Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.12.1984, Az.: 4 StR 679/84
Voraussetzungen für eine gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung; Zeitpunkt des Angriffsbeginns bei gemeinschaftlicher Körperverletzung; Anforderungen an den Zusammenhang zwischen Taterfolg und Tathandlung bei Beteiligung an einer Schlägerei
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 20.12.1984
- Aktenzeichen
- 4 StR 679/84
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1984, 11432
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bochum - 06.06.1984
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHSt 33, 100 - 104
- JZ 1985, 584-585
- MDR 1985, 334-335 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1985, 871-872 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1985, 455
- StV 1986, 249-250
Verfahrensgegenstand
Raub u.a.
Amtlicher Leitsatz
§ 227 StGB findet auch Anwendung, wenn der Angegriffene bei einem von mehreren gemachten Angriff einen der Angreifer in Notwehr tötet.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 20. Dezember 1984,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Salger,
die Richter am Bundesgerichtshof Hürxthal Goydke
Dr. Jähnke Dr. Meyer-Goßner als beisitzende Richter,
Bundesanwältin ... als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ..., G., für den Angeklagten S.,
Rechtsanwalt ..., B., für den Angeklagten J. als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 6. Juni 1984 werden verworfen.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt, H. und S. zu Freiheitsstrafen und Jeglinski zu einer Jugendstrafe. Die Revisionen der Angeklagten rügen die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Die Rechtsmittel bleiben erfolglos.
I.
Die Verfahrensbeschwerde des Angeklagten J. ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Verfahrens rügen der Angeklagten Heiß und Szymon sind unbegründet.
Eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zum Nachteil des Angeklagten Heiß ist nicht ersichtlich. Die Strafkammer hat auf der Grundlage der dem Angeklagten entnommenen Blutprobe zu dessen Gunsten mit einem Abbauwert von 0,29 Promille bis zur Tatzeit zurückgerechnet und ist so zu einem BAK-Wert von "knapp 2,5 Promille " gelangt (UA 40). Die Ausführungen, mit denen sie dann eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB abgelehnt hat, entsprechen den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NStZ 1983, 19 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, daß hier, wie die Revision meint, die Zuziehung eines Sachverständigen erforderlich gewesen wäre, sind nicht ersichtlich und werden auch von dem Beschwerdeführer nicht aufgezeigt.
Auch die Ablehnung des Hilfsbeweisantrages des Angeklagten S., über die Lage des Schußkanals und die Position der Pistole im Augenblick der Abgabe des Schusses Sachverständigengutachten einzuholen, ist frei von Rechtsfehlern. Daß die Strafkammer aus den als wahr unterstellten Tatsachenbehauptungen nicht die vom Angeklagten erwarteten Schlußfolgerungen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Zeugen W. gezogen hat, vermag eine Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO nicht zu begründen (vgl. Herdegen in KK, § 244 StPO Rdn. 101 m.w.N.).
II.
Die Sachbeschwerden der Angeklagten sind ebenfalls nicht begründet.
1.
Soweit sich ihre Revisionen gegen die Verurteilung wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil L. richten (Fall 1), sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der insoweit im wesentlichen die Beweiswürdigung der Strafkammer angreifenden Revisionsrechtfertigungen hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
2.
Näherer Erörterung bedarf nur der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei (Fall 2).
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hatte der Gastwirt W. von seiner Wohnung aus gesehen, daß sein letzter Gast, der erheblich angetrunkene Reinhard L., von vier Personen geschlagen und mißhandelt wurde, als er auf dem Heimweg eine Straße überqueren wollte (Fall 1). Er nahm daraufhin eine Pistole, lud sie durch und begab sich mit der Waffe in der Hand auf die Straße. Er fand L. mit blutüberströmtem Gesicht an einer Hauswand kauernd vor und erfuhr von ihm, daß "die" ihn zusammengeschlagen und "alles weggenommen" hätten. Wallaschek ging nun, nachdem auch die Ehefrau des Lehm hinzugekommen war, zu den etwa 20 m entfernt vor einer Gaststätte stehenden vier Tätern (den drei Angeklagten und dem Zwillingsbruder Frank des Angeklagten J.,). Frau L., die in der Hand eines von ihnen die Jacke ihres Mannes erkannt hatte, forderte deren sofortige Herausgabe. Diese wurde ihr nach einer gründlichen Durchsuchung nach Wertsachen von einem der Männer zugeworfen, nachdem aus einer Jackentasche die Gaspistole des L. herausgenommen worden war. Gleichzeitig rief einer aus der Vierergruppe, die inzwischen gegenüber den Zeugen W. und Frau L. eine halbkreisförmige Aufstellung eingenommen hatte, zu W. gewandt: "Dich hauen wir auch noch zusammen." Bei diesen Worten richtete derjenige, der die Gaspistole aus L.s Jacke genommen hat, diese auf W.. Ein anderer aus der Gruppe hatte eine Flasche in der Hand. W., der seine Pistole wie auch schon zuvor am ausgestreckten Arm auf den Boden gerichtet hielt, wandte sich nunmehr warnend an die Gruppe:
"Macht keinen Scheiß, ich habe eine Pistole."
Daraufhin wurde ihm von einem aus der Gruppe erwidert: "Wir auch." Während zunächst sämtliche Angeklagten und Frank J. einen Schritt auf den Zeugen W. zu machten, stürzten sich unmittelbar darauf der Angeklagte H.und Frank J. auf W.. Einer der beiden riß ihn zu Boden. In dieser Situation fiel ein Schuß aus der Pistole des W. der Frank J. ins Herz traf. Dieser brach alsbald auf dem Gehweg zusammen und verstarb dort wenig später.
Das Landgericht hat nicht feststellen können, ob W. (nicht "der Angeklagte" - UA 18) "diesen Schuß abgefeuert hatte, bevor er zu Boden gerissen wurde, indem er die Waffe gegen die sich nähernden H. und Frank J. gerichtet hatte, oder ob er den Schuß erst auf die beiden abgefeuert hatte, nachdem er zu Boden gerissen worden war. Möglicherweise hat sich der Schuß auch unbeabsichtigt von W. dadurch gelöst, daß entweder der Angeklagte H. oder Frank J. ihm gegen die Hand, in der er die Waffe hielt, getreten hatte." Während der Angeklagte S. sich nunmehr ausschließlich darum bemühte, für Frank J. Hilfe herbeizuholen, schlug der Angeklagte H., der den Schuß zwar gehört aber die Verletzung seines Kameraden nicht bemerkt hatte, mehrmals mit der Faust ins Gesicht des am Boden liegenden Wallaschek. Dieser feuerte daraufhin aus seiner Pistole ein weiteres Geschoß ab, das Heiß am rechten Oberschenkel streifte. Es gelang ihm danach, aufzuspringen und ein Stück wegzulaufen. H. holte ihn jedoch wieder ein, riß ihn wiederum zu Boden und schlug und trat zusammen mit dem inzwischen dazugekommenen Angeklagten J. auf ihn ein. Nach einem weiteren Schuß von W., der jedoch niemand traf, kehrte J. um und kümmerte sich mit S. um seinen verletzten Bruder. Heiß verfolgte W. noch weiter, versuchte, in dessen Wohnung einzudringen, und gab erst auf, nachdem dieser noch einmal in "Todesangst" geschossen und ihn ins linke Bein getroffen hatte.
Diese Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung ebenso wie die wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 227 StGB).
a)
Unter einem "von mehreren gemachten Angriff" im Sinne der 2. Alternative des § 227 StGB ist die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen abzielenden Einwirkung von mindestens zwei Personen zu verstehen (BGHSt 31, 124, 126 [BGH 21.10.1982 - 4 StR 526/82] m.w.N.). Bei den Angreifenden muß Einheitlichkeit des Angriffs, des Angriffsgegenstandes und des Angriffswillens vorliegen (BGHSt 2, 160, 163; RG GA 68 (1920), 275; Hirsch in LK 10. Aufl., § 227 StGB Rdn. 5). Ein gemeinschaftliches Handeln als Mittäter ist zwar nicht notwendig (BGHSt 31, 124, 127 [BGH 21.10.1982 - 4 StR 526/82]; RGSt 59, 264, 265), hat hier aber vorgelegen. Die Strafkammer hat insoweit rechtsfehlerfrei begründet, daß alle Angeklagten Mittäter einer gemeinschaftlichen Körperverletzung gemäß § 223 a StGB (vgl. BGHSt 5, 344, 345; Hirsch in LK, § 223 a StGB Rdn. 18 m.w.N.) und damit auch Beteiligte an einem Angriff mehrerer gemäß § 227 StGB (vgl. Stree in Schönke/Schröder, 21. Auflage § 227 StGB Rdn. 6) waren. Dieser Angriff hatte damit begonnen, daß die Angeklagten den Gastwirt Wallaschek zusammen mit Frank J. umringten, ihn, mit einer Pistole und einer Flasche bewaffnet, bedrohten und gemeinsam einen Schritt auf ihn zu machten. Für das Vorliegen eines Angriffs ist es ausreichend, daß die Einwirkung auf den Körper des Angegriffenen abzielt; es ist nicht erforderlich, daß es bereits zu Gewalttätigkeiten gekommen ist, so daß der Beginn des Angriffs nicht notwendigerweise mit dem Beginn der Tätlichkeiten zusammenfallen muß (RGSt 59, 264, 265; Dreher/Tröndle, 41. Aufl. § 227 StGB Rdn. 4). Das Vorbringen der Revision gegen die zutreffende Würdigung des Landgerichts entfernt sich in unzulässiger Weise von dem festgestellten Sachverhalt.
b)
Dieser gemeinschaftliche Angriff der Angeklagten auf Walleschek hat durch den Tod des Frank J. auch eine der für die Anwendung des § 227 StGB erforderlichen schweren Folgen gehabt. Diese Folge braucht als objektive Bedingung der Strafbarkeit (BGHSt 16, 130, 132) nicht vom Vorsatz oder der Fahrlässigkeit eines der Beteiligten umfaßt zu sein (vgl. Lackner 15. Aufl., § 227 StGB Anm. 3). Sie braucht nicht einmal durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden zu sein, sondern kann auch auf einer durch Notwehr gerechtfertigten Handlung beruhen (RGSt 8, 369, 370; Dreher/Tröndle, § 227 StGB Rdn. 6). Erforderlich ist insoweit lediglich, daß ein ursächlicher Zusammenhang im strafrechtlichen Sinn zwischen der Schlägerei (dem Angriff) und der schweren Folge besteht; auf eine Ursächlichkeit der einzelnen Tatbeiträge der Beteiligten kommt es nicht an. Nach § 227 StGB, der als reines Gefährdungsdelikt geschaffen worden ist (BGHSt 14, 132, 134 und 16, 130, 132 jeweils m.w.N.), wird allein "schon wegen" der Beteiligung an einer solchen Schlägerei bestraft. Da Schlägereien erfahrungsgemäß oft schwerwiegende Folgen haben, soll wegen dieser Gefährlichkeit schon der Beteiligung daran entgegengetreten werden, ohne daß es auf den - oft nicht möglichen - Nachweis der Ursächlichkeit gerade dieser Beteiligung für die schweren Folgen der Schlägerei ankäme (BGHSt 14, 132, 134/135; 16, 130, 132).
Zwar ist zeitweise bei den Beratungen über diese Vorschrift, die ihre Vorgängerin in § 195 preuß. StGB hat, erwogen worden, eine Vermutung für die Schuld aller Beteiligten (am Tod oder der schweren Körperverletzung) aufzustellen, mit der Folge, daß die Vorschrift dann nicht anwendbar gewesen wäre, wenn die Täterschaft einer bestimmten Person beweisbar ist. Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich aber, daß dieser Gedanke im Laufe der Beratungen aufgegeben wurde und daß statt dessen Voraussetzung einer Bestrafung nur die bloße Teilnahme an einer solchen Schlägerei sein sollte (vgl. Goltdammer, Materialien zum StGB für die Preußischen Staaten, Bd. 2 S. 420 ff; RGSt 9, 370, 380; 11, 237, 238; 32, 33, 37).
Im vorliegenden Fall ist demgemäß allein aufgrund des Umstandes, daß es ohne den Angriff der Angeklagten auf Wallaschek nicht zu der tödlichen Verletzung des Frank Jeglinski gekommen wäre, der nach § 227 StGB erforderliche ursächliche Zusammenhang gegeben. Wenn dieser Ursachenzusammenhang vorliegt, ist es unerheblich, ob der Getötete ein unbeteiligter Dritter war (Dreher/Tröndle, § 227 StGB Rdn. 5), ob er sich die Verletzung als Angegriffener bei der Verteidigung versehentlich selbst beigebracht hat (RGSt 11, 237, 238) oder ob er - wie im vorliegenden Fall - einer der Angreifer war (vgl. RGSt 9, 148, 149/150). Demgemäß ist auch der bei einer Schlägerei schwer (§ 224 StGB) verletzte Beteiligte, dessen Verletzung erst die Anwendbarkeit der Norm begründet hat, nach § 227 StGB strafbar (RGSt 32, 33, 37/38; Dreher/Tröndle, § 227 StGB Rdn. 6; Stree in Schönke/Schröder, § 227 StGB Rdn. 6).
c)
Schließlich begegnet es keinen Bedenken, daß die Strafkammer Tateinheit zwischen § 223 a und § 227 StGB bejaht hat (BGH NStZ 1984, 328, 329). Die durch die beiden Vorschriften geschützten Rechtsgüter sind schon deshalb nicht gleich, weil § 227 StGB - weitergehend als § 223 a StGB - das Leben und die Gesundheit aller der durch eine Schlägerei Gefährdeten schützt (RGSt 59, 107, 111 ff; vgl. BGHSt 14, 132, 136). Bei der vorliegenden Fallgestaltung kommt noch hinzu, daß die gefährliche Körperverletzung einem anderen als dem Getöteten zugefügt worden ist (RGSt 59, 107, 110; vgl. a. RGSt 67, 367, 370; Hirsch in LK, § 227 StGB Rdn. 22; Stree in Schönke/Schröder, § 227 StGB Rdn. 17; Dreher/Tröndle, § 227 StGB Rdn. 12).
3.
Da auch die Überprüfung der Strafaussprüche keine die Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben hat, sind die Revisionen insgesamt mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO zu verwerfen.
Hürxthal
Goydke
Jähnke
Meyer-Goßner