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Bundesgerichtshof
Urt. v. 05.12.1985, Az.: 4 StR 593/85

Versuchter Totschlag; Rücktritt vom beendeten Versuch

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
05.12.1985
Aktenzeichen
4 StR 593/85
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 11649
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Frankenthal - 14.08.1985

Fundstellen

  • JZ 1986, 303
  • MDR 1986, 330-331 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1986, 1001-1002 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1986, 214-215
  • StV 1986, 148-149

Verfahrensgegenstand

Versuchter Totschlag

Amtlicher Leitsatz

Zum strafbefreienden Rücktritt vom beendeten Tötungsversuch.

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal vom 14. August 1985 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts zur Aufhebung des Urteils.

2

1.

Der Angeklagte stieß seinem Vater ein etwa zehn Zentimeter langes Küchenmesser in die linke Brustseite. Er war sich bewußt, daß "ein solcher Stich in die Herz- und Lungengegend tödlich sein konnte. Solche möglichen Folgen waren ihm ... gleichgültig" (UA 6). Nach der Tat reinigte er das Messer, um Spuren zu beseitigen, und fegte die Glasscherben der zuvor bei der Auseinandersetzung mit seinem Vater zerstörten Türfüllung zusammen. Das schwerverletzte Opfer bedrängte er, die Polizei aus dem Spiel zu lassen und "das ganze als Unglücksfall" darzustellen. Als dieses um die Benachrichtigung eines Krankenwagens bat, blätterte er einige Zeit im Telefonbuch, erklärte dann, "er könne die Nummer nicht finden und reichte ihm das Telefon". Das Opfer "wählte die Nummer 110, sprach von einem Unglücksfall und bat um ärztliche Hilfe" (UA 7), die aufgrund des Anrufs - erfolgreich - geleistet wurde.

3

2.

Das Landgericht ist der Auffassung, der Angeklagte sei vom Versuch der Tötung nicht strafbefreiend zurückgetreten. Der Versuch des Angeklagten, seinen Vater zu töten, sei beendet gewesen, weil er nur einen Messerstich habe führen wollen. Eine Kausalreihe, "die für die Nichtvollendung mindestens mitursächlich gewesen wäre", habe er nicht in Gang gesetzt. Er habe nämlich, "außer seinem Vater das Telefon zu reichen, ... keine weiteren Aktivitäten entfaltet". Die Initiative für die Rettung sei allein vom Opfer ausgegangen. Dem Angeklagten sei es nicht darum gegangen, dessen möglichen Tod zu verhindern, sondern nur darum, "die Verletzung als einen Unglücksfall ... darzustellen" (UA 9).

4

3.

Das reicht nicht aus, um dem Angeklagten die Vergünstigung des § 24 StGB zu versagen.

5

a)

Die Strafkammer folgt ersichtlich der früheren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der die Fallgruppen des unbeendeten und beendeten Versuchs allein nach den Vorstellungen des Täters bei Tatbeginn abzugrenzen sind. In Abkehr von dieser Rechtsprechung hat sich der Bundesgerichtshof in BGHSt 31, 170, 176 [BGH 03.12.1982 - 2 StR 550/82] und ergänzend in demUrteil des entscheidenden Senats vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85 (zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) -auf den Standpunkt gestellt, daß es für die Abgrenzung der genannten Fallgruppen auf den "Rücktrittshorizont" nach Abschluß der letzten Ausführungshandlung ankommt. Ein Versuch ist somit nicht schon dann beendet, wenn der Täter - wie hier - die von vornherein geplante Handlung ausführt, sondern erst dann, wenn er nach der letzten Ausführungshandlung die tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt nahelegen, erkennt oder wenn er den Erfolgseintritt in Verkennung der tatsächlichen Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält. Das Landgericht hat nicht ausdrücklich festgestellt, ob der Angeklagte die Lebensgefahr für sein Opfer in dem danach für die Bewertung des Rücktritts maßgeblichen Zeitpunkt, nach der Zufügung der Stichverletzung, erkannt hat. Dies liegt allerdings bei der Schwere der dem Opfer zugefügten Verletzung - der Messerstich verursachte eine 1,5 cm breite und 7 bis 8 cm tiefe glatte Schnittwunde, die bis ins Lungengewebe reichte (UA 7) - nahe, so daß das Landgericht möglicherweise im Ergebnis zutreffend den Versuch für beendet gehalten hat. Dann könnte der Angeklagt, wovon der Tatrichter auch ausgeht, Straffreiheit nicht schon dadurch erlangen, daß er davon Abstand nahm, den Tod durch weitere Messerstiche herbeizuführen.

6

b)

Den Ausführungen des Landgerichts ist zu entnehmen, daß es die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt aus zwei Gründen verneint. Einmal stützt es dieses Ergebnis auf die Erwägung, der Angeklagte habe keine Kausalkette in Gang gesetzt, die für die Nichtvollendung ursächlich gewesen wäre. Zum andern leitet es seine Auffassung davon ab, dem Angeklagten sei es gar nicht um die Rettung des Opfers, sondern darum gegangen, nicht als Täter entlarvt zu werden. Beide Erwägungen führen nicht ohne weiteres dazu, die Voraussetzungen des strafbefreienden Rücktritts nach § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB zu verneinen.

7

aa)

Der Angeklagte hat seinem Vater das Telefon gereicht. Die Ursächlichkeit dieser Handlung für die Erfolgsvereitelung wäre jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Vater dadurch gerettet worden wäre, etwa dann, wenn das Opfer wegen seiner Verletzung nicht in der Lage war, ohne Hilfe anderer an das Telefon zu gelangen, von dem aus dann das ihn rettende Telefongespräch geführt worden ist. Dem Angeklagten könnte bei solcher Fallgestaltung nicht entgegengehalten werden, daß er noch andere Rettungsmaßnahmen hätte ergreifen können (BGH StV 1981, 396). Das Landgericht hat nicht festgestellt, ob es hier so war. Sollte die Handlung des Angeklagten nicht ursächlich für die Rettung gewesen sein, so würde dies aber auch die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht von vornherein ausschließen. Denn in Fällen, in denen die Tat ohne Zutun des Täters nicht zum Erfolg führt, ist dieser gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB straffrei, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern. Voraussetzung für die Straffreiheit des Täters ist allerdings, daß er sich um geeignete Maßnahmen für die Erfolgsabwendung bemüht (BGHSt 31, 46). Überläßt er es - wie hier - dem Opfer, die Rettungsmaßnahmen zu ergreifen (vgl. BGH NJW 1985, 813, 814 [BGH 07.11.1984 - 2 StR 521/84]; BGH, Urteil vom 26. Mai 1983 - 4 StR 271/83), so darf er es nicht dem Zufall überlassen, ob dieses die geeigneten Maßnahmen ergreift (BGH, Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Hier hat das Opfer mit der Benachrichtigung des Rettungswagens die nach den Umständen des Falles in erster Linie in Frage gekommene Maßnahme zu seiner Rettung getroffen. Bei dieser Sachlage hätte der Angeklagte seiner Verpflichtung, um die Erfolgsabwendung bemüht zu sein, dann Genüge geleistet, wenn er sich des Eintreffens der - wovon auszugehen ist - für erste Hilfen ausgebildeten Insassen dieses Wagens vergewissert hätte. Ob er dies getan hat - und damit trotz fehlender Kausalität seiner Bemühungen die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt geschaffen hat - oder ob er seinen Vater bereits vor dem Eintreffen des Rettungswagens seinem Schicksal überlassen hat - was bei der erörterten Fallgestaltung einen strafbefreienden Rücktritt ausschließen würde - läßt sich den Feststellungen nicht entnehmen.

8

bb)

Die Erwägung des Landgerichts, dem Angeklagten sei es nicht um die Rettung seines Opfers, sondern nur darum gegangen, dessen Verletzung als einen Unglücksfall darzustellen, steht für sich gesehen ebenfalls einem strafbefreienden Rücktritt nicht entgegen. Die Absicht des Angeklagten, die Tat mit Hilfe des Opfers der Polizei gegenüber zu verschleiern, schließt weder Bemühungen um die Rettung des Opfers noch die Ernsthaftigkeit und Freiwilligkeit des Rücktritts aus, wenn der Plan nach der Vorstellung des Angeklagten nur für den Fall des Überlebens seines Vaters gelingen konnte. Anders wäre es dann, wenn das Telefongespräch des Opfers, das der Angeklagte möglicherweise unterstützte, ausschließlich den Verschleierungsbemühungen dienen sollte und sich aus der Sicht des Angeklagten versehentlich als für die Rettung auslösende Maßnahme erwiesen hätte (vgl. RGSt 63, 158, 159; 68, 381, 382; Eser in Schönke/Schröder, StGB 21. Aufl. § 24 Rdn. 59; Samson in SK § 24 Rdn. 27; Vogler in LK 10. Aufl. § 24 Rdn. 112). Dies hat das Landgericht aber nicht festgestellt.

9

4.

Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hat deshalb keinen Bestand. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, den Schuldspruch zu ändern und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen, da nicht auszuschließen ist, daß die neu entscheidende Strafkammer noch Feststellungen treffen kann, die einen Schuldspruch wegen versuchten Totschlags rechtfertigen.