Bundesgerichtshof
Urt. v. 24.10.1984, Az.: VIII ZR 140/83
Zulässige Ausdehnung des Revisionsantrags bis zum Ende der mündlichen Verhandlung; Wirksame Ablehnung der Zulassung neuer Angriffsmittel und Verteidigungsmittel
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 24.10.1984
- Aktenzeichen
- VIII ZR 140/83
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1984, 13025
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Köln - 17.03.1983
- LG Köln
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- MDR 1985, 667-668 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1985, 3079-3080 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zur Zulässigkeit der Erweiterung des Revisionsantrags des auf Kaufpreisrückzahlung in Anspruch genommenen Beklagten nach Ablauf der Begründungsfrist, wenn er nunmehr auch Aufhebung des Berufungsurteils beantragt, soweit seine Widerklage auf Zahlung des Restkaufpreises abgewiesen worden ist.
Zur Zurückweisung verspäteten zweitinstanzlichen Vorbringens, das sowohl den Klagabweisungsantrag als auch die in der Berufungsinstanz neu erhobene Widerklage begründen soll.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
hat auf die mündliche Verhandlung vom 3. Oktober 1984
durch
den Vorsitzenden Richter Braxmaier und
die Richter Wolf, Dr. Skibbe, Treier und Dr. Paulusch
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 17. März 1983 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beklagte unterhält eine Chinchilla-Farm und handelt mit Chinchilla-Zuchttieren, mit Zuchtzubehör und -bedarf. Die Kläger verlangen - soweit hier noch von Interesse - Rückzahlung des von ihnen für die Lieferung von Chinchillas und von Zuchtbedarf an die Beklagte geleisteten Kaufpreises. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Anfang des Jahres 1979 nahm der Kläger zu 1) mit der Beklagten Verbindung auf, weil er sich für den Aufbau einer Chinchilla-Pelztierfarm interessierte, die er zusammen mit seinem Bruder, dem Kläger zu 2), betreiben wollte. Der Geschäftsführer der Beklagten legte dem Kläger zu 1) anhand einer Wirtschaftlichkeitsberechnung die Gewinnmöglichkeiten dar. Die Kläger kauften daraufhin am 25. Januar 1979 zunächst zwei Zuchtgruppen zum Preis von 10.752,- DM. Nach der Lieferung der Tiere im Februar 1979 verhandelte der Kläger zu 1) weiter mit der Beklagten und legte ihrem Geschäftsführer dar, daß er und sein Bruder eine wirtschaftliche Existenz suchten. Der Geschäftsführer der Beklagten stellte daraufhin eine zweite Wirtschaftlichkeitsberechnung auf, der 20 Zuchtgruppen bei einer Investition von 88.000,- DM zugrunde lagen. Die Kläger kauften am 6. April 1979 weitere 7 Zuchtgruppen für 25.000,- DM und am 21. Juni 1979 nochmals 11 Zuchtgruppen für 36.960,- DM. Außerdem lieferte die Beklagte den Klägern Zuchtbedarf. Die ersten beiden Lieferungen haben die Kläger mit zusammen 35.752,- DM voll bezahlt. Auf den Kaufpreis für die Bestellungen vom 21. Juni 1979 und den Zuchtbedarf (insgesamt 40.573,80 DM) haben sie 10.000,- DM gezahlt. Im August 1979 trat der Kläger zu 1) an die Beklagte heran, um sie zu einer Rückabwicklung der Verträge zu bewegen. Da es zu keiner Einigung kam, erklärten die Kläger mit Schreiben vom 26. November 1979 die Anfechtung der Kaufverträge wegen Irrtums und arglistiger Täuschung und forderten Rückzahlung des Kaufpreises (45,752,- DM), die sie - nebst Zinsen - auch mit der Klage geltend machen.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen und die von der Beklagten in der Berufungsinstanz erhobene Widerklage auf Zahlung des Restkaufpreises von 30.573,88 DM nebst Zinsen abgewiesen; mit dem Restkaufpreis hatte die Beklagte im Verfahren vor dem Landgericht schon hilfsweise aufgerechnet. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klagabweisung und aus der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision ist zulässig, auch soweit mit ihr die Widerklage weiterverfolgt wird. Allerdings hat die Beklagte, nachdem sie ohne Einschränkung Revision eingelegt hatte, in der Revisionsbegründung beantragt,
"das Urteil des OLG ... aufzuheben,
- 1.
auf die Berufung der Beklagten das Urteil des LG ... zu ändern und die Klage abzuweisen,
- 2.
hilfsweise,
den Rechtsstreit ... zurückzuverweisen".
Die Widerklage ist also im Antrag nicht erwähnt worden. Ebensowenig geht die Revisionsbegründung auf sie ein. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte jedoch über den Antrag in der Revisionsbegründung hinaus beantragt, die Kläger gemäß der Widerklage zu verurteilen. Über diesen Antrag ist in der Sache zu entscheiden, obwohl im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Frist zur Revisionsbegründung abgelaufen war.
Die Beklagte hat gegen das Berufungsurteil, nach welchem sie in vollem Umfang unterlegen war, unbeschränkt Revision eingelegt. Damit war der Rechtsstreit insgesamt in die Revisionsinstanz gelangt. In der Revisionsbegründung hat die Beklagte allerdings nur beantragt (§ 554 Abs. 3 Nr. 1 ZPO), die Klage abzuweisen. Sie war jedoch hierdurch nicht daran gehindert, ihren Revisionsantrag bis zum Ende der mündlichen Verhandlung auf die Widerklage auszudehnen (vgl. BGHZ 12, 52, 67 f. unter IV. 1; für den Berufungsantrag s. BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1982 - V ZB 9/82, NJW 1983, 1063 unter II.2). Etwas anderes würde dann gelten, wenn der in der Revisionsbegründung enthaltene Antrag zugleich als Rechtsmittelverzicht hinsichtlich der Abweisung der Widerklage zu verstehen wäre. Das ist hier nicht der Fall. Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte teilweise auf die Revision verzichten wollte, sind nicht ersichtlich. Allein darin, daß die Fassung des Rechtsmittelantrags in der Revisionsbegründung hinter der Beschwer zurückbleibt, ist in der Regel noch kein Verzicht zu sehen (vgl. BGH, Beschluß vom 8. Juli 1981 - IV b ZB 657/81, NJW 1981, 2360, 2361).
Der Zulässigkeit der Antragserweiterung steht auch nicht entgegen, daß die Revisionsbegründung auf die Abweisung der Widerklage nicht eingeht. Denn die Begründung, mit der die Beklagte das Berufungsurteil angreift, soweit der Klage stattgegeben worden ist, deckt auch den Antrag, es bezüglich der Abweisung der Widerklage aufzuheben (vgl. hierzu BGHZ 12, 52, 68; BGH, Beschluß vom 8. Oktober 1982 aaO; kritisch zu diesem Erfordernis Gilles, AcP 177 (1977), 189, 213 ff.). Der mit der Widerklage geltend gemachte Restkaufpreis ist das Gegenstück zu dem eingeklagten Anspruch auf Erstattung des bereits gezahlten Kaufpreises wegen Nichtigkeit des Vertrags (anders etwa der Fall, der dem Urteil RG JW 1938, 467 zugrunde lag). Ist - was die Beklagte gegenüber der Verurteilung zur Rückzahlung des Kaufpreises in der Revisionsbegründung entsprechend § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO geltend macht - der Kaufvertrag entgegen der Meinung des Oberlandesgerichts nicht wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten worden, so besteht er als Grundlage für den Anspruch auf Zahlung des Restkaufpreises fort. Demgemäß hat sich das Berufungsgericht zur Abweisung der von ihm als sachdienlich zugelassenen Widerklage auch mit dem Hinweis darauf begnügt, sie sei unbegründet, "weil die Kläger die der Forderung zugrunde liegenden Kaufverträge nach den vorstehenden Ausführungen wirksam angefochten haben". Eine selbständig tragende Begründung für die Abweisung der Widerklage, auf die mit der Revisionsbegründung hätte eingegangen werden müssen, enthält das Berufungsurteil nicht.
Der formale Umstand, daß es bei der Antragserweiterung nicht um denselben Anspruch geht, dessen Abweisung z.B. erst teilweise und dann in vollem Umfang angegriffen worden ist, und außerdem die zur Verteidigung gegen die Klage dienende Revisionsbegründung auf die Weiterverfolgung der Widerklage bezogen werden soll, spielt gegenüber der Tatsache, daß der zur Beurteilung stehende Sachverhalt für beide Anträge derselbe ist, keine Rolle. Auch bei der Entscheidung vom 22. Dezember 1953 (BGHZ 12, 52) bezog sich die Erweiterung darauf, daß ein eigenständiger Klagantrag erneut aufgenommen wurde, nämlich neben dem Antrag, einen Anspruch auf Enteignungsentschädigung festzustellen, der auf ein ganz anderes Ziel gerichtete Antrag, ein requiriertes Haus freizugeben.
II.
1.
a)
Das Berufungsgericht hält den Klaganspruch auf Zahlung von 45.752,- DM nach §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 BGB für begründet. Denn die Beklagte habe diesen von den Klägern auf die Kaufverträge geleisteten Betrag ohne rechtlichen Grund erlangt, weil die Verträge wegen arglistiger Täuschung wirksam angefochten worden und daher von Anbeginn nichtig seien 142 Abs. 1, 123 Abs. 1 BGB).
Die arglistige Täuschung der Kläger sieht das Berufungsgericht darin, daß der Geschäftsführer der Beklagten den Klägern wider besseres Wissen über die zu erwartenden Gewinne aus der Chinchilla-Zucht nicht zutreffende Angaben gemacht habe. Sowohl die den Klägern vor dem ersten Kauf vorgelegte Wirtschaftlichkeitsberechnung als auch die später aufgestellte Berechnung beruhten auf einer Vermehrungsquote (nämlich 5 bzw. 4 Jungtiere je Weibchen schon im ersten Jahr der Investition), die für die Kläger nicht zu erzielen gewesen sei. Nach dem vom Landgericht eingeholten Gutachten sei es aus verschiedenen Gründen ausgeschlossen, daß ein Anfänger in der Zucht von Chinchillas in der Aufbauphase die angegebene Vermehrungsquote erreiche; dies sei dem Geschäftsführer der Beklagten bekannt gewesen.
Der unter Beweis gestellte Vortrag der Beklagten in der Berufungsbegründung, sie habe die Kläger bei der Zuchtberatung stets darauf hingewiesen, es handle sich bei den in den Wirtschaftlichkeitsberechnungen genannten Zahlen um Zuchtergebnisse, die nach einer Anlaufphase durchschnittlich erzielt würden, war nach Ansicht des Berufungsgerichts gemäß § 528 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Dieser Vortrag sei neu. Seine Zulassung würde den Rechtsstreit verzögern, denn die Kläger hätten den Vortrag bestritten, so daß bei dessen Zulassung die Vernehmung des von der Beklagten benannten Zeugen B. erforderlich würde. Der Senat des Berufungsgerichts habe zwar versucht, einer Verzögerung des Rechtsstreits bei Zulassung des Vorbringens entgegenzuwirken, und den Zeugen am 17. Februar 1983 zum Termin am 24. Februar 1983 geladen, nachdem sich der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten am 16. Februar 1983 für den unter dem 26. Januar 1983 angeforderten Auslagenvorschuß stark gesagt hatte. Braza, der die Ladung erst am 22. Februar 1983 erhalten haben will, sei zum Termin nicht erschienen; dies gehe zu Lasten der Beklagten.
b)
Die erst im Berufungsrechtszug erhobene Widerklage auf Zahlung des - rechnerisch unstreitigen - Restkaufpreises von 30.573,88 DM hat das Oberlandesgericht als sachdienlich zugelassen (§ 530 Abs. 2 ZPO). Es hat die Widerklage jedoch abgewiesen, weil die Kläger - wie bereits hinsichtlich der Klage ausgeführt - die der Forderung zugrundeliegenden Kaufverträge wirksam angefochten hätten.
2.
Das Berufungsurteil hält nicht in allen Punkten der rechtlichen Nachprüfung stand. Es muß wegen des von der Revision gerügten Verstoßes gegen § 528 ZPO aufgehoben werden.
Das Vorbringen der Beklagten, sie habe die Kläger bei der Zuchtberatung stets darauf hingewiesen, es handle sich bei den in den Wirtschaftlichkeitsberechnungen genannten Zahlen um Zuchtergebnisse, die nach einer Anlaufphase durchschnittlich erzielt würden, ist schlüssig. Es kann im Zusammenhang der tatrichterlichen Würdigung dagegen sprechen, daß die Beklagte den Klägern über die zu erwartenden Gewinne nicht zutreffende Angaben gemacht hat.
Das Berufungsgericht hat verkannt, daß das die Anfechtbarkeit der Kaufverträge betreffende Vorbringen der Beklagten, soweit es der Begründung der Widerklage diente, von § 528 Abs. 2 ZPO nicht erfaßt werden konnte; denn die Zurückweisungsvorschriften sind nur auf unselbständige Angriffs- und Verteidigungsmittel anwendbar, zu denen die Widerklage nicht gehört (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1981 - VII ZR 112/80, LM ZPO § 528 Nr. 19 = NJW 1981, 1217 unter II 2; Hermisson, NJW 1983, 2229, 2230 [BGH 26.01.1982 - 4 StR 631/81] unter II, s. aber auch unter IV 4). Hierbei kann es keine Rolle spielen, daß die Vorschriften über die Zurückweisung verspäteten Vorbringens anwendbar gewesen wären, wenn die Beklagte es bei der schon erstinstanzlich geltend gemachten Aufrechnung mit der restlichen Kaufpreisforderung belassen hätte (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1984 - VIII ZR 20/83 unter IV 2, WM 1984, 1158). Die Vorinstanz hätte also, um den für die Widerklage maßgebenden Prozeßstoff zu erschöpfen, den von ihr zurückgewiesenen Vortrag der Beklagten berücksichtigen müssen. Die Berücksichtigung des Vorbringens hätte sich dann aber zugleich auf das Verfahren über die Klage beziehen müssen. Denn wenn Klage und Widerklage untereinander in Sachzusammenhang stehen, hätte auch nicht - im Weg des Teilurteils - durch Zurückweisung der Berufung allein über die Klage entschieden werden dürfen (BGH, Urteil vom 12. Februar 1982 a.a.O. unter II 2; aA LG Berlin MDR 1983, 63 [LG Berlin 18.05.1982 - 20 O 62/82]). Das gilt erst recht, wenn - wie hier - das Vorbringen zur Widerklage sich mit demjenigen zur Verteidigung gegen die Klage deckt.
Entgegen der Ansicht der Revisionsbeklagten ist für dieses Ergebnis ohne Belang, daß das Berufungsgericht die Geltendmachung des mit der Widerklage verfolgten Anspruchs im anhängigen Verfahren möglicherweise zu Unrecht als sachdienlich angesehen hat. An die Zulassung der Widerklage ist das Revisionsgericht gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 1975 - IX ZR 93/72, LM ZPO § 529 IV Nr. 33 = MDR 1976, 395). Dann aber muß die vom Berufungsgericht geschaffene Verfahrenslage auch für die Prüfung zugrunde gelegt werden, ob die Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens zur Klage die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte.
Auf die von der Revision in den Mittelpunkt ihrer Erwägungen gestellte Frage, ob das Berufungsgericht der Beklagten zu Unrecht angelastet habe, daß der Zeuge B. nicht im Termin vom 24. Februar 1983 erschienen ist, kommt es gegenüber dem zuvor Ausgeführten nicht mehr an.
3.
Nach alledem mußte das Berufungsurteil in vollem Umfang aufgehoben werden. Die Sache war zurückzuverweisen, damit die noch notwendigen tatrichterlichen Feststellungen getroffen werden. Dem Berufungsgericht war auch die Entscheidung über die Kosten der Revisionsinstanz zu übertragen, weil sie vom endgültigen Ausgang des Rechtsstreits abhängt.
Wolf
Dr. Skibbe
Treier
Dr. Paulusch