Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.10.1985, Az.: I ZR 1/83
Anderweitige Rechtshängigkeit im Ausland als Prozeßhindernis bei Erwartung einer Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung und bei Schaffung im wesentlichen gleichwertiger Bedingungen für die Vollstreckung eines Urteils gleicher Art im Ausland durch beiderseitige Anerkennungsverfahren und die Anerkennungspraxis
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 10.10.1985
- Aktenzeichen
- I ZR 1/83
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 14637
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG München - 03.11.1982
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- IPRspr 1985, 167
- NJW 1986, 2195 [auch zur Frage der Anerkennungsprognose]
- NJW 1986, 2195-2196 (Volltext mit red. LS)
Prozessführer
T. E. GmbH, H. straße ..., M.,
gesetzlich vertreten durch den Geschäftsführer Wolfgang Knabe.
Prozessgegner
Firma Ta., Inh. Hüseyin Taf., C. Cad. ... D., Tak., I./T.
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Klagen können auch vor ausländischen Gerichten erhoben werden, soweit das ausländische Urteil in der BRD Anerkennung findet.
- 2.
Hinweis: Die lex fori (das Recht des jeweiligen Gerichts- ortes) des ausländischen Gerichts entscheidet, ob und wann Rechtshängigkeit hinsichtlich der erhobenen Klage eingetreten ist.
- 3.
Siehe hierzu:
BGH, MDR 1987, 747; zum Begriff der Rechtshängigkeit im Ausland i. S. v. Art. 21 EuGVÜ: EuGH, NJW 1984, 2799 sowie NJW 1989, 665
In dem Rechtsstreit hat
der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
auf die Mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 1985
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Frhr. v. Gamm und
die Richter Dr. Piper, Dr. Erdmann, Dr. Teplitzky und Dr. Scholz-Hoppe
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 3. November 1982 aufgehoben.
- 2.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beklagte, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat, verkaufte dem t. Verteidigungsministerium im Jahre 1975 Funkgeräte des Systems COM-80. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin, eine Firma mit Sitz in der Türkei, der Beklagten das Geschäft als Handelsvertreterin vermittelt hat und deshalb eine Provision beanspruchen kann.
Mit ihrer im Jahre 1977 erhobenen Klage verlangt sie eine Vermittlungsprovision von ... DM nebst Zinsen.
Den gleichen Anspruch hat sie bereits im August 1975 vor dem Amtsgericht in Istanbul geltend gemacht; inzwischen ist durch Urteil vom 5. Juli 1985 der dortigen Klage vorbehaltlich der kassationsgerichtlichen Berufung stattgegeben worden.
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von ... DM nebst Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage in vollem Umfange abzuweisen, weiter.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Dem Revisionsgericht ist eine Überprüfung der vom Berufungsgericht getroffenen Sachentscheidung verwehrt, weil bereits Zweifel an der vom Berufungsgericht ungeprüft gelassenen Zulässigkeit der Klage bestehen, die einer tatrichterlichen Klärung bedürfen.
1.
Nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO steht die anderweitige Rechtshängigkeit einer Streitsache einer erneuten Rechtshängigkeit vor eines anderen Gericht entgegen. Voraussetzung ist Identität des Streitgegenstandes (BGHZ 4, 314, 322), die hier unstreitig gegeben ist. Die anderweitige Rechtshängigkeit stellt ein Prozeßhindernis dar, das von Amts wegen zu berücksichtigen ist (RGZ 160, 338, 344), und zwar auch noch in der Revisionsinstanz. Beachtlich ist auch die Rechtshängigkeit im Ausland, sofern mit der Anerkennung der vom ausländischen Gericht zu treffenden Entscheidung zu rechnen ist (vgl. BGH, Urt. v. 20.3.1964 - V ZR 34/62, WM 1964, 617; BGH, Urt. v. 16.6.1982 - IV b ZR 720/80, FamRZ 1982, 917; Baumbach/Hartmann, Komm. zur ZPO, 43. Aufl. 1985, § 261 Anm. 2 B; Zöller/Geimer, Komm. zur ZPO, 14. Aufl. 1984, § 328 Rdnr. 317 und IZPO Rdnr. 788 jeweils m.w.N.).
Diese Anerkennungsprognose ist im Streitfall zweckmäßigerweise durch das Berufungsgericht zu treffen, das die Frage bislang unerörtert gelassen hat. Das Berufungsgericht wird vor alles zu prüfen haben, ob im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei die Gegenseitigkeit verbürgt ist (§ 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO). Bei der Prüfung dieses Erfordernisses sind keine zu strengen Anforderungen zu stellen. Maßgebend ist, ob das beiderseitige Anerkennungsverfahren und die Anerkennungspraxis bei der Gesamtwürdigung im wesentlichen gleichwertige Bedingungen für die Vollstreckung eines Urteils gleicher Art in Ausland schaffen (BGHZ 42, 194, 197).
Solche gleichwertigen Bedingungen haben zwar früher nicht bestanden (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.1964 - VI ZR 88/63, LM ZPO § 328 Nr. 14), sie könnten Jetzt jedoch aufgrund des türkischen IPR-Gesetzes von 1982 geschaffen worden sein (abgedruckt bei Krüger IPRax 1982, 254 ff.). Dieses Gesetz ist mangels entgegenstehender Überleitungsbestimmungen auch auf die bei seines Inkrafttreten (22. November 1982) bereits anhängig gewesenen Verfahren anzuwenden (vgl. auch BGH, Urt. v. 20.3.1964 - V ZR 34/62, WM 1964, 617). Das Berufungsgericht wird daher zu prüfen haben, ob nunmehr insbesondere aufgrund der Regelungen in Art. 38 des türkischen IPR-Gesetzes von 1982 eine Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit für Entscheidungen türkischer Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland und umgekehrt auch für die Entscheidungen deutscher Gerichte in der Türkei besteht (bejahend Krüger IPRax 1982, 252, 254). Entgegen der Annahme der Klägerin in ihrer Revisionserwiderung würde aus dem Fehlen einer Anerkennungspraxis aufgrund der neuen Rechtslage nicht zwingend etwas anderes folgen. Denn fehlt eine solche Praxis, so entscheidet sich die Frage der Verbürgung der Gegenseitigkeit nach dem Anerkennungsrecht des Urteilsstaates, wobei bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen ist, daß die Jeweiligen Gerichte auch entsprechend ihrem Rechtverfahren werden (BGHZ 49, 50, 52).
2.
Auf die Frage der Anerkennungsprognose käme es nur dann nicht an, wenn - wie die Klägerin meint - die ausländische Rechtshängigkeit nach Treu und Glauben wegen unzumutbarer Verzögerung des türkischen Verfahrens unbeachtlich wäre. Davon kann im Streitfall aber nicht ausgegangen werden; zumal inzwischen auch eine Entscheidung des angerufenen türkischen Gerichts ergangen ist.
Dabei ist von des Grundsatz auszugehen, daß Jede anderweitige Rechtshängigkeit einer Sachentscheidung durch ein später angerufenes Gericht entgegensteht. Denn § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO soll verhindern, daß der Beklagte genötigt wird, sich in derselben Sache in Mehreren Verfahren zu verteidigen, und daß widersprechende Urteile ergehen (BGHZ 4, 314, 322; BGH, Urt. v. 26.10.1960 - IV ZR 3/60, LM ZPO § 263 a.F. Nr. 7). Ausnahmen sind bislang nur in seltenen Fällen anerkannt worden; insbesondere dann, wenn das ausländische Verfahren aus rechtlichen Gründen - z.B. wegen Stillstands der Rechtspflege - nicht fortgeführt werden kann (vgl. BGHZ 4, 314, 322; BGH LM ZPO § 263 a.F. Nr. 7). Eine lange Verfahrensdauer allein reicht in der Regel nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die die Sperrwirkung des ausländischen Verfahrens als eine unzumutbare Beeinträchtigung des Rechtsschutzes erscheinen lassen. Solche Gründe sind von der Rechtsprechung in einen Ehescheidungsverfahren hinsichtlich eines zeitlich früher angestrengten Scheidungsverfahrens vor einem ausländischen Gericht, vor dem nach mehr als 4 Jahren noch keine Entscheidung ergangen war, anerkannt worden. Als besondere Umstände traten hinzu, daß die lange ausländische Verfahrensdauer nicht auf Gründen beruhte, die in der Sphäre des inländischen Klägers lagen, und vor allem auch die Tatsache, daß der inländische Kläger das ausländische Gericht nicht selbst gewählt hatte, sondern daß es ihm durch die Scheidungsklage seines Ehepartners aufgedrängt worden war (vgl. BGH, Urt. v. 26.1.1983 - IV b ZR 335/81, NJW 1983, 1269, 1270). Mit dieser Fallgestaltung ist der Streitfall nicht vergleichbar; denn die Klägerin hat ihre Provisionsforderung selbst vor verschiedenen Gerichten geltend gemacht. Die Klägerin hat - über den bloßen Zeitablauf hinaus - keine Anhaltspunkte vorgetragen, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, die ausländische Rechtshängigkeit in Streitfall als unbeachtlich anzusehen.
II.
Das Berufungsurteil war nach alledem aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Sollte die weitere Aufklärung ergeben, daß das Prozeßhindernis der anderweitigen (ausländischen) Rechtshängigkeit vorliegt, so folgt daraus nicht zwingend eine Abweisung der Klage als unzulässig. Das Berufungsgericht wird in diesem Falle weiter zu prüfen haben, ob - vor allen in Hinblick auf die Unsicherheiten bei der Anerkennungsprognose - in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO eine Aussetzung des Verfahrens in Betracht kommt (bejahend Geimer NJW 1984, 527, 528 m.w.N.; Thomas/Putzo, zur ZPO, 13. Aufl. 1985, § 261 Anm. 5 a).
Piper
Erdmann
Teplitzky
Scholz-Hoppe