert für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, in Blutalkohol 1985, 77, 89) zugrunde gelegt. Das ist rechtsfehlerhaft.

11

Für die Beurteilung der alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten kommt es auf die zu seinen Gunsten nicht ausschließbare höchstmögliche Alkoholisierung zur Tatzeit an, bei der Berechnung aufgrund der genossenen Alkoholmenge also auf den ihm günstigsten minimalen Rückrechnungswert von 0,1 Promille. Weder der Hinweis auf einen individuellen Abbauwert, noch die festgestellte Alkoholgewöhnung des Angeklagten und das kontinuierliche Trinken über längere Zeiträume sind geeignet, zu Lasten des Angeklagten eine erhöhte Alkoholelimination zu begründen.

12

cc)

Ein "individueller" Abbauwert läßt sich aus ärztlicher Sicht nachträglich nicht ermitteln (BGH NStZ 1986, 114; Gerchow u.A. Blutalkohol 1985, 77, 78/79). Die Alkoholgewöhnung hat keinen Einfluß auf den Alkoholabbau; der Alkoholgewöhnte lernt allenfalls den bekannten Leistungsanforderungen besser zu genügen (Elbel/Schleyer, Blutalkohol, 2. Aufl. S. 91/92; Prokop/Göhler, Forensische Medizin, 3. Aufl. S. 354/355), ohne daß damit etwas über sein Hemmungsvermögen ausgesagt ist. Hinsichtlich des Trinkverhaltens ist nach den heute maßgeblichen forensisch-medizinischen Erkenntnissen zwar davon auszugehen, daß hohe Konzentrationen Einfluß auf die Alkoholausscheidung haben; doch wird die Hauptmenge des aufgenommenen Alkohols, nämlich 90 % bis 95 % (Schwerd, Alkohol und Verkehrssicherheit, in Rechtsmedizin, 3. Aufl. S. 119, 129), durch konzentrationsunabhängige Verbrennung aus dem Blut eliminiert (Grüner, Schädigung durch Alkohol und alkoholähnliche Körper unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, in Mueller, Gerichtliche Medizin, Bd. 2, 2. Aufl. S. 989, 1014; Gerchow/Heberle, Alkohol - Alkoholismus - Lexikon, Elimination von Alkohol, S. 59). Gesicherte Erkenntnisse über die Ursachen der in der medizinischen Literatur beschriebenen vorübergehenden schnelleren Ausscheidung bei höheren Alkoholkonzentrationen (vgl. Langelüddeke/Bresser, Gerichtliche Psychiatrie, 4. Aufl. S. 291/292) gibt es nicht; auch die Frage einer Proportionalität ist bisher ungeklärt (Prokop/Göhler, a.a.O. S. 344).

13

Da nicht auszuschließen ist, daß die Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB auch auf der Rückrechnung mit dem für den Angeklagten ungünstigsten Abbauwert von 0,2 Promille pro Stunde beruht, kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.

14

3.

Sollte das Landgericht aufgrund der neuen Beweisaufnahme zur Straffrage eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit feststellen oder nicht ausschließen können, wird zu prüfen sein, inwieweit der Angeklagte im Zeitpunkt des Tatentschlusses - der bisher noch nicht genau bestimmt worden ist (UA 7) - bereits unter dem Einfluß von Alkohol gestanden hat. Hätte er nämlich durch die Verabredung und Planung der später ausgeführten Straftat in uneingeschränkt schuldfähigem Zustand die entscheidende Ursache für die Ausführung des schweren Raubes gesetzt, wäre eine Einschränkung seiner Verantwortlichkeit zur Tatzeit nach den Grundsätzen der actio libera in causa ohne Bedeutung (vgl. BGHSt 21, 381, 382 [BGH 24.11.1967 - 4 StR 500/67]; Spendel in LK, 10. Aufl. § 323 a StGB Rdn. 21 ff).

15

Für den Fall, daß die Strafkammer eine vorverlagerte Schuld nicht nachweisen kann und von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit infolge Alkoholeinflusses auszugehen hat, kann im Hinblick auf die mitgeteilten Vorverurteilungen (UA 6) die Strafmilderung gemäß §§ 21, 49 StGB gegebenenfalls versagt werden, wenn der Angeklagte, der seine erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch Alkoholgenuß selbst herbeigeführt hat, dazu neigt, nach Alkoholgenuß Straftaten zu begehen, und wenn er sich dieser Neigung bewußt gewesen ist oder doch hätte bewußt sein können (BGH MDR 1985, 947; BGH NStZ 1986, 114, 115; BGH Beschluß vom 18. Juni 1985 - 4 StR 232/85).

16

Im übrigen weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, daß der Tatrichter auch entlastende Angaben eines Angeklagten zu seinem Alkoholgenuß, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinzunehmen braucht. Er hat sich vielmehr aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme eine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptung zu bilden. Dabei ist es für die richterliche Überzeugung erforderlich aber auch genügend, daß ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit besteht, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen können (vgl. BGH NJW 1980, 2423, 2424).

Salger
Hürxthal
Knoblich
Laufhütte
Meyer-Goßner