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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 16.10.1984, Az.: 5 StR 643/84

Beschränkung der Verteidigerrechte auf Akteneinsicht; Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens; Verspätete Zuleitung der Akte an den Verteidiger wegen verspäteter Vorlage seines Antrags an den Richter; Strafaussetzung zur Bewährung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
16.10.1984
Aktenzeichen
5 StR 643/84
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1984, 11376
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Celle

Fundstellen

  • NStZ 1985, 87
  • StV 1985, 4

Verfahrensgegenstand

Betrug u.a.

Redaktioneller Leitsatz

Die Hauptverhandlung muß notfalls unterbrochen werden, um dem Verteidiger, der sich rechtzeitig um Akteneinsicht bemüht hat, Einsicht zu gewähren. Geschieht dies nicht, liegt eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung nach § 338 Nr. 8 StPO vor.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung,
zu 2) auf Antrag des Generalbundesanwalts
am 16. Oktober 1984
nach § 349 Abs. 2, 4 StPO
einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revisionen der Angeklagten Marina L., R.-F. und A. wird das Urteil der Großen Strafkammer bei dem Amtsgericht Celle

    1. a)

      soweit der Angeklagte R.-F. verurteilt worden ist,

    2. b)

      im Strafausspruch hinsichtlich der Angeklagten Marina L. und A.

    mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

  2. 2.

    Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten Marina L. und A. sowie die Revision des Angeklagten Gerhard L. werden als unbegründet verworfen. Der Angeklagte Gerhard L. hat die Kosten seiner Revision zu tragen.

  3. 3.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts Lüneburg zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revisionen zu entscheiden hat.

Gründe

1

1.

Die Revision des Angeklagten R.-F. hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

Der Wahlverteidiger des Angeklagten R.-F., Rechtsanwalt Sch. aus K., hatte mit einem Schreiben vom 16. Mai 1984 gebeten, ihm die Akten für einen Tag nach K. zu Übersenden (Bd. IV Bl. 22 d.A.). Das einen Tag später beim Gericht eingegangene Schreiben wurde dem Vorsitzenden erst am 28. Mai 1984 vorgelegt (a.a.O. Bl. 32). Der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. beantragte zu Beginn der Hauptverhandlung am 30. Mai 1984 mit der Begründung, er habe keine Akteneinsicht gehabt, das Verfahren gegen den Angeklagten R.-F. auszusetzen (a.a.O. Bl. 40). Dieser Antrag wurde durch Gerichtsbeschluß mit der Begründung abgelehnt, daß der Antragsteller keinen Anspruch auf eine Aussetzung habe und daß sein Schreiben dem Vorsitzenden "nicht vorgelegt" worden sei; selbst bei unverzüglicher Vorlage "wäre eine Übersendung der Akten im Hinblick auf die notwendigen Vorbereitungen des Gerichts nicht mehr möglich gewesen" (a.a.O. Bl. 43).

3

Mit diesem Verfahren ist die Verteidigung des Angeklagten in unzulässiger Weise beschränkt worden. Die Hauptverhandlung hätte jedenfalls unterbrochen werden müssen, um dem Verteidiger Rechtsanwalt Sch. die Akteneinsicht (§ 147 StPO) zu ermöglichen. Bei dem nicht überdurchschnittlichen Umfang und Schwierigkeitsgrad der Sache, in der keine Untersuchungshaft vollzogen wurde, hätte eine Zeitspanne ausgereicht, die das Verfahren nicht unangemessen verzögerte. Der Verteidiger Rechtsanwalt Sch. hatte sich rechtzeitig um Akteneinsicht bemüht. Der Zeitpunkt, zu dem er um die Übersendung der Akten gebeten hatte, war nicht verspätet; das folgt auch daraus, daß die Akten noch am 28. Mai 1984 einem U. Rechtsanwalt, der die Übernahme der Verteidigung des Beschwerdeführers erwog, in seine Geschäftsräume überlassen worden sind (Bd. IV Bl. 39, 39 c d.A.). Falls der Vorsitzende die Übersendung der Akten nach K. wegen der größeren Entfernung aus zeitlichen Gründen für untunlich hielt, hätte er das dem Rechtsanwalt Sch. mitteilen müssen, damit dieser Gelegenheit erhielt, sich in der verbleibenden Zeit auf andere Weise Aktenkenntnis zu verschaffen. Dadurch, daß der Antrag des Rechtsanwalts Sch. dem Vorsitzenden zu spät vorgelegt worden ist, wurden die Rechte dieses Verteidigers nicht eingeschränkt. Der Umstand, daß schon ein Pflichtverteidiger beigeordnet war, führt ebenfalls zu keiner Einschränkung dieser Rechte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1978 - 4 StR 594/77 -).

4

2.

Die Revisionen der Angeklagten Marina L. und A. haben nur zum Teil Erfolg. Hier führt die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils zur Aufhebung der Strafen:

5

a)

Seine Entscheidung, die gegen die Angeklagte Marina L. verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten nicht zur Bewährung auszusetzen, hat der Tatrichter unter anderem damit begründet, daß die Angeklagte "in einer Bewährung versagt" habe (UA S. 25). Die einzige Vorstrafe der Angeklagten, eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe, ist erst nach der Tat verhängt worden, die Gegenstand des vorliegenden Urteils ist. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend bemerkt hat, kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Hinweis des Tatrichters auf ein Versagen während der Bewährungszeit nicht allein für die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB, sondern auch für die Bemessung der Freiheitsstrafe bedeutsam gewesen ist. Der Senat hat deswegen den gesamten Strafausspruch gegen die Angeklagte Marina L., also die Einzelstrafe wegen versuchter Geldfälschung und die nach § 55 StGB gebildete Gesamtstrafe, aufgehoben.

6

b)

Im Hinblick auf den Angeklagten A. hat der Tatrichter in den Mittelpunkt seiner Strafzumessungserwägungen die "äußerst zahlreichen und sich in schneller Folge häufenden Vorstrafen" gestellt; nach den Urteilsgründen soll eine empfindliche Freiheitsstrafe dem Angeklagten A. "deutlich vor Augen führen, daß seine fortwährenden Verstöße gegen die Rechtsordnung nicht mehr ohne ganz erhebliche strafrechtliche Konsequenzen hingenommen werden" (UA S. 27). Die Wendung "fortwährend" deutet auf eine kriminelle Betätigung ohne längere Unterbrechungen hin. Nach den Feststellungen ist der Angeklagte A. jedoch vor der jetzt abgeurteilten Tat letztmals im November 1975 verurteilt worden (UA S. 10).

7

3.

Im übrigen sind die Revisionen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Herrmann
Fleischmann
Fuhrmann
Horstkotte
Rebitzki