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Bundesgerichtshof
Urt. v. 24.03.1982, Az.: 3 StR 29/82

Strafaussetzung zur Bewährung bei Verbüßung der angeordneten Freiheitsstrafe durch die Untersuchungshaft; Auswirkungen der Strafaussetzung zur Bewährung auf das Führungszeugnis; Auslegung des § 56 Abs. 4 Strafgesetzbuch (StGB) im Hinblick auf die Strafaussetzung zur Bewährung bei anzurechnender Untersuchungshaft

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
24.03.1982
Aktenzeichen
3 StR 29/82
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1982, 11325
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Mönchengladbach - 27.07.1981

Fundstellen

  • BGHSt 31, 25 - 29
  • JZ 1982, 650-652 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1982, 591-592 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1982, 1768-1769 (Volltext mit amtl. LS)
  • Stree, NStZ 82, 326

Verfahrensgegenstand

Gefährliche Körperverletzung

Prozessgegner

Osman A. aus Mö., geboren am ... 1950 in I. (T.)

Amtlicher Leitsatz

Der Umstand, daß eine Strafaussetzung zur Bewährung registerrechtliche Vorteile zur Folge hat, rechtfertigt es nicht, die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, die als durch Untersuchungshaft verbüßt gilt, zur Bewährung auszusetzen.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
hat in der Sitzung vom 24. März 1982,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Schmidt,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schauenburg, Dr. Gribbohm, Zschockelt, Kutzer als beisitzende Richter,
Bundesanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 27. Juli 1981 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten, der wegen Totschlags angeklagt war und wegen dieses Vorwurfs neun Monate Untersuchungshaft erlitten hatte, wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.

2

Die von ihm erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig, da keine den angeblichen Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Auf die allgemeine Sachrüge hin hat der Senat das Urteil in vollem Umfang nachgeprüft. Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat sich nicht ergeben.

3

Der näheren Erörterung bedarf lediglich, ob es das Landgericht zu Recht unterlassen hat, die Voraussetzungen einer Strafaussetzung zur Bewährung zu prüfen. Der festgestellte Sachverhalt legt eine solche Prüfung nahe. Denn der bisher unbestrafte Angeklagte lebt in geordneten Verhältnissen; die gefährliche Körperverletzung hat er im Zustand verminderter Schuldfähigkeit als Spontanreaktion auf grundlose Beleidigungen begangen. Das Landgericht hat offenbar angenommen, einer Strafaussetzung stehe schon der Umstand entgegen, daß der Angeklagte Untersuchungshaft in Höhe der erkannten Freiheitsstrafe erlitten hat. Das trifft in der Tat zu.

4

1.

Nach einer in der Literatur vertretenen Meinung muß allerdings Strafaussetzung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 56 StGB auch dann gewährt werden, wenn die erkannte Strafe auf Grund der Anrechnung der Untersuchungshaft, als voll verbüßt anzusehen ist (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB 20. Aufl. § 56 Rdn 13; Horn in SK 3. Aufl. § 56 Rdn 7). Jagusch (in LK 8. Aufl. Anm. 1 d), war dieser Auffassung schon zu § 23 StGB aF.

5

Der Wortlaut des geltenden § 56 StGB steht einer solchen Auslegung nicht ohne weiteres entgegen. Denn nach § 56 Abs. 4 Satz 2 StGB wird eine Strafaussetzung durch die Anrechnung von Untersuchungshaft nicht ausgeschlossen. Diese Vorschrift kann entweder als Modifizierung des in § 56 Abs. 4 Satz 1 StGB enthaltenen Verbots der Teilaussetzung verstanden werden; sie bestätigt dann die schon zu § 23 StGB aF herrschende Meinung, daß eine Strafaussetzung auch zulässig ist, wenn infolge Anrechnung von Untersuchungshaft im Falle des Widerrufs nur noch ein Teil der Strafe vollstreckt werden kann. § 56 Abs. 4 Satz 2 StGB kann von seinem Wortlaut her aber auch als generelle Ermächtigung zur Strafaussetzung trotz Verbüßung von Untersuchungshaft interpretiert werden, also auch für den Fall, daß die Untersuchungshaft die erkannte Freiheitsstrafe erreicht oder übersteigt. In diesem Sinne verstehen die Verfasser des Alternativentwurfs eines StGB (AE), Allgemeiner Teil, d), mit § 56 Abs. 4 StGB wörtlich übereinstimmenden § 40 Abs. 3 AE (vgl. AE, 2. Aufl. § 41 Abs. 4 und die Begründung hierzu S. 85).

6

Aus der Entstehungsgeschichte zu § 56 StGB ergeben sich keine eindeutigen Hinweise, wie diese Frage zu entscheiden ist. So heißt es in dem Ersten Schriftlichen Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform (BT-Drucks. V/4094 S. 11) zu § 23 Abs. 4 StGB 1969, der wörtlich mit § 56 Abs. 4 StGBübereinstimmt: "Absatz 4 bestätigt die Rechtsprechung zum geltenden Recht. Er stimmt überein mit § 71 Abs. 2 E 1962 und § 40 Abs. 3 AE." Der Hinweis auf § 40 Abs. 3 AE kann für die weite Auslegung im Sinne der Verfasser des Alternativentwurfs - Strafaussetzung trotz Untersuchungshaft in Höhe der erkannten Strafe - sprechen, während der Hinweis auf die Rechtsprechung für die engere Auslegung spricht. Denn der Bundesgerichtshof (NJW 1961, 1220 f [BGH 21.04.1961 - 4 StR 15/61]) hatte zu § 23 StGB aF die Ansicht vertreten, daß die Vollstreckung einer Strafe, die durch Anrechnung der Untersuchungshaft voll verbüßt ist, begrifflich nicht mehr ausgesetzt werden könne; der Umstand, daß der Angeklagte seiner Person nach für aussetzungswürdig erachtet werde, gleiche in einem solchen Fall die schlechtere Lage nicht aus, in die er im Hinblick auf § 23 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF - Verbot einer Strafaussetzung bei erneuter Straffälligkeit nach vorangegangener Strafaussetzung - gebracht werde.

7

2.

Der erkennende Senat hält an der dieser Entscheidung zugrunde liegenden Auffassung auch für § 56 StGB fest. Eine als voll verbüßt geltende Freiheitsstrafe kann nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden.

8

a)

Allerdings ist durch die Neuregelung der Strafaussetzung im Ersten und im Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts das vom Bundesgerichtshof a.a.O. zur Begründung mitherangezogene, den Angeklagten beschwerende Aussetzungsverbot des § 23 Abs. 3 Nr. 2 StGB aF ersatzlos weggefallen. Auch sind die registerrechtlichen Nachteile, die den Angeklagten in einem solchen Fall unabhängig von seinem Verhalten treffen können, durch das am 1. Januar 1972 in Kraft getretene Bundeszentralregistergesetz erweitert worden. Die Strafaussetzung nach § 56 StGB bringt - falls sie nicht widerrufen wird - den Rechtsvorteil mit sich, daß der Verurteilte bei bisheriger Unbestraftheit in den Fällen des § 30 Abs. 2 Nr. 3 und 6 BZRG i.d.F. des Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Betäubungsmittelrechts vom 28. Juli 1981 (BGBl I 681) von vornherein ein eintragungsfreies Führungszeugnis und in den Fällen des § 32 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b BZRG ein nach drei Jahren eintragungsfreies Führungszeugnis erhält. Diesen Vorteil hat auch derjenige, dessen Untersuchungshaft nur geringfügig unter der Höhe der erkannten Freiheitsstrafe liegt, weil auch dann bei einem aussetzungswürdigen Angeklagten die gesamte Strafe zur Bewährung auszusetzen ist (vgl. BGHSt 27, 287 f). Hat der Verurteilte dagegen Untersuchungshaft mindestens in Höhe der erkannten Freiheitsstrafe verbüßt, so erhält er bei sonst gleicher Sachlage ein eintragungsfreies Führungszeugnis erst nach drei oder fünf Jahren (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c, Nr. 2 BZRG). Darüber hinaus kann bei Strafaussetzung das gesetzliche Verwertungsverbot des § 49 BZRG fünf Jahre eher eintreten als bei Versagung der Strafaussetzung (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d, Nr. 2 Buchst. b und c, Nr. 3 BZRG).

9

b)

Die gesetzliche Ausgestaltung, die das Institut der Strafaussetzung zur Bewährung in den §§ 56 ff StGB erfahren hat, läßt jedoch keinen Raum für eine Auslegung, die solche mittelbaren registerrechtlichen Nachteile durch den Ausspruch einer Strafaussetzung zur Bewährung vermeidet.

10

Der Gesetzgeber hat die Strafaussetzung zur Bewährung, ungeachtet ihrer Eigenständigkeit als besonderes Reaktionsmittel zur "ambulanten" Behandlung des Täters, als Modifikation der Strafvollstreckung ausgestaltet (BGHSt 24, 40, 43). Das ergibt sich aus dem Regelungszusammenhang der §§ 56 a bis 56 g StGB. Danach können dem Verurteilten für die Dauer der vom Gericht festzusetzenden Bewährungszeit ein Bewährungshelfer bestellt sowie Auflagen und Weisungen erteilt werden. Der Verurteilte soll durch die bei Bewährungsversagen drohende Strafvollstreckung und durch den bei Bewährungserfolg zu erwartenden Straferlaß zu einem Leben ohne Straftaten angehalten werden. Würde aber die Strafe im Fall des Widerrufs der Strafaussetzung im Hinblick auf die erlittene Untersuchungshaft schon als voll verbüßt gelten, so könnte weder dem Bewährungsversager eine Strafvollstreckung drohen noch käme der Aussicht auf Straferlaß motivierende Wirkung zu. Zum Zeitpunkt des Widerrufs muß demnach mindestens ein noch zu verbüßender Strafrest vorhanden sein. Dies zeigt auch die Regelung des § 56 f Abs. 3 Satz 2 StGB, wonach das Gericht bei Widerruf Leistungen, die der Verurteilte auf ihm erteilte Auflagen erbracht hat, auf die - noch zu vollstreckende - Strafe anrechnen kann.

11

Schließlich darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß ein Verurteilter, der infolge der Dauer der erlittenen Untersuchungshaft auch bei einem Widerruf der Strafaussetzung keine Strafe mehr zu verbüßen hätte, im Einzelfall durch die mit der Strafaussetzung zu bestimmende Bewährungszeit und die in ihr möglichen staatlichen Überwachungsmaßnahmen nach den §§ 56 d ff StGB beschwert sein kann. Denn die Nachteile, die etwaige Weisungen, Auflagen oder die Bestellung eines Bewährungshelfers mit sich bringen können, gleichen nicht in jedem Fall die bei Strafaussetzung zu gewährenden registerrechtlichen Vorteile aus.

12

Die in den §§ 56 ff StGB vorgesehene Modifikation der Strafvollstreckung zur Einwirkung auf den Verurteilten und somit eine Strafaussetzung ist nach alledem nicht mehr möglich, wenn die Vollstreckung infolge der kraft Gesetzes eingetretenen Anrechnung der Untersuchungshaft bereits erledigt ist (BGH, Urteil vom 19. Mai 1981 - 1 StR 165/81 -; Ruß in LK, 10. Aufl. § 56 Rdn 7; Dreher/Tröndle, StGB 40. Aufl. § 56 Rdn 2; Lackner, StGB 14. Aufl. § 56 Anm. 3 c).

13

c)

Auch auf der Grundlage der vom Senat vertretenen Auffassung können besondere registerrechtliche Unbilligkeiten gegenüber einem an sich aussetzungswürdigen Verurteilten in Fällen der vorliegenden Art vermieden werden. Denn die §§ 37, 47 BZRG geben dem Generalbundesanwalt auf Antrag des Verurteilten oder von Amts wegen die Möglichkeit, die vorzeitige Nichtaufnahme von Verurteilungen in ein Führungszeugnis oder deren vorzeitige Tilgung im Register anzuordnen.

Schmidt
RiBGH Dr. Schauenburg ist beurlaubt und daher an der Unterschriftsleistung verhindert. Schmidt
Dr. Gribbohm
Zschockelt
Kutzer