Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.01.1982, Az.: 2 StR 593/81
Anforderungen an Abgabe von Betäubungsmitteln nach dem Betäubungsmittelgesetz; Voraussetzungen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln; Anforderungen an Handeltreiben bei Diebstahl von Betäubungsmitteln; Aufhebung des Strafausspruchs bei Schuldspruchänderung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 20.01.1982
- Aktenzeichen
- 2 StR 593/81
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1982, 11274
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bonn - 27.03.1981
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHSt 30, 359 - 362
- JZ 1982, 380-381 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1982, 512-513 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1982, 1337-1338 (Volltext mit amtl. LS)
- NStZ 1982, 250
- StV 1982, 260-261
Verfahrensgegenstand
Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.
Prozessführer
1. Arbeiter Francesco G., ohne festen Wohnsitz, geboren am ... 1959 in C./Italien, zur Zeit in Untersuchungshaft.
2. Arbeiter Ali Ge. aus B., geboren am ... 1954 in T./Türkei, zur Zeit in Untersuchungshaft.
3. Automechaniker Muhsin Gen., ohne festen Wohnsitz, geboren am ... 1961 in T./Türkei.
Amtlicher Leitsatz
- a)
Die Rückgabe von Betäubungsmitteln ist keine Abgabe im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes.
- b)
Zum Begriff des Handeltreibens bei Diebstahl von Betäubungsmitteln (Abgrenzung zum Beschluß des 3. Strafsenats vom 4. Dezember 1981 - 3 StR 408/81 -).
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf Grund der Verhandlung vom 16. Dezember 1981
in der Sitzung vom 20. Januar 1982,
an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mösl,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Müller, Dr. Meyer, Theune, Niemöller als beisitzende Richter,
Bundesanwalt ... in der Verhandlung,
Staatsanwalt Dr. ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
für Recht erkannt:
Tenor:
I.
Auf die Revision des Angeklagten Ali Ge. wird des Urteil des Landgerichts Bonn vom 27. März 1981,
- 1.
soweit es ihn und den Angeklagten G. betrifft,
- a)
im Schuldspruch dahin geändert, daß die Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen, jeweils begangen in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, verurteilt und im übrigen freigesprochen werden,
- b)
im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen hierzu aufgehoben;
- 2.
soweit es den Angeklagten Muhsin Gen. betrifft, aufgehoben.
II.
Der Angeklagte Muhsin Gen. wird freigesprochen.
III.
Soweit die Angeklagten freigesprochen sind, fallen die Kosten des Verfahrens einschließlich der den Angeklagten erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.
IV.
Im Umfang der Aufhebung nach I 1 b wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, soweit darüber nicht unter III entschieden ist, an eine andere Strafkammer (Jugendkammer) des Landgerichts zurückverwiesen.
V.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
VI.
Der Angeklagte Muhsin Gen. ist für die erlittene Untersuchungshaft aus der Staatskasse zu entschädigen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer entwendete gemeinsam mit dem Mitangeklagten G. aus einem Versteck, das der türkische Staatsangehörige Tagizade für sich angelegt hatte, bei zwei verschiedenen Gelegenheiten insgesamt 1.700 g Haschisch. Hiervon gaben beide später 1.400 g an T. zurück, weil sie von diesem bedroht und von dem Mitangeklagten Muhsin Gen. zur Rückgabe überredet worden waren.
Die Strafkammer hat den Beschwerdeführer wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine mit der Sachbeschwerde begründete Revision führt zur Änderung des Schuldspruchs und Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
1.
Die Strafkammer ist der Ansicht, daß sich der Angeklagte durch die Wegnahme des Haschischs des Diebstahls in zwei Fällen schuldig gemacht habe. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts einzuwenden. Das Urteil stellt ausdrücklich fest, daß der Entschluß zum zweiten Diebstahl erst gefaßt wurde, als der erste bereits beendet war. Fortsetzungszusammenhang scheidet deshalb aus.
2.
Durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen indessen gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen - tatmehrheitlich begangener - Abgabe von Betäubungsmitteln, die die Strafkammer in der Rückgabe des entwendeten Haschischs an T. sieht. Die Rückgabe von Betäubungsmitteln ist keine Abgabe im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 BetMG aF (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BetMG n.F.), wenn der Empfänger zuvor selbst die Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel hatte und diese Gewalt - sei es freiwillig etwa durch Hingabe zu zeitweiliger Verwahrung, sei es unfreiwillig etwa durch Diebstahl - an den jetzt Zurückgebenden verloren hat (vgl. BGH, Urt. v. 25. November 1980 - 1 StR 508/80 -). Der unerlaubten Abgabe macht sich vielmehr nach dem Sinn des Gesetzes, das ausdrücklich das "Inverkehrbringen" im Auge hat, nur schuldig, wer durch sein Handeln den Kreis derjenigen, die zu dem fraglichen Betäubungsmittel in Beziehung standen oder stehen, erweitert, das heißt das Betäubungsmittel weiter verbreitet. Das hat der Angeklagte nicht getan. Er war deshalb vom Vorwurf der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln freizusprechen,
3.
Der Angeklagte hat sich jedoch dadurch, daß er sich den Besitz an dem Haschisch in der Absicht verschafft hat, es "zu verwerten" (UA S. 12, 20, 22), also gewinnbringend zu veräußern, und überdies das Betäubungsmittel bei sich gelagert hat, in Tateinheit mit Diebstahl jeweils des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig gemacht.
Nach ständiger Rechtsprechung umfaßt Handeltreiben mit Betäubungsmitteln "jede eigennützige, auf Güterumsatz gerichtete Tätigkeit" (RG DJZ 1932, Sp. 808; BGHSt 6, 246; 25, 290; 28, 308; 30, 28). Eine nach außen erkennbare, auf die Veräußerung der Ware gerichtete Tätigkeit ist nicht erforderlich. Ebensowenig kommt es auf eine tatsächliche Förderung des erstrebten Umsatzes an (BGH, Beschl. v. 27. Juni 1978 - 2 StR 702/77 -; Urt. v. 4. Oktober 1978 - 3 StR 232/78 -). Weder der Abschluß eines Vertrags noch dessen Erfüllung oder die Anbahnung bestimmter Geschäfte wird vorausgesetzt (BGHSt 29, 239, 240). Die bloße Verwertungsabsicht reicht aus. Schon die Inbesitznahme von Betäubungsmitteln ist als Handeltreiben zu werten, wenn mit ihr eine umsatzfördernde Handlung vorgenommen wird oder der Täter eine solche Handlung zumindest beabsichtigt (BGH, Urt. v. 18. März 1981 - 3 StR 68/81 -).
Nach diesen Grundsätzen fällt auch der Diebstahl als solcher unter den Begriff des Handeltreibens, wenn er in der Absicht geschieht, das Betäubungsmittel später zu verwerten. Der Senat vermag keinen Grund zu erkennen, der es rechtfertigen könnte, das Handeltreiben insoweit auf die Fälle zu beschränken, in denen sich der Täter den Besitz im Wege abgeleiteten Erwerbs verschafft. Bei gleichgerichteter Absicht kann es nicht darauf ankommen, ob der Besitz als rein tatsächliches Herrschaftsverhältnis durch Rechtsgeschäft oder durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) erworben worden ist. Sonst würde die ungleiche Behandlung trotz gleicher Motivation des Täters darauf hinauslaufen, daß ein Dieb (= kein Handeltreiben) besser gestellt würde als der "ehrliche" Erwerber von Betäubungsmitteln (= Handeltreiben).
4.
Der erkennende Senat vertritt damit einen anderen Standpunkt als der 3. Strafsenat in seinem zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmten Beschluß vom 4. Dezember 1981 (3 StR 408/81). Der 3. Strafsenat ist der Ansicht, daß der Diebstahl allein kein Handeltreiben sei, auch wenn der Täter in der Absicht stehle, das Betäubungsmittel gewinnbringend zu veräußern. Handeltreiben setze schon nach seinem Wortsinn ein Verhalten voraus, das dem Tätigkeitsbereich eines Händlers zugerechnet werden könne. Das bedeute nicht, daß vom Handeltreiben von vornherein die Fälle auszuschließen seien, in denen der Täter ein Umsatzgeschäft mit Betäubungsmitteln betreibe, die er auf nicht abgeleitetem Wege erworben habe oder erwerben wolle. Erforderlich seien aber Tätigkeiten, die bei natürlicher Betrachtung solche eines Händlers seien. Deshalb betreibe der Dieb von Betäubungsmitteln Handel, wenn er eine auf die Veräußerung des Diebesgutes gerichtete Handlung vornehme - sich etwa um Käufer bemühe oder Verkaufsgespräche führe -, nicht aber schon dann, wenn er sich, sei es auch in der Absicht gewinnbringender Veräußerung, den Besitz daran verschaffe.
Wie hieraus folgt, verlangt der 3. Strafsenat, anders als der erkennende Senat, beim Handeltreiben mit gestohlenen Betäubungsmitteln eine zum Diebstahl hinzutretende weitere Handlung des Täters, durch die seine Absicht, Handel zu treiben, nach außen erkennbar wird.
Trotz der insoweit unterschiedlichen Auffassung beider Senate bedarf es nicht der Anrufung des Großen Senats für Strafsachen (§ 136 Abs. 1 GVG). Denn im vorliegenden Fall kommt hinzu - insoweit liegt er anders als der vom 3. Strafsenat entschiedene -, daß der Angeklagte das gestohlene Haschisch für die spätere Verwertung aufbewahrte, also auf Lager nahm. Auch der 3. Strafsenat ist aber der Ansicht, daß "zum Handeltreiben auch das Innehaben der zu veräußernden Ware im Sinne einer Lagerhaltung gehören kann". Da beim Beschwerdeführer in jedem Fall mit Rücksicht auf diese Lagerhaltung Handeltreiben zu bejahen ist, beruht das vorliegende Urteil im Ergebnis nicht darauf, daß der erkennende Senat abweichend vom 3. Strafsenat schon im bloßen in Verwertungsabsicht durchgeführten Diebstahl Handeltreiben sieht.
Daß der 3. Strafsenat Handeltreiben durch Lagerhaltung von weiteren Voraussetzungen abhängig machen will, insbesondere meint, "eine solche Verwahrung (müsse) im Zusammenhang mit einer auf Umsatz gerichteten Tätigkeit" stehen, bindet den erkennenden Senat nicht, weil diese Erwägung die dortige Entscheidung nicht trägt; in dem vom 3. Strafsenat entschiedenen Fall lag keine Lagerhaltung vor.
5.
Der durch den Diebstahl erlangte Besitz an dem Haschisch geht als unselbständiges Teilstück im Handeltreiben auf (BGHSt 25, 290, 291).
6.
Da sich der Angeklagte gegen den Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht anders als geschehen hätte verteidigen können, hat der Senat den Schuldspruch selbst geändert.
Diese Änderung führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Die Strafkammer wird nunmehr statt dreier zwei Einzelstrafen zu verhängen und aus diesen eine Gesamtstrafe zu bilden haben.
II.
Gemäß § 357 StPO sind die Änderung des Schuldspruchs, der Teilfreispruch und die Aufhebung des Strafausspruchs auf den Mitangeklagten G. zu erstrecken.
III.
Die weiter gebotene Erstreckung auf den Mitangeklagten Muhsin Gen. führt zu dessen Freispruch. Anklage und Eröffnungsbeschluß legen ihm nur zur Last, bei der Abgabe von Betäubungsmitteln Beihilfe geleistet zu haben. Da die Rückgabe des Haschischs keine strafbare Handlung war, kann der Angeklagte nicht wegen Beihilfe verurteilt wer- den.
IV.
Die Einziehungsanordnung wird von der Aufhebung des Strafausspruchs nicht berührt. Sie bleibt deshalb aufrecht erhalten.
Miller
Meyer
Theun
Niemöller