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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 10.10.1985, Az.: 4 StR 534/85

Abgrenzung von versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung; Abgrenzung von Fahrlässigkeit und Vorsatzes

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
10.10.1985
Aktenzeichen
4 StR 534/85
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1985, 16385
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Bonn - 30.05.1985

Verfahrensgegenstand

Versuchter Mord u.a.

Prozessführer

Walter Ba. aus Kö.-Ni., geboren am ... 1959 in Pr./Ne., zur Zeit in Haft

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers
am 10. Oktober 1985
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO
einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 30. Mai 1985

    1. a)

      im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, mit Sachbeschädigung und mit unerlaubtem Führen einer Schußwaffe sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter Nötigung verurteilt wird (§§ 223 a, 240, 303, § 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 1, §§ 21, 22, 23, 49, 52, 53 StGB, § 53 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b WaffG),

    2. b)

      im Ausspruch über die wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, mit Sachbeschädigung und mit unerlaubtem Führen einer Schußwaffe verhängten Einzelstrafe und über die Gesamtstrafe aufgehoben. Die Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) und die ausgesprochene Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis (§ 69 a StGB) bleiben bestehen.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  2. 2.

    Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, mit Sachbeschädigung und mit unerlaubtem Führen einer Schußwaffe sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Es hat ihm außerdem die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen entzogen und angeordnet, daß die Verwaltungsbehörde ihm vor Ablauf von fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Die Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

2

1.

Sie führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs, soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes verurteilt ist. Diese Verurteilung entfällt; statt dessen ist der Angeklagte - bei im übrigen bestehenbleibendem Schuldspruch - der gefährlichen Körperverletzung (§ 223 a StGB) schuldig.

3

a)

Nach den Feststellungen faßte der Angeklagte den Entschluß, den mit einem Kleinkraftrad fahrenden Jörn L. "anzuschießen"; er wollte dessen linken Oberschenkel treffen, "um seine Reaktion zu testen" (UA 21). Der vom Angeklagten sodann während der Fahrt aus seinem Kraftwagen mit einem Gewehr der Marke "Winchester" abgegebene Schuß traf Jörn L. in den "Rücken links der Wirbelsäule unter dem linken Rippenbogen, durchschlug u.a. die Milz, den Magen und die Leber und blieb vorn im Bereich einer Rippe stecken" (DA 21). Trotz dieser Verletzung unterbrach Jörn L., der zwar einen "schmerzenden Schlag in der Magengegend" verspürt hatte, aber nicht wußte, "was genau passiert war", seine Fahrt nicht. Der Angeklagte hatte "unmittelbar nach Abgabe des Schusses damit gerechnet, sein Opfer getroffen zu haben und das Schlimmste befürchtet". Als er aber bemerkte, daß "sein Opfer ... immer weiter fuhr, nahm er nunmehr an, daß er doch wohl keinen ernsthaften Treffer erzielt habe" (UA 22). Er fuhr davon. Jörn L. wurde später ärztlich versorgt. Ohne die ärztliche Hilfe wären seine schußbedingten Verletzungen tödlich gewesen (UA 23).

4

b)

Die Strafkammer ist der Auffassung, der Angeklagte habe den Schuß mit "direktem Körperverletzungsvorsatz und bedingtem Tötungsvorsatz" abgegeben (UA 56). Soweit sie den Tötungsvorsatz bejaht hat, hält dies rechtlicher Prüfung nicht stand. Denn ihre Annahme, der Angeklagte habe bei Abgabe des Schusses den Tod des Jörn L. billigend in Kauf genommen, hat sie mit Erwägungen begründet, die zwar den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, nicht aber den des Vorsatzes belegen (vgl. BGH NStZ 1984, 19).

5

Die Strafkammer hat ausgeführt, daß der Angeklagte nicht damit rechnen und noch weniger darauf vertrauen "konnte", daß Jörn L. durch sofortige ärztliche Hilfe gerettet werden würde (UA 51). Nach ihren Darlegungen "konnte" er auch als geübter Schütze nicht davon ausgehen, daß er schlimmere Folgen allein durch seine Schießfertigkeit vermeiden "konnte" (UA 52). Nicht festgestellt hat der Tatrichter, ob der Angeklagte diese Schlußfolgerungen, die er nach diesen - zutreffenden - Ausführungen hätte ziehen können, bei Abgabe des Schusses in den Oberschenkel des Jörn L. tatsächlich auch gezogen hat. Nur wenn dies bewiesen wäre, könnte ihm aber der Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung - und nicht nur der gefährlichen Körperverletzung - gemacht werden.

6

Die Verurteilung wegen versuchten Mordes unterliegt schon aus diesen Gründen der Aufhebung. Deshalb kommt es darauf, ob der Angeklagte von einem etwaigen versuchten Tötungsdelikt strafbefreiend zurückgetreten ist, nicht an (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 1985 - 4 StR 326/85, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Der Senat schließt aus, daß in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen zur Frage getroffen werden können, ob der Angeklagte bei Abgabe des Schusses mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Da er sich, wenn er auf die Möglichkeit der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung hingewiesen worden wäre, nicht anders, als geschehen, hätte verteidigen können, ist in Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO auszusprechen, daß er nicht des versuchten Mordes, sondern anstelle dessen der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist. Soweit sich die Revision des Angeklagten gegen den Schuldspruch im übrigen richtet, ist sie im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

7

2.

Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der von ihr betroffenen Einzelstrafe. Denn diese ist nicht, wovon das Landgericht ausgeht, dem zweimal nach § 49 StGB geänderten Strafrahmen des § 211 StGB zu entnehmen, sondern dem milderen - aber auch nach einer Ermäßigung gemäß den §§ 21, 49 StGB für die schwere Verfehlung noch angemessenen - Strafrahmen des § 315 b Abs. 3 StGB. Der Wegfall der Einzelstrafe führt zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Von der Schuldspruchänderung unberührt ist die wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit versuchter Nötigung verhängte Einzelstrafe, die deshalb bestehenbleiben kann. Die Anordnung, die Fahrerlaubnis zu entziehen, beruht auf bestehenbleibenden Verurteilungen und kann wie die Festsetzung der Sperrfrist für die Erteilung der Fahrerlaubnis trotz Wegfalls der Gesamtstrafe aufrechterhalten bleiben (BGH, Urteil vom 29. August 1985 - 4 StR 397/85, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).

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