Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.04.1985, Az.: VI ZR 91/83
Dienstunfall; Beamter; Schmerzensgeldanspruch; Zweitschädiger; Mitverschuldensanteil; Innenverhältnis; Gesamtschuldner; Gesamtschuldverhältnis; Haftungsprivileg; Dienstherr
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 23.04.1985
- Aktenzeichen
- VI ZR 91/83
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 13415
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHZ 94, 173 - 179
- DB 1985, 2193
- JZ 1985, 801
- MDR 1985, 834 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1985, 2261-2263 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 1985, 861 (amtl. Leitsatz)
- VersR 1985, 763-764 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
Redaktioneller Leitsatz:
Verletzt sich ein Beamter durch einen Dienstunfall, ist der Schmerzensgeldanspruch gegen einen nicht im öffentlichen Dienst tätigen Zweitschädiger auf dessen Mitverschuldensanteil beschränkt.
Der Anteil richtet sich nach der Höhe den der Zweitschädiger im Innenverhältnis als Gesamtschuldner tragen müßte, wenn ein Gesamtschuldverhältnis nicht durch das Haftungsprivileg des öffentlich-rechtlichen Dienstherrn nach § 46 BeamtVG ausgeschlossen wäre.
Hinweise:
Fortführung von BGH v. 12. 6. 1973, BGHZ 61, 51 = VersR 1973, 636.
Tatbestand:
Der Kläger, ein Polizeibeamter, wurde am 21. Mai 1980 als Insasse eines Polizeifahrzeugs auf einer Dienstfahrt bei einem Verkehrsunfall verletzt. Der Unfall wurde als Dienstunfall anerkannt. Beteiligt daran war der Erstbeklagte (im folgenden: der Beklagte) als Fahrer und Halter eines bei dem Zweitbeklagten versicherten Pkw.
Mit der Klage begehrt der Kläger die Zahlung eines Schmerzensgeldes. Die Parteien sind darüber einig, daß der Unfall von dem Fahrer des Polizeifahrzeugs, dem Polizeibeamten B., und dem Beklagten je zur Hälfte verschuldet wurde und der Höhe nach ein Schmerzensgeld von insgesamt 18 000 DM angemessen ist.
Beide Vorinstanzen haben die Auffassung vertreten, daß der Kläger sich den Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagten um den Mitverschuldensanteil des Polizeibeamten B., also um die Hälfte, kürzen lassen müsse. Demgemäß hat das Berufungsgericht dem Kläger unter Berücksichtigung bereits gezahlter 6 000 DM nur weitere 3 000 DM zugebilligt.
Die zugelassene Revision blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
I.
Die Parteien streiten nur noch über die Frage, ob der Kläger sich auf ein um den Mitverschuldensanteil des Polizeibeamten B. gekürztes Schmerzensgeld verweisen lassen muß. Hierzu vertritt das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Haftung bei Arbeitsunfällen im Sinne der §§ 548, 636, 637 RVO die Auffassung, daß auch bei einem Dienstunfall der geschädigte Beamte einen außerhalb des Dienstverhältnisses stehenden Schädiger (im folgenden: Zweitschädiger) nur insoweit auf Schmerzensgeld in Anspruch nehmen kann, als dieser im Verhältnis zu dem beamteten Mitschädiger (im folgenden: Erstschädiger) für den Schaden verantwortlich ist. Denn ebenso wie bei dem Arbeitsunfall eines Sozialversicherten könne auch bei dem Dienstunfall eines Beamten der Zweitschädiger insoweit aufgrund der besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften gegen den Erstschädiger und dessen Dienstherrn keinen Rückgriff nehmen (sogenanntes gestörtes Gesamtschuldverhältnis).
II.
Diese Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist zutreffend.
1. Da es sich bei dem Verkehrsunfall vom 21. Mai 1980 um einen Dienstunfall gehandelt hat, stehen dem Kläger wegen dieses Unfalls gegen seinen Dienstherrn gemäß § 46 Abs. 1 BeamtVG nur die Ansprüche auf Unfallfürsorge nach §§ 30 bis 43 BeamtVG zu. Weitergehende Ansprüche gegen einen öffentlich-rechtlichen Dienstherrn oder gegen die in dessen Dienst stehenden Personen kann der verletzte Beamte nach § 46 Abs. 2 BeamtVG - von den darin geregelten Ausnahmen abgesehen nicht geltend machen. Das bedeutet, daß der Kläger von dem Polizeibeamten B. bzw. seinem für ihn eintrittspflichtigen Dienstherrn (Art. 34 GG) Schmerzensgeld nicht verlangen kann. Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, daß vorliegend keine der beiden in § 46 Abs. 2 BeamtVG genannten Ausnahmen eingreift. Der Polizeibeamte B. hat den Unfall nicht vorsätzlich herbeigeführt. Der Unfall hat sich auch nicht bei einer Teilnahme am allgemeinen Verkehr im Sinne des Gesetzes über die erweiterte Zulassung von Schadensersatzansprüchen bei Dienst- und Arbeitsunfällen vom 7. Dezember 1943 (RGBl. I S. 674) ereignet, weil der Kläger sich nach dem unstreitigen Sachverhalt gemeinsam mit B. auf einer Dienstfahrt befand.
Ohne den in § 46 Abs. 1 und 2 BeamtVG normierten Haftungsausschluß für den weitergehenden Anspruch des Klägers auf Zahlung von Schmerzensgeld würde der Beklagte ihm zwar als Gesamtschuldner auf Ersatz des gesamten immateriellen Schadens haften (§§ 840 Abs. 1, 426 BGB), er hätte jedoch gegen B. bzw. dessen Dienstherrn einen Ausgleichsanspruch gemäß § 426 BGB auf Erstattung der Hälfte des geschuldeten Schmerzensgeldes. Seinem Rückgriff stände auch das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht entgegen, da für die Fahrt des Polizeifahrzeugs keine Sonderrechte in Anspruch genommen werden konnten (BGHZ 68, 217). Der Ausgleichsanspruch ist dem Beklagten im vorliegenden Fall vielmehr nur deshalb versagt, weil infolge der durch § 46 BeamtVG bewirkten Haftungsprivilegierung für öffentlich-rechtliche Dienstherrn und ihre Bediensteten hinsichtlich des Schmerzensgeldes kein Gesamtschuldverhältnis besteht.
2. Bei einem Arbeitsunfall entsteht durch die in §§ 636, 637 RVO normierte Haftungsfreistellung des Unternehmers bzw. des Arbeitskollegen ein ähnlicher Konflikt in dem Dreiecksverhältnis zwischen Geschädigtem, Erstschädiger und Zweitschädiger. Auch hier ist dem auf Ersatz in Anspruch genommenen Zweitschädiger wegen der Haftungsfreistellung der §§ 636, 637 RVO der Rückgriff gegen den für den Schaden mitverantwortlichen Unternehmer/Arbeitskollegen des Verletzten versagt. Für diesen Interessenkonflikt hat der Senat in BGHZ 61, 51 entschieden, daß der Geschädigte einen außerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses stehenden Zweitschädiger insoweit nicht auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann, als der für den Unfall mitverantwortliche Unternehmer bzw. Arbeitskollege ohne seine Haftungsfreistellung nach §§ 636, 637 RVO im Verhältnis zu dem Zweitschädiger für den Schaden aufkommen müßte (vgl. auch Senatsurteil vom 2. April 1974 - VI ZR 193/72 - VersR 1974, 888).
3. Entsprechendes muß auch bei dem Dienstunfall eines Beamten gelten. Die tragenden Gründe der Entscheidung BGHZ 61, 51, treffen hier in gleicher Weise zu.
a) Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 15. Januar 1963 (VI ZR 69/61 - VersR 1963, 288, 290) angedeutet, daß er es auch hier für unbillig hielte, den Zweitschädiger mit den Auswirkungen der beamtenrechtlichen Sonderregelung für die Haftungsbegrenzung zu belasten (ebenso von Caemmerer ZfRV 1968, 81, 98; Helle ZfBR 1970, 47, 48; Weber in BGB-RGRK 12. Aufl. § 426 Rdn. 35). Die gesetzliche Beschränkung des verletzten Beamten auf die Unfallfürsorgeleistungen seines Dienstherrn, soweit Haftungsverantwortlichkeiten des öffentlichen Dienstes in Frage stehen, und die damit für den öffentlichen Dienst verbundenen Haftungsprivilegierungen, die vor allem die Freistellung von Schmerzensgeldansprüchen betreffen, finden ihre Rechtfertigung darin, daß dem Verletzten mit der Unfallfürsorge von der öffentlichen Hand eine Existenzsicherung gewährt wird, die nach Auffassung des Gesetzgebers den Verzicht des Beamten auf eine weitergehende haftungsrechtliche Inanspruchnahme von Schadensverantwortlichkeiten des öffentlichen Dienstes aufwiegt. Diese allein auf die im öffentlichen Dienst verbundenen Beteiligten abhebende Interessenlösung muß in ihren Auswirkungen nach Möglichkeit auf diesen »internen« Beteiligtenkreis des öffentlichen Dienstes aber auch dann beschränkt bleiben, wenn an dem Dienstunfall ein »außenstehender« Zweitschädiger mitbeteiligt ist. Ebensowenig wie er sich zu seinen Gunsten auf die für den öffentlichen Dienst geschaffene Sonderregelung berufen kann, ist es gerechtfertigt, diese Regelung zu seinem Nachteil ausschlagen zu lassen. Vielmehr darf es grundsätzlich für ihn keinen Unterschied machen, daß sein Mitschädiger und der Geschädigte zufällig im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Das Argument der Revision, es sei das normale Risiko eines Gesamtschuldners, daß er die volle Schuld zahlen müsse und später von dem anderen Gesamtschuldner etwa wegen dessen Zahlungsunfähigkeit keinen Ausgleich erlangen könne, vermag nicht zu überzeugen. Es gehört zur Funktion der Gesamtschuld, daß anstelle des Geschädigten der in Anspruch genommene Schädiger mit den wirtschaftlichen Risiken einer Weiterverteilung der Schadenslast auf alle Mitschädiger belastet ist. Hier geht es dagegen darum, daß dem Zweitschädiger die anteilige Mitheranziehung des Erstschädigers im Wege einer Auseinandersetzung mit diesem durch eine gesetzliche Sonderregelung versperrt ist, die auf die Beteiligung eines »außenstehenden« Zweitschädigers am Dienstunfall nicht zugeschnitten ist.
b) Eine Entlastung des Zweitschädigers ist nicht in der Weise möglich, daß man ihm trotz des Haftungsprivilegs einen Ausgleichsanspruch gegen den Erstschädiger oder dessen Dienstherrn zubilligt. Dieser Weg ist nur insoweit gangbar, als der verletzte Beamte kongruente Unfallfürsorgeleistungen beanspruchen kann; nur in diesem Rahmen ist Raum für ein Gesamtschuldverhältnis, aufgrund dessen der Zweitschädiger Ausgleich nach § 426 BGB finden kann (BGHZ 6, 3, 25; Senat BGHZ 43, 178, 187; Senatsurteil vom 15. Januar 1963 - VI ZR 69/61 - VersR 1963, 288, 290). Für die weitergehenden Ansprüche des Geschädigten, zu denen insbesondere der hier geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch gehört, ist jedoch gemäß § 46 BeamtVG eine Haftung des für den Schaden mitverantwortlichen Dienstherrn bzw. dessen Bediensteter ausgeschlossen. Insoweit verbietet sich die Annahme eines Gesamtschuldverhältnisses. Sie würde zu einer Umgehung der in § 46 BeamtVG angeordneten Haftungsprivilegierung öffentlich-rechtlicher Dienstherren und ihrer Bediensteten führen. Auf dem Umweg über den Zweitschädiger würde der verletzte Beamte den mitverantwortlichen Dienstherrn trotz des Haftungsprivilegs auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch nehmen können. Das ist mit Sinn und Zweck des in § 46 BeamtVG angeordneten Haftungsprivilegs nicht vereinbar (ebenso Helle aaO S. 49).
c) Wenn man den Schmerzensgeldanspruch des verletzten Beamten gegen den außerhalb des Beamtenverhältnisses stehenden Zweitschädiger von vornherein auf den Anteil beschränkt, für den dieser im Innenverhältnis verantwortlich ist, so bedeutet dies keine unzumutbare Benachteiligung des Verletzten. Diese Beschränkung des Schmerzensgeldanspruchs findet - wie gesagt - ihren Ausgleich und ihre sachliche Rechtfertigung in dem Anspruch des Beamten auf Unfallfürsorge. Die Leistungen der Unfallfürsorge stellen eine zwar begrenzte, aber völlig sichere Entschädigung des verletzten Beamten dar. Sie stehen ihm alsbald - ohne unter Umständen langwierige Prozesse - zur Verfügung, sie werden auch bei eigenem Verschulden in vollem Umfang gewährt und sind unabhängig davon, ob dem Verletzten überhaupt ein Schädiger haftet. In diesem Sinne sind die Unfallfürsorgeleistungen ein Korrelat für den Verzicht des verletzten Beamten u. a. auf seine Schmerzensgeldansprüche jedenfalls gegen Schadensverantwortliche aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes (vgl. BVerfGE 34, 118 zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses von Schmerzensgeldansprüchen durch §§ 636, 637 RVO). Auch wenn ein Zweitschädiger für den Schaden mitverantwortlich ist, werden dem verletzten Beamten die Unfallfürsorgeleistungen zuteil. Das rechtfertigt es, daß der Verletzte sich diesen Status auch von dem Zweitschädiger mit der Maßgabe entgegenhalten läßt, daß ihm ein Schmerzensgeldanspruch nur in dem Umfang zusteht, als der Zweitschädiger im Verhältnis zu dem privilegierten Erstschädiger für den Unfall verantwortlich ist, während es im übrigen bei dem Ausschluß des Schmerzensgeldanspruchs verbleibt.
Aus den dargelegten Gründen ist es demnach geboten, auch bei einem Dienstunfall den Schmerzensgeldanspruch des verletzten Beamten gegen einen nicht im öffentlichen Dienst stehenden Zweitschädiger auf den Anteil zu beschränken, den dieser im Innenverhältnis tragen müßte, wenn der interne Schadensausgleich nicht durch die Sonderregelung des § 46 BeamtVG gestört wäre (ebenso Helle aaO S. 50 sowie NJW 1970, 1917, 1918; wohl auch Weber aaO; MünchKomm/Selb 2. Aufl. § 426 Rdn. 23).
Entgegen der Auffassung der Revision steht § 46 Abs. 3 BeamtVG, wonach Ersatzansprüche gegen andere Personen unberührt bleiben, diesem Ergebnis nicht entgegen. Diese Vorschrift dient nur der Klarstellung, daß der Haftungsausschluß lediglich die gegen den Dienstherrn und die in seinem Dienst stehenden Personen gerichteten Ersatzansprüche des Geschädigten ergreift. Damit ist aber nichts über die Lösung der durch das Haftungsprivileg bewirkten Störung des Gesamtschuldverhältnisses ausgesagt. Insbesondere läßt sich aus § 46 Abs. 3 BeamtVG nicht entnehmen, daß dieser Konflikt zu Lasten des außerhalb des Dienstverhältnisses stehenden Zweitschädigers gelöst werden müßte.