Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.01.1984, Az.: VIII ZR 270/82
Streit zwischen Brüdern um das Eigentum am Familienbesitz; Vorliegen der Voraussetzugen der Eigentumsvermutung gem. § 1006 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 25.01.1984
- Aktenzeichen
- VIII ZR 270/82
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1984, 13032
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Hamm - 08.07.1982
- LG Münster
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- JZ 1984, 438
- MDR 1984, 835-836 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1984, 1456-1457 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zum Gegenstand der Vermutung des § 1006 BGB.
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 1984
durch
den Vorsitzenden Richter Braxmaier und
die Richter Wolf, Dr. Brunotte, Dr. Zülch und Dr. Paulusch
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Juli 1982 - mit Ausnahme der Aussprüche über den silbernen Hahn und die französische Uhr - aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Beklagte ist der älteste Sohn des Klägers. Die Parteien streiten um das Eigentum an Familienbesitz - im wesentlichen Gemälde und antike Einrichtungsgegenstände -, der sich auf Gut B. in R. befindet.
Der Kläger wurde durch Testamente seiner Eltern vom 10. Februar und 23. April 1930 zum Vorerben, der Beklagte zum Nacherben eingesetzt. Der Vater des Klägers ist 1933 verstorben. Zum Nachlaß gehörten u.a. die Landgüter Haus B. und S.
Durch notariellen Vertrag vom 1. Juli 1946 übertrug der Kläger unter Hinweis auf die testamentarisch angeordnete Vor- und Nacherbfolge die zu Haus B. gehörenden Ländereien auf den 1936 geborenen Beklagten. Nach dem Inhalt des Vertrages sollte die Veräußerung der Bildung eines Erbhofes dienen; hierzu kam es indessen nicht. In der Folgezeit bewirtschaftete der Kläger neben seinen anderen Gütern auch Haus B. weiter. Seine Familie, einschließlich des Beklagten, wohnte weiterhin gemeinsam in einem Nebengebäude von Gut B., dem sogenannten Piktoriusbau; das Herrenhaus B. war im Krieg beschädigt worden.
Durch einen weiteren notariellen Vertrag regelten die Parteien am 10. Februar 1959 die Eigentumsverhältnisse an dem Inventar der drei Landgüter. Dem Vertrag sind detaillierte Aufstellungen des landwirtschaftlichen Inventars der jeweiligen Güter beigefügt; die streitigen Gegenstände sind darin nicht enthalten. In dem Vertrag wird u.a. "klargestellt, daß das nach Anlage II auf Haus Borg gehörende Inventar" dem Beklagten gehöre. - vorsorglich erklärten sich die Vertragschließenden einig, daß dies Inventar von nun an dem Beklagten gehören solle.
Am 7. Dezember 1973 übertrug der Kläger durch mehrere notarielle Verträge im Wege vorweggenommener Erbfolge an den Beklagten und dessen jüngeren Bruder Josef den restlichen Grundbesitz mit Ausnahme einiger Flurstücke sowie seinen Kommanditanteil an der Hotel-Restaurant Schloß H. GmbH & Co. KG. In dem Vertrag mit dem Beklagten heißt es u.a., daß gleichzeitig das gesamte lebende und tote Inventar übereignet werde, das den Beteiligten im einzelnen bekannt sei. Der Beklagte übernahm in dem Vertrag die Zahlung einer monatlichen Leibrente an seine Eltern und räumte ihnen ein Wohnrecht an den Räumen im ersten Stock des Nebengebäudes (Piktoriusbau) ein.
Im Jahre 1974 wurden das teilweise kriegszerstörte Herrenhaus B. renoviert und die Wohnräume im Piktoriusbau neu aufgeteilt. Nach Abschluß der Arbeiten zog der Beklagte aus dem Piktoriusbau in das neu hergerichtete Obergeschoß des Herrenhauses. Die Familien des Klägers und seines jüngeren Sohnes Josef bezogen getrennte Wohnungen im Piktoriusbau. Die Wohnung des Beklagten wurde mit einem Teil der im Streit befindlichen Familienhabe so eingerichtet, wie sie es vor dem Kriege war; ein anderer Teil des beweglichen Familienbesitzes verblieb in den beiden großen Sälen im Erdgeschoß des Herrenhauses (sogenannte Rittersäle), die bis 1977 als Durchgang und Zugang zum Piktoriusbau dienten. Um das Eigentum an diesen Hausratsgegenständen geht der Streit der Parteien. Weiter haben die Parteien noch um das Eigentum an einem aus dem Nachlaß der Mutter des Klägers stammenden silbernen Hahn sowie an einer versehentlich zum Gegenstand des Rechtsstreits gemachten französischen Uhr gestritten; dieser Streit ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Der Beklagte hat Haus B. inzwischen veräußert und den Besitz der streitigen Sachen aufgegeben; über das Eigentum daran hat er noch nicht verfügt.
Im ersten Rechtszug hat der Kläger beantragt, festzustellen, daß die vorgenannten - in der Klageschrift im einzelnen aufgeführten - Sachen in seinem Eigentum stünden, und dazu vorgetragen, er habe sein Eigentum nie aufgegeben. Der Beklagte hat geltend gemacht, ihm seien die genannten Sachen durch den Vertrag vom 1. Juli 1946, auch wenn sie darin nicht ausdrücklich erwähnt seien, jedenfalls stillschweigend mitübereignet worden. Dies schließt der Beklagte ferner aus dem Inhalt des späteren Vertrages vom 10. Februar 1959 sowie aus einer Reihe weiterer Umstände. So habe der Kläger in den Jahren 1950 und 1955 in Anträgen auf Feuer- und Sturmschädenversicherung ihn, den Beklagten, als Eigentümer der Grundstücke, Gebäude und beweglichen Sachen des Gutes Haus B. angegeben, 1971 habe der Kläger mit dem Staatsarchiv M. über die Auslagerung und leihweise Überlassung des Familienarchivs verhandelt und den Hinterlegungsvertrag ihm, dem Beklagten, zur Unterschrift vorgelegt. Jedenfalls aber, so hat der Beklagte weiter vorgebracht, seien ihm die streitigen Sachen durch die Verträge vom 7. Dezember 1973 übertragen worden; wolle man auch dem nicht folgen, so ergebe sich aus diesen Verträgen jedenfalls ein Anspruch auf Übereignung. Der Beklagte hat widerklagend beantragt, festzustellen, daß er Eigentümer der Sachen sei, hilfsweise hat er vom Kläger begehrt, diese Sachen an ihn zu übereignen und herauszugeben.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen und festgestellt, daß der Beklagte Eigentümer der Sachen sei. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter; der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Das Berufungsgericht führt hinsichtlich der dem Beklagten zuerkannten Sachen aus, zu seinen Gunsten spreche die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB, weil der Beklagte bis zur Veräußerung von Haus B. Eigenbesitzer dieser Sachen gewesen sei. Der Kläger habe diese Vermutung nicht widerlegt; es könne nicht ausgeschlossen werden, vielmehr spreche sogar manches dafür, daß die Parteien sich bei Abschluß des notariellen Vertrages vom 1. Juli 1946 oder noch später bei Abschluß der notariellen Verträge vom 7. Dezember 1973 über den Eigentumsübergang auch hinsichtlich der den Beklagten zugesprochenen Gegenstände geeinigt hätten.
Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.
1.
Ursprünglich war der Kläger alleiniger Eigenbesitzer der jetzt noch streitigen Hausratsgegenstände. Dann aber streitet für ihn die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB weiterhin auch über den Zeitpunkt seines Besitzverlustes hinaus bis zu ihrer Widerlegung (BGH Urteil vom 23. Mai 1956 - IV ZR 310/55 = LM BGB § 1006 Nr. 4 - NJW 1956, 1151; BGB-RGRK (Pikart) § 1006 Rdn. 29; Staudinger/Gurski, § 1006 Rdn. 13; Soergel/Mühl, § 1006 Rdn. 13; MK (Medicus) § 1006 Rdn. 20; Wolff/Raiser, § 22 II; Erman/W. Hefermehl, § 1006 Rdn. 4).
2.
Diese Eigentumsvermutung zugunsten des Klägers hat der Beklagte nicht widerlegt. Er stützt sich zwar aufgrund seines späteren Eigenbesitzerwerbes nun seinerseits auf die Vermutung des § 1006 Abs. 2 BGB; diese Vermutung greift aber zu seinen Gunsten nicht ein.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts knüpft die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB (ebenso wie diejenige nach § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB) nicht an die bloße Tatsache des Eigenbesitzes an. § 1006 BGB baut - wie insbesondere § 1006 Abs. 1 Satz 2 BGB zeigt - auf der vermuteten Gleichzeitigkeit von Besitzerwerb und Eigentumserwerb auf. Gegenstand der Vermutung des § 1006 BGB ist daher nur, daß der (frühere oder jetzige) Eigenbesitzer beim Besitzerwerb - und aufgrund desselben - Eigentümer geworden ist (BGH Urteile vom 8. Juli 1964 - VIII ZR 63/63 = WM 1964, 1026, 1027; vom 5. Juli 1967 - VIII ZR 169/65 = LM BGB § 1006 Nr. 10 = NJW 67, 2008 = WM 1967, 900, 901; vom 13. November 1968 - VIII ZR 168/66 = WM 1969, 186, 187; vom 13. Juli 1970 - VIII ZR 181/68 = WM 1970, 1272; vom 23. April 1975 - VIII ZR 58/74 = LM BGB § 1006 Nr. 14 = NJW 1975, 1269, 1270 = WM 1975, 519 und vom 19. Januar 1977 - VIII ZR 42/75 = LM BGB § 1006 Nr. 16 = WM 1977, 402, 403).
Zu Unrecht versucht der Beklagte in der Revisionserwiderung, den Urteilen des BGH vom 29. Januar 1951 (IV ZR 156/50 = LM BGB § 985 Nr. 1) und 23. April 1975 (aaO) die Auffassung entnehmen zu können, die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB werde lediglich aus bestehendem Eigenbesitz hergeleitet. In dem am 29. Januar 1951 entschiedenen Fall fielen Besitzerlangung und Eigentumserwerb aufgrund Erbfalles zusammen, so daß sich die hier behandelte Frage gar nicht stellte. Das Senatsurteil vom 23. April 1975 läßt, insbesondere in den Ausführungen unter 2. a) der Entscheidungsgründe, erkennen, daß es ebenfalls den Zusammenfall von Besitzerlangung und Eigentumserwerb voraussetzt.
Die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB gilt deshalb nicht, wenn sich aus dem eigenen Vortrag des Besitzers ergibt oder anderweitig festgestellt wird, daß mit dem Erwerb des Besitzes der Eigentumserwerb nicht verknüpft war (BGH Urteile vom 5. Juli 1967 und 13. Juli 1970 aaO). So liegt der Fall hier.
Nach den Feststellungen im Berufungsurteil in Verbindung mit dem sich aus den in Bezug genommenen Schriftsätzen ergebenden unstreitigen Sachverhalt ist der Beklagte frühestens im Jahre 1974 unmittelbarer alleiniger Eigenbesitzer der streitigen Gegenstände geworden. Der bewegliche Familienbesitz auf Haus B. befand sich zunächst teilweise in den im Erdgeschoß des Herrenhauses befindlichen Rittersälen, teilweise in dem von den Parteien in Familiengemeinschaft bewohnten Piktoriusbau. Während der Wiederherstellung der Wohnräume des Herrenhauses und der Neuaufteilung der Wohnungen im Piktoriusbau wurden diese Sachen insgesamt in den Rittersälen untergestellt. Als die Parteien nach Fertigstellung der Arbeiten an den Gebäuden getrennte Wohnungen bezogen, wurde der bewegliche Familienbesitz neu aufgeteilt und teilweise in die im Obergeschoß des Herrenhauses gelegene Wohnung des Beklagten (die damit wieder dieselbe Einrichtung wie vor dem Krieg erhielt), teilweise in die im Piktoriusbau gelegenen Wohnungen des Klägers und seines Sohnes Josef verbracht; ein anderer Teil der Sachen blieb in den Rittersälen im Erdgeschoß des Herrenhauses, die der Kläger und sein Sohn Josef noch zwei oder drei Jahre lang als Durchgang zum Piktoriusbau benutzten. Frühestens mit dem Bezug seiner Wohnung im Herrenhaus hat der Beklagte unmittelbaren alleinigen Eigenbesitz an den dahin verbrachten Einrichtungsgegenständen erworben. Hinsichtlich der in den Rittersälen verbliebenen Sachen erfolgte der Erwerb des unmittelbaren Eigenbesitzes möglicherweise noch später, als der Durchgang von den Rittersälen in den Piktoriusbau versperrt und in der Folgezeit ein eigener Eingang im Piktoriusbau geschaffen wurde, so daß die Rittersäle vom Kläger nicht mehr benutzt werden konnten.
Daß der Beklagte, wie er in der Revisionserwiderung erstmals geltend macht, schon 1973 bei Abschluß der notariellen Verträge zwischen den Parteien unmittelbarer Eigenbesitzer der streitigen Sachen wurde, steht in Widerspruch zu den vorgenannten Feststellungen.
Im Zeitpunkt der Erlangung des unmittelbaren Eigenbesitzes (frühestens 1974) will aber der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag bereits Eigentümer der streitigen Sachen geworden sein, denn er trägt vor, das Eigentum bereits aufgrund des Vertrages vom 1. Juli 1946, jedenfalls aber aufgrund der Verträge vom 7. Dezember 1973 erworben zu haben. Bei dieser Sachlage ist für die Anwendung des § 1006 Abs. 2 BGB zu seinen Gunsten kein Raum.
3.
Die Anwendung des vom Beklagten mit der Revisionserwiderung angezogenen § 1006 Abs. 3 BGB zu seinen Gunsten scheitert daran, daß sein mittelbarer Besitz nicht festgestellt ist. Der Beklagte folgert ihn lediglich daraus, daß ihm seiner Ansicht nach durch die Verträge vom 1. Juli 1946 bzw. 7. Dezember 1973 die streitigen Gegenstände übereignet wurden; letzteres hat das Berufungsgericht aber gerade offen gelassen.
4.
Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt daher davon ab, ob die hier streitigen Sachen dem Beklagten durch einen der in den Jahren 1946-1973 von den Parteien geschlossenen Verträge übereignet wurden. Gegen die Annahme einer Übertragung dieser Gegenstände durch einen der genannten Verträge würden zwar deswegen Bedenken bestehen, weil die Sachen darin nicht im einzelnen bezeichnet sind und nach dem unstreitigen Sachverhalt vor 1974 auch nicht von dem übrigen beweglichen Familienbesitz auf Haus B. getrennt waren, so daß es an der Bestimmtheit der Übereignungsgegenstände fehlen könnte. Andererseits ist nicht auszuschließen, daß durch einen der genannten Verträge der gesamte bewegliche Familienbesitz auf Haus B. (und damit auch die hier streitigen Gegenstände) an den Beklagten übereignet wurden (vgl. BGH Urteil vom 31. Januar 1979 - VIII ZR 93/78 = BGHZ 73, 253, 254 = WM 1979, 557, 558). Das Berufungsgericht hat hierüber - von seinem Standpunkt aus konsequent - nicht abschließend entschieden.
Der Senat hält es für angezeigt, die endgültige Klärung dieser Frage, wozu es einer - gegebenenfalls ergänzenden - Auslegung der von den Parteien in den Jahren 1946-1973 geschlossenen Verträge unter Würdigung der zahlreichen hierfür von beiden Seiten vorgetragenen und teilweise unter Beweis gestellten Indiztatsachen bedarf, dem Berufungsgericht als Tatrichter zu überlassen. Sollte eine Übereignung der Sachen an den Beklagten nicht festgestellt werden können, so wäre im Rahmen des Hilfsantrags des Beklagten weiter zu prüfen, ob sich aus den Verträgen jedenfalls ein Anspruch des Beklagten auf Übereignung ergibt. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus zu Recht - bisher noch keine Erwägungen angestellt.
5.
Der Rechtsstreit war daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils - soweit es Gegenstand des Revisionsverfahrens war - an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen war.
Wolf
Dr. Brunotte
Dr. Zülch
Dr. Paulusch